Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.02.2004, Az. 4 StR 371/03

4. Strafsenat | REWIS RS 2004, 4457

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[X.] DES VOLKESUrteil4 StR 371/03vom19. Februar 2004in der Strafsachegegenwegen Diebstahls u.a.- 2 -Der 4. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 19. Februar2004, an der teilgenommen haben:Vorsitzende [X.]in am [X.]. [X.],[X.] am [X.]. Dr. [X.],[X.],[X.]in am Bundesgerichtshof[X.] am [X.]. [X.]als beisitzende [X.],[X.] als Vertreter der [X.]schaft,Rechtsanwalt als Verteidiger,Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,für Recht erkannt:- 3 -1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil [X.] vom 13. Mai 2003, soweit es [X.], im Strafausspruch mit den Feststellungen aufge-hoben.2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten [X.], an eine andere Strafkammer des [X.]s zurückverwiesen.Von Rechts wegenGründe:Das [X.] hat den Angeklagten wegen Hehlerei, versuchten Dieb-stahls und wegen Diebstahls in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe vonfünf Jahren und neun Monaten verurteilt. Mit seiner wirksam auf den [X.] beschränkten Revision beanstandet der Angeklagte, daß das [X.] nach dem Scheitern eines gegen den Grundsatz des fairen [X.] —[X.] die Strafe rechtsfehlerhaft zugemessen habe.Das Rechtsmittel hat Erfolg.1. Nach der zulässig erhobenen Verfahrensrüge ging der Urteilsfindungfolgendes in der Sitzungsniederschrift dokumentiertes Prozeßgeschehen vor-aus:- 4 -a) Am ersten Hauptverhandlungstag ließ der Angeklagte durch seinenVerteidiger erklären, daß er sich zunächst nicht zur Sache äußern wolle. [X.]machte dagegen umfassende Angaben zur Sache undwar im wesentlichen geständig. Am vierten Hauptverhandlungstag verkündetedas [X.] folgenden Beschluß:"Der Angeklagte [X.]wird, wie in Vorgesprächen mit sei-nem Verteidiger bereits erörtert, darauf hingewiesen, daß an-gesichts des Ergebnisses der bisherigen [X.] einem Geständnis zum jetzigen Zeitpunkt keine überra-gende strafmildernde Bedeutung zukommen kann.Im Falle einer Verurteilung wird die Vorstrafe und die zu [X.] laufende Bewährung bei der Strafzumessung vonerheblicher Bedeutung sein. Allerdings hat der [X.]die Möglichkeit, durch Begleichung der aus der [X.] resultierenden Steuerschuld (derzeit noch ca.564.000 ˜)(˜Tat verursachten Schaden wieder gut zu machen. Nach demErgebnis der Beweisaufnahme spricht Vieles dafür, daß [X.] über Mittel zur Begleichung der Steuerschuldverfügen könnte, so soll er sich etwa noch wenige Tage vorseiner Festnahme für den Ankauf einer größeren Immobilie [X.] von über einer Million Euro ernsthaft interessiert haben.Wird die Steuerschuld beglichen, so wäre der im [X.] mit der Vorstrafe angerichtete Schaden/[X.] gut gemacht und der Vorbelastung könnte eine deut-lich geringere nachteilige Bedeutung beigemessen werden.Für den Fall einer geständigen [X.]assung und der Beglei-chung der Steuerschuld verpflichtet die Kammer sich, einStrafmaß von insgesamt vier Jahren nicht zu [X.] sechsten und letzten Tag der Hauptverhandlung trat die [X.] in die Beweisaufnahme ein und erteilte dem Angeklagten rechtliche Hin-- 5 -weise. Danach äußerte sich der Angeklagte über seinen Verteidiger zur Sache,wobei er sich im wesentlichen geständig einließ. Der Verteidiger beantragte dieVernehmung zweier Zeugen zum Beweis dafür, daß die finanziellen [X.] des Angeklagten entgegen der Annahme des [X.]s vollständigerschöpft seien. In dem Beweisantrag wird u.a. ausgeführt:"Herr [X.]ist außerstande, die Steuerschuld vonca. 564.000 [X.] mit Herrn [X.]und seinen Familienangehö-rigen hat ergeben, daß über seinen Bruder kurzfristig max.200.000 ˛Das [X.] lehnte die beantragten Zeugenvernehmungen ab undführte in dem Beschluß ferner aus:"Die Kammer weist den Angeklagten [X.]darauf hin, daßauch Teilzahlungen auf die Steuerschuld strafmildernde [X.] hätten. Eine konkrete Zusage, wie Teilzahlungen inbestimmter Höhe sich auf das Strafmaß auswirken könnten,will die Kammer allerdings nicht abgeben".Der Verteidiger des Angeklagten erklärte dazu:"Mein Mandant kann binnen einer Woche einen Betrag [X.] auf die Steuerschuld aufbringen lassen. [X.] ist allerdings, daß der Haftbefehl außer [X.] wird, damit er im Falle einer Verurteilung bessereChancen für den offenen Vollzug hat und dann Geld verdie-nen kann. Ich beantrage daher, den Haftbefehl außer [X.] setzen".- 6 -Das [X.] lehnte diesen Antrag durch Beschluß ab und führte [X.] Angeklagte hat aufgrund des Umfangs der Tatvorwürfemit einer empfindlichen Freiheitsstrafe zu rechnen, wobei erzusätzlich den Widerruf der Bewährungsstrafe von einemJahr und sechs Monaten befürchten muß. Daraus ergibt sichein erheblicher Fluchtanreiz, der andererseits nicht durch sta-bilisierende Faktoren abgemildert [X.]) Die Gründe des angefochtenen Urteils verhalten sich zu der [X.] Absprache nicht. Mitgeteilt wird lediglich, daß der Angeklagte durchUrteil der Wirtschaftsstrafkammer des [X.]s vom 13. Juli 2001 wegengewerbsmäßiger [X.] zu einer für drei Jahre zur Bewährung ausge-setzten Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt worden ist.2. Der Beschwerdeführer rügt hiernach zu Recht, in seinem Anspruchauf ein faires Verfahren (vgl. dazu [X.] NJW 1987, 2662 = NStZ 1987, 419;[X.]St 29, 109, 111; [X.] in [X.]. [X.]. [X.]. 28 jew.m.w.N.) verletztworden zu sein.a) Allerdings kann entgegen der Auffassung der Revision ein Verstoßgegen den Grundsatz des fairen Verfahrens nicht schon darin gesehen wer-den, daß sich das [X.] nicht an die zunächst in Aussicht gestellteStrafobergrenze gehalten hat. Eine das [X.] bindende Zusage (vgl.[X.]St 36, 210, 214; 43, 195, 210) läge nur dann vor, wenn es zu der vom[X.] angestrebten Verständigung gekommen wäre. Das war [X.] für alleVerfahrensbeteiligten offenkundig - nicht der Fall. Das [X.] hat zudemin den Beschlüssen, mit denen es Beweiserhebungen zu den [X.] -hältnissen des Angeklagten und seinen Antrag auf Haftverschonung abgelehnthat, ausgeführt, daß es sich im Falle der Verurteilung des Angeklagten an [X.] in Aussicht gestellte Obergrenze nicht gebunden fühlt, so daß [X.] sein Verteidigungsverhalten darauf einrichten konnte (vgl. [X.], 210, 216). Ob der Angeklagte die Leistungen an das Finanzamt ohne eige-nes Verschulden nicht erbringen konnte, ist in diesem Zusammenhang ohneBedeutung.b) Der Anspruch des Angeklagten auf ein faires Verfahren ist aber des-halb verletzt, weil das [X.] die mit der Verkündung des oben [X.] am vierten Hauptverhandlungstag in Aussicht gestellte [X.] von vier Jahren an die Bedingung geknüpft hat, daß [X.] ein Geständnis ablegt und die gegen ihn bestehende Forderungdes Fiskus wegen der in einem anderen Verfahren bereits rechtskräftig abge-urteilten [X.] erfüllt. Die Revision trägt zu Recht vor, daß vom [X.] ein solches —erzwungenes Freikaufenfi nicht hätte in die Wege geleitetwerden dürfen.Absprachen im [X.] Strafverfahren sind allerdings nicht generellunzulässig. Aus dem Rechtsstaatsprinzip ergeben sich keine verfassungs-rechtlichen Bedenken gegen eine Verständigung zwischen Gericht und [X.] über Stand und Aussichten der Verhandlung ([X.] NJW1987, 2662). Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung des Bundesge-richtshofs (vgl. [X.]St 43, 195 ff.) ist anerkannt, daß dem Angeklagten für [X.] die bindende Zusage erteilt [X.], eine bestimmte Strafobergrenze nicht zu überschreiten. Unverzichtbare -im vorliegenden Fall eingehaltene - prozessuale Voraussetzung ist jedoch, daß- 8 -die Vereinbarung in öffentlicher Hauptverhandlung unter Beteiligung aller [X.] erfolgt. Inhaltlich setzt eine zulässige Verständigung voraus,daß bei dem Bemühen der Beteiligten um das Zustandekommen einer Abspra-che die freie Willensentschließung des Angeklagten gewahrt bleibt ([X.]St 43,195, 204). Zwar gerät ein Angeklagter, dem das Gericht eine Verständigungvorschlägt, zwangsläufig in den Konflikt, sein Verhalten den Wünschen [X.] anzupassen oder - im Falle eines Schuldspruchs - die Möglichkeit [X.] deutlich höheren Strafe in Kauf zu nehmen. Dies ist jedoch hinzunehmen,sofern die Verständigung geeignet ist, anerkannten strafprozessualen [X.] dienen; so kann durch ein Geständnis des Angeklagten eine langwierigeBeweisaufnahme vermieden und damit dem verfahrensrechtlichen Beschleuni-gungsgebot Rechnung getragen, bei Gewaltdelikten zudem eine die Opfer [X.] Zeugenvernehmung vermieden werden. Dagegen ist der latenteDruck, der mit jedem Absprachevorschlag des Gerichts auf den [X.] wird (vgl. dazu [X.] 2003, 406, 408 f.), dann nicht hinzu-nehmen, wenn das dem Angeklagten angesonnene Verhalten ersichtlich vor-dergründig einem Zweck dient, der mit der angeklagten Tat und dem Gang derHauptverhandlung in keinem inneren Zusammenhang steht.Dies aber trifft hier zu. Mit Recht beanstandet die Revision, daß Ziel dervom [X.] angestrebten Absprache nicht die Förderung des anhängigenVerfahrens, sondern die Durchsetzung des gegen den Angeklagten wegen [X.] verfahrensfremden Tat bestehenden Haftungsanspruchs des Fiskus (vgl.§§ 71, 191, 219 [X.]) gedient hätte, der bei Zahlungsverweigerung (von [X.] den Urteilsgründen nicht auszugehen ist) im [X.] hätte [X.] (§§ 249 ff. [X.]), niedergeschlagen (§ 261 [X.]) oder erlassen (§ 227 [X.])werden [X.] 9 -Allein der Umstand, daß die Begleichung der aus der Vortat herrühren-den Steuerschuld auch im vorliegenden Verfahren bei der Strafzumessung zu-gunsten des Angeklagten hätte berücksichtigt werden dürfen, weil dadurch [X.] der Vortat gemindert gewesen wäre, reicht für die im Rahmen [X.] erforderliche Konnexität nicht aus. Könnte jedes sozial anerken-nenswerte Verhalten eines Angeklagten, das im Rahmen der Abwägung nach§ 46 Abs. 2 StGB strafmildernde Berücksichtigung finden kann, wie etwa einegroßzügige Spende an eine Opferschutzorganisation, zum Gegenstand [X.] über die Strafzumessung gemacht werden, so würde dies zu einemmit dem Grundsatz des fairen Verfahrens nicht mehr zu vereinbarenden "[X.] mit der Gerechtigkeit" führen (vgl. [X.] NJW 1987, 2663).c) Auf der letztlich gescheiterten Absprache kann das Urteil auch beru-hen.Regelmäßig wird allerdings davon auszugehen sein, daß sich aus [X.] einer Absprache keine unzulässigen Nachteile für einen Angeklagtenergeben. Vielmehr wird das Gericht - nunmehr ohne Bindung an die in [X.] - eine schuldangemessene Strafe verhängen. [X.] der zugesagten Strafobergrenze wird sich - sofern nicht ohnehinneu hinzugetretene Umstände hierfür ursächlich sind - zwanglos daraus erklä-ren lassen, daß infolge des Scheiterns der Verständigung ein zulässiger Straf-milderungsgrund, etwa ein Geständnis, nicht zum Tragen kommt. Selbst dieUnzulässigkeit einer vom Gericht in Aussicht genommenen Absprache, wie siehier vorliegt, reicht für sich genommen nicht aus, die Besorgnis einer fehler-haften Strafzumessung zu begründen. Im vorliegenden Fall kommt jedoch [X.] 10 -zu, daß allein der Wegfall eines möglichen Strafmilderungsgrundes, der sichaus der vollständigen Erfüllung fiskalischer, aus der Vortat erwachsener [X.] ergeben hätte, die Spanne von einem Jahr und neun Monaten zwi-schen in Aussicht gestellter und verhängter Gesamtstrafe nicht erklären kann.Aus den Urteilsgründen ist ersichtlich, daß nach dem Verständigungsangebotdes [X.]s keine neuen strafschärfenden Umstände in der [X.] bekannt geworden sind. Vielmehr hat der Angeklagte eine Bedingungder Absprache erfüllt, indem er im wesentlichen geständig war. Da nicht davonauszugehen ist, daß das [X.] dem Angeklagten für den Fall des Zu-standekommens des vorgeschlagenen "deals" eine auch aus seiner Sicht un-angemessen niedrige Strafe in Aussicht gestellt hat, kann der Senat dahernicht ausschließen, daß sich die Weigerung des Angeklagten, sofort die - inder vorliegenden Verknüpfung unzulässig geforderte - Zahlung an das Finanz-amt zu erbringen, bei der Strafzumessung zu seinen Lasten ausgewirkt hat. [X.] wäre rechtsfehlerhaft. Obwohl weder die [X.] Einzelstrafen noch die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe im Ergebnisunangemessen hoch erscheinen, müssen die Strafen daher neu zugemessenwerden.[X.] [X.] [X.]E˜˛9FNachschlagewerk: ja[X.]St: jaVeröffentlichung: jaGG Art. 20 Abs. 3- 11 -StGB § 461. Eine verfahrensbeendende Absprache ist unzulässig, wenn das dem Ange-klagten angesonnene Verhalten ersichtlich vordergründig einem Zweckdient, der mit der angeklagten Tat und dem Gang der Hauptverhandlung inkeinem inneren Zusammenhang steht (im Anschluß an [X.]St 43, 195).2. Zu den Auswirkungen einer fehlgeschlagenen Verständigung.[X.], Urteil vom 19. Februar 2004 - 4 StR 371/03 - [X.] Münster

Meta

4 StR 371/03

19.02.2004

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.02.2004, Az. 4 StR 371/03 (REWIS RS 2004, 4457)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2004, 4457

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