Bundesfinanzhof, Urteil vom 28.07.2010, Az. I R 111/09

1. Senat | REWIS RS 2010, 4393

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Rückwirkende Begründung einer körperschaftsteuerlichen Organschaft nach Einbringung einer Mehrheitsbeteiligung


Leitsatz

NV: Die Voraussetzungen einer Organschaft gemäß §§ 14 ff. KStG 2002 sind infolge der in § 12 Abs. 3 Satz 1 UmwStG 1995 angeordneten Gesamtrechtsnachfolge der übernehmenden Gesellschaft in die Position der übertragenden Gesellschaft auch nach Einbringung einer Mehrheitsbeteiligung mit steuerlicher Rückwirkung gem. § 20 Abs. 1 Satz 2 UmwStG von Beginn des Wirtschaftsjahr der Organgesellschaft an erfüllt .

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH. Ihre Alleingesellschafterin war ursprünglich eine Kommanditgesellschaft, die [X.]. Diese brachte die Beteiligung an der Klägerin durch "Übertragungs- und Anteilsabtretungsvertrag" vom 29. August 2005 (dem Streitjahr) mit steuerlicher Rückwirkung zum 31. Dezember 2004 gegen Gewährung von [X.] nach § 20 Abs. 1 Satz 2 des Umwandlungssteuergesetzes (UmwStG 1995) zum Buchwert in eine andere Tochtergesellschaft, die (seinerzeitige) [X.], ein. Zugleich schlossen die [X.] und die Klägerin einen [X.], in welchem sich die Klägerin verpflichtete, erstmals für ihr ab dem 1. Januar 2005 beginnendes Geschäftsjahr ihren gesamten Gewinn an die [X.] abzuführen. Der [X.] sollte "rückwirkend für die [X.] vom 1. Januar 2005, 0:00 Uhr" gelten. Die Klägerin stimmte dem [X.] durch Gesellschafterbeschluss zu.

2

Die Klägerin legte ihren Steuererklärungen für das Streitjahr eine körperschaftsteuer- und gewerbesteuerrechtliche Organschaft zwischen ihr und der [X.] zugrunde. Dem folgte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) nicht. Er bezog sich auf das Schreiben des [X.] ([X.]) vom 26. August 2003 ([X.], 437 [X.]. 12) und ging davon aus, es fehle die erforderliche finanzielle Eingliederung.

3

Die Klage gegen die hiernach ergangenen Steuerbescheide war erfolgreich. Das Finanzgericht (FG) [X.] gab ihr durch Urteil vom 25. November 2009  3 [X.] statt; das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte ([X.]) 2010, 820 veröffentlicht.

4

Seine Revision stützt das [X.] auf Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, das [X.] aufzuheben und die Klage abzuweisen.

5

Das dem Verfahren beigetretene [X.] unterstützt das [X.] in der Sache, hat jedoch keine Anträge gestellt.

Entscheidungsgründe

6

II. Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanz hat im Ergebnis zu Recht angenommen, die Klägerin sei im Streitjahr in die [X.] finanziell eingegliedert gewesen und es fehle infolgedessen nicht an einer Voraussetzung für das Vorliegen einer körperschaftsteuer- und gewerbesteuerrechtlichen [X.]anschaft.

7

1. Verpflichtet sich eine GmbH mit Geschäftsleitung und Sitz im Inland ([X.]angesellschaft) durch einen Gewinnabführungsvertrag i.S. des § 291 Abs. 1 des Aktiengesetzes, ihren ganzen Gewinn an ein einziges anderes gewerbliches Unternehmen abzuführen, so ist das Einkommen der [X.]angesellschaft, soweit sich aus § 16 des [X.] ([X.] 2002) nichts anderes ergibt und überdies die Eingliederungsvoraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 1 zweiter Satzteil Nr. 1 bis 5 [X.] 2002 erfüllt sind, dem Träger des Unternehmens ([X.]anträger) zuzurechnen. Das folgt aus § 14 Abs. 1 Satz 1 erster Satzteil und § 17 [X.] 2002. Unter denselben Voraussetzungen gelten nach § 2 Abs. 2 Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes 2002 [X.]angesellschaften i.S. der §§ 14, 17 oder 18 [X.] 2002 als Betriebsstätten des anderen Unternehmens.

8

Das alles ist nach den Feststellungen des [X.], die den erkennenden [X.] binden (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--), im Streitfall gegeben und ist unter den Beteiligten im Grundsatz auch nicht streitig.

9

2. Da der [X.] als [X.]anträgerin die Mehrheit der Stimmrechte aus den Anteilen an der Klägerin als [X.]angesellschaft zustand, gilt Letzteres prinzipiell auch für das Erfordernis der finanziellen Eingliederung i.S. des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] 2002. Umstritten ist allerdings, ob diese Eingliederung --wie hiernach ebenfalls erforderlich-- "vom Beginn ihres [X.] an ununterbrochen" bestand. Die Finanzverwaltung (vgl. [X.]-Schreiben in [X.], 437 [X.]. 12; Oberfinanzdirektion [X.], Verfügung vom 21. November 2005, [X.] Steuerrecht --DStR-- 2006, 41; anders noch im sog. [X.], [X.]-Schreiben vom 25. März 1998, [X.], 268, [X.]. [X.]. 05) verneint das, weil es sich bei der gebotenen finanziellen Eingliederung um ein tatsächliches Merkmal handele, das einer fiktiven Rückbeziehung nicht zugänglich sei. Die rückwirkende Begründung eines [X.]anschaftsverhältnisses sei deswegen nicht zulässig. Das Schrifttum ist demgegenüber einhellig anderer Auffassung: Die finanzielle Eingliederung sei rechtlicher, nicht tatsächlicher Natur und könne deshalb auch auf den fiktiven Übertragungsstichtag rückbezogen werden (z.B. [X.] in [X.], [X.], 2. Aufl., § 14 [X.] 159 f.; [X.], Der Konzern 2004, 273; 2005, 695, 697; derselbe in [X.]/[X.]/[X.], Die Körperschaftsteuer, [X.]. [[X.]] [X.] 16 ff.; Patt, daselbst, § 20 [X.] [[X.]] [X.] 33; [X.] [Hrsg.], [X.]anschaft, [X.], 255; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], [X.]. 3 [X.] 36 ff., [X.] 39; [X.], daselbst, § 2 [X.] 40; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], EStG/[X.], § 14 [X.] [X.] 116; [X.] in [X.], [X.], § 14 [X.] 351.1, 357.1, 366; [X.], [X.] 2002, 481, 483; [X.] in [X.]/[X.], [X.]/[X.]/[X.], § 14 [X.] [X.] 88a; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]/[X.], 5. Aufl., § 2 [X.] [X.] 86; [X.], daselbst, § 23 [X.] [X.] 33; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 3. Aufl., § 23 [X.] 28; [X.], daselbst, § 2 [X.] 85; [X.]/[X.] in [X.]/[X.], [X.], 3. Aufl., § 14 [X.] 700 ff., 704; [X.], [X.], 124; [X.], Der Konzern 2005, 79, 93; [X.], [X.] 2004/2005, 325, 327 ff.; [X.]/[X.], Der Betrieb --[X.]-- 2005, 1703). Der [X.] lässt im Ergebnis (abermals, s. bereits [X.]surteil vom 17. September 2003 [X.], [X.], 329, [X.], 534) dahinstehen, welche Auffassung er für richtig hält. Er gibt der Klägerin schon aus anderen Gründen Recht:

a) Die Anteile an der Klägerin wurden von der [X.] als übertragender Gesellschaft gegen Gewährung von Geschäftsanteilen am 29. August 2005 in die [X.] eingebracht. Steuerlich wurde diese Einbringung nach § 20 Abs. 1 i.V.m. Abs. 7 und 8 Satz 1 [X.] 1995 auf den 31. Dezember 2004 rückbezogen, und es wurde sodann am 29. August 2005 zwischen der [X.] und der Klägerin mit Wirkung ab dem 1. Januar 2005 ein [X.] geschlossen. Damit wurden die Voraussetzungen für eine organschaftliche Eingliederung der Klägerin in die [X.] nicht erst ab dem 29. August 2005, sondern "vom Beginn des Wirtschaftsjahres" an erfüllt.

b) Grund hierfür ist § 12 Abs. 3 Satz 1 (i.V.m. § 22 Abs. 1 und § 4 Abs. 2 Satz 3) [X.] 1995, wonach im Falle der [X.] die übernehmende Körperschaft in die steuerliche Rechtsstellung der übertragenden Körperschaft eintritt. Das gilt für jegliche Gewinnermittlungsvorschriften und damit auch (vgl. § 15 [X.] 2002) für die körperschaftsteuerlichen [X.]anschaftsvoraussetzungen: Die Ausgliederung einer Mehrheitsbeteiligung mit nachfolgender erstmaliger Begründung einer [X.]anschaft ist möglich, wenn seit dem Beginn des Wirtschaftsjahres eine finanzielle Eingliederung zunächst zum übertragenden Rechtsträger und anschließend zum übernehmenden Rechtsträger besteht und dieses Erfordernis bis zum Ende des Wirtschaftsjahres aufrechterhalten bleibt. Sind diese Voraussetzungen bei der übertragenden Körperschaft (hier: der [X.]) erfüllt, setzt sich dies für die übernehmende Körperschaft (hier: die [X.] als nunmehriger [X.]anträgerin) fort. Das betrifft auch und gerade die im Streitfall in Rede stehende Anteilseinbringung, ohne dass es auf die Frage danach, ob die einzelnen [X.]anschaftsvoraussetzungen --hier diejenige der finanziellen [X.] bei isolierter Betrachtung einer Rückwirkung zugänglich sind, noch ankäme. Insbesondere bedarf es keiner Begründung eines [X.]anschaftsverhältnisses zur übertragenden Gesellschaft. Die Rechtsnachfolge der übernehmenden Körperschaft in die Position der übertragenden Körperschaft ist vielmehr eine umfassende (sog. Fußstapfentheorie).

c) Aus gleichem Grund ist auch dem Einwand des dem Revisionsverfahren beigetretenen [X.], die in § 12 Abs. 3 Satz 1 [X.] 1995 angeordnete Rechtsnachfolge verlange im Hinblick auf die [X.]anschaftsvoraussetzungen des § 14 Abs. 1 [X.] 2002 und hierbei namentlich im Hinblick auf das Merkmal der finanziellen Eingliederung ein einschränkendes Rechtsverständnis, weil jenes [X.] ein personenbezogenes, als solches nachfolgefeindliches Merkmal sei, nicht beizupflichten. Es trifft zwar zu, dass die körperschaftsteuerrechtliche [X.]anschaft eine systematische Durchbrechung des steuerlichen Subjektprinzips darstellt und deswegen von bestimmten tatbestandlichen Voraussetzungen abhängt (vgl. auch [X.]surteil vom 3. März 2010 [X.]/09, [X.], 1132). Indem das [X.] für seinen Regelungsbereich jedoch eine letztlich vorbehaltlose Rechtsnachfolge in die Position des [X.] gewährt, wird diese Durchbrechung und werden deren Voraussetzungen einbezogen. Dadurch, dass Umwandlungen in Anlehnung an die handelsrechtlichen Vorgaben und abweichend von den tatsächlichen Gegebenheiten zudem auch steuerlich prinzipiell rückwirkend beschlossen werden können, wird dies bestärkt. In beidem liegt gerade der Unterschied zu jener Situation der sog. Verlustvererbung nach § 10d des Einkommensteuergesetzes, über welche der Große [X.] des [X.] in seinem Beschluss vom 17. Dezember 2007 GrS 2/04 ([X.], 129, [X.], 608) zu entscheiden hatte und auf welchen sich das [X.] deshalb zu Unrecht bezieht.

d) Auch dass die Rückwirkungsfiktion des § 2 Abs. 1 i.V.m. § 20 Abs. 7 und 8 [X.] 1995 beim [X.] seit der Novellierung des Umwandlungssteuergesetzes durch das Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der [X.] und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften vom 7. Dezember 2006 ([X.], 2782, [X.], 4) gänzlich ausgeschlossen ist (vgl. § 21 [X.] 2006; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], a.a.[X.], § 21 [X.] 52), rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Es handelt sich hierbei um eine konstitutive Neuregelung, die im Streitjahr noch nicht galt.

e) Die daraus abzuleitenden Konsequenzen entsprechen gleichermaßen der (ursprünglichen) Verwaltungspraxis (im sog. [X.] in [X.], 268, dort [X.]. [X.]. 08 i.V.m. [X.]. 04) wie der zwischenzeitlich geänderten Regelungslage in § 23 Abs. 1 i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 3 und § 12 Abs. 3 [X.] 2006 (im Ergebnis ebenso z.B. [X.] in [X.]/ [X.]/[X.], a.a.[X.], [X.]. 3 [X.] 39 und 48 f.; [X.], daselbst, § 23 [X.] 54; [X.], Der Konzern 2005, 695, 698; derselbe in [X.]/[X.]/[X.], a.a.[X.], [X.]. [[X.]] [X.] 11 und [X.] 21/6; [X.] in [X.]/[X.], a.a.[X.], § 23 [X.] 28; [X.] in [X.]/[X.], a.a.[X.], § 14 [X.] [X.] 89; [X.], daselbst, § 23 [X.] [X.] 79 ff.; [X.]/ [X.], [X.] 2005, 1703; [X.], [X.], 124; [X.]/ [X.] in [X.]/[X.], a.a.[X.], § 14 [X.] 708; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], a.a.[X.], § 23 [X.] [X.] 33; [X.] in [X.], a.a.[X.], § 14 [X.] 281; im Ergebnis ebenso Widmann in Widmann/[X.], Umwandlungsrecht, § 23 [X.] [X.] 46). Sie sind auch im Streitfall zugrunde zu legen und bedeuten für die hier zu beurteilende Situation, dass die Klägerin wie vordem in die [X.] --vor der Einbringung der [X.] fortan in die [X.] --nach jener Einbringung-- i.S. von § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] 2002 finanziell eingegliedert war. Das körperschaftsteuer- und gewerbesteuerrechtliche [X.]anschaftsverhältnis zu der [X.] als [X.]anträgerin bestand mithin am 1. Januar 2005 und dauerte während des gesamten Wirtschaftsjahres an.

Meta

I R 111/09

28.07.2010

Bundesfinanzhof 1. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 25. November 2009, Az: 3 K 157/06, Urteil

§ 2 Abs 1 UmwStG 1995, § 4 Abs 2 S 3 UmwStG 1995, § 12 Abs 3 S 1 UmwStG 1995, § 20 Abs 1 UmwStG 1995, § 20 Abs 7 UmwStG 1995, § 20 Abs 8 S 1 UmwStG 1995, § 22 Abs 1 UmwStG 1995, § 14 Abs 1 Nr 1 KStG 2002, § 17 KStG 2002, § 2 Abs 2 S 2 GewStG 2002

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 28.07.2010, Az. I R 111/09 (REWIS RS 2010, 4393)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 4393

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

I R 89/09 (Bundesfinanzhof)

Rückwirkende Begründung einer körperschaftsteuerlichen Organschaft nach Ausgliederung eines Teilbetriebs zur Neugründung und nach Anteilseinbringung - …


I R 40/20 (Bundesfinanzhof)

("Finanzielle Eingliederung" bei unterjährigem qualifizierten Anteilstausch - teilweise inhaltsgleich mit BFH-Urteilen vom 11.07.2023 I R …


I R 45/20 (Bundesfinanzhof)

("Finanzielle Eingliederung" bei unterjähriger Verschmelzung auf eine Kapitalgesellschaft - teilweise inhaltsgleich mit BFH-Urteilen von 11.07.2023 …


I R 21/20 (Bundesfinanzhof)

("Finanzielle Eingliederung" bei unterjähriger Verschmelzung auf eine Personengesellschaft; Feststellungsgegenstand des § 14 Abs. 5 KStG …


I R 36/20 (Bundesfinanzhof)

("Finanzielle Eingliederung" bei unterjähriger Verschmelzung auf eine Kapitalgesellschaft; Feststellungsgegenstand des § 14 Abs. 5 KStG …


Referenzen
Wird zitiert von

I R 16/11

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.