Bundessozialgericht, Beschluss vom 11.07.2022, Az. B 9 V 41/21 B

9. Senat | REWIS RS 2022, 4843

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - sozialgerichtliches Verfahren - Änderung des Klageantrags in der Berufungsinstanz - Fiktion des Nichtvorliegens einer Klageänderung - unveränderter Klagegrund - Erforderlichkeit der vollständigen und chronologisch geordneten Darlegung des gesamten Verfahrensgangs sowie der bindenden Tatsachenfeststellungen - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - Sachverhaltsschilderung - Darlegungsanforderungen


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 17. November 2021 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten in der Hauptsache um einen Anspruch auf Beschädigtenversorgung des inzwischen verstorbenen Ehemanns der Klägerin wegen rechtsstaatswidriger Haft in der DDR.

2

Mit Urteil vom [X.] hat das [X.] einen Anspruch des verstorbenen Ehemanns der Klägerin auf Entschädigungsleistungen verneint. Die Berufung sei unzulässig, soweit dieser damit erstmals eine Entscheidung über das erst während des Berufungsverfahrens diagnostizierte Plattenepithelkarzinoms des rechten Zungenrandes als Folge seiner Inhaftierung begehre, weil darin eine unzulässige Klageänderung liege. Wegen der Unzulässigkeit der so erweiterten Klage komme es auf die zu ihrer Begründung hilfsweise beantragte medizinische Sachverhaltsermittlung nicht an. Im Übrigen bedinge die Verbitterungsstörung, die als Schädigungsfolge der rechtsstaatswidrigen Haft anzuerkennen sei, keinen höheren [X.] als 20.

3

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemanns (§ 56 Abs 1 Satz 1 [X.]) Beschwerde zum [X.] eingelegt. Das [X.] habe durch die Ablehnung des hilfsweise gestellten [X.] seine Amtsermittlungspflicht (§ 103 [X.]) verletzt und zudem die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt.

4

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung verfehlt die gesetzlichen Anforderungen, weil sie weder den behaupteten Verfahrensmangel noch die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ordnungsgemäß dargetan hat (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 [X.]).

5

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 [X.] 3 Halbsatz 1 [X.]), so müssen bei der Bezeichnung des [X.] (§ 160a Abs 2 Satz 3 [X.]) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Gemäß § 160 Abs 2 [X.] 3 Halbsatz 2 [X.] kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei auf eine Verletzung des § 103 [X.] nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

6

Wird - wie durch die Klägerin - ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht ( § 103 [X.] ) gerügt, muss die Beschwerdebegründung hierzu folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren und bis zuletzt aufrechterhaltenen [X.], dem das [X.] nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des [X.], aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zur weiteren Sachaufklärung drängen müssen, (3) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des [X.] auf einer angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das [X.] mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme von seinem Standpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (zum Ganzen [X.] Beschluss vom 20. 2 .2019 - [X.] SB 67/18 B - juris Rd[X.] 6 mwN).

7

Diese [X.] an eine Sachaufklärungsrüge erfüllt die Beschwerde nicht im gebotenen Maße. Es fehlt bereits an der erforderlichen zusammenhängenden, vollständigen, chronologisch geordneten und aus sich heraus verständlichen Darstellung der Verfahrens- und Prozessgeschichte sowie des vom [X.] festgestellten Sachverhalts und damit der Tatumstände, die nach der materiellen Rechtsauffassung des [X.] zu weiterer Sachaufklärung Anlass hätten geben können (vgl stRspr; zB [X.] Beschluss vom 11.4.2022 - [X.] SB 59/21 B - juris Rd[X.] 6; [X.] Beschluss vom [X.] - [X.] V 48/16 B - juris Rd[X.] 10). Es ist nicht Aufgabe des [X.], sich im Rahmen des [X.]s die maßgeblichen Tatsachen aus dem angegriffenen Urteil und/oder den Gerichts- und Verwaltungsakten selbst herauszusuchen (stRspr; zB [X.] Beschluss vom [X.] - [X.] V 14/19 B - juris Rd[X.] 4; [X.] Beschluss vom [X.] - [X.] SB 51/18 B - juris Rd[X.] 23).

8

Die Beschwerdebegründung setzt mit ihrer Schilderung des Sachverhalts erst mit dem Berufungsverfahren ein, ohne zuvor den Ablauf des Verwaltungs- und des erstinstanzlichen Verfahrens darzulegen. Somit bleibt insbesondere der genaue Inhalt der angefochtenen Bescheide sowie des [X.] und damit auch der beim [X.] angefallene Streitgegenstand unklar. Auf dieser lückenhaften Tatsachengrundlage ist es dem Senat verwehrt, den von der Klägerin gerügten Verfahrensmangel eines Verstoßes gegen § 103 [X.] allein anhand der Beschwerdebegründung zu beurteilen. Das gilt insbesondere für die vermeintlich unrichtige Annahme einer unzulässigen Klageänderung in der Berufungsinstanz durch das [X.] und dessen darauf gestützte Ablehnung eines [X.]. Denn maßgeblich für die Fiktion des [X.] einer Klageänderung trotz Änderung des Klageantrags ist auch im Berufungsverfahren nach § 153 Abs 1 iVm § 99 Abs 3 [X.] 2 [X.], dass der Klagegrund, dh der tatsächliche Lebenssachverhalt aus dem der verstorbene Ehemann der Klägerin seinen gegen den Beklagten geltend gemachten Anspruch hergeleitet hat, derselbe geblieben ist (vgl [X.] Urteil vom 28.11.2018 - [X.] [X.]/17 R - [X.] 4-4200 § 21 [X.] 32 Rd[X.] 12; [X.] Urteil vom [X.] AL 28/09 R - [X.] 4-4300 § 57 [X.] 5 Rd[X.] 10; [X.] in [X.], 2. Aufl 2022, § 99 Rd[X.] 30; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 13. Aufl 2020, § 99 Rd[X.] 3). Um also beurteilen zu können, ob trotz Änderung des Klageantrags in der Berufungsinstanz der zu seiner Begründung erforderliche Lebenssachverhalt (Klagegrund) unverändert geblieben ist, hätte es der vollständigen und chronologisch geordneten Darlegung des gesamten [X.] sowie des für die Entscheidung des [X.] maßgeblichen und von ihm für das [X.] bindend festgestellten Sachverhalts (vgl § 163 [X.]) bedurft, an der es hier jedoch fehlt.

9

Dass die Klägerin die Entscheidung des [X.] inhaltlich für unrichtig hält, ist für das [X.] unerheblich und kann als solches nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl stRspr; zB [X.] Beschluss vom 28.10.2020 - B 10 EG 1/20 BH - juris Rd[X.] 11).

2. Aus den genannten Gründen ebenfalls nicht hinreichend dargetan ist die behauptete grundsätzliche Bedeutung der von der Beschwerde problematisierten fachlichen Anforderungen an Sachverständige bei der Begutachtung von [X.]. Eine vollständige und aus sich heraus verständliche Schilderung des für die Entscheidung des [X.] erheblichen Sachverhalts und der Verfahrensgeschichte gehört auch zu den Mindestanforderungen einer Grundsatzrüge (stRspr; zB [X.] Beschluss vom [X.] - [X.] V 67/20 B - juris Rd[X.] 12; [X.] Beschluss vom 27.6.2018 - B 5 RE 11/17 B - juris Rd[X.] 11, jeweils mwN; zu den [X.] an eine Grundsatzrüge s allgemein zB [X.] Beschluss vom [X.] - [X.] V 29/20 B - juris Rd[X.] 4 mwN). Ohne die erforderliche umfassende Sachverhaltswiedergabe kann das [X.] nicht beurteilen, ob sich entscheidungserheblich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iS des § 160 Abs 2 [X.] 1 [X.] stellt. Überdies fehlt es aber auch an der Darlegung der Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Fragestellung. Denn als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das [X.] diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere Entscheidungen des [X.] ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (stRspr; zB [X.] Beschluss vom 28.1.2019 - [X.] SB 44/18 B - juris Rd[X.] 8 mwN). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des [X.] zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass das [X.] zu diesem [X.] noch keine Entscheidung gefällt oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier als grundsätzlich bedeutsam erachtete Frage noch nicht beantwortet hat (stRspr; zB [X.] Beschluss vom 24.1.2018 - B 13 [X.]/14 B - juris Rd[X.] 9). Entsprechende Ausführungen fehlen jedoch.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]).

3. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung [X.] zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 [X.]).

4. [X.] beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 [X.].

Kaltenstein                [X.]                [X.]

Meta

B 9 V 41/21 B

11.07.2022

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: V

vorgehend SG Koblenz, 5. April 2018, Az: S 4 VH 1/16, Urteil

§ 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG, § 163 SGG, § 99 Abs 3 Nr 2 SGG, § 153 Abs 1 SGG, § 103 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 11.07.2022, Az. B 9 V 41/21 B (REWIS RS 2022, 4843)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 4843

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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