Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.11.2015, Az. 1 StR 235/15

1. Strafsenat | REWIS RS 2015, 2581

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Gegenstand

Revision im Strafverfahren wegen Umsatzsteuerhinterziehung: Notwendigkeit der Gesamtwürdigung festgestellter Tatsachen; Anforderungen an die Begründung eines Freispruchs; Nachprüfbarkeit hinsichtlich der abgegebenen Steuererklärungen im Hinblick auf Steuerverkürzung


Tenor

Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 15. September 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten vom Vorwurf des gewerbs- und bandenmäßigen Schmuggels und der Hinterziehung von Umsatzsteuer in insgesamt 216 Fällen bzw. beim Angeklagten [X.]in 181 Fällen, darunter eine versuchte Tat, aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wenden sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft, die gestützt auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts die Beweiswürdigung des [X.]s beanstanden. Die vom [X.] vertretenen Rechtsmittel haben bereits mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die von der Staatsanwaltschaft erhobenen verfahrensrechtlichen Beanstandungen nicht mehr ankommt.

I.

2

1. In der zugelassenen Anklage werden den Angeklagten in den Jahren 2010 bis 2012 zugunsten der S.  [X.]            GmbH (im Folgenden: [X.]) und der [X.] begangene Steuerstraftaten zur Last gelegt.

3

Die [X.], deren Geschäftsführer und alleiniger Gesellschafter der gesondert Verurteilte          [X.]gewesen sei, habe ab dem [X.] umfangreiche Importe von Metallen durchgeführt, die nahezu vollständig an die [X.] weiterverkauft worden seien. Der Angeklagte [X.]sei Geschäftsführer und Alleingesellschafter und die Angeklagten [X.]und [X.] Angestellte dieser Gesellschaft gewesen.

4

Aufgrund einer gemeinsamen Besprechung Ende Juni 2010 in den Räumen der [X.] hätten die Angeklagten mit [X.]und den früheren Mitangeklagten [X.]und [X.]vereinbart, sich durch die Zwischenschaltung der [X.] in den [X.] einen Wettbewerbsvorteil am Markt zu verschaffen. Anders als bei der zuvor durch die [X.] selbst eingeführten Ware sollte es nun möglich sein, aufgrund generierter Vorsteuerabzüge eine Kaufpreisminderung und damit eine Gewinnmaximierung zu erreichen. Hierzu sollte die [X.] in den Rechnungen an die [X.] jeweils Umsatzsteuer ausweisen, diese aber gegenüber den Finanzbehörden nicht erklären und auch nicht abführen. Auf diese Weise sollte der [X.] die Geltendmachung von Vorsteuern ermöglicht werden, ohne dass diese zuvor abgeführt worden seien.

5

Die aus Osteuropa nach [X.] verbrachten Waren hätten im [X.] allein aus Mitgliedstaaten der [X.], insbesondere den baltischen [X.], gestammt. Ab Anfang 2011 seien dann von den Angeklagten [X.]und [X.]zusammen mit den früheren Mitangeklagten [X.] und [X.]  auch Einfuhren aus Drittstaaten, namentlich aus [X.] und der [X.], vorgenommen worden. Hierbei sei der Wert der eingeführten Waren gegenüber dem Zoll in der Regel mit weniger als einem Zehntel des tatsächlichen Werts angegeben worden. Zudem sei für die inländischen Verkäufe der [X.] an die [X.] keine Umsatzsteuer erklärt worden, obwohl die Umsatzsteuer bei den jeweiligen Rechnungen an die [X.] ausgewiesen worden sei. Hierdurch seien jeweils Abgaben verkürzt worden. Im Einzelnen:

6

a) Fälle 1 bis 184 der Anklageschrift (gewerbs- und bandenmäßiger Schmuggel)

7

In den die Jahre 2011 und 2012 betreffenden Fällen 1 bis 184 bzw. hinsichtlich des Angeklagten [X.]24 bis 184 der Anklageschrift wirft die Staatsanwaltschaft den Angeklagten vor, sie hätten gewerbs- und bandenmäßig gegenüber dem Zollamt [X.]falsche Angaben zum Warenwert bei der [X.] aus osteuropäischen [X.] in das Gebiet der [X.] gemacht. Infolge der falschen Angaben seien nahezu vier Millionen Euro an Einfuhrumsatzsteuer und mehr als 300.000 Euro an Zoll nicht festgesetzt und damit verkürzt worden.

8

b) Fälle 185 bis 199 der Anklageschrift (Umsatzsteuerhinterziehung zugunsten der [X.])

9

In den [X.] bis 199 bzw. hinsichtlich des Angeklagten [X.]191 bis 199 der Anklageschrift wirft die Staatsanwaltschaft den Angeklagten jeweils die Hinterziehung von Umsatzsteuer zugunsten der [X.] vor. Entsprechend dem gemeinsamen [X.] mit [X.] seien für die [X.] für das [X.] wahrheitswidrig ein Umsatz von null Euro angemeldet und für die Monate Februar 2011 bis März 2012 pflichtwidrig keine Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben worden. Hierdurch sei insgesamt Umsatzsteuer in Höhe von mehr als 4,7 Mio. Euro verkürzt worden.

c) Fälle 200 bis 216 der Anklageschrift (Umsatzsteuerhinterziehung zugunsten der [X.])

In den Fällen 200 bis 216 bzw. hinsichtlich des Angeklagten [X.]206 bis 216 der Anklageschrift wirft die Staatsanwaltschaft den Angeklagten jeweils die Hinterziehung von Umsatzsteuer zugunsten der [X.] vor. Entsprechend dem gemeinsamen [X.] seien für die [X.] in der Umsatzsteuerjahreserklärung 2010 und den Umsatzsteuervoranmeldungen für Februar 2011 bis März 2012 sowie Mai und November 2012 zu Unrecht Vorsteuerbeträge aus den Rechnungen der [X.] geltend gemacht worden. Den Angeklagten sei dabei bewusst gewesen, dass ein Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der [X.] nicht in Betracht kam. Hierdurch seien in den Fällen 200 bis 215 der Anklageschrift insgesamt nahezu fünf Mio. Euro an Umsatzsteuer verkürzt worden. Im Fall 216 sei es beim Versuch geblieben.

2. Das [X.] hat im Wesentlichen Folgendes festgestellt:

a) Die [X.] stand etwa zehn Jahre lang in laufender Geschäftsbeziehung zur [X.]. Diese produzierte aus [X.], Kupferschrott und anderen kupferhaltigen Legierungen hochreines Kupfer. Für ihre Kupferöfen benötigte die [X.] kupferhaltige Rohstoffe. Kupfer wird weltweit zu Preisen gehandelt, die an der [X.] ([X.]) nach börsenmäßigen [X.] gebildet werden. Der Preis unterliegt dabei erheblichen Schwankungen. Für andere kupferhaltige Materialien werden Abschläge zu den [X.]-Preisen verhandelt.

Bis zum Ende des Jahres 2010 bezog die [X.] selbst Kupferraffiniermaterial aus Osteuropa. Die Einfuhren in den Jahren 2003 bis 2010 waren Gegenstand von zwei Betriebsprüfungen, die jeweils zu Beanstandungen führten, weil die [X.] gemäß § 160 [X.] für die ausländischen Zahlungsempfänger nicht erfüllen konnte. Zur Vermeidung gleichartiger Probleme wurden mit den steuerlichen Beratern der Gesellschaft zahlreiche Maßnahmen erörtert, darunter die Einholung von steuerlichen Unbedenklichkeitsbescheinigungen über Vertragspartner bei den Finanzbehörden.

b) Im Oktober 2006 hatte der frühere Mitangeklagte [X.] für den gesondert Verurteilten [X.]die [X.] gegründet, die ebenfalls im Metallhandel tätig werden sollte. Bei einem Treffen mit [X.] im Juli 2010 unter Beteiligung der Angeklagten [X.]und [X.]sowie der früheren Mitangeklagten [X.]und [X.] wurde vereinbart, dass die [X.] zukünftig die [X.] mit Buntmetallen beliefern sollte. [X.]  und [X.]sollten [X.] unterstützen, insbesondere Aufgaben in [X.] wahrnehmen, wenn sich [X.]     im Ausland aufhält.

c) Ab September 2010 erfolgten dann Bestellungen der [X.] bei der [X.] und Lieferungen im Wege des [X.] direkt an die [X.]. Der Angeklagte [X.]ließ sich für diese Geschäfte regelmäßig Unbedenklichkeitsbescheinigungen des Finanzamts über die [X.] vorlegen. Für den Einkauf in den baltischen [X.] führte der Zeuge [X.]dort mit den Lieferanten die Vertragsverhandlungen. Die letzte Lieferung aus den baltischen [X.] erfolgte Anfang Dezember 2010. Danach kam es zu einem Wechsel der Bezugsquellen. Ab Februar 2011 kamen die Kupferprodukte aus nicht der [X.] angehörenden [X.] Osteuropas. Die [X.] lieferte dann bis zum Ende der Geschäftsbeziehung infolge der Festnahme des Zeugen [X.]im Mai 2012 an die [X.] sogenanntes Halbzeug, das sie von Lieferanten aus [X.] und der [X.] bezog.

d) Die Geschäfte der [X.] in [X.] wurden weitgehend von den früheren Mitangeklagten [X.]und [X.]abgewickelt. Für die Verzollung der LKW-Lieferungen mit Kupfer tauschten sie die [X.] gegen solche mit niedrigeren, manipulierten Werten aus, die stets nur zehn Prozent des tatsächlichen Werts betrugen. Infolgedessen wurden jeweils der Zoll und die Einfuhrumsatzsteuer zu niedrig festgesetzt. Bei den insgesamt 184 Einfuhren entstand insgesamt ein Einfuhrumsatzsteuerschaden von mehr als 3,9 Mio. Euro und ein Zollschaden von mehr als 307.000 Euro ([X.] f.).

e) Beim anschließenden Weiterverkauf an die [X.] akzeptierte und bezahlte diese sämtliche Rechnungen einschließlich der dort ausgewiesenen Umsatzsteuer. Da das aus Osteuropa gelieferte Halbzeug von minderer Qualität war, wurde allerdings beim Weiterverkauf an die [X.] nach Erörterung mit deren Vertretern gemäß § 13b Abs. 2 Nr. 7 UStG das Reverse-Charge-Verfahren angewendet, so dass die Ausgangsrechnungen der [X.] im Gegensatz zu den Eingangsrechnungen keine Umsatzsteuer enthielten.

f) Zum Zwecke der Umsatzsteuerhinterziehung verschwieg die [X.] in der Umsatzsteuerjahreserklärung 2010 und den Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate Februar 2011 bis März 2012 die Umsätze aus den inländischen [X.]. Insgesamt wurde hierdurch Umsatzsteuer in Höhe von mehr als 4,7 Mio. Euro hinterzogen.

g) Wer letztlich von den Zoll- und Steuerverkürzungen der [X.] profitierte, konnte das [X.] nicht feststellen ([X.] 32).

h) Der Angeklagte [X.]brachte für die [X.] die Vorsteuern aus den Rechnungen der [X.] in der Umsatzsteuerjahreserklärung für das [X.] und in den Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate Februar 2011 bis März 2012 sowie Mai und November 2012 in Ansatz. Hierdurch wurde die [X.] im Umfang von insgesamt mehr als 4,9 Mio. Euro vermindert; für November 2012 wurde zudem eine Auszahlung eines Umsatzsteuerguthabens von mehr als 141.000 Euro erstrebt.

3. Das [X.] hat die Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Es konnte sich von einer Tatbegehung bzw. Tatbeteiligung der Angeklagten nicht überzeugen.

a) Der Angeklagte [X.]hatte die Tatvorwürfe bestritten ([X.] 33 ff.); die Angeklagten [X.]und [X.]hatten sich nicht zur Sache eingelassen ([X.] 35).

b) Hinsichtlich der Tatvorwürfe des Schmuggels und der Hinterziehung von Umsatzsteuer zugunsten der [X.] (Fälle 1 bis 199 der Anklageschrift) hat sich das [X.] zwar die Überzeugung gebildet, dass diese Straftaten tatsächlich begangen worden sind. Eine Beteiligung der drei Angeklagten an diesen Straftaten hält es jedoch nicht für erwiesen.

Bezüglich des Vorwurfs der Hinterziehung von Umsatzsteuer zugunsten der [X.] (Fälle 200 bis 216 der Anklageschrift) hat sich das [X.] davon überzeugt, dass die Angeklagten bei den Handelsgeschäften der [X.] mit der [X.] gutgläubig gewesen seien; ihnen sei auch keine Leichtfertigkeit vorzuwerfen. Der [X.] habe deshalb jeweils ein Vorsteuererstattungsanspruch zugestanden, so dass Steuern nicht verkürzt worden seien.

c) Im Einzelnen konnte sich das [X.] von folgenden Behauptungen der Staatsanwaltschaft keine Überzeugung verschaffen:

aa) Hinsichtlich der im Juli 2010 mit dem Zeugen [X.]  geführten Unterredung konnte das [X.] nicht zweifelsfrei klären, ob die Beteiligten des Gesprächs vereinbart hatten, dass die [X.] bei der Einfuhr zu geringe Werte angeben sollte, um zu erreichen, dass Zölle und Einfuhrumsatzsteuer zu niedrig festgesetzt werden. Auch konnte das [X.] nicht zweifelsfrei klären, ob Gegenstand der Gespräche war, dass die [X.] bei den [X.] an die [X.] im Streckengeschäft Umsatzsteuer gegenüber der [X.] in ihren Rechnungen ausweist, ohne sie beim Finanzamt anzumelden und abzuführen, und die [X.] sodann die Vorsteuer aus den Rechnungen beim Finanzamt geltend macht. Schließlich konnte das [X.] nicht zweifelsfrei klären, ob in dem Gespräch vereinbart wurde, dass sich der Zeuge [X.]    aus der Geschäftsführung zurückziehen und die [X.] faktisch den Angeklagten überlassen sollte ([X.] 26 f.).

bb) Das [X.] konnte sich auch nicht davon überzeugen, dass die Angeklagten Kenntnis davon hatten oder zumindest die Möglichkeit hatten zu erkennen, dass beim Zoll zu niedrige [X.] für die Kupferwaren angegeben wurden und dass die [X.] in ihren Ausgangsrechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer bei den Finanzbehörden nicht anmeldete und auch nicht abführte. Der Angeklagte [X.]habe versucht, alle steuerlichen Verpflichtungen zu erfüllen und die von seinen Steuerberatern empfohlenen Maßnahmen, um nicht in ein Umsatzsteuerkarussell eingebunden zu werden, umzusetzen.

d) Der Angeklagte [X.]hatte sich eingelassen, die Geschäftsanbahnung mit der [X.] sei in völlig üblichem Rahmen verlaufen ([X.] 34). Die Geschäftsbeziehung habe sich positiv entwickelt; außerdem habe er alle sechs Monate vom Finanzamt für diese [X.] angefordert und erhalten. Für ihn sei es daher überraschend, dass der Zeuge [X.]     die Handelsgeschäfte mit dem Ziel betrieben habe, Umsatzsteuer zu hinterziehen.

e) Das [X.] ist der Auffassung, die Einlassung des Angeklagten [X.]sei nicht zu widerlegen. Die Behauptung der Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift, es habe einen gemeinsamen [X.] gegeben, sei auf die Einlassung des Zeugen [X.]  im vorangegangenen gegen ihn geführten Strafverfahren gestützt gewesen. Dieser habe in der gegen ihn gerichteten Hauptverhandlung seine eigene Tatbeteiligung eingeräumt und behauptet, es habe im Juni 2010 ein Treffen mit den Angeklagten [X.]und [X.]sowie den gesondert Verfolgten [X.] und [X.]gegeben. Bei diesem Treffen sei vereinbart worden, die bereits bestehende [X.] zwecks Hinterziehung von Einfuhrabgaben und inländischer Umsatzsteuer sowie zur Erschleichung von [X.] zu nutzen, um Metallschrott aus dem Ausland für die [X.] einzuführen. Wesentliche Funktion des [X.]sei dabei der Kontakt zu den ausländischen Lieferanten und das „Schreiben von Rechnungen“ gewesen ([X.] 40).

Im Zuge seiner mehrtägigen Vernehmung vor der erkennenden Strafkammer habe der Zeuge [X.]aber bestritten, sich im vorangegangenen Verfahren in diesem Sinne geäußert zu haben, und habe den Sachverhalt abweichend dargestellt. Gegenstand eines Gesprächs im Juli 2010 seien nur sein beruflicher Hintergrund und seine Fachkenntnisse im Metallhandel, die Möglichkeit einer Belieferung der [X.] durch die [X.] und technische Details gewesen. Über geplante Abgabenverkürzungen sei dagegen weder ausdrücklich noch stillschweigend gesprochen worden. Erst im August 2011 habe er von den gesondert Verfolgten [X.]und [X.] erfahren, dass in den Zollanmeldungen die [X.] manipulativ herabgesetzt worden seien. Unter dem Eindruck ihrer Drohung, als Geschäftsführer der [X.] andernfalls finanziell einstehen zu müssen, habe er sich bereitgefunden, an der Fortführung dieser illegalen Praktiken mitzuwirken. Von der Hinterziehung der inländischen Umsatzsteuer habe er hingegen keine Kenntnis gehabt. Seine Verurteilung wegen Abgabenhinterziehung habe er akzeptiert, weil er als formeller Geschäftsführer unabhängig von seiner Unkenntnis einstandspflichtig gewesen sei ([X.] 41).

Das [X.] hält die Angaben des Zeugen [X.] in weiten Teilen für unglaubhaft und widerlegt. Auch gestützt auf die Angaben der früheren Mitangeklagten [X.]und [X.]hat sich das [X.] vielmehr die Überzeugung gebildet, dass die Tatherrschaft über die Einfuhrabgabenverkürzung und die Verkürzung der inländischen Umsatzsteuer der [X.] allein bei dem Zeugen [X.]lag ([X.] 43).

Das [X.] hat „keine Veranlassung gesehen, aufzuklären, ob der Zeuge [X.] in der früheren Hauptverhandlung in eigener Sache die von der Staatsanwaltschaft behaupteten belastenden Angaben betreffend die Angeklagten [X.], [X.]und [X.]tatsächlich gemacht hat.“ Denn es bleibe nicht nur zweifelhaft, ob [X.] die Angeklagten in der früheren Hauptverhandlung überhaupt in dieser Weise belastet hat. „Vielmehr wären entsprechende frühere Angaben im Lichte seiner aktuellen zeugenschaftlichen Bekundungen und nach dem persönlichen Eindruck der Kammer unglaubhaft.“ Die Bekundungen des Zeugen [X.]  seien daher nicht geeignet, den Nachweis einer kollusiven Einbindung der Angeklagten in die Abgabenhinterziehungen der [X.] zu führen ([X.] 44).

Auch nach einer Gesamtwürdigung mit weiteren Umständen, darunter die Höhe der Preise, Teilzahlungen an Drittempfänger, die Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens gegenüber der [X.], die vorangegangene Versagung des [X.] gemäß § 160 [X.], der [X.] unter den Angeklagten und die steuerliche Beratung des Angeklagten [X.], verblieben beim [X.] „unüberwindbare Zweifel“ an der Tatbeteiligung der Angeklagten.

II.

Die Freisprüche haben keinen Bestand; denn die Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Allerdings muss es das Revisionsgericht grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Vielmehr hat es die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. [X.], Urteil vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14, [X.], 178). Dem Tatrichter obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 [X.], [X.], 148 mwN). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteil vom 23. Juli 2007 – 2 [X.], [X.], 2792 mwN).

2. Solche Rechtsfehler liegen hier vor.

a) Die Beweiswürdigung zur Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen [X.]  ist lückenhaft. Denn die Urteilsgründe enthalten keine nachvollziehbare Begründung für die Annahme des [X.]s, die von [X.]in der Hauptverhandlung des gegen ihn selbst gerichteten Strafverfahrens gemachten Angaben seien jedenfalls unglaubhaft ([X.] 44).

aa) Zwar können und müssen die Gründe auch eines freisprechenden Urteils nicht jeden irgendwie beweiserheblichen Umstand ausdrücklich würdigen. Das Maß der gebotenen Darlegung hängt vielmehr von der jeweiligen Beweislage und insoweit von den Umständen des Einzelfalls ab; dieser kann so beschaffen sein, dass sich die Erörterung bestimmter einzelner Beweisumstände erübrigt. Insbesondere dann, wenn das Tatgericht auf Freispruch erkennt, obwohl gegen den Angeklagten ein ganz erheblicher Tatverdacht besteht, muss es jedoch in seine Beweiswürdigung und deren Darlegung die ersichtlich möglicherweise gegen den Angeklagten sprechenden Umstände und Erwägungen einbeziehen und in einer Gesamtwürdigung betrachten (vgl. [X.], Urteile vom 8. September 2011 – 1 StR 38/11, [X.], 465, vom 6. September 2006 – 5 [X.], [X.], 18, 19 und vom 22. August 2002 – 5 [X.], [X.], 430 mwN).

bb) Diesen Anforderungen genügt die Beweiswürdigung zu den Angaben des Zeugen [X.]nicht.

Ausweislich der Urteilsgründe beruht die Anklage entscheidend auf der Tatschilderung dieses Zeugen, die er in dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren in der Hauptverhandlung gemacht hatte ([X.] 40). Weshalb das [X.] diese Angaben für unglaubhaft hält, hat es indes nicht nachvollziehbar und für das Revisionsgericht nachprüfbar begründet. Als Beleg für diese Annahme hat das [X.] lediglich die Bekundungen des Zeugen [X.]  im vorliegenden Verfahren und dessen persönlichen Eindruck aus der Hauptverhandlung angeführt. Den Inhalt der früheren Aussage des Zeugen hat das [X.] hingegen nicht mitgeteilt. Damit fehlt es an einer ausreichenden Grundlage für die Glaubhaftigkeitsbeurteilung. Um die Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen [X.]beurteilen zu können, durfte das [X.] nicht offen lassen, von welchem Inhalt der früheren Aussage es ausgeht. Auch hat das [X.] nicht erörtert, welches Motiv der Zeuge für Falschangaben zum damaligen Zeitpunkt gehabt haben könnte. Umgekehrt hat das [X.] auch nicht in den Blick genommen, dass die Aussage des Zeugen [X.]  in der Hauptverhandlung gegen die Angeklagten eine Gefälligkeitsaussage zu deren Gunsten gewesen sein konnte. Mit dieser Möglichkeit musste sich das [X.] schon deshalb auseinandersetzen, weil es als naheliegend ansah, dass der [X.] des Zeugen [X.]von vornherein auf die Verkürzung der Einfuhrabgaben, des Zolls und der Umsatzsteuer gerichtet war ([X.] 44).

b) Die Beweiswürdigung des [X.]s lässt zudem besorgen, das [X.] habe belastende Indizien fehlerhaft einzeln sowie anhand eines falschen Maßstabs gewürdigt und nicht in die Gesamtwürdigung eingestellt.

aa) Das Tatgericht ist gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen (vgl. [X.], Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 [X.], [X.], 148 mwN). Dabei muss sich aus den Urteilsgründen auch ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteil vom 23. Juli 2007 – 2 [X.], [X.], 2792 mwN). Die Anforderungen an eine umfassende Würdigung der festgestellten Tatsachen sind bei einem Freispruch nicht geringer als im Fall der Verurteilung (vgl. [X.], Urteil vom 17. März 2009 – 1 [X.], [X.], 315). Auch wenn keine der Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausreichen würde, besteht die Möglichkeit, dass sie in ihrer Gesamtheit dem Tatrichter die entsprechende Überzeugung vermitteln können (vgl. [X.], Urteil vom 30. März 2004 – 1 [X.], [X.], 238).

bb) Rechtsfehlerhaft ist hier bereits der rechtliche Ansatz des [X.]s bei der Würdigung belastender Einzelindizien.

Statt die Indizien mit ihrem jeweiligen Beweiswert in die Gesamtwürdigung einzustellen, spricht das [X.] einzelnen Umständen jeglichen belastenden Beweiswert mit der Begründung ab, diese seien „nicht zwangsläufig“ nur mit einer Abgabenverkürzung zu erklären ([X.] 46), seien „nicht zweifelsfrei“ ([X.] 50) oder ließen „keinen zweifelsfreien Rückschluss“ auf Kenntnisse oder eine Tatbeteiligung der Angeklagten ([X.] 47, 52, 53) zu. Damit hat das [X.] rechtsfehlerhaft einzelne Beweisergebnisse lediglich isoliert und nicht im Zusammenhang mit anderen Beweisanzeichen gewürdigt.

cc) Schließlich hält auch die vom [X.] vorgenommene Gesamtwürdigung ([X.] 57 ff.) rechtlicher Nachprüfung nicht stand; denn sie beschränkt sich im Wesentlichen auf die Würdigung entlastender Indizien. Belastende Indizien wurden hingegen nicht in die Gesamtwürdigung einbezogen, die damit unvollständig ist. Hierauf beruht das Urteil schon deshalb, weil auch dann, wenn keine der Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft der Angeklagten ausreichen würde, die Möglichkeit besteht, dass sie in ihrer Gesamtheit dem Tatgericht die entsprechende Überzeugung vermitteln können (vgl. [X.], Urteil vom 30. März 2004 – 1 [X.], [X.], 238).

3. Die Freisprüche einschließlich der ihnen zugrunde liegenden Feststellungen haben daher wegen rechtsfehlerhafter Beweiswürdigung keinen Bestand. Die Sache ist zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des [X.]s zurückzuverweisen. Auf die weiteren von der Staatsanwaltschaft erhobenen sachlich- und verfahrensrechtlichen Beanstandungen kommt es nicht mehr an.

III.

Für die neue Hauptverhandlung bemerkt der Senat im Hinblick auf die insoweit unzutreffenden Ausführungen des [X.]s auf [X.] 61:

Die Kognitionspflicht des Gerichts bezieht sich auf die Tat im prozessualen Sinn (§ 264 StPO). Zur Tat als [X.] gehört das gesamte Verhalten des Angeklagten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorkommnis nach der Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang bildet. Dies kann nicht unabhängig von der verletzten Strafbestimmung beurteilt werden. Im Steuerstrafrecht werden der Umfang und die Reichweite der prozessualen Tat neben der einschlägigen Blankettvorschrift maßgeblich durch die sie ausfüllenden Normen des Steuerstrafrechts bestimmt (vgl. [X.], Beschluss vom 27. Mai 2009 – 1 [X.], [X.], 465 mwN). Hierbei ist in den Blick zu nehmen, dass es sich bei der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 [X.] um ein Erklärungs- und zugleich um ein [X.] handelt (vgl. [X.], Urteil vom 12. Mai 2009 – 1 [X.], [X.]R StPO § 267 Abs. 1 StPO Steuerhinterziehung 1). Deshalb ist beim Tatvorwurf der Steuerhinterziehung auch bei einem freisprechenden Urteil festzustellen und in den Urteilsgründen darzulegen, wann der Angeklagte welche Steuererklärungen mit welchem Inhalt abgegeben hat (vgl. [X.], Urteil vom 12. Mai 2009 – 1 [X.], [X.]R StPO § 267 Abs. 1 Steuerhinterziehung 1 mwN). Die Urteilsgründe müssen zudem in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise erkennen lassen, ob die in den verfahrensgegenständlichen Steuererklärungen enthaltenen Angaben unrichtig oder unvollständig waren und ob sie gegebenenfalls zu einer Steuerverkürzung oder einem nicht gerechtfertigten Steuervorteil geführt haben. Dies beinhaltet, dass das Tatgericht nicht nur die in der Anklageschrift als Beleg für fehlerhafte Angaben angeführten Umstände in den Blick zu nehmen hat. Vielmehr muss es sich dann, wenn nach dem Gang der Hauptverhandlung hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für andere Geschehnisse bestehen, aus denen sich die Unrichtigkeit der verfahrensgegenständlichen Steuererklärungen ergeben kann, auch mit diesen Umständen auseinandersetzen. Gegebenenfalls hat das Tatgericht entsprechend § 265 StPO auf diese Veränderung hinzuweisen. Denn der Strafklageverbrauch eines Freispruchs würde einer neuen, auf solche Umstände gestützten Strafverfolgung entgegenstehen. Ein Freispruch kommt schließlich auch dann nicht in Betracht, wenn das vom Tatgericht festgestellte Verhalten eines Angeklagten den [X.] der leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 [X.]) erfüllt (vgl. [X.], Urteil vom 8. September 2011 – 1 StR 38/11, [X.], 465 mwN).

Graf                        Jäger                      Mosbacher

            Fischer                        Bär

Meta

1 StR 235/15

11.11.2015

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bochum, 15. September 2014, Az: II-13 KLs 35 Js 155/12 - 16/13

§ 370 AO, § 261 StPO, § 15 UStG, §§ 15ff UStG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.11.2015, Az. 1 StR 235/15 (REWIS RS 2015, 2581)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 2581

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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