Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.09.2018, Az. V ZB 231/17

5. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 3844

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Gegenstand

Abschiebungshaftsache: Erfordernis des Einvernehmens der Staatsanwaltschaft auch bei vorläufig eingestelltem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren


Leitsatz

Auch bei einem nach § 154f StPO eingestellten Verfahren bedarf es des Einvernehmens der Staatsanwaltschaft nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des [X.] vom 12. Oktober 2017 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Gründe

I.

1

Der Betroffene ist [X.] Staatsangehöriger. Er reiste Anfang 2016 nach [X.] ein und stellte unter einem Aliasnamen einen Asylantrag. Dieser wurde als offensichtlich unbegründet abgelehnt und die Abschiebung angedroht. Ende 2017 wurde der Betroffene in [X.] aufgegriffen und nach [X.] überstellt. Mit Beschluss vom 17. Mai 2017 hat das Amtsgericht Haft bis zum 31. Juli 2017 zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen angeordnet. Die nach seiner Abschiebung nach [X.] am 10. August 2017 auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung gerichtete Beschwerde hat das [X.] zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene seinen Feststellungsantrag weiter.

II.

2

Nach Ansicht des Beschwerdegerichts ist die Haftanordnung rechtmäßig. Es liege der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 i.V.m. § 2 Abs. 14 Nr. 5 [X.] vor.

III.

3

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Der Haftrichter und das Beschwerdegericht haben nicht aufgeklärt (§ 26 FamFG), ob § 72 Abs. 4 [X.] der Abschiebung des Betroffenen entgegenstand.

4

1. Ein Ausländer, gegen den öffentliche Klage erhoben oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, darf nach § 72 Abs. 4 Satz 1 [X.] - von den Ausnahmen gemäß § 72 Abs. 4 Satz 3 bis 5 [X.] abgesehen - nur im Einvernehmen mit der zuständigen Staatsanwaltschaft abgeschoben werden. Fehlt das Einvernehmen, scheidet die Anordnung der Haft zur Sicherung der Abschiebung eines Ausländers aus ([X.], Beschluss vom 27. September 2017 - [X.], juris Rn. 4 mwN).

5

2. Ob § 72 Abs. 4 Satz 1 [X.] einer Abschiebung des Betroffenen entgegenstand, haben der Haftrichter und das Beschwerdegericht nur unzureichend geprüft. Die Haftanordnung verhält sich zur Frage des Einvernehmens der Staatsanwaltschaft oder dessen Entbehrlichkeit nicht. Das Beschwerdegericht führt lediglich aus, es sei weder dargetan noch ersichtlich, dass die Voraussetzungen für die Notwendigkeit des Einvernehmens der Staatsanwaltschaft vorliegen. Ob es sich tatsächlich so verhielt, hätten der Haftrichter und das Beschwerdegericht anhand der über den Betroffenen geführten Ausländerakte prüfen müssen (vgl. [X.], Beschluss vom 12. Oktober 2016 - [X.], juris Rn. 15). Die Prüfung hätte ergeben, dass sich - worauf die Rechtsbeschwerde zu Recht hinweist - in der Ausländerakte ein Schreiben der Staatsanwaltschaft [X.] vom 24. April 2017 befindet, in dem diese mitteilt, dass sie ein gegen den Betroffenen wegen Diebstahls geführtes Ermittlungsverfahren nach § 154f [X.] eingestellt habe. Auch ein nach dieser Vorschrift eingestelltes Verfahren ist von dem Zustimmungserfordernis nach § 72 Abs. 4 [X.] erfasst. Bei der Einstellung nach § 154f [X.] handelt es sich um eine nur vorläufige Einstellung des Verfahrens vor Erhebung der öffentlichen Klage wegen längerer Abwesenheit des Beschuldigten oder eines anderen in seiner Person liegenden Hindernisses. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sind lediglich unterbrochen und werden bei Wegfall des Hindernisses fortgesetzt (vgl. [X.], [X.], 7. Aufl., § 154f Rn. 1). Angesichts des nur vorläufigen Charakters bedarf es daher auch bei einem nach § 154f [X.] eingestellten Verfahren für eine Abschiebung des Betroffenen des Einvernehmens der Staatsanwaltschaft (vgl. NK-AuslR/[X.], [X.], 2. Aufl., § 72 Rn. 34), es sei denn, es liegt eine Ausnahme gemäß § 72 Abs. 4 Satz 3 bis 5 [X.] vor.

IV.

6

Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben (§ 74 Abs. 5 FamFG). Der [X.] kann nicht in der Sache selbst entscheiden, da weitere Sachverhaltsermittlungen erforderlich sind. Die Sache ist daher an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG). Dieses wird aufzuklären haben, ob das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft mit der Abschiebung des Betroffenen vorlag oder ob es ausnahmsweise gemäß § 72 Abs. 4 Satz 3 bis 5 [X.] entbehrlich war. Dabei ist zu beachten, dass eine „begleitende“ Straftat im Sinne von § 72 Abs. 4 Sätze 4 und 5 [X.] nur vorliegt, wenn zwischen der Straftat mit geringem Unrechtsgehalt und einer Straftat nach § 95 [X.] oder § 9 [X.]/[X.] ein inhaltlicher Zusammenhang besteht (vgl. hierzu [X.], Beschluss vom 19. Juli 2018 - [X.], zur [X.] vorgesehen). Die gebotene Gewährung des rechtlichen Gehörs zu den von dem Beschwerdegericht zu treffenden Feststellungen kann dadurch erfolgen, dass dem Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt wird (vgl. [X.] Beschluss vom 27. September 2017 - [X.], juris Rn. 9).

[X.]     

      

Weinland     

      

Kazele

      

Göbel     

      

Hamdorf     

      

Meta

V ZB 231/17

13.09.2018

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Kleve, 12. Oktober 2017, Az: 4 T 129/17

§ 72 Abs 4 S 1 AufenthG, § 154f StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.09.2018, Az. V ZB 231/17 (REWIS RS 2018, 3844)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 3844

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Referenzen
Wird zitiert von

XIII ZB 31/20

Zitiert

V ZB 179/15

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