Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.10.2015, Az. V ZR 146/14

V. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 3533

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZR
146/14

vom

22. Oktober 2015

in dem Rechtsstreit

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Der V. Zivilsenat des [X.] hat am 22. Oktober 2015 durch die Vorsitzende Richterin Dr.
Stresemann, die Richterinnen Prof.
Dr.
Schmidt-Räntsch und Dr.
Brückner, [X.]
Göbel und die Richterin Haberkamp

beschlossen:
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 10. Zivilsenats des [X.] vom 30. Mai 2014 wird zurückgewiesen.
Die Beklagten tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens ein-schließlich der Kosten der Streithilfe zur Hälfte.
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] wird das Ur-teil des 10. Zivilsenats des [X.] vom 30. Mai 2014 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über
die restlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens
ein-schließlich der restlichen Kosten der Streithilfe, an das [X.] zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf insgesamt 69.166,07

des [X.] 69.166,07

e-klagten 69.166,07

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Gründe:
I.
Der Kläger ist Eigentümer einer Kreisstraße sowie einer der Abstützung dieser Straße dienenden [X.]. Die Mauer befindet sich ober-halb des
im Eigentum der Beklagten stehenden Grundstücks. Die Beklagten beauftragten die Streithelferin des [X.] mit der Errichtung
eines neuen
Wohnhauses
in Fertigbauweise mit [X.]. Zur Herstellung des Kellers mussten in dem steil ansteigenden Grundstück der Beklagten Abgra-bungen vorgenommen werden. Während dieser Arbeiten stürzte am 16. No-vember 2009 ein großer Teil der [X.] ein. Mit der Klage nimmt der Kläger die Beklagten auf Zahlung eines Betrages von 69.166,07

Anspruch. Das [X.] hat die Beklagten antragsgemäß verurteilt. Auf ihre
Berufung hat das [X.] den [X.] dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und den Rechtsstreit wegen der Höhe des Anspruchs an das [X.] zurückverwiesen; die Revision hat es nicht zugelassen. Hier-gegen wenden sich beide Parteien mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde.
II.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist der Anspruch des [X.] wegen Beschädigung der Stützmauer dem Grunde nach gegeben. Es lägen
die Voraussetzungen eines verschuldensunabhängigen nachbarrechtlichen [X.] in entsprechender Anwendung des §
906 Abs.
2 Satz 2 BGB vor. Auf Veranlassung der Beklagten sei beim Bau des
Hauses eine Vertiefung ihres Grundstückes im Sinne des §
909 BGB vorgenommen worden. Der Kläger habe keine Möglichkeit gehabt, den Schaden zu verhindern. Zur Höhe sei die Sache noch nicht entscheidungsreif. Die Beklagten hätten die von dem
Kläger 1
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in Ansatz gebrachten Positionen substantiiert bestritten. Der Rechtsstreit sei entsprechend dem Hilfsantrag der Beklagten insoweit an das [X.] zu-rückzuverweisen. Das erstinstanzliche Verfahren leide an einem wesentlichen Mangel, da
das [X.] das Bestreiten der Beklagten zur Höhe übergangen habe. Insoweit seien
weiterer Vortrag beider Parteien sowie eine aufwendige Beweisaufnahme erforderlich.

III.

Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils nach §
544 Abs. 7 ZPO, weil das Berufungsgericht den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör (Art.
103 Abs.
1 GG) in entschei-dungserheblicher Weise verletzt hat.

1. Art.
103 Abs.
1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen
und An-träge der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu zie-hen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidungen frei von Verfahrensfehlern ergehen, welche ihren
Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des [X.] der Parteien haben. Das Gericht muss sich zwar nicht mit jedem Vorbrin-gen der Prozessbeteiligten in den Entscheidungsgründen ausdrücklich befassen. Ein Verstoß gegen Art.
103 Abs.
1 GG liegt aber vor, wenn im Einzelfall beson-dere Umstände deutlich machen, dass das Vorbringen der Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist ([X.], Beschluss vom 3.
Dezember 2013
-
XI
ZR 311/11, NJW-RR
2014, 381 Rn.
9 mwN).

2. Nach diesen Maßstäben ist Art.
103 Abs.
1 GG verletzt.
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5
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a) aa) Das Berufungsgericht begründet das Vorliegen eines wesentlichen Mangel des Verfahrens des [X.]s (§
538 Abs.
2 Nr.
1 ZPO)
mit der Erwä-gung, das [X.] habe das Bestreiten der Beklagten zur Höhe des klägeri-schen Anspruchs übergangen. Worauf
das Berufungsgericht diese Feststellung stützt, wird nicht näher erläutert. Eine Auseinandersetzung mit den [X.] in dem Tatbestand des Urteils des [X.]s, die gemäß § 314 ZPO [X.] für das mündliche
Parteivorbringen liefern, fehlt. Das [X.] hat es aber als unstreitig dargestellt, dass dem Kläger ein Schaden in Höhe von 69.166,07

ergänzend auf die Klageschrift Bezug genommen. Einen Antrag auf Berichtigung des Tatbestandes (§ 320 ZPO) haben die Beklagten nicht gestellt. Dass das [X.] gleichwohl ohne weitere Begründung von einem Bestreiten der Beklagten ausgegangen ist, lässt nur den Rückschluss zu, dass es den Tatbe-stand des erstinstanzlichen Urteils und damit auch das Vorbringen der Parteien in der ersten Instanz entweder nicht zur Kenntnis genommen oder aber bei der Entscheidung nicht erwogen hat.
bb) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der [X.] in Bezug genommenen Rechtsprechung des [X.], dass einem Tatbestand keine Beweiswirkung zukommt, wenn er in sich wider-sprüchlich ist. [X.] ist hierfür nämlich ein Widerspruch zwischen den tatbestandlichen Feststellungen und einem konkret in Bezug genommenen schriftsätzlichen Vorbringen einer Partei ([X.], Urteil vom 12. Mai 2015
-
VI ZR 102/14, [X.], 1165 Rn. 48 mwN), an dem es hier fehlt. Der wei-tere Hinweis der Beklagten, nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 20. März 2004 -
V [X.], [X.]Z 158, 269, 280 ff.) hindere § 314 ZPO das Gericht nicht, den gesamten Streitstoff in den Grenzen der §§ 529 bis 531 ZPO zu berücksichtigen, ist unzutreffend. Richtig ist, dass einem Tatbestand keine 6
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negative Beweiskraft zukommt, so dass ein Parteivorbringen, das sich aus den vorbereitenden Schriftsätzen ergibt, nicht allein deshalb in dem Rechtsmittelver-fahren unberücksichtigt bleiben kann, weil es in dem Tatbestand des erstin-stanzlichen Urteils keine Erwähnung gefunden hat. Vorliegend geht es jedoch um die positive Beweiskraft des Tatbestands, die das Berufungsgericht zu be-achten hat.
b) Unabhängig davon hat sich das Berufungsgericht auch nicht mit den Ausführungen des [X.] in der Berufungserwiderung vom 16.
Dezember 2013 und in dem nachgelassenen Schriftsatz vom 25.
April 2014 auseinandergesetzt. In diesen Schriftsätzen hat der Kläger darauf hingewiesen, dass nach der eige-nen Darstellung der Beklagten das Bestreiten bezüglich der Höhe der Klagefor-derung erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung in einem Schriftsatz vom 24.
Mai 2013 erfolgt sei. Seitens des [X.]s habe keine Veranlassung [X.], dieses verspätete Bestreiten zu berücksichtigen. Auch dieses Vorbrin-gen hätte dem Berufungsgericht im Hinblick auf die Vorschrift des § 296a ZPO Veranlassung geben müssen seine Auffassung, das [X.] habe das [X.] der Beklagten zur Höhe übergangen,
zu überprüfen. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung können Angriffs-
und Verteidigungsmittel nicht mehr vorgebracht werden. Das Fehlen jeglicher Auseinandersetzung mit dem
Vorbrin-gen des [X.] verletzt ebenfalls Art. 103 Abs. 1 GG.
c) Das Berufungsurteil beruht auch auf dieser Verletzung. Hiervon ist schon dann auszugehen, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschie-den hätte ([X.], Beschluss vom 3.
Dezember 2013 -
XI
ZR 311/11, NJW-RR 2014, 381 Rn.
11 mwN). Dies ist hier der Fall. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht das Vorliegen der Voraussetzungen
des §
538 Abs.
2 Nr.
1 ZPO verneint hätte, wenn es die Feststellungen in dem Tatbestand des 8
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landgerichtlichen Urteils sowie die Hinweise des [X.] auf ein Bestreiten der Schadenshöhe erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Land-gericht in seine Überlegungen miteinbezogen hätte. Haben
die Beklagten die Höhe des von dem Kläger geltend gemachten Anspruchs erstmalig im [X.] bestritten, stellte
sich die Frage, ob sie
mit diesem Vorbringen gemäß §
531 Abs.
2 ZPO zuzulassen sind. Bei Verneinung hätte das [X.] nicht nur von der Zurückverweisung an das [X.], sondern möglicherweise auch von dem Erlass eines Grundurteils abgesehen. Deshalb ist das Urteil des Berufungsgerichts insgesamt aufzuheben.
3. In der erneuten Verhandlung wird das Berufungsgericht zu [X.] haben, dass aufgrund eines Entschädigungsanspruchs gemäß § 906 Abs.
2 Satz 2 BGB analog nicht Schadensersatz, sondern lediglich ein nach den Grundsätzen der Enteignungsentschädigung zu bestimmender Ausgleich verlangt werden kann,
wonach nur der unzumutbare Teil der Beeinträchtigung auszugleichen ist (Senat, Urteile
vom 23.
Februar 2001 -
V
ZR 389/99, [X.]Z 147, 45, 53 und vom
25. Oktober 2013 -
V [X.], [X.]Z 198, 327 Rn. 24 mwN).

IV.
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten ist dagegen zurückzu-weisen, weil insoweit die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts sowie die Sicherung einer einheitlichen Rechtspre-chung eine Entscheidung des [X.] nicht erfordern (§
543 Abs.
2 Satz
1 ZPO). Von einer näheren Begründung wird gemäß §
544 Abs.
4 Satz
2 Halbs.
2 ZPO abgesehen.
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V.
Weil die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten erfolglos geblieben ist, haben sie die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der Kosten der Streithilfe gemäß § 97 Abs. 1, § 101 Abs. 1 ZPO zur Hälfte zu tragen. Im übrigen hängt die Verteilung
der Kosten des Beschwerdeverfahrens davon ab, ob und (wenn ja) in welchem Umfang der Kläger nach der Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht in der Sache obsiegen wird.
Die nach der Rechtsprechung des Senats bei einem teilweisen Erfolg einer Nichtzulassungsbeschwerde erforderliche Unterscheidung zwischen Gerichtskos-ten und außergerichtlichen Kosten (Senat, Urteil vom 17. Dezember 2003
-
V ZR 343/02, NJW 2004, 1048) ist nicht erforderlich. Zwar ist
eine solche Unter-scheidung grundsätzlich auch bei wechselseitig eingelegten Beschwerden ange-zeigt, von denen nur eine Erfolg hat.
Hier besteht jedoch die Besonderheit, dass sich der Streitwert durch die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten nicht er-höht hat (vgl. zu einer
solchen Fallkonstellation auch [X.], Urteil vom 9.
November 2011 -
IV ZR 239/09, [X.], 720 Rn. 24).
Beide Rechtsmittel betreffen denselben Gegenstand
i.[X.]. § 45 Abs. 2 i.V.m. §
45 Abs. 1 Satz 3
GKG.

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Deshalb ist es auch nicht gerechtfertigt, den Beklagten unabhängig von dem weiteren Ausgang des Rechtsstreits die gesamten
Gerichtskosten des Be-schwerdeverfahrens aufzuerlegen.

Stresemann

Rin[X.] Prof.
Dr. Schmidt-Räntsch

Brückner

ist infolge einer Dienstreise an der Unterschrift gehindert.

[X.], den 6. November 2015

Die Vorsitzende

Stresemann

Göbel

Haberkamp

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 29.05.2013 -
5
O 287/12 -

OLG [X.], Entscheidung vom 30.05.2014 -
10 U 834/13 -

Meta

V ZR 146/14

22.10.2015

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.10.2015, Az. V ZR 146/14 (REWIS RS 2015, 3533)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 3533

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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VI ZR 102/14

V ZR 230/12

IV ZR 239/09

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