Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.10.2014, Az. 1 StR 214/14

1. Strafsenat | REWIS RS 2014, 2441

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Gegenstand

Steuerstrafverfahren: Gerichtliche Schätzung der Besteuerungsgrundlagen und erforderliche Urteilsfeststellungen; Darlegung der zugrunde gelegten Rohgewinnaufschläge bei gerichtlicher Schätzung der Gewinne eines Speiselokals


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 26. November 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Wirtschaftsstrafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in neun Fällen und versuchter Steuerhinterziehung in drei weiteren Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Hiervon hat es zwei Monate als vollstreckt erklärt. Die von dem Angeklagten eingelegte Revision führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils nach § 349 Abs. 4 StPO.

2

I. Das [X.] hat den Angeklagten der Steuerhinterziehung in neun Fällen sowie des Versuchs der Steuerhinterziehung in drei weiteren Fällen für schuldig befunden, weil er es trotz in den Jahren 2002 bis 2005 durch den Betrieb eines [X.] getätigter Umsätze und hieraus erzielter Gewinne unterlassen hatte, Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Jahre 2002 bis 2005, Gewerbe- und Körperschaftsteuererklärungen für die Jahre 2004 und 2005 sowie Einkommensteuererklärungen für die Jahre 2004 und 2005 abzugeben. Hinsichtlich der Jahre 2002 und 2003 verschwieg er in seinen Einkommensteuererklärungen die tatsächliche Höhe seiner Gewinne des [X.]. Insgesamt seien hierdurch Steuern in einem Gesamtbetrag von mehr als 700.000 Euro verkürzt worden; wären die drei Versuchstaten zur Vollendung gelangt, hätte dies zu weiteren Steuerschäden in Höhe von mehr als 200.000 Euro geführt.

3

1. Im Einzelnen hat das [X.] folgende Feststellungen getroffen:

4

Der Angeklagte führte das [X.] Speiselokal „C.    " in [X.]. Dieses Speiselokal betrieb er zunächst als Einzelunternehmen; ab dem [X.] setzte er den Geschäftsbetrieb des „C.    " unter der „[X.]", deren Gesellschafter und Geschäftsführer er war, fort. Den Gewinn seines [X.] bzw. der „[X.]" ermittelte der Angeklagte durch einen Betriebsvermögensvergleich, indem er von seinem Steuerberater Bilanzen erstellen ließ.

5

Um die mit dem Speiselokal erzielten Einnahmen der Besteuerung zu entziehen, nahm entweder der Angeklagte selbst oder auf sein Geheiß ein Dritter umfangreiche Manipulationen an der im „C.    " hauptsächlich eingesetzten Kasse vor, indem Dateien gelöscht oder überschrieben wurden. Zudem wiesen die laut Kasse bonierten Erlöse im Vergleich zu den in der Buchhaltung erfassten Erlösen große Differenzen zum Vorteil des Angeklagten aus. Daneben tätigte der Angeklagte verschiedentlich [X.], die er ebenfalls nicht in der Buchführung erfasste, um die Steuerverkürzungen zu verschleiern.

6

2. Zur Grundlage dieser Feststellungen:

7

Das [X.] hat angesichts der mangelhaften Buchführung des Angeklagten das „Ausmaß der verwirklichten Besteuerungsgrundlagen" schätzweise ermittelt. Diesen Schätzungen legte es die Ergebnisse von sog. [X.] zugrunde, die ein Finanzbeamter anhand des Wareneinsatzes im „C.    " erstellt hatte.

8

Unter Bezugnahme auf die Erkenntnisse dieses Finanzbeamten hat das [X.] - für die Speisenumsätze - den Jahresumsatz des „C.    " unter Heranziehung der durch das [X.] jährlich herausgegebenen Richtsatzsammlung geschätzt, indem es auf den Wareneinsatz des „C.    " einen Rohgewinnaufschlag in Höhe von 213 % - hierbei handelt es sich um den amtlichen Mittelwert der Richtsatzsammlung für Speise- und Schankwirtschaften - aufgeschlagen hat.

9

II. Die vom Angeklagten erhobene und näher ausgeführte Sachrüge erweist sich als begründet, weil die angefochtene Entscheidung an einem durchgreifenden Darstellungsmangel leidet. Die Urteilsgründe enthalten keine Feststellungen zu den zugrunde gelegten Wareneinsatzbeträgen. Ebenso wenig verhalten sich die Urteilsgründe dazu, ob der Rohgewinnaufschlagsatz von 213 % auch bei der Bestimmung der [X.] zugrunde gelegt wurde. Der [X.] vermag deshalb nicht zu überprüfen, ob die Strafkammer den Schuldumfang zutreffend bestimmt hat. Dies führt zur Aufhebung des Schuldspruchs.

1. Mit Blick darauf, dass die Buchhaltung des „C.    " zahlreiche vom [X.] sorgfältig dargelegte Mängel aufwies, durfte es seine Überzeugung zwar aufgrund eigener Schätzung bilden und zur Durchführung der Schätzung auch auf die im Besteuerungsverfahren anerkannten Schätzungsmethoden zurückgreifen (vgl. [X.], Beschluss vom 29. Januar 2014 - 1 StR 561/13, [X.], 179; Urteil vom 28. Juli 2010 - 1 [X.], [X.], 233; Beschluss vom 24. Mai 2007 - 5 StR 58/07, [X.]R AO § 370 Abs. 1 Steuerschätzung 3). Hierbei konnte es auch die Richtwerte für Rohgewinnaufschlagsätze aus der Richtsatzsammlung des [X.] heranziehen (vgl. hierzu [X.], Beschluss vom 29. Januar 2014 - 1 StR 561/13, [X.], 179 mwN). In solchen Fällen muss das Tatgericht in den Urteilsgründen jedoch für das Revisionsgericht nachvollziehbar darlegen, wie es zu den [X.] gelangt ist. Dies erfordert eine für das Revisionsgericht nachprüfbare Darstellung der Schätzungsgrundlagen in den Urteilsgründen (vgl. [X.], Beschluss vom 26. April 2001 - 5 StR 448/00 mwN, auch für den Fall eines Geständnisses; vgl. auch [X.], Urteil vom 22. Mai 2012 - 1 StR 103/12). Daran fehlt es hier.

a) In diesem Zusammenhang bezieht sich das [X.] auf von der Finanzbehörde vorgenommene Berechnungen der Umsätze des „C.    ", die auf sog. „[X.]" für die Jahre 2002 und 2005 beruhen. Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt sich zwar, dass mittels dieser „[X.]" ausgehend vom tatsächlichen Wareneinsatz im „C.    " die hiermit (möglichen) Erlöse ermittelt wurden. Das [X.] hat aber schon Feststellungen zu den jeweilig von ihm konkret zugrunde gelegten Wareneinsatzbeträgen unterlassen.

b) Vor allem aber verhalten sich die Urteilsgründe nicht nachvollziehbar zu der Frage, welcher Rohgewinnaufschlagsatz auf den [X.] aufgeschlagen wurde, um hieraus schätzungsweise die [X.] des „C.    " zu ermitteln. Die Überlegungen des [X.]s über die Angemessenheit eines der amtlichen Richtsatzsammlung entnommenen Prozentsatzes von 213 % genügten hier schon deswegen nicht, weil sie sich allein auf die Speisenumsätze beziehen.

Mit Blick auf die Ausführungen des zu den „[X.]" als Zeuge vernommenen Finanzbeamten liegt es nahe, dass der Rohgewinnaufschlagsatz von 213 % schon bei den finanzbehördlichen „[X.]" und infolge dessen auch bei den Berechnungen des [X.]s bei den [X.]n nicht herangezogen worden sein könnte. Denn der Finanzbeamte hatte ausgeführt, dass die von ihm vorgenommenen Kalkulationen im Ausgangspunkt anhand der in den Speisekarten des „C.    " angegebenen Preis- und Mengenangaben vorgenommen worden seien, die Speisenumsätze aber - anders als die [X.] - schwierig zu kalkulieren seien. Die Besorgnis, dass das [X.] im Anschluss an die finanzbehördlichen Schätzungen die [X.] anhand eines gesonderten - naheliegend höheren - [X.] ermittelt hat, wird dadurch bestärkt, dass das [X.] seinen Berechnungen jedenfalls zur Höhe der [X.] die nach seiner Auffassung pro Tasse Kaffee benötigte Kaffeemenge zugrunde gelegt hat ([X.]). Dies spricht dafür, dass das [X.] jedenfalls insoweit anhand der eingesetzten Kaffeemenge bzw. der hiermit erzielbaren Anzahl von [X.] einerseits sowie den Verkaufspreisen pro Kaffeegetränk andererseits für die [X.] einen eigenen Rohgewinnaufschlagsatz gebildet hat.

c) Da der Angeklagte die Höhe der Umsätze ausdrücklich bestritten hatte, war auf eine Auseinandersetzung mit der Frage, welcher Rohgewinnaufschlagsatz bei den [X.]n anzuwenden war, nicht zu verzichten, zumal die [X.] nach den in den Urteilsgründen auszugsweise dargestellten „[X.]" für die Jahre 2002 und 2005 jedenfalls in diesen Jahren einen ganz erheblichen Teil der Gesamtumsätze ausmachten und diese daher die Höhe der verkürzten Umsatzsteuer und in der Folge auch die Höhe der hinterzogenen Körperschaft- und Gewerbesteuer sowie Einkommensteuer maßgeblich mitbestimmten.

2. Der dargelegte Mangel wiegt so schwer, dass er den gesamten Schuldspruch erfasst und nicht nur zur Aufhebung des Strafausspruches führt. Von dem Mangel sind sämtliche Feststellungen zu Umsätzen und Gewinnen betroffen (§ 353 Abs. 2 StPO). Um dem neuen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen, hebt der [X.] die Feststellungen insgesamt auf. Er weist darauf hin, dass die strafschärfende Berücksichtigung der Vorlage von „nicht authentischen" Speisekarten bedenklich sein kann, wenn es sich hierbei nur um eine schriftliche Lüge in der Hauptverhandlung handelt. Der [X.] macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alternative StPO Gebrauch und verweist die Sache an eine Wirtschaftsstrafkammer des [X.]s Magdeburg zurück.

Raum                          Graf                                 [X.]

                Cirener                      [X.]

Meta

1 StR 214/14

06.10.2014

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Halle (Saale), 26. November 2013, Az: 2 KLs 961 Js 6553/07 (2/13)

§ 162 AO, § 370 AO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.10.2014, Az. 1 StR 214/14 (REWIS RS 2014, 2441)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 2441

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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