Bundessozialgericht, Urteil vom 27.04.2021, Az. B 12 KR 27/19 R

12. Senat | REWIS RS 2021, 6476

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

(Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit - nicht zur Steuerberatung berechtigter freier Mitarbeiter - Gegenstand einer Statusfeststellung nach § 7a SGB 4 - berufsrechtlich vorgegebene Weisungsrechte fallen unter "Weisungen" iS von § 7 Abs 1 S 2 SGB 4)


Tenor

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des [X.] vom 20. September 2018 aufgehoben, soweit eine Beschäftigung festgestellt worden ist.

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Die Beklagte hat ein Viertel der außergerichtlichen Kosten der Kläger für das Revisionsverfahren zu erstatten. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten (noch) darüber, ob der Kläger zu 1. in seiner Tätigkeit für die Klägerin zu 2. als Buchführungshelfer in der [X.] vom 27.2. bis zum 17.11.2014 (abhängig) beschäftigt war.

2

Der Kläger zu 1. (künftig: Kläger) ist Diplom-Betriebswirt und seit Mai 2009 für die Klägerin zu 2. (künftig: Klägerin) - eine Steuerberatungsgesellschaft - als Buchführungshelfer tätig. Nach einem Hinweis des Finanzamts S vom [X.], wonach der Kläger nicht zum Kreis der zur Steuerberatung berechtigten Personen gehöre und ihm Hilfeleistungen in Steuersachen - bis auf die Durchführung mechanischer Arbeitsgänge - verboten seien, schlossen die Kläger am 24.10.2013 rückwirkend zum 1.10.2013 einen [X.] (künftig: [X.]). Danach konnte der Kläger von der Klägerin unterbeauftragt sowie mit steuerberatenden Tätigkeiten für deren Mandanten betraut werden und übte seine Tätigkeit "weisungsgebunden unter der fachlichen Aufsicht und beruflichen Verantwortung" der Klägerin aus (§ 1 Abs 2 und 3 [X.]). Der Kläger betreute seine früheren Mandate weiter. Seine Tätigkeiten rechnete er mit einem prozentualen Anteil der [X.] monatlich gegenüber der Klägerin ab. Seine Einkünfte aus der Tätigkeit betrugen zwischen März und Oktober 2014 monatlich zwischen 330 und 400 Euro.

3

Auf den Statusfeststellungsantrag des [X.] stellte die beklagte [X.] fest, dass die Tätigkeit des [X.] als Buchführungshelfer für die Klägerin seit [X.] im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde. In diesem Beschäftigungsverhältnis bestehe Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung (Bescheide vom 24.2.2014 und 28.4.2014; Widerspruchsbescheide vom 8.7.2014).

4

Nach Verbindung der erhobenen Klagen hat das [X.] die Bescheide aufgehoben und festgestellt, dass es sich bei der Tätigkeit des [X.] für die Klägerin in der [X.] vom 27.2. bis zum 17.11.2014 um eine selbstständige, sozialversicherungsfreie Tätigkeit gehandelt habe. Eine tatsächliche Weisungsgebundenheit habe nicht vorgelegen. Auch habe der Kläger ein nicht unerhebliches unternehmerisches Risiko getragen (Urteil vom 13.5.2015). Auf die Berufung der Beklagten hat das [X.] das Urteil des [X.] abgeändert. Es hat die Bescheide der Beklagten aufgehoben und festgestellt, dass es sich bei der Tätigkeit des [X.] für die Klägerin um eine in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung "nicht versicherungspflichtige Beschäftigung" gehandelt habe. Im Übrigen hat es die Klagen abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen. Der Kläger sei nach den Regelungen des [X.] weisungsabhängig und in die betriebliche Ordnung der Klägerin eingegliedert gewesen. Die vertragliche Übernahme arbeitnehmeruntypischer Risiken führe zu keinem anderen Ergebnis. Der Kläger sei nur im Auftrag, unter der Aufsicht und der Verantwortung der Klägerin und damit in Rahmen einer weisungsabhängigen Beschäftigung tätig gewesen. Allerdings bestehe wegen Entgeltgeringfügigkeit keine Versicherungspflicht (Urteil vom 20.9.2018).

5

Dagegen wenden sich die Kläger mit ihrer Revision. Sie rügen eine Verletzung von § 7 Abs 1 [X.]B IV. Das im [X.] geregelte Weisungsrecht entspreche den steuerberatungsrechtlichen Vorgaben und betreffe nicht die von § 7 Abs 1 Satz 2 [X.]B IV erfassten arbeitsvertraglichen Weisungen. Tatsächlich sei der Kläger hinsichtlich [X.], Ort und Umfang der Leistungserbringung (weisungs-)frei gewesen. Er sei auch in die Arbeitsorganisation der Klägerin nicht eingegliedert gewesen, weil er eigenes Arbeitsmaterial eingesetzt und mit dem Personal der Steuerkanzlei nicht zusammengearbeitet habe. Zudem habe er ein erhebliches wirtschaftliches Risiko getragen, da sich ein Verlust von Mandanten auf seine Einkünfte ausgewirkt habe. Die vereinbarte Abrechnung seiner Leistungen über die Klägerin sei steuerrechtlichen Gegebenheiten geschuldet gewesen.

6

Die Kläger beantragen,
das Urteil des [X.] vom 20. September 2018 insoweit aufzuheben, als das Urteil des [X.] vom 13. Mai 2015 abgeändert und eine Beschäftigung festgestellt worden ist sowie die Berufung der Beklagten insgesamt zurückzuweisen.

7

Die Beklagte beantragt,
die Revision der Kläger zurückzuweisen.

8

Sie teilt die Statusbeurteilung des L[X.]. Hingegen überzeugten dessen Ausführungen zur Entgeltgeringfügigkeit nicht.

9

Die Beigeladene zu 3. teilt die Rechtsauffassung der Beklagten. Die übrigen Beigeladenen haben sich nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

Die allein von den Klägern eingelegte zulässige Revision ist nur zum Teil erfolgreich. Das [X.] hat prozessual zu Unrecht eine nicht versicherungspflichtige "Beschäftigung" festgestellt (dazu 1.). Insoweit war das angefochtene Urteil aufzuheben, auch wenn das Berufungsgericht in der Sache zutreffend von einer abhängigen Beschäftigung ausgegangen ist (dazu 2.). Die Revision war indes zurückzuweisen, soweit darüber hinaus die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Feststellung einer selbstständigen Tätigkeit begehrt wurde (dazu 3.). Nur hinsichtlich des streitigen Status sind die Kläger noch beschwert und war aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrags noch zu entscheiden. Nicht mehr Gegenstand ist hingegen das Nichtbestehen von Versicherungspflicht. Die Beklagte hat die vorinstanzliche Aufhebung ihrer die Versicherungspflicht feststellenden Verwaltungsakte nicht mit der Revision angefochten.

1. Hinsichtlich der Feststellung des [X.], dass es sich bei der Tätigkeit des [X.] für die Klägerin um eine Beschäftigung gehandelt habe, hat die Revision - allein aus formalen Gründen - Erfolg (§ 170 Abs 1 Satz 1 [X.]G).

Gegenstand einer Statusfeststellung nach § 7a [X.] ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats allein das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Versicherungspflicht. Das Vorliegen einer Beschäftigung iS von § 7 Abs 1 [X.] ist, neben der Entgeltlichkeit, lediglich eine von mehreren Voraussetzungen für die Versicherungspflicht iS von § 25 Abs 1 Satz 1 [X.]B III, § 5 Abs 1 [X.] sowie § 1 Satz 1 [X.]I und § 20 Abs 1 Satz 1 und 2 [X.] (hier idF des [X.] vom [X.] ) und damit nur ein Element der mit unmittelbaren Rechtsfolgen verbundenen Feststellung von Versicherungspflicht. Demzufolge sind weder die [X.] als "Clearingstelle" noch die Gerichte befugt, im Rahmen von § 7a [X.] isoliert das Vorliegen von Beschäftigung festzustellen. Dies hat der Senat im Rahmen seiner Rechtsprechung zur so genannten unselbstständigen Elementenfeststellung (vgl [X.] vom 14.3.2018 - B 12 KR 12/17 R - [X.] 4-2400 § 7 [X.] RdNr 15; grundlegend [X.] vom [X.] - B 12 R 11/07 R - [X.], 17 = [X.] 4-2400 § 7a [X.], [X.] und RdNr 11 ff) wiederholt entschieden und zuletzt in seinem Urteil vom [X.] (B 12 R 8/18 R - juris und [X.] 2020, 192) bekräftigt. Daran hält er weiterhin fest. Der Senat weist aber erneut darauf hin, dass für ein zulässiges Begehren auf Feststellung von Beschäftigung ein Bedürfnis bestehen dürfte, dem durch eine aktuell offenbar konkret beabsichtigte gesetzliche Neuregelung Rechnung getragen werden soll.

Nach gegenwärtiger Rechtslage war das [X.] daher nicht berechtigt, das Vorliegen von Beschäftigung (isoliert) festzustellen. Die mit einer Anfechtungsklage gegen den im Rahmen des Statusfeststellungsverfahrens erlassenen Verwaltungsakt kombinierte Feststellungsklage kann nicht weiter gehen als das mit einem solchen Verwaltungsakt feststellungsfähige Rechtsverhältnis. Unter Berücksichtigung der Entscheidungsgründe (vgl hierzu [X.] vom [X.] EG 3/15 R - [X.] 4-7837 § 2 [X.] RdNr 11 mwN) hat das [X.] mit seiner Feststellung im Tenor, dass es sich bei der Tätigkeit des [X.] um eine "nicht versicherungspflichtige Beschäftigung" gehandelt habe, aber (unzulässig) eine verbindliche Entscheidung über ein bloßes Tatbestandsmerkmal der Versicherungspflicht getroffen. Es hat den Begriff "Beschäftigung" nicht nur als Begründungselement der Versicherungspflicht (mit)genannt oder ihn untechnisch bzw synonym zum Begriff "Tätigkeit" verwendet.

2. An der Entscheidung ändert nichts, dass der Kläger zur Überzeugung des Senats tatsächlich in seiner Tätigkeit für die Klägerin beschäftigt war.

Nach den - von den Klägern nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen - tatsächlichen Feststellungen des [X.] zum FMV unterlag der Kläger in seiner Tätigkeit einem Weisungsrecht der Klägerin. Entgegen der Auffassung der Kläger sind berufsrechtliche - hier steuerberatungsrechtliche - [X.] nicht vom Begriff der "Weisungen" iS von § 7 Abs 1 Satz 2 [X.] ausgenommen (zu den Auswirkungen des Berufsrechts auf die Maßstäbe zur Abgrenzung einer abhängigen Beschäftigung von einer selbstständigen Tätigkeit vgl [X.] vom 7.7.2020 - B 12 R 17/18 R - zur Veröffentlichung in [X.] vorgesehen). Die auf alle Arbeitnehmer anwendbare Vorschrift des § 106 Satz 1 iVm § 6 Abs 2 [X.] regelt als Weisungsrecht des Arbeitsgebers, dass jener Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen kann, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Mit diesem Direktionsrecht kann der Arbeitgeber primär die jeweils konkret zu leistende Arbeit und die Art und Weise ihrer Erbringung festlegen (vgl [X.] Urteil vom 19.5.2010 - 5 [X.] - [X.]E 134, 296 RdNr 14; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.]/[X.], Handbuch des Arbeitsrechts 15. Aufl 2020, [X.] RdNr 663; Lampke in [X.]/Brand/Nebeling, Praxis des Arbeitsrechts, 6. Aufl 2018, § 21 RdNr 502). Dem steht nicht entgegen, dass die [X.] möglicherweise berufsrechtlich vorgegeben waren. Denn bei der Gesamtabwägung sind auch solche Umstände zu berücksichtigen, die einer Tätigkeit ihrer Eigenart nach immanent, durch gesetzliche Vorschriften vorgegeben sind oder auf sonstige Weise "in der Natur der Sache" liegen (vgl hierzu [X.] vom [X.] R 16/19 R - zur Veröffentlichung in [X.] vorgesehen). Unabhängig hiervon war der Kläger in die Arbeitsorganisation der Klägerin eingegliedert. Er war lediglich im Wege einer "Unterbeauftragung" tätig (§ 1 Abs 2 FMV). Indem er prozentual an den von der Klägerin den Mandanten in Rechnung gestellten Gebühren partizipierte (§ 3 Abs 1 FMV), war er in deren Abrechnungsstruktur eingebunden. Der Kläger konnte nicht konkret aufwandsbezogen gegenüber der Klägerin, zB nach Stunden, abrechnen. Angesichts dieser Weisungsunterworfenheit und Eingliederung des [X.] fallen Anhaltspunkte für eine selbstständige Tätigkeit nicht entscheidend ins Gewicht. Die Freiheit bei Ort und Zeit der Tätigkeit spricht in der modernen Arbeitswelt nicht zwingend für Selbstständigkeit. Es kommt nicht darauf an, dass die Klägerin das ihr zustehende Weisungsrecht faktisch nicht ausgeübt hat. Ein rein faktisches, nicht rechtlich gebundenes und daher jederzeit [X.] Verhalten der Beteiligten ist nicht maßgeblich. Eine "Schönwetter-Selbstständigkeit" lediglich in harmonischen Zeiten ist mit dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände nicht zu vereinbaren (stRspr; vgl nur [X.] vom [X.] - B 12 R 25/18 R - [X.], 95 = [X.] 4-2400 § 7 [X.], RdNr 15 mwN). Ein die Selbstständigkeit bedingendes unternehmerisches Risiko bestand nicht. Der Verlust von Mandaten berührt die Vergütung der zuvor vom Kläger erbrachten Tätigkeiten nicht. Eine Ausdehnung seiner Geschäftstätigkeit als Ausfluss unternehmerischer Entscheidungen war immer von einem mit der Klägerin zustande gekommenen Mandatsverhältnis abhängig.

3. Unbegründet ist die Revision, soweit die Kläger zugleich die Aufhebung der mit der Feststellung der Beschäftigung einhergehenden Änderung des [X.] hinsichtlich der Feststellung einer selbstständigen Tätigkeit begehren. Auch das [X.] war aus den oben dargelegten Gründen (siehe unter 1.) hierzu nicht befugt. Eine in Statusfeststellungsverfahren neben der Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt erhobene Feststellungsklage kann - wie bereits ausgeführt - nur das (Nicht-)Vorliegen von Versicherungspflicht, nicht aber das Vorliegen von Selbstständigkeit oder Beschäftigung zum Gegenstand haben. Daher war die insoweit eingelegte Berufung der Beklagten nicht zurückzuweisen.

4. [X.] beruht auf § 193 [X.]G.

Meta

B 12 KR 27/19 R

27.04.2021

Bundessozialgericht 12. Senat

Urteil

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Kassel, 13. Mai 2015, Az: S 12 KR 225/14, Urteil

§ 7 Abs 1 S 2 SGB 4, § 7a SGB 4, § 6 Abs 2 GewO, § 106 S 1 GewO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 27.04.2021, Az. B 12 KR 27/19 R (REWIS RS 2021, 6476)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 6476

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 12 KR 16/13 R (Bundessozialgericht)

Sozialversicherungspflicht - Merchandising im Rahmen von Rackjobbing - Rahmenvertrag - Unternehmerrisiko bei "vereinbarter" selbstständiger Erwerbstätigkeit …


B 12 KR 23/13 R (Bundessozialgericht)

Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit - Vertriebsleiter in einer Familiengesellschaft mit freier Hand in der Führung der …


B 12 R 5/19 R (Bundessozialgericht)


B 12 R 7/18 R (Bundessozialgericht)


B 12 KR 25/10 R (Bundessozialgericht)

Rentenversicherung - Versicherungspflicht - Abgrenzung zwischen Beschäftigung und selbstständige Tätigkeit bei Familiengesellschaft - Zulässigkeit der …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

5 AZR 162/09

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.