Bundesfinanzhof, Urteil vom 29.07.2015, Az. X R 4/14

10. Senat | REWIS RS 2015, 7352

STEUERRECHT STEUERN BUNDESFINANZHOF (BFH) STEUERERKLÄRUNG

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Auskunftsersuchen an Dritte ohne vorherige Sachverhaltsaufklärung beim Steuerpflichtigen - Auskunftsersuchen als anfechtbarer Verwaltungsakt - Fortsetzungsfeststellungsklage


Leitsatz

Die Finanzbehörde darf sich erst dann unmittelbar an andere Personen als den Beteiligten (sog. Dritte) wenden, wenn sie es im Rahmen einer vorweggenommenen Beweiswürdigung aufgrund konkret nachweisbarer Tatsachen als zwingend ansieht, dass der Versuch der Sachverhaltsaufklärung durch den Beteiligten erfolglos bleiben wird.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts des [X.] vom 13. März 2013  3 K 34/09 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erzielt Einkünfte aus Gewerbebetrieb.

2

In der [X.] vom 17. Dezember 2007 bis zum 29. Juni 2010 führte der [X.]eklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) eine steuerliche Außenprüfung beim Kläger durch, die sich auf die Einkommensteuern, Umsatzsteuern und Gewerbesteuermessbeträge 2002 bis 2004 erstreckte.

3

Eine Außenprüfung für die Vorjahre hatte zu einer Erhöhung der Erlöse um 8.530,69 DM geführt. Grundlage hierfür war eine Kontrollmitteilung, in der von einer "Ausgleichszahlung" bzw. "[X.]onuszahlung" einer Geschäftspartnerin des [X.], der A, die Rede war. Ein entsprechendes Klageverfahren wegen Umsatzsteuer wurde beim Finanzgericht ([X.]) unter dem Aktenzeichen 3 K 923/07 geführt.

4

Am 16. Oktober 2008 richtete das [X.] für die Streitjahre ein Auskunftsersuchen betreffend Provisionszahlungen an die A. Diese antwortete am 21. Oktober 2008, dem Kläger in den Jahren 2003 und 2004 insgesamt drei "Ausgleichszahlungen" geleistet zu haben.

5

Am 22. Oktober 2008 richtete das [X.] --ohne den Kläger hierzu vorab um Auskunft gebeten zu haben-- das im vorliegenden Verfahren streitgegenständliche Auskunftsersuchen an die [X.], einer weiteren Geschäftspartnerin des [X.]. Es wies hinsichtlich der Auskunftspflicht auf § 93 der Abgabenordnung ([X.]) hin und führte weiter aus: "in der o.g. Steuersache ist die Sachaufklärung mit den [X.]eteiligten nicht möglich." Ausweislich eines Vermerks des [X.] bezweckte dieses zweite Auskunftsersuchen, "die Prüfung zu vervollständigen", indem auch der zweite Lieferant um Auskunft gebeten werde.

6

Mit Schreiben vom 24. Oktober 2008 erklärte die [X.] dem [X.], sie habe mit dem Kläger reine Handelsgeschäfte betrieben, für die dieser entsprechende [X.] erhalten habe. Provisionszahlungen seien weder vereinbart noch geleistet worden. Am selben Tage richtete sie ein Schreiben an den Kläger, in dem sie ihre Verwunderung über das Auskunftsersuchen zum Ausdruck brachte. Sie verstehe nicht, warum der Kläger dem [X.] nicht mitteile, von der [X.] niemals Provisionen erhalten zu haben.

7

Am 27. Oktober 2008 legte der Kläger Einspruch gegen das an die [X.] gerichtete Auskunftsersuchen ein.

8

Nach einem Gespräch zwischen den [X.]eteiligten stellte das [X.] mit Schreiben vom 25. November 2008 den Sachverhalt gegenüber der [X.] klar. Den vom Kläger aufrechterhaltenen Einspruch verwarf das [X.] mit Entscheidung vom 23. Dezember 2008 als unzulässig.

9

Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] vorgetragen, im Zuge einer aktuell laufenden steuerlichen Außenprüfung seien nach seinem Erkenntnisstand Auskunftsersuchen zu ausländischen Sachverhalten ergangen, ohne dass er zuvor gehört oder befragt worden sei. Die Vertreter des [X.] konnten in der mündlichen Verhandlung hierzu keine Auskunft geben und erklärten, dass sie sich zu der zukünftigen Praxis bei Auskunftsersuchen nicht äußern wollten. Ausgenommen hiervon seien solche gegenüber der [X.], an die keine weiteren Auskunftsersuchen ergehen sollten, soweit diese Provisionserlöse beträfen.

Die am 8. Januar 2009 erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage hatte Erfolg.

Das [X.] ging davon aus, die Fortsetzungsfeststellungsklage sei zulässig, da [X.] drohe. Der Kläger exportiere und importiere weiterhin Waren und müsse bei Außenprüfungen auch künftig mit Auskunftsersuchen rechnen, ohne dass er vorab zu dem jeweiligen Sachverhalt befragt werde. Dies ergebe sich aus dem Verhalten bzw. den Erklärungen der Vertreter des [X.] in der mündlichen Verhandlung.

Ein Rehabilitationsinteresse des [X.] vermochte das [X.] dagegen aufgrund der Klarstellung im Schreiben des [X.] an die [X.] nicht (mehr) zu erkennen.

Das Auskunftsersuchen sei ermessensfehlerhaft gewesen, da es gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen habe. Soweit Prüfungsfeststellungen --wie im [X.] zu der Annahme des [X.] Anlass gäben, ein Steuerpflichtiger habe Einnahmen nicht erklärt, führe dies nicht per se dazu, dass das [X.] zwecks weiterer Ermittlungen sogleich Dritte um Auskunft ersuchen könne. Es komme vielmehr auf die Qualität und Quantität der festgestellten nicht erklärten [X.]etriebseinnahmen an, etwa ihren erheblichen Umfang, die ggf. auch eine Vielzahl von Geschäftsbeziehungen beträfen.

Im konkreten Fall lägen keine Auffälligkeiten hinsichtlich der Geschäftsbeziehung zur [X.] vor, auch habe es sich bei den Provisionen des anderen Geschäftspartners um einen einmaligen Vorgang gehandelt. Der Umfang dieser Provisionen sei gering gewesen. Ein atypischer Streitfall i.S. des § 93 Abs. 1 Satz 3 [X.] könne nicht angenommen werden.

Mit der Revision rügt das [X.], das [X.] habe gegen materielles Recht verstoßen.

Das [X.] habe die Vorgaben des § 93 Abs. 1 Satz 3 [X.] eingehalten. Es habe konkrete Hinweise auf nicht vollständig erklärte [X.]etriebseinnahmen gegeben. Zusätzlich zu der einschlägigen Kontrollmitteilung anlässlich der [X.]etriebsprüfung in den Vorjahren habe eine konkrete Auskunft der A zu [X.] in der laufenden [X.]etriebsprüfung vorgelegen. Eine anlasslose Ermittlung oder eine solche "ins [X.]laue hinein" lägen nicht vor.

Der Prüfer habe im Rahmen seiner Prognose durchaus die Antwort des [X.] vorwegnehmen dürfen und von einer voraussichtlichen Erfolglosigkeit einer solchen Anfrage ausgehen können. Die Antwort des [X.] abzuwarten und sich anschließend trotzdem an den [X.] zu wenden, sei eine leere Formalie und verletze den Grundgedanken des § 93 Abs. 1 Satz 3 [X.]. Diese Vorschrift solle in erster Linie den [X.] vor unnötigen Anfragen der Finanzverwaltung und dem damit verbundenen Aufwand schützen, auch wenn der Steuerpflichtige ein schützenswertes Interesse daran habe, dass seine steuerlichen Verhältnisse geheim blieben. Ein Selbstzweck sei die Reihenfolge der [X.]efragung gerade nicht.

Die Kritik des [X.] an der [X.]egründung des [X.] übersehe, dass dieses gegenüber dem [X.] ergehe und die möglichst weitgehende Geheimhaltung der steuerlichen Verhältnisse des [X.] gewährleiste.

Vorliegend überschreite das [X.] seine [X.]efugnisse nach § 102 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O), wenn es die Verhältnismäßigkeit verneine.

Das Gebot des fairen Verfahrens werde nicht verletzt. Es existiere keine Pflicht zur Vorabinformation wie beim Kontenabruf nach § 93 Abs. 9 [X.].

Das [X.] beantragt,
das angefochtene Urteil des [X.] aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Ein plausibler Anlass zur [X.]efragung der [X.] habe nicht vorgelegen. Dieser sei auch nicht aufgrund der diversen Auskünfte der [X.].

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist nicht begründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 [X.]O).

1. Die Klage ist zulässig. Der Kläger hat ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, dass das streitige Auskunftsersuchen des [X.] rechtswidrig gewesen ist.

a) Im Streitfall haben die Prüfer Auskunft über Provisionen verlangt. Ein solches Auskunftsersuchen ist ein anfechtbarer Verwaltungsakt i.S. des § 118 Satz [X.] (vgl. zum Auskunftsersuchen als Verwaltungsakt z.[X.]. Urteil des [X.] --[X.]FH-- vom 5. April 1984 IV R 244/83, [X.], 518, [X.] 1984, 790, m.w.N.). Aufgrund der am 29. Oktober 2008 von der [X.] erteilten Auskunft hat sich dieser Verwaltungsakt vor der Klageerhebung erledigt.

b) In einem solchen Fall kann, wie im Streitfall geschehen, beim [X.] gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 [X.]O eine Fortsetzungsfeststellungsklage mit dem [X.]egehren erhoben werden, festzustellen, dass der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist. Das hierfür erforderliche Feststellungsinteresse wird von der Rechtsprechung (u.a.) dann bejaht, wenn eine hinreichend konkrete Wiederholungsgefahr besteht (Senatsurteil vom 22. August 2012 X R 36/09, [X.]FHE 239, 203, [X.] 2014, 109, unter [X.]).

Diese ist im Streitfall gegeben, weil --wie schon das [X.] nach Würdigung der Umstände festgestellt [X.] das [X.] nicht ausschließen wollte, auch künftig --wie z.[X.]. in der während der mündlichen Verhandlung im Klageverfahren stattfindenden [X.]etriebsprüfung-- wiederum Auskunftsersuchen an Dritte zu richten, ohne dass der Kläger vorher zu dem Sachverhalt befragt werde.

2. Das [X.] hat die Klage zu Recht im Rahmen seiner Prüfungskompetenz nach § 102 [X.]O als begründet angesehen. Das Auskunftsersuchen des [X.] an die [X.] ist rechtswidrig gewesen.

a) Vorliegend hat das [X.] den Ermessensgebrauch des [X.] anhand des Zwecks des § 93 Abs. 1 Satz 3 [X.] überprüft und im Rahmen seiner Prüfungskompetenz aus § 102 [X.]O gehandelt.

Es hat lediglich die fehlerfreie Ermessensausübung durch das [X.] kontrolliert und nicht etwa nach einer besseren, zweckmäßigeren oder sachgerechteren Lösung gesucht (Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 102 Rz 1).

b) Zu Recht geht das [X.] davon aus, das [X.] habe von seinem Ermessen in einer dem Zweck des § 93 Abs. 1 Satz 3 [X.] nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht.

aa) Nach § 93 Abs. [X.] haben [X.]eteiligte und andere Personen der Finanzbehörde die zur Feststellung eines für die [X.]esteuerung erheblichen Sachverhalts erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Im Rahmen ihrer Verpflichtung, den maßgebenden Sachverhalt zur Durchsetzung materiell-rechtlich begründeter [X.] aufzuklären (§§ 85, 88 [X.]), darf sich die Finanzbehörde derjenigen [X.]eweismittel bedienen, die sie nach pflichtgemäßem Ermessen zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält (§ 92 Satz [X.]). Zu diesen [X.]eweismitteln zählen auch Auskünfte anderer Personen als der [X.]eteiligten im [X.]esteuerungsverfahren (§ 92 Satz 2 Nr. [X.]). Die rechtliche [X.]efugnis zu solchen Auskunftsverlangen ergibt sich aus § 93 Abs. 1 Satz [X.] (vgl. hierzu und auch zum Nachfolgenden: [X.]FH-Urteil vom 4. Oktober 2006 VIII R 53/04, [X.]FHE 215, 12, [X.] 2007, 227).

Die Inanspruchnahme dieser [X.]efugnisse verstößt grundsätzlich nicht gegen verfassungsrechtliche Grundsätze ([X.]FH-Urteil vom 22. Februar 2000 VII R 73/98, [X.]FHE 191, 211, [X.] 2000, 366, m.w.N.; dazu Nichtannahmebeschluss des [X.]undesverfassungsgerichts --[X.]VerfG-- vom 15. November 2000  1 [X.]vR 1213/00, [X.] 2002, 142).

bb) Für ihr Tätigwerden bedürfen die Finanzbehörden indes eines hinreichenden Anlasses. Ermittlungen "ins [X.]laue hinein" sind unzulässig ([X.]FH-Urteil in [X.]FHE 215, 12, [X.] 2007, 227, m.w.N.).

(1) Die Finanzämter sind --ungeachtet der besonderen Aufgabenzuweisung an die Fahndungsstellen nach § 208 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 [X.]-- nach § 208 Abs. 3 [X.] nicht gehindert, in derselben Sache wie die Fahndung tätig zu werden oder sich sogar bestimmte Ermittlungen vorzubehalten. Sie können z.[X.]. eine Außenprüfung anordnen oder selbst [X.] gemäß § 88 Abs. [X.] durchführen ([X.]FH-Urteil in [X.]FHE 215, 12, [X.] 2007, 227, unter [X.]; zur Abgrenzung vgl. [X.]FH-Urteil vom 25. November 1997 VIII R 4/94, [X.]FHE 184, 255, [X.] 1998, 461, m.w.N.).

Die Finanzbehörden dürfen das nach ihrer Auffassung zweckmäßigste Mittel für die Feststellung der [X.]esteuerungsgrundlagen auswählen und zwar auch im Hinblick auf eine mögliche Steuerstraftat. Dies gilt gleichermaßen, wenn nicht zu erwarten ist, dass der Steuerpflichtige den steuerlich erheblichen Sachverhalt offenlegt. Auch in einem solchen Fall besteht regelmäßig kein zwingender Anlass, die Verwaltung von vornherein ausschließlich auf den Einsatz der Steuerfahndung zu verweisen (vgl. hierzu und zum [X.]: [X.]FH-Urteil in [X.]FHE 215, 12, [X.] 2007, 227, m.w.N.).

(2) Ein hinreichender Anlass liegt nicht erst vor, wenn ein begründeter Verdacht dafür besteht, dass steuerrechtliche Unregelmäßigkeiten gegeben sind. Vielmehr genügt es, wenn aufgrund konkreter Umstände oder aufgrund allgemeiner Erfahrung ein Auskunftsersuchen angezeigt ist.

Danach dürfen Auskünfte von anderen Personen schon dann eingeholt werden, wenn die Finanzbehörde im Rahmen ihrer Tätigkeit --sei es aufgrund konkreter Momente, sei es aufgrund allgemeiner Erfahrung-- zu dem Ergebnis gelangt ist, die Auskünfte könnten zur Aufdeckung steuererheblicher Tatsachen führen (ferner [X.]VerfG-Urteil vom 9. März 2004  2 [X.]vL 17/02, [X.]VerfGE 110, 94, [X.] 2005, 56, unter [X.] ee der Gründe).

Zu den steuerlich erheblichen Tatsachen zählt alles, was die finanzbehördlichen Entscheidungen in einem steuerrechtlichen Verwaltungsverfahren beeinflussen kann [X.] in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 93 [X.] Rz 10).

Die in diesem Sinne erheblichen, mitzuteilenden "Tatsachen" müssen lediglich im Rahmen einer Prognoseentscheidung möglich sein ([X.]FH-Urteil vom 29. Oktober 1986 VII R 82/85, [X.]FHE 148, 108, [X.] 1988, 359, ständige Rechtsprechung). Die Finanzbehörde hat hierüber im Wege einer vorweggenommenen [X.]eweiswürdigung zu befinden ([X.]FH-Urteile vom 18. Februar 1997 VIII R 33/95, [X.]FHE 183, 45, [X.] 1997, 499; vom 30. März 1989 VII R 89/88, [X.]FHE 156, 88, [X.] 1989, 537, ständige Rechtsprechung). Im Interesse der gesetzmäßigen und gleichmäßigen [X.]esteuerung und zur Verwirklichung des verfassungsrechtlich gebotenen Verifikationsprinzips sind die Anforderungen an diese Prognoseentscheidung nicht zu hoch anzusetzen (vgl. [X.]FH-Urteil vom 23. Oktober 1990 VIII R 1/86, [X.]FHE 162, 539, [X.] 1991, 277). Insbesondere darf noch unklar sein, ob der Vorgang steuerbar ist und ob er im Ergebnis zu einer Steuerpflicht führt. § 93 Abs. [X.] ist nicht auf die Fälle beschränkt, in denen Anhaltspunkte vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass möglicherweise eine Steuerschuld entstanden oder die Steuer verkürzt worden ist (vgl. [X.]FH-Urteil in [X.]FHE 162, 539, [X.] 1991, 277). Nur dann, wenn klar und eindeutig jeglicher Anhaltspunkt für die Steuererheblichkeit fehlt, ist das Auskunftsverlangen rechtswidrig (weiterführend, auch zur Prognoseentscheidung: [X.]FH-Urteil in [X.]FHE 215, 12, [X.] 2007, 227, unter [X.], m.w.N.).

cc) Nach § 93 Abs. 1 Satz 3 [X.] sollen andere Personen als die [X.]eteiligten erst dann zur Auskunft angehalten werden, wenn die Sachverhaltsaufklärung durch die [X.]eteiligten nicht zum Ziel führt oder keinen Erfolg verspricht. Durch die Ausgestaltung der Norm als Sollvorschrift kommt zum Ausdruck, dass die [X.]ehörde in der Regel nach ihr verfahren muss ([X.]FH-Urteil in [X.]FHE 156, 88, [X.] 1989, 537). Dieses Subsidiaritätsprinzip ist eine spezielle Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (so auch [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 93 [X.] Rz 17). Nur in atypischen Fällen darf die Finanzbehörde hiervon abweichen, wobei am Zweck der Vorschrift zu messen ist, ob ein solcher atypischer Fall vorliegt ([X.]FH-Urteil vom 24. Oktober 1989 VII R 1/87, [X.]FHE 158, 502, [X.] 1990, 198, unter [X.], m.w.N.).

Unterstrichen wird dies auch im Vergleich zu den [X.]efugnissen der Steuerfahndung nach § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 [X.]. Aufgabe der Steuerfahndung nach § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] ist die Ermittlung der [X.]esteuerungsgrundlagen in den Fällen von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten. Nach § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 [X.] ist es daneben Aufgabe der Steuerfahndung, unbekannte Steuerfälle aufzudecken und zu ermitteln. In beiden Fällen gelten gemäß § 208 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz [X.] die Einschränkungen des § 93 Abs. 1 Satz 3 [X.] nicht (so auch ausdrücklich [X.]FH-Urteil in [X.]FHE 148, 108, [X.] 1988, 359, unter [X.]; ebenso jüngst [X.]FH-Urteil vom 16. Mai 2013 II R 15/12, [X.]FHE 241, 211, [X.] 2014, 225, unter [X.]). Folglich gilt außerhalb der Tätigkeit der Steuerfahndung die besondere Herangehensweise bei Auskunftsersuchen an Dritte: Vor dem Auskunftsersuchen an Dritte ist im Regelfall der Steuerpflichtige zu befragen.

Hierdurch wird auch dem doppelten Zweck des § 93 Abs. 1 Satz 3 [X.] entsprochen. Danach soll zum einen vermieden werden, dass Nichtbeteiligte Einblick in die steuerlich relevanten Verhältnisse der [X.]eteiligten erhalten, zum anderen sollen dem [X.] die mit der Auskunft verbundenen Mühen erspart werden [X.] in [X.], § 93 [X.] Rz 82; [X.] in Tipke/[X.], a.a.[X.], § 93 [X.] Rz 17; [X.], Der [X.]-Steuer-[X.]erater 2004, 18, 20).

dd) Atypische Fälle im Zusammenhang mit § 93 Abs. 1 Satz 3 [X.] hat die bisherige [X.]FH-Rechtsprechung vereinzelt angenommen.

Ausnahmen vom sog. Subsidiaritätsprinzip hat die bisherige [X.]FH-Rechtsprechung dann angenommen, wenn

-       

der [X.]eteiligte unbekannt ist (z.[X.]. [X.]FH-Urteil in [X.]FHE 215, 12, [X.] 2007, 227) oder

-       

der [X.]eteiligte nicht mitwirkt (z.[X.]. [X.]FH-Urteil in [X.]FHE 156, 88, [X.] 1989, 537).

Kein solch atypischer Fall lag dem Streitfall zugrunde. Weder war die Identität des [X.]eteiligten ([X.]) unbekannt noch hat der [X.]eteiligte (Kläger) die Mitwirkung verweigert.

ee) Der Senat vermag im Streitfall auch keinen weiteren atypischen Fall zu erkennen.

Es liegt im Interesse des [X.], dass Dritte jedenfalls zunächst nichts über eine laufende [X.]etriebsprüfung und --aus Sicht der Prüfer-- möglicherweise nicht erklärte Provisionserlöse erfahren. Er hat ein Anrecht darauf, dass seine Reputation nicht beschädigt wird und seine Geschäftspartner nicht den Eindruck bekommen, er vernachlässige seine steuerlichen Pflichten. Dies ist Ausdruck seines Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung. Zudem entspricht es den Interessen der [X.], nur in Ausnahmefällen in fremde [X.]esteuerungsverfahren einbezogen zu werden.

Etwas anderes könnte nur gelten, wenn von vornherein feststeht, dass der [X.]eteiligte entweder nicht mitwirken wird oder --was vorliegend allein relevant erscheint-- die Erfolglosigkeit seiner Mitwirkung offenkundig ist. Auf letztes kann eine Finanzbehörde aufgrund des bisherigen Verhaltens des [X.]eteiligten bei konkreten nachweisbaren Fakten im Rahmen einer vorweggenommenen [X.]eweiswürdigung schließen. Nicht ausreichend ist es, eine solche [X.]eweiswürdigung schon dann als vertretbar zu werten, wenn sie (nur) nicht willkürlich erfolgte (so aber [X.] in Tipke/[X.], a.a.[X.], § 93 [X.] Rz 20).

Ermächtigt eine Norm wie § 93 Abs. [X.] zu Eingriffen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, so muss dieser --auch im engeren [X.] verhältnismäßig sein. Dies bedeutet, die Schwere des Eingriffs darf bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe stehen (vgl. nur [X.]VerfG-[X.]eschluss vom 29. September 2013  2 [X.]vR 939/13, [X.], 16, unter [X.], m.w.N., ständige Rechtsprechung). Dabei muss beachtet werden, welche Möglichkeiten der Grundrechtsträger hat, eine eventuelle Grundrechtsbeeinträchtigung oder jedenfalls weitere Folgen des Eingriffs abwehren zu können. Wird eine Maßnahme heimlich durchgeführt, so ist es dem [X.]etroffenen faktisch verwehrt, sich gegen sie im Voraus zur Wehr zu setzen (so schon [X.]VerfG-[X.]eschluss vom 13. Juni 2007  1 [X.]vR 1550/03, 1 [X.]vR 2357/04, 1 [X.]vR 603/05, [X.]VerfGE 118, 168, unter [X.] (1)).

Folglich muss die Finanzbehörde es im Rahmen der vorweggenommenen [X.]eweiswürdigung aufgrund konkreter Tatsachen als zwingend ansehen, dass die Mitwirkung des [X.]eteiligten erfolglos bleiben wird.

Im Streitfall konnte die Finanzbehörde im Rahmen der vorweggenommenen [X.]eweiswürdigung nicht aufgrund konkreter Tatsachen davon ausgehen, dass die Mitwirkung des [X.] erfolglos bleiben wird.

3. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

X R 4/14

29.07.2015

Bundesfinanzhof 10. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 13. März 2013, Az: 3 K 34/09, Urteil

Art 2 Abs 1 GG, § 93 Abs 1 S 1 AO, § 93 Abs 1 S 3 AO, § 208 Abs 1 S 1 Nr 2 AO, § 208 Abs 1 S 1 Nr 3 AO, § 208 Abs 1 S 3 AO, § 100 Abs 1 S 4 FGO, § 102 S 1 FGO, § 118 S 1 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 29.07.2015, Az. X R 4/14 (REWIS RS 2015, 7352)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 7352

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

II R 17/14 (Bundesfinanzhof)

(Sammelauskunftsersuchen an ein Presseunternehmen - Grundrechtsschutz nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG - …


X R 37/18 (Bundesfinanzhof)

Auskunftsersuchen an Dritte ohne vorherige Sachverhaltsaufklärung beim Steuerpflichtigen


II R 15/12 (Bundesfinanzhof)

Sammelauskunftsersuchen der Steuerfahndung zu Daten der Nutzer einer Internethandelsplattform


VIII R 5/10 (Bundesfinanzhof)

(Verwertungsverbot - Rehabilitationsinteresse des Steuerpflichtigen - Verhältnismäßigkeit eines von der Steuerfahndung gestellten Auskunftsersuchens - Feststellungsinteresse …


I R 75/10 (Bundesfinanzhof)

(Entschädigungsanspruch einer Bank nach § 107 Satz 1 AO - Vorrang des Auskunftsersuchens gegenüber Vorlageverlangen …


Referenzen
Wird zitiert von

9 B 32/18

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Literatur & Presse BETA

Diese Funktion steht nur angemeldeten Nutzern zur Verfügung.

Anmelden
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.