Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.02.2018, Az. XII ZB 465/17

12. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 14028

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Betreuungsache: Anhörung des Betroffenen ohne Teilnahme des Verfahrenspflegers; Wiederholung der Anhörung auf Verlangen des nachträglich bestellten Verfahrenspflegers


Leitsatz

1. Eine Anhörung des Betroffenen im Betreuungsverfahren, die stattgefunden hat, ohne dass der Verfahrenspfleger Gelegenheit hatte, an ihr teilzunehmen, ist verfahrensfehlerhaft (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 21. Juni 2017, XII ZB 45/17, FamRZ 2017, 1610).

2. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn das Gericht - wie es in den Entscheidungsgründen nachvollziehbar darzulegen hat - vor der Anhörung des Betroffenen die Erforderlichkeit der Bestellung eines Verfahrenspflegers nicht erkennen konnte und aus diesem Grunde daran gehindert war, den Verfahrenspfleger schon vor der abschließenden Anhörung des Betroffenen zu bestellen; in diesen Fällen muss die Anhörung des Betroffenen wiederholt werden, wenn der nachträglich bestellte Verfahrenspfleger dies verlangt.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des [X.] vom 17. August 2017 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

I.

1

Das Amtsgericht hat für den 1990 geborenen Betroffenen nach Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens durch den gerichtsärztlichen Dienst und nach persönlicher Anhörung eine rechtliche Betreuung eingerichtet. Es hat die Beteiligte zu 1 zur [X.] mit den [X.]n Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung und Entscheidung über Unterbringung und freiheitsentziehende Maßnahmen bestellt. Gegen diese Entscheidung hat der Betroffene Rechtsmittel eingelegt. Die Beschwerdekammer des [X.] hat den Betroffenen durch den Berichterstatter am 21. Juli 2017 erneut angehört und die Beteiligte zu 3 durch Beschluss vom 25. Juli 2017 zur Verfahrenspflegerin für den Betroffenen bestellt. Die Verfahrenspflegerin hat nach einer persönlichen Besprechung mit dem Betroffenen durch Schriftsatz vom 9. August 2017 zur Einrichtung einer Betreuung umfassend Stellung genommen. Durch Beschluss vom 17. August 2017 hat das Beschwerdegericht die "sofortige Beschwerde" (richtig: Beschwerde) des Betroffenen zurückgewiesen.

2

Mit seiner Rechtsbeschwerde wendet sich der Betroffene weiterhin gegen die Anordnung der Betreuung.

II.

3

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

4

1. Das Beschwerdegericht hat unter Bezugnahme auf das Sachverständigengutachten ausgeführt, dass der Betroffene an Schizophrenie leide. Mangels Krankheitseinsicht müsse sichergestellt werden, dass der Betroffene seine Medikation zumindest bei Bedarf weiter einnehme, was insbesondere in ausgeprägten schizophrenen Phasen nur innerhalb des beschützenden Rahmens einer Einrichtung möglich sei. Sollten die [X.] der Gesundheitssorge, der Entscheidung über Unterbringung und unterbringungsähnliche Maßnahmen sowie der Aufenthaltsbestimmung nicht auf einen Betreuer übertragen werden, sei davon auszugehen, dass der Betroffene seine Medikation dauerhaft vernachlässige und die Schizophrenie in relativ kurzer Zeit hoch akut werde. Andere Hilfsmöglichkeiten, die eine Betreuung entbehrlich machen könnten, seien nicht ersichtlich.

5

2. Die Entscheidung hält den Verfahrensrügen der Rechtsbeschwerde nicht stand.

6

a) Mit Recht rügt die Rechtsbeschwerde, dass der Verfahrenspflegerin keine Gelegenheit zur Teilnahme an einer persönlichen Anhörung des Betroffenen gegeben worden ist.

7

aa) Die Bestellung eines [X.] in einer Betreuungssache gemäß § 276 Abs. 1 Satz 1 FamFG soll die Wahrung der Belange des Betroffenen in dem Verfahren gewährleisten. Er soll - wenn es im Hinblick auf die einzurichtende Betreuung erforderlich ist - nicht allein stehen, sondern fachkundig beraten und vertreten werden. Der Verfahrenspfleger ist daher vom Gericht im selben Umfang wie der Betroffene an den Verfahrenshandlungen zu beteiligen. Das Betreuungsgericht muss grundsätzlich durch die rechtzeitige Bestellung eines [X.] und dessen Benachrichtigung vom Anhörungstermin sicherstellen, dass dieser an der Anhörung des Betroffenen teilnehmen kann. Außerdem steht dem Verfahrenspfleger ein eigenes Anhörungsrecht zu. Erfolgt die Anhörung dennoch ohne die Möglichkeit einer Beteiligung des [X.], ist sie verfahrensfehlerhaft und verletzt den Betroffenen in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG (Senatsbeschlüsse vom 21. Juni 2017 - [X.]/17 - FamRZ 2017, 1610 Rn. 11 mwN und vom 2. März 2011 - [X.] 346/10 - FamRZ 2011, 805 Rn. 19 zum Unterbringungsverfahren).

8

bb) Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn das Gericht vor der Anhörung des Betroffenen die Erforderlichkeit der Bestellung eines [X.] nicht erkennen konnte und aus diesem Grunde daran gehindert war, den Verfahrenspfleger schon vor der abschließenden Anhörung des Betroffenen zu bestellen. Davon ist dann auszugehen, wenn zunächst keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür bestanden, dass der Betroffene für die Wahrnehmung seiner Rechte die Hilfe eines [X.] benötigt (vgl. Senatsbeschluss vom 2. März 2011 - [X.] 346/10 - FamRZ 2011, 805 Rn. 19), und das Gericht erst im Rahmen der Anhörung aus dem persönlichen Eindruck von dem Betroffenen die Erkenntnis gewonnen hat, dass dieser seine Interessen nicht ausreichend vorzubringen vermag. In diesen Fällen ist die bereits durchgeführte Anhörung zwar nicht verfahrensordnungswidrig erfolgt. Wie in anderen Fällen der unfreiwilligen Abwesenheit eines [X.] beim Anhörungstermin (vgl. dazu BayObLG FamRZ 2002, 629; [X.]/[X.] Betreuungsrecht 5. Aufl. § 278 FamFG Rn. 22) muss die Anhörung des Betroffenen bei nachträglicher Bestellung eines [X.] aber dann wiederholt werden, wenn der Verfahrenspfleger dies verlangt.

9

Hat der nachträglich bestellte Verfahrenspfleger - wie hier - keine Wiederholung der Anhörung verlangt und will das Gericht von einer neuerlichen Anhörung des Betroffenen in Gegenwart des [X.] absehen, muss es allerdings grundsätzlich begründen, warum es vor der Anhörung des Betroffenen keine genügende Veranlassung zur Bestellung eines [X.] gesehen hat. Denn nur dann kann nachgeprüft werden, ob die Anhörung ohne vorherige Bestellung eines [X.] verfahrensordnungsgemäß gewesen ist. An solchen nachvollziehbaren Darlegungen fehlt es in der angefochtenen Entscheidung.

b) Zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde weiter, dass dem Betroffenen das Sachverständigengutachten des gerichtsärztlichen Dienstes nicht vollständig schriftlich bekannt gegeben worden ist.

Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Grundlage einer Entscheidung in der Hauptsache setzt gemäß § 37 Abs. 2 FamFG voraus, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Insoweit ist das Gutachten mit seinem vollen Wortlaut grundsätzlich auch dem Betroffenen persönlich im Hinblick auf dessen [X.] im Betreuungsverfahren (§ 275 FamFG) zur Verfügung zu stellen. Davon kann nur unter den Voraussetzungen des § 288 Abs. 1 FamFG abgesehen werden (vgl. Senatsbeschlüsse vom 16. September 2015 - [X.] 250/15 - FamRZ 2015, 2156 Rn. 15 und vom 29. Januar 2014 - [X.] 330/13 - FamRZ 2014, 649 Rn. 16 mwN).

Diesen Anforderungen wird das vorliegende Verfahren nicht gerecht. Aus der Gerichtsakte lässt sich nicht ersehen, dass der Inhalt des Sachverständigengutachtens dem Betroffenen in vollem Umfang bekannt gegeben worden ist. Das Gutachten enthält seinerseits keinen Hinweis darauf, dass der Betroffene durch dessen vollständige Bekanntgabe gesundheitliche Nachteile entsprechend § 288 Abs. 1 FamFG zu befürchten hätte. Wären dem Gutachten solche Hinweise zu entnehmen gewesen, hätte das Beschwerdegericht im Übrigen schon vor dem Anhörungstermin erkennen müssen, dass für den anwaltlich nicht vertretenen Betroffenen ein Verfahrenspfleger zu bestellen ist (vgl. dazu Senatsbeschlüsse vom 17. Mai 2017 - [X.] 18/17 - FamRZ 2017, 1323 Rn. 11 und vom 8. Juni 2011 - [X.] 43/11 - FamRZ 2011, 1289 Rn. 8 mwN). Dann wäre die ohne Beteiligung des (erst nachträglich bestellten) [X.] durchgeführte Anhörung verfahrensordnungswidrig erfolgt.

3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

Dose     

      

Schilling     

      

[X.]

      

Botur     

      

Krüger     

      

Meta

XII ZB 465/17

14.02.2018

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Bamberg, 17. August 2017, Az: 3 T 148/17

§ 276 FamFG, § 278 FamFG, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.02.2018, Az. XII ZB 465/17 (REWIS RS 2018, 14028)

Papier­fundstellen: MDR 2018, 954-955 REWIS RS 2018, 14028


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. XII ZB 465/17

Bundesgerichtshof, XII ZB 465/17, 14.02.2018.


Az. 3 T 148/17

LG Bamberg, 3 T 148/17, 17.08.2017.


Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

XII ZB 465/17 (Bundesgerichtshof)


XII ZB 57/19 (Bundesgerichtshof)

(Anhörung der Betroffenen in Abwesenheit des Verfahrenspflegers)


XII ZB 401/22 (Bundesgerichtshof)

Notwendigkeit der Anhörung im Betreuungsverfahren unter Teilnahme des Betreuers vor Verlängerung der Betreuung


XII ZB 166/21 (Bundesgerichtshof)

Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung: persönliche Anhörung des Betroffenen und Anwesenheit des Verfahrenspflegers


XII ZB 450/16 (Bundesgerichtshof)

Betreuungsverfahren: Sicherstellung der Teilnahme des Verfahrenspflegers am Anhörungstermin; Voraussetzungen für die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.