Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 01.06.2021, Az. 1 BvR 2374/15

1. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2021, 5392

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Unzulässige Verfassungsbeschwerde bzgl des Planfeststellungsbeschlusses für die Erweiterung des Verkehrsflughafens München durch Anlage und Betrieb einer dritten Start- und Landebahn - unvollständiger Beschwerdevortrag mangels Vorlage entscheidungserheblicher Unterlagen - unzureichende Darlegung mangelnder Rechtsschutzmöglichkeiten im Falle nachträglich eintretender Tatsachen, die eine im Planfeststellungsverfahren aufgestellte Luftverkehrsprognose in Frage stellen


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

[X.]

1

Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde als anerkannte Umweltvereinigung und in [X.] anerkannte Naturschutzvereinigung sowie als Eigentümer von durch das Vorhaben unmittelbar in Anspruch genommenen Grundstücken gegen den Planfeststellungsbeschluss für die Erweiterung des [X.] durch Anlage und Betrieb einer dritten Start- und Landebahn und die dazu ergangenen gerichtlichen Entscheidungen.

2

Wegen des das Ausgangsverfahren betreffenden Sachverhalts wird auf das angegriffene Urteil des [X.] vom 19. Februar 2014 (- 8 A 11/40051 -, juris) verwiesen.

3

Der Beschwerdeführer hat am 17. August 2015 Verfassungsbeschwerde erhoben. Er rügt die Verletzungen von Art. 14 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20a und in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1, Art. 103 Abs. 1 und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

4

Die Einwendungen des Beschwerdeführers richten sich unter anderem gegen das dem angegriffenen Planfeststellungsbeschluss ‒ hier der [X.] im Rahmen der Planrechtfertigung ‒ zugrundeliegende [X.]gutachten, das durch die Firma [X.] erstellt und behördlicherseits einer Qualitätssicherung durch die [X.] unterzogen wurde, sowie dessen gerichtliche Kontrolle. Der Beschwerdeführer macht insbesondere geltend, der [X.] verletze die Rechtsschutz- und Eigentumsgarantie, indem er für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses auf den [X.] als entscheidungserheblichen Zeitpunkt abgestellt habe, obwohl die Planrechtfertigung danach ‒ aber noch während des gerichtlichen Verfahrens ‒ entfallen sei, weil die Erwartungen der [X.] tatsächlich nicht eingetreten seien. Entfalle die Planrechtfertigung noch vor Abschluss des gerichtlichen Verfahrens, gebiete Art. 19 Abs. 4 GG jedoch zur Vermeidung von [X.] deren volle gerichtliche Kontrolle über den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung hinaus. Anderenfalls könne es zu Eingriffen in das Eigentum und in die natürlichen Lebensgrundlagen kommen, obwohl ein die Enteignung rechtfertigender Bedarf für das planfestgestellte Vorhaben nicht (mehr) bestehe. Einen Anspruch auf nachträgliche Aufhebung eines solchen Planfeststellungsbeschlusses gebe es nämlich nicht. Weiter habe der [X.] die gerichtliche Kontrolle der [X.] auch in der Sache nicht den sich aus Art. 14 Abs. 3, Art. 20a und Art. 19 Abs. 4 GG ergebenden Anforderungen entsprechend durchgeführt. Der [X.] habe nämlich den Prüfungsumfang bezüglich der [X.] eingeschränkt, obwohl es der vollständigen gerichtlichen Kontrolle unterliege, ob eine Prognose einwandfrei zustande gekommen sei. Der Methode der [X.] fehle es hier an Transparenz und Nachvollziehbarkeit, da unter anderem die der Prognose zugrundeliegende, sogenannte [X.] sowie bestimmte Datengrundlagen wie [X.] unter Berufung auf Betriebs- beziehungsweise Geschäftsgeheimnisse nicht offen gelegt worden seien und die Prognose daher weder durch die Behörde oder deren Qualitätssicherer der [X.] noch durch den Beschwerdeführer oder die Gerichte habe überprüft werden können.

I[X.]

5

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Sie erfüllt nicht die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 [X.]. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers geboten. Sie hat keine Aussicht auf Erfolg.

6

1. Die Möglichkeit einer Verletzung von Art. 19 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 14 Abs. 3 GG wegen einer unzureichenden Kontrolle der [X.] ist nicht hinreichend dargetan (vgl. § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.]).

7

a) Da sich der Beschwerdeführer auf das materielle Grundrecht aus Art. 14 GG berufen kann, ist ihm in diesem Zusammenhang auch eine Berufung auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG möglich, ohne dass es einer Entscheidung über die bislang in der Rechtsprechung des [X.] offen gelassene Frage bedürfte, ob der Schutz des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG einer nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz anerkannten Vereinigung im Rahmen einer nach diesem Gesetz erhobenen ([X.] zukommt oder ob dies mangels subjektiver materieller Rechte nicht der Fall ist (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 18. September 2017 - 1 BvR 361/12 -, Rn. 11; Beschluss der [X.] des [X.] vom 12. Juli 2018 - 1 BvR 1401/18 -, Rn. 3).

8

b) Im Ausgangspunkt folgt aus der Garantie effektiven Rechtsschutzes grundsätzlich die Pflicht der Gerichte, die angefochtenen Verwaltungsakte in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollständig nachzuprüfen (vgl. [X.]E 129, 1 <20> m.w.N.; 149, 407 <413 Rn. 19>). Dabei ist auch die ‒ im Übrigen nur eingeschränkt überprüfbare ‒ Abwägung im Rahmen einer behördlichen Planungsentscheidung daraufhin zu kontrollieren, ob der erhebliche Sachverhalt zutreffend und vollständig ermittelt und ob anhand dieses Sachverhalts der Entscheidung alle sachlich beteiligten Belange und Interessen zugrunde gelegt sowie umfassend und in nachvollziehbarer Weise abgewogen worden sind (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 2. Juli 2018 - 1 BvR 612/12 -, Rn. 44). Soweit hierbei über Prognosen zu befinden ist, ist die gerichtliche Überprüfung ihrem Wesen nach auf die Frage beschränkt, ob der Sachverhalt zutreffend ermittelt und der Prognose eine geeignete Methode zugrunde gelegt worden ist. Insoweit muss die Behörde die Ergebnisse der Prognose in der Verwaltungsentscheidung selbst oder den Verwaltungsvorgängen einleuchtend begründen und sie muss nachvollziehbar darlegen, auf welche Tatsachen und Erfahrungen aus ihrer eigenen Sphäre und auf welche wissenschaftlichen Erkenntnisse Dritter sie zur prognostischen Beurteilung zurückgreift (vgl. [X.]E 88, 40 <60>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 2. Juni 2008 - 1 BvR 349/04 u.a. -, Rn. 29 f.).

9

Dabei ist zwar eine volle gerichtliche Überprüfung geboten, ob der Sachverhalt zutreffend ermittelt und der Prognose eine geeignete Methode zugrunde gelegt worden ist. Dies setzt jedoch nicht zwingend die Kenntnis sämtlicher Tatsachengrundlagen voraus. Insoweit gebietet Art. 19 Abs. 4 GG ‒ ebenso wie dies in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt ‒ die Offenlegung von Tatsachen, die ein Sachverständiger seinem Gutachten zugrunde gelegt hat, regelmäßig (nur) dann, wenn die Kenntnis der einzelnen tatsächlichen Umstände zur Nachprüfung des Sachverständigengutachtens unentbehrlich ist. Ob und wieweit das Gericht und die Verfahrensbeteiligten die Kenntnis von Tatsachen, die ein Sachverständiger seinem Gutachten zugrunde gelegt hat, für eine kritische Würdigung des Gutachtens tatsächlich benötigen, lässt sich auch im Verwaltungsprozess nicht generell entscheiden. Die Frage muss durch das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles entschieden werden (vgl. für den Zivilprozess [X.]E 91, 176 <181 ff.>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 30. August 2017 - 1 BvR 776/14 -, Rn. 23).

c) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist eine mögliche Verletzung von Art. 19 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 14 Abs. 3 GG wegen einer unzureichenden Kontrolle der [X.] nicht hinreichend dargetan. Der Beschwerdeführer hat es versäumt, alle Schriftstücke, deren Kenntnis für eine Beurteilung der Berechtigung der geltend gemachten Rüge erforderlich ist, mit der Verfassungsbeschwerde vorzulegen oder zumindest ihrem wesentlichen Inhalt nach wiederzugeben. Das [X.] ist deshalb nicht in der Lage, zu beurteilen, ob die Entscheidungen mit dem Grundgesetz in Einklang stehen (vgl. [X.]E 93, 266 <288>; 129, 269 <278>).

Der Beschwerdeführer hat es hier versäumt, die "Stellungnahme zum Aufklärungsschreiben der Regierung von [X.] vom 23.09.2009" der Firma [X.] (im Folgenden: Stellungnahme zum Aufklärungsschreiben) vorzulegen oder zumindest ihrem wesentlichen Inhalt nach wiederzugeben.

Zwar steht auf Grundlage der Ausführungen des [X.] in der angegriffenen Entscheidung (vgl. Urteil vom 19. Februar 2014 - 8 A 11/40051 -, juris, Rn. 381) und der von dem Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen (vgl. [X.], Stellungnahme zu den Ergänzenden Szenariobetrachtungen zur [X.] 2020 für den [X.] sowie zum Aufklärungsbedarf zur [X.] der [X.]n 2020 für den [X.], September 2010, [X.]) fest, dass der Gutachter zur Erstellung der [X.] auch Datengrundlagen verwendet hat, die nicht öffentlich zugänglich sind und die weder den Qualitätssicherern der [X.] noch der Behörde oder den Gerichten bekannt geworden sind, geschweige denn von ihnen kontrolliert wurden.

Ob sich daraus auch eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ergibt, kann ohne die nicht vorgelegte "Stellungnahme zum Aufklärungsschreiben" aber nicht beurteilt werden.

Wesentliche Grundlage der gerichtlichen Feststellungen zur Transparenz der Verkehrsprognose dürfte nämlich gerade auch die nicht vorgelegte "Stellungnahme zum Aufklärungsschreiben" gewesen sein. So hat der [X.] in der angegriffenen Entscheidung darauf abgestellt, dass die Qualitätssicherer der [X.] "nach zwischenzeitlich erfolgter Offenlegung weiterer Datengrundlagen" zu der auch für das Gericht nachvollziehbaren Gesamteinschätzung gekommen seien, dass der Gutachter der Beigeladenen zu sämtlichen aufgeworfenen Themenfeldern hinreichend Aufschluss habe geben können; weiter sei hinsichtlich der zugrunde gelegten Quelle-Ziel-Matrizes aus Sicht der Qualitätssicherer auf der Basis der vorliegenden Informationen eine hohe Güte gewährleistet und gut nachvollziehbar, welche Inhalte diese umfassen (vgl. [X.], Urteil vom 19. Februar 2014 - 8 A 11/40051 -, juris, Rn. 381). Aus der "Stellungnahme der [X.] zu den Ergänzenden Szenariobetrachtungen zur [X.] 2020 für den [X.] sowie zum Aufklärungsbedarf zur [X.] der [X.]n 2020 für den [X.]" ergibt sich insoweit, dass die Gutachter der Firma [X.] in der von dem Beschwerdeführer nicht vorgelegten "Stellungnahme zum Aufklärungsschreiben" weitere Dokumentationen zur Erstellung der [X.] gegeben haben und dass dort erläutert ist, wie der Abgleich von Stichproben und Statistiken erfolgt und welche Datengrundlagen verwendet werden.

Ohne die genannte "Stellungnahme zum Aufklärungsschreiben" kann demnach nicht beurteilt werden, ob die Kenntnis der nicht öffentlich zugänglichen Datengrundlagen unter Berücksichtigung ihres ‒ auch im Verhältnis zu den offengelegten Datengrundlagen zu beurteilenden ‒ Umfangs und ihrer Bedeutung für die volle gerichtliche Nachprüfung der Tatsachengrundlagen und der Geeignetheit der Methode des Prognosegutachtens unentbehrlich war, beziehungsweise, ob der [X.] in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgehen durfte, dass dies nicht der Fall war.

Der Beschwerdeführer hat schließlich auch nicht vorgetragen und es ist nicht ersichtlich, dass ihm die "Stellungnahme zum Aufklärungsschreiben" nicht vorgelegen hätte oder er insoweit einen erfolglosen Antrag auf Akteneinsicht gestellt hätte.

2. Eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 14 Abs. 3 GG ist auch nicht feststellbar, soweit der [X.] für die gerichtliche Nachprüfung und Beurteilung der Verkehrsprognose allein auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abgestellt und dabei die nach diesem Zeitpunkt ‒ vor Abschluss der mündlichen Verhandlung und vor Eintritt der Bestandskraft ‒ eingetretenen, vom Beschwerdeführer geltend gemachten und im Widerspruch zu der Prognose stehenden Entwicklungen nicht berücksichtigt hat.

a) Zwar ist mit dem Beschwerdeführer davon auszugehen, dass es der verfassungsrechtlich garantierte Schutz des Eigentums (Art. 14 GG) trotz Rechtskraft eines Urteils über einen Planfeststellungsbeschluss mit enteignungsrechtlicher Vorwirkung verbietet, eine Enteignung zur Verwirklichung des mit dem Planfeststellungsbeschluss zugelassenen Vorhabens anzuordnen, wenn feststeht, dass diese Enteignung aufgrund nachträglich eingetretener Änderungen der Sach- oder Rechtslage nicht mehr dem Gemeinwohl dienen würde (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 17. April 2013 - 1 BvR 2614/12 -, Rn. 6; Beschluss der [X.] des [X.] vom 19. September 2007 - 1 BvR 1698/04 -, juris, Rn. 13 zum Erlass einer bauplanungsrechtlichen Entwicklungssatzung).

b) Wird im Rahmen der gegen einen Planfeststellungsbeschluss gerichteten Klage auf den Zeitpunkt des Erlasses abgestellt, schließt das einen ausreichenden Rechtsschutz jedoch nicht aus. Er kann etwa gewährt werden, indem dem Enteignungsbetroffenen bei entscheidungserheblich geänderten Verhältnissen ein Anspruch auf Aufhebung oder Änderung des Planfeststellungsbeschlusses eingeräumt wird (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 19. September 2007 - 1 BvR 1698/04 -, juris, Rn. 13 zum Erlass einer bauplanungsrechtlichen Entwicklungssatzung; siehe auch Beschluss der [X.] des [X.] vom 20. Februar 2008 - 1 BvR 2389/06 -, Rn. 33).

Dass eine solche Rechtsschutzmöglichkeit hier nicht bestünde, hat der Beschwerdeführer nicht hinreichend substantiiert vorgetragen, und dies ist auch nicht ersichtlich. Zwar ist gemäß § 72 Abs. 1 VwVfG (beziehungsweise hier: Art. 72 Abs. 1 BayVwVfG) ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 VwVfG (Art. 51 BayVwVfG) ausgeschlossen. Die Vorschriften über die Rücknahme und den Widerruf von Verwaltungsakten nach §§ 48, 49 VwVfG (Art. 48, 49 BayVwVfG) sind aber auch auf [X.] anwendbar; etwas anderes folgt weder aus § 72 Abs. 1 VwVfG (Art. 72 Abs. 1 BayVwVfG) noch aus § 75 Abs. 2 Satz 1 VwVfG (Art. 75 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG, vgl. [X.]E 168, 368 <374 f. Rn. 24>). Zwar kommt nach der Rechtsprechung des [X.] eine Rücknahme wegen Rechtswidrigkeit nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG (Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG) nicht in Betracht, wenn sich die Rechtswidrigkeit eines Planfeststellungsbeschlusses aus nach Erlass des Beschlusses eingetretenen Veränderungen der Sach- und Rechtslage ergibt, da für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit auf den Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes abzustellen ist (vgl. [X.]E 155, 81 <86 f. Rn. 26 ff.>; 168, 368 <376 Rn. 27>); ebenso hindert die präjudizielle Wirkung der Rechtskraft des (Sach-)Urteils, mit dem die Anfechtungsklage gegen einen Planfeststellungsbeschluss abgewiesen worden ist, einen solchen Rücknahmeanspruch, selbst wenn sich später herausstellen sollte, dass der Planfeststellungsbeschluss bereits zum Erlasszeitpunkt rechtswidrig gewesen ist ([X.]E 155, 81 <86 Rn. 27>; 168, 368 <378 f. Rn. 36>). Weiter erfüllt die Beeinträchtigung des Eigentums Einzelner durch einen Planfeststellungsbeschluss nach der Rechtsprechung des [X.] wohl grundsätzlich nicht die besonders strengen Anforderungen an einen Widerruf nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 VwVfG (Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 BayVwVfG), um schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten oder zu beseitigen (vgl. etwa [X.], Beschluss vom 27. Mai 2015 - 3 [X.]/15 -, juris, Rn. 16 f.).

Allerdings ist nicht ersichtlich, dass auch ein Widerruf nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG (Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG) wegen nachträglich eingetretener Tatsachen von vornherein ausgeschlossen wäre (vgl. dazu [X.]E 155, 81 <87 ff. Rn. 31, 34 ff.>). Gemäß § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG (Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG) darf ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, wenn die Behörde auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde. Dabei kann auch die geänderte Bewertung von Sachverhalten eine Änderung von Tatsachen im Sinne von § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG (Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG) sein (vgl. [X.]E 155, 81 <89 Rn. 36>). Zwar kommt ein (Teil-)Widerruf des Planfeststellungsbeschlusses nach der Rechtsprechung des [X.] grundsätzlich nur als "ultima ratio" in Betracht, wenn eine Grundrechtsverletzung nicht durch nachträgliche Schutzvorkehrungen nach § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG (Art. 75 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG) zu beseitigen ist (vgl. [X.]E 155, 81 <87 f. Rn. 31, 34>; 168, 368 <375 Rn. 25>; [X.], Beschluss vom 26. Februar 2004 - 4 [X.] -, juris, Rn. 4). Können die nachteiligen Wirkungen von drohenden ‒ mangels Planrechtfertigung beziehungsweise rechtfertigendem Gemeinwohlgrund ‒ rechtswidrigen Enteignungen durch ergänzende Vorkehrungen nach § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG (Art. 75 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG) nicht verhindert werden, dürfte demnach aber ein Anspruch auf (Teil-)Widerruf beziehungsweise ermessensfehlerfreie Entscheidung hierüber nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG (Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG) wohl nicht ausgeschlossen sein. Gleichwohl zieht der Beschwerdeführer diese Möglichkeit überhaupt nicht erst in Betracht.

Schließlich begegnet es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass es nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung für die Beurteilung, ob eine Prognose auf einer zuverlässigen Tatsachenbasis beruht und in sich schlüssig ist, grundsätzlich nicht darauf ankommt, ob die Annahmen, die der Prognose zugrunde liegen, durch die spätere Entwicklung mehr oder weniger bestätigt oder widerlegt werden (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 2. Juni 2008 - 1 BvR 349/04 u.a. -, Rn. 30 zu städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen).

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 2374/15

01.06.2021

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 1. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BVerwG, 12. August 2015, Az: 4 B 29/15 (4 B 59/14), Beschluss

Art 14 Abs 1 GG, Art 14 Abs 3 GG, Art 19 Abs 4 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 6 LuftVG, § 8 LuftVG, § 10 LuftVG, § 49 Abs 2 S 1 Nr 3 VwVfG, § 75 Abs 2 S 2 VwVfG, Art 49 Abs 2 S 1 Nr 3 VwVfG BY, Art 75 Abs 2 S 2 VwVfG BY

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 01.06.2021, Az. 1 BvR 2374/15 (REWIS RS 2021, 5392)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 5392


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 1 BvR 2374/15

Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 2374/15, 01.06.2021.


Az. 4 B 59/14

Bundesverwaltungsgericht, 4 B 59/14, 22.06.2015.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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