Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 17.04.2020, Az. 2 B 7/20

2. Senat | REWIS RS 2020, 3855

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Gegenstand

Erhebung der Disziplinarklage in Unkenntnis der Schwerbehinderteneigenschaft des Beamten


Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] für das [X.] vom 23. Oktober 2019 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1

Die auf einen Verfahrensfehler und auf grundsätzliche [X.]edeutung der Rechtssache (§ 67 Satz 1 [X.] NW und § 132 Abs. 2 VwGO) gestützte [X.]eschwerde des [X.]n ist zulässig, aber nicht begründet.

2

1. Der 1966 geborene [X.] steht als Polizeikommissar im Dienst des klagenden [X.]. Mit [X.]escheid vom 13. November 2008 stellte die zuständige [X.]ehörde beim [X.]n ab dem 18. September 2008 eine [X.]ehinderung mit einem Grad der [X.]ehinderung von 30 fest. [X.] wurde der Grad der [X.]ehinderung auf 40 heraufgesetzt. Auf seinen am 16. Oktober 2017 eingegangenen Antrag wurde der [X.] mit [X.]escheid vom 17. Januar 2018 ab dem Eingangsdatum einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Mit weiterem [X.]escheid vom 10. September 2018 wurde beim [X.]n auf seinen Antrag vom 26. Februar 2018 ein Grad der [X.]ehinderung von 50 festgestellt. In den Gründen des [X.]escheids heißt es, aufgrund der vorgelegten Unterlagen sei belegt, dass bereits ab dem 1. November 2008 ein Grad der [X.]ehinderung von 50 festgestellt werden könne.

3

Im April 2011 wurde der [X.] wegen gemeinschaftlichen [X.]etrugs rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Der [X.] hatte zusammen mit der Mitangeklagten bei einer [X.]ank durch Vorspiegelung falscher, durch gefälschte Unterlagen vermeintlich belegter, Tatsachen die Auszahlung eines Kredits i.H.v. 30 000 € an die Mitangeklagte veranlasst. Mit weiterem Urteil vom September 2015 verurteilte das Amtsgericht den [X.]n wegen Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen.

4

Die am 2. Februar 2017 erhobene [X.] umfasst außer den Sachverhalten der beiden strafgerichtlichen Verurteilungen den weiteren Vorwurf, der [X.] habe im Krankenstand ohne Genehmigung einer Nebentätigkeit ein Hotel als Geschäftsführer geleitet. Das Verwaltungsgericht hat den [X.]n aus dem [X.]eamtenverhältnis entfernt. Das Oberverwaltungsgericht hat die [X.]erufung des [X.]n zurückgewiesen. Zur [X.]egründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

5

Das behördliche Disziplinarverfahren weise keine wesentlichen Mängel auf. Zum Zeitpunkt der Erhebung der [X.] Anfang Februar 2017 hätten beim [X.]n die Voraussetzungen für eine [X.]eteiligung der Schwerbehindertenvertretung nicht vorgelegen. Für den Kläger habe auch nicht aufgrund des ihm bekannten Feststellungsbescheids aus dem [X.] oder wegen der in den [X.]lick genommenen, aber vom [X.]n abgelehnten Teilnahme des Vertrauensmanns für Schwerbehinderte im Verfahren des betrieblichen [X.] nach § 84 Abs. 2 SG[X.] IX a.F. im [X.] Veranlassung bestanden, diesen im Disziplinarverfahren zu beteiligen. Durch den [X.]etrug und die falsche eidesstattliche Versicherung sowie durch die ungenehmigte Nebentätigkeit habe der [X.] ein einheitlich zu [X.] schwerwiegendes sowohl außer- als auch innerdienstliches Dienstvergehen begangen. Wegen dieses schweren Dienstvergehens sei der [X.] aus dem [X.]eamtenverhältnis zu entfernen.

6

2. Das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht leidet nicht an dem vom [X.]n geltend gemachten Verfahrensmangel.

7

Der [X.]egriff des [X.] im Sinne des § 67 Satz 1 [X.] NW und § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO erfasst Verstöße des Gerichts gegen verwaltungsprozessrechtliche Vorschriften und Rechtsgrundsätze. Ein davon prinzipiell zu unterscheidender - wesentlicher - Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens oder der [X.]schrift zieht einen Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nach sich, wenn das Verwaltungsgericht die sich aus § 54 Abs. 3 Satz 1 [X.] NW ergebende Verpflichtung verletzt hat, auf die [X.]eseitigung eines wesentlichen Mangels durch den Dienstherrn hinzuwirken. Diese Verpflichtung gilt nach § 65 Abs. 1 Satz 1 [X.] NW auch für das [X.]erufungsgericht. Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO kann nur der gerichtliche Verstoß gegen § 54 Abs. 3 Satz 1 [X.] NW sein, nicht aber der Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens oder der [X.]schrift selbst ([X.]VerwG, Urteil vom 24. Juni 2010 - 2 C 15.09 - [X.]VerwGE 137, 192 Rn. 18 f.; [X.]eschlüsse vom 26. Februar 2008 - 2 [X.] 122.07 - [X.] 235.1 § 55 [X.] Nr. 2 Rn. 3 und vom 20. Dezember 2016 - 2 [X.] 127.15 - [X.] 310 § 96 VwGO Nr. 64 Rn. 6).

8

In [X.]ezug auf die Frage der [X.]eteiligung der Schwerbehindertenvertretung vor der Erhebung der [X.] ist dem Oberverwaltungsgericht kein Verfahrensfehler unterlaufen.

9

Das behördliche Disziplinarverfahren im Sinne von § 54 Abs. 1 [X.] NW endet nach dem Gesetz mit dem Treffen der Abschlussentscheidung (vgl. [X.]. 3 des [X.] Nordrhein-Westfalen), hier die Erhebung der [X.] nach § 35 [X.] NW. Zum Zeitpunkt der Erhebung der [X.] am 2. Februar 2017 bestimmte § 95 Abs. 2 Satz 1 SG[X.] IX in der damals geltenden Fassung (Gesetz vom 19. Juni 2001, [X.] [X.] 1046, nunmehr § 178 Abs. 2 Satz 1 SG[X.] IX), dass der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderte Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören und er ihr die getroffene Entscheidung unverzüglich mitzuteilen hat. Zum Zeitpunkt der Klageerhebung lag kein [X.]escheid der zuständigen Stelle vor, mit dem beim [X.]n ein Grad der [X.]ehinderung von 50 festgestellt oder der [X.] einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt war.

Nach der Rechtsprechung des [X.] wird der mit der Anhörung der Schwerbehindertenvertretung bezweckte Schutz der Schwerbehinderten und der diesen gleichgestellten Menschen nicht von Amts wegen gewährt. Vielmehr ist aus dem Erfordernis eines Antrags für die Feststellung einer [X.]ehinderung ebenso wie für die Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen zu schließen, dass der gesetzliche Schutz nicht ohne Weiteres eintritt, sondern von dem schwerbehinderten Menschen in Anspruch genommen werden muss. Die allein dem [X.]etroffenen zuerkannte [X.]efugnis, das Feststellungsverfahren in Gang zu setzen, dient dem Schutz seines Persönlichkeitsrechts, das den Status als Schwerbehinderter oder als einem Schwerbehinderten Gleichgestellten umfasst. Dem Schutzbedürftigen, der den ihm zustehenden Schutz - aus welchen Gründen auch immer - nicht in Anspruch nehmen will, ist aus diesem Grund der Schutz nicht aus [X.] "aufzudrängen" ([X.]VerwG, Urteil vom 15. Dezember 1988 - 5 C 67.85 - [X.]VerwGE 81, 84 <86 f.>.). Eine Maßnahme, die vom Dienstherrn in Unkenntnis der Schwerbehinderteneigenschaft des [X.]eamten diesem gegenüber getroffen wird, ist daher nicht wegen einer unterbliebenen [X.]eteiligung der Schwerbehindertenvertretung rechtswidrig, wenn der [X.]eamte es unterlassen hat, den Dienstherrn von der Schwerbehinderung oder der Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten in Kenntnis zu setzen ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 7. April 2011 - 2 [X.] 79.10 - Rn. 5).

Hat der betroffene [X.]eamte die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft oder die Gleichstellung beantragt, so besteht bei entsprechender Information des Dienstherrn auch die Möglichkeit, dass die Schwerbehindertenvertretung auf Antrag des [X.]etroffenen vorsorglich angehört wird. Dieser Anhörung ist aber der Vorbehalt immanent, dass das Verfahren tatsächlich zu einer Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft oder zu einer Gleichstellung führt. Auch diese Variante setzt voraus, dass der Dienstherr von dieser Antragstellung im Vorfeld der Maßnahme im Sinne von § 95 Abs. 2 SG[X.] IX a.F. informiert worden ist.

Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und damit nach § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des [X.]erufungsgerichts hat der Kläger die Veränderung seines [X.]ehindertenstatus erst längere Zeit nach der Erhebung der [X.] am 2. Februar 2017 beantragt, im Oktober 2017 die Gleichstellung und im Februar 2018 die Erhöhung des Grades der [X.]ehinderung auf 50.

Nach diesen Rechtsgrundsätzen kommt auch dem [X.]escheid vom 10. September 2018, mit dem beim [X.]n ein Grad der [X.]ehinderung von 50 rückwirkend bereits ab dem 1. November 2008 festgestellt wurde, für die Frage der [X.]eteiligung der Schwerbehindertenvertretung im Vorfeld der Erhebung der [X.] keine [X.]edeutung zu. Zwar bietet § 69 Abs. 1 Satz 2 SG[X.] IX in der Fassung des [X.]undesteilhabegesetzes vom 23. Dezember 2016 (Art. 2 Nr. 2 [X.]uchst. b, [X.] [X.] 3234) die rechtliche Grundlage für die von einem [X.]etroffenen beantragte Feststellung, dass ein Grad der [X.]ehinderung bereits zu einem früheren Zeitpunkt als dem der Stellung des Antrags vorgelegen hat, wenn dafür ein besonderes Interesse glaubhaft gemacht wird. Denn diesen Antrag hat der [X.] erst am 26. Februar 2018 - und damit mehr als ein Jahr nach der Erhebung der [X.] - gestellt. Für die Frage der [X.]eteiligung der Schwerbehindertenvertretung vor der Erhebung der [X.] kommt es auf die dem [X.]etroffenen bis dahin zuerkannten und dem Dienstherrn auch bekannt gemachten Eigenschaften oder auf den bekannt gegebenen Antrag an, auf den der Dienstherr mit einer vorsorglichen Anhörung der Vertretung zu reagieren hat.

3. Die Rechtssache hat auch nicht die vom [X.]n geltend gemachte grundsätzliche [X.]edeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Denn die Frage der Unterrichtung und Anhörung der Schwerbehindertenvertretung nach § 95 Abs. 2 Satz 1 SG[X.] IX a.F. ist, wie vorstehend ausgeführt, in der Rechtsprechung des [X.] im Sinne der Entscheidung des [X.] geklärt. Ein erneuter Klärungsbedarf wird in der [X.]eschwerdebegründung nicht dargelegt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 74 Abs. 1 [X.] NRW und § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts für das [X.]eschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil für das [X.]eschwerdeverfahren Festgebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 75 [X.] NRW erhoben werden.

Meta

2 B 7/20

17.04.2020

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 23. Oktober 2019, Az: 3d A 3489/18.O, Urteil

§ 35 DG NW, § 54 Abs 3 S 1 DG NW, § 178 Abs 2 S 1 SGB 9, § 95 Abs 2 S 1 SGB 9

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 17.04.2020, Az. 2 B 7/20 (REWIS RS 2020, 3855)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 3855

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