Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 20.12.2016, Az. 4 B 49/16

4. Senat | REWIS RS 2016, 393

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Gegenstand

Psychotherapeutische Einrichtung für Minderjährige in reinem Wohngebiet


Leitsatz

Die Nutzung eines Wohngebäudes in einem reinen Wohngebiet gemäß § 3 BauNVO 1968 zur Unterbringung und psychotherapeutischen Betreuung von Minderjährigen ist bauplanungsrechtlich unzulässig (im Anschluss an BVerwG, Beschluss vom 25. März 1996 - 4 B 302.95 - Buchholz 406.12 § 3 BauNVO Nr. 12).

Gründe

I

1

Die Kläger und der [X.]eigeladene sind [X.]. [X.]eide Grundstücke liegen in einem reinen Wohngebiet im Sinne des § 3 [X.] 1968. Die Kläger nehmen den [X.]eklagten auf Untersagung der gegenwärtigen Nutzung des Wohngebäudes durch den [X.]eigeladenen in Anspruch. Der [X.]eigeladene, eine Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe, hat in dem Gebäude eine psychotherapeutische Wohngruppe mit dem Schwerpunkt Traumapädagogik untergebracht. Ausgelegt ist die Gruppe auf sieben minderjährige Mädchen im Alter zwischen sechs und 13 Jahren, die durch Fachkräfte mit dem Ziel entweder der Reintegration in ihre Familien oder, wenn diese ausgeschlossen erscheint, der mittelfristigen Überleitung in eine geeignete Hilfeform betreut werden.

2

Das Oberverwaltungsgericht hat den [X.]eklagten verpflichtet, den Antrag der Kläger auf Nutzungsuntersagung erneut zu bescheiden. Der [X.]eigeladene nutze das Wohngebäude als [X.] Einrichtung. Das sei in einem reinen Wohngebiet im Sinne des § 3 [X.] 1968 unzulässig. Der Aufenthalt der sieben minderjährigen Mädchen könne (entgegen der Ansicht der [X.]eklagten, des [X.]eigeladenen und des [X.]) nicht als Wohnen angesehen werden. Es sei schon zweifelhaft, ob sich die Mädchen - wie erforderlich - freiwillig und auf Dauer in der Wohngruppe aufhielten. In jedem Fall fehle es an der notwendigen Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises. Die sieben Kinder könnten das für sich allein, d.h. selbständig nicht bewirken. Die Einstufung als Wohnen erfordere daher, dass die Personen, die ihnen dies ermöglichten, dort auch im Rechtssinne wohnten und mit ihnen zusammen den/einen Haushalt führten. Das täte indes keiner der zehn im Schichtdienst tätigen Mitarbeiter des [X.]eigeladenen. Ein Wohn-/Schlafraum für sie sei nicht vorhanden. Vorgesehen seien nur ein Dienstzimmer und ein separates [X.]ad.

3

Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richten sich die [X.]eschwerden des [X.]eklagten und des [X.]eigeladenen.

II

4

Die [X.]eschwerden haben keinen Erfolg.

5

1. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche [X.]edeutung, die ihr die [X.]eschwerdeführer beimessen.

6

a) Der [X.]eklagte möchte grundsätzlich klären lassen, ob das Kriterium der Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises bei Kindern dahingehend einschränkend zu konkretisieren ist, dass die [X.]etreuungspersonen, die ihnen die Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises ermöglichen, dort auch im Rechtssinne wohnen müssen. In dieselbe Richtung zielt die Frage des [X.]eigeladenen, ob die Einstufung als Wohnen zwingend, ausnahmslos und ohne Einschränkung erfordert, dass die Personen, die anderen Personen ein Wohnen ermöglichen, ihren Lebensmittelpunkt ebenfalls in den Räumlichkeiten haben müssen.

7

Auf die Fragen lässt sich antworten, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf. Nach der Rechtsprechung des [X.]s ist der [X.]egriff des Wohnens im Sinne von § 3 Abs. 1 [X.] 1968 durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie Freiwilligkeit des Aufenthalts gekennzeichnet ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 25. März 1996 - 4 [X.] 302.95 - [X.] 406.12 § 3 [X.] Nr. 12 S. 3). Diese Kriterien müssen diejenigen erfüllen, denen die Unterkunft als Heimstätte dient (vgl. [X.], [X.] 1989, 519 <525>). Davon ist der [X.] schon in seinem [X.]eschluss vom 25. März 1996 - 4 [X.] 302.95 - ([X.] 406.12 § 3 [X.] Nr. 12 S. 3) ausgegangen.

8

Nach der tatrichterlichen Würdigung durch das Oberverwaltungsgericht, an die der [X.] nach § 137 Abs. 2 VwGO gebunden ist, können die sieben minderjährigen Mädchen, aus denen sich die Wohngruppe im Gebäude des [X.]eigeladenen zusammensetzt, die Haushaltsführung und den häuslichen Wirkungskreis nicht selbständig gestalten ([X.]. Gedeckt wird der [X.]efund durch die Feststellungen der Vorinstanz, dass zwischen 7:30 Uhr und 14:00 Uhr die Hauswirtschafterin und außerhalb der Schulstunden stets eine [X.]etreuungskraft (Erzieherin/Psychologin) anwesend sind ([X.] f.) und sich die Mädchen nicht selbst verpflegen ([X.] 11).

9

§ 3 Abs. 4 [X.] 1990, wonach zum reinen Wohngebiet auch Wohngebäude gehören, die ganz oder teilweise der [X.]etreuung und Pflege ihrer [X.]ewohner dienen, verändert den Inhalt eines unter der Geltung der [X.] 1968 zustande gekommenen [X.]ebauungsplans nicht. Die Vorschrift des § 3 Abs. 4 [X.] 1990 kann nur als Auslegungshilfe für den [X.]egriff des Wohngebäudes im Sinne von § 3 [X.] 1968 [X.]edeutung erlangen, wobei entscheidend darauf abzustellen ist, wie die Festsetzung eines reinen Wohngebiets damals von der [X.] verstanden wurde und auch wegen einer insoweit übereinstimmenden allgemeinen Rechtsauffassung verstanden werden musste ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 25. März 1996 - 4 [X.] 302.95 - [X.] 406.12 § 3 [X.] Nr. 12 S. 3). Mehr ist verallgemeinernd nicht zu sagen.

b) Die weitere Frage, die von [X.]eklagtem und [X.]eigeladenem gleichermaßen aufgeworfen wird, ob das Kriterium der Dauerhaftigkeit ausschließlich anhand im Vorfeld bestimmbarer fester Zeiträume zu bestimmen ist, hat der [X.] bereits verneinend beantwortet. Das Kriterium der Dauerhaftigkeit kann durchaus flexibel zu handhaben sein ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 25. März 1996 - 4 [X.] 302.95 - [X.] 406.12 § 3 [X.] Nr. 12 S. 3). Im Übrigen wäre die Frage in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsfähig, weil sie für die Vorinstanz nicht entscheidungserheblich war. Das Oberverwaltungsgericht hat zwar angezweifelt, ob sich die Mädchen auf Dauer im Gebäude des [X.]eigeladenen aufhalten ([X.], und eine Tendenz erkennen lassen ("...spricht für eine nur vorübergehende Unterbringung..., nicht jedoch für einen Aufenthalt auf 'Dauer'") ([X.] 10). Festgelegt hat es sich jedoch nicht, sondern entscheidungstragend auf das Fehlen der notwendigen Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises abgestellt ([X.].

2. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Der [X.]eigeladene legt nicht dar, dass das Oberverwaltungsgericht von dem [X.]eschluss des [X.]s vom 25. März 1996 - 4 [X.] 302.95 - ([X.] 406.12 § 3 [X.] Nr. 12 S. 3) abgewichen ist.

§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt, dass der Tatbestand der Divergenz nicht nur durch die Angabe der höchstrichterlichen Entscheidung, von der abgewichen sein soll, sondern auch durch Gegenüberstellung der miteinander unvereinbaren Rechtssätze dargelegt wird. Hieran lässt es die [X.]eschwerde des [X.]eigeladenen fehlen. Sie arbeitet keinen Rechtssatz aus der vorinstanzlichen Entscheidung heraus, mit dem das Oberverwaltungsgericht dem Rechtssatz des [X.]s, der [X.]egriff des Wohnens im Sinne von § 3 Abs. 1 [X.] 1968 sei durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie Freiwilligkeit des Aufenthalts gekennzeichnet, widersprochen hat. Tatsächlich liegt auch keine Abweichung vor. Das Oberverwaltungsgericht hat den Rechtssatz des [X.]s übernommen und den Sachverhalt darunter subsumiert ([X.] 7 f.). Sollte ihm bei der Subsumtion ein Fehler unterlaufen sein oder es aus dem Rechtssatz nicht die rechtlichen Folgerungen gezogen haben, die etwa für die Sachverhalts- und [X.]eweiswürdigung geboten sind, läge darin keine Divergenz (stRspr; vgl. nur [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 19. August 1997 - 7 [X.] 261.97 - NJW 1997, 3328).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und 3, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO und die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Meta

4 B 49/16

20.12.2016

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend OVG Lüneburg, 9. August 2016, Az: 1 LB 194/15, Urteil

§ 3 Abs 1 BauNVO 1968, § 3 Abs 4 BauNVO 1990

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 20.12.2016, Az. 4 B 49/16 (REWIS RS 2016, 393)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 393

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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