Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 20.12.2017, Az. 2 BvR 2312/17

2. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2017, 249

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Teilweise stattgebender Kammerbeschluss: Überhöhte fachgerichtliche Anforderungen an das Vorliegen eines Rechtsschutzinteresse iS einer Beschwer verletzen Rechtsschutzgarantie (Art 19 Abs 4 GG) - hier: Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde (§ 311 StPO) gegen Versagung einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung im Falle des Zusammentreffens von Freiheits- und beglichener Geldstrafe - fehlende fachgerichtliche Ermessensausübung bzgl der Gesamtstrafenbildung - Gegenstandswertfestsetzung


Tenor

Der Beschluss des [X.] vom 13. September 2017 - 3 Ws 565/17 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes.

Der Beschluss des [X.] wird aufgehoben. Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Das [X.] hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 10.000 Euro (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Verwerfung einer sofortigen Beschwerde gegen eine unterbliebene nachträgliche Gesamtstrafenbildung nach bereits erfolgter Zahlung einer Geldstrafe.

2

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des [X.] vom 24. November 2015 (22 [X.]) wegen eines zwischen Anfang 2005 und Ende 2007 begangenen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt, wobei vier Monate als Entschädigung für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung als vollstreckt gelten. Das Urteil wurde mit Verwerfung der Revision durch Beschluss des [X.] vom 11. Januar 2017 (1 [X.]) rechtskräftig. Der Beschwerdeführer verbüßt seine Freiheitsstrafe seit dem 7. August 2017.

3

Parallel zu der Betrugstat hatte der Beschwerdeführer Einkommensteuern hinterzogen, weshalb er durch den Strafbefehl des [X.] vom 18. März 2016 ([X.]. Nr. 138/101/10) mit einer Gesamtgeldstrafe von 445 Tagessätzen belegt wurde. Der Strafbefehl wurde mit Rücknahme des Einspruchs am 28. Juli 2016 rechtskräftig. Die Geldstrafe wurde am 13. Februar 2017 vollständig bezahlt.

4

Der Beschwerdeführer beantragte mit [X.] vom 1. März 2017, ihm einen Härteausgleich zu gewähren. Mit Rechtskraft des Strafbefehls des [X.] seien die Voraussetzungen für die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe eingetreten. Eine solche Gesamtstrafe sei auch beim Zusammentreffen einer Einzelfreiheitsstrafe mit Einzelgeldstrafe(n) die Regel, § 53 Abs. 2 Satz 1 StGB. Bei rechtzeitig vor Vollstreckung der Geldstrafe erfolgter Entscheidung hätten keine Gründe gegen die Bildung einer Gesamtstrafe gesprochen. Eine Gesamtfreiheitsstrafe sei auch nicht das schwerere Strafübel, weil die Bewährungsgrenze von zwei Jahren Freiheitsstrafe schon durch das Urteil des [X.] überschritten worden sei. Da eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung wegen der Bezahlung der Geldstrafe unmöglich geworden sei, sei ein Härteausgleich zu gewähren. Hierzu komme die Minderung einer zunächst fiktiv zu bildenden Freiheitsstrafe um die vollstreckte Geldstrafe in Betracht.

5

Die Staatsanwaltschaft [X.] beantragte unter dem 19. Juli 2017 zunächst die Bildung einer Gesamtstrafe von drei Jahren und zwei Monaten. Auf den Hinweis des [X.] vom 27. Juli 2017, es sei bei der Antragstellung übersehen worden, dass die Geldstrafe bezahlt worden und lediglich die Gewährung eines nachträglichen Härteausgleichs beantragt sei, nahm die Staatsanwaltschaft [X.] ihren Antrag zurück und beantragte, "die Geldstrafe neben der Freiheitsstrafe gesondert bestehen zu lassen". Raum für einen Härteausgleich werde nicht gesehen.

6

Mit Beschluss vom 3. August 2017 entschied das [X.] [X.], eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung mit der durch die Kammer verhängten Freiheitsstrafe könne nicht mehr erfolgen, weil die durch das [X.] verhängte Geldstrafe von 445 Tagessätzen zu je 15 Euro bereits vollständig bezahlt sei. Ein nachträglicher Härteausgleich sei nicht veranlasst. Die Staatsanwaltschaft [X.] habe beantragt, Geld- und Freiheitsstrafe gesondert bestehen zu lassen und sehe für einen nachträglichen Härteausgleich keinen Raum. Dem schließe sich die Kammer an, weil - anders als die Verteidigung meine - keine nachträglich auszugleichende Härte vorliege. Wären der Betrugsvorwurf im hiesigen Verfahren und die Steuerstraftaten im [X.] Verfahren gemeinsam verhandelt und mit denselben Einzelstrafen belegt worden, wäre eine höhere ([X.] verhängt worden als die von der Kammer ausgeurteilten zwei Jahre und sechs Monate. Bereits insoweit erweise sich die Tatsache, dass eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung nicht mehr erfolgen könne, für den Angeklagten nicht als Härte, sondern vielmehr als Vorteil. Weshalb die Bezahlung der Geldstrafe zu einer (auszugleichenden) Härte führen solle, erschließe sich nicht.

7

Mit [X.] vom 21. August 2017 legte der Beschwerdeführer sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des [X.] vom 3. August 2017 ein, die er mit [X.] vom 28. August 2017 begründete. Er wiederholte und vertiefte im Wesentlichen seine Argumentation aus der Antragsschrift vom 1. März 2017.

8

Das [X.] verwarf mit Beschluss vom 13. September 2017 die sofortige Beschwerde als unzulässig. Es führte aus, die Entscheidung des [X.] sei zwar insoweit unzutreffend, als die Bezahlung der Geldstrafe aus dem Strafbefehl des [X.] einer im Rahmen des § 460 [X.] vorzunehmenden Gesamtstrafenbildung nicht entgegengestanden habe. Danach hätte die Kammer - ohne dass es auf die Frage eines Härteausgleichs angekommen sei - entweder eine "fiktive" Gesamtstrafe unter Einbeziehung der bereits erledigten Einzelstrafe(n) bilden und von dieser die bereits vollstreckte Strafe entsprechend § 51 Abs. 2 StGB abziehen müssen oder - in nachholender unmittelbarer Anwendung der Normen der nachträglichen Gesamtstrafenbildung - eine Gesamtstrafe bilden müssen, auf die dann die vollstreckte Geldstrafe anzurechnen gewesen wäre. Dies habe das [X.] versäumt und im Ergebnis neben der Freiheitsstrafe die Geldstrafe bestehen lassen. Allerdings sei die Beschwerde unzulässig, da die getroffene Entscheidung der Kammer den Beschwerdeführer nicht beschwere:

Im Ergebnis zutreffend hat das [X.] ausgeführt, dass eine (nach § 54 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 StGB zwangsläufig zu einer Erhöhung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil vom 24.11.2015 führende) Gesamtstrafenbildung einen rechtlichen Nachteil für den Verurteilten dargestellt hätte.

Die Erhöhung einer Freiheitsstrafe durch Einbeziehung einer Geldstrafe stellt ohne Rücksicht auf den damit verbundenen Wegfall der Geldstrafe für den Verurteilten einen Nachteil im Rechtssinne dar. Freiheitsstrafe ist in jedem Fall im Verhältnis zur Geldstrafe als das schwerere Übel anzusehen.

Hiernach ist es auch konsequent, im - vorliegend nicht einschlägigen - Fall, dass ein Härteausgleich grundsätzlich in Betracht kommt, von einem solchen mangels Benachteiligung generell abzusehen, wenn eine vollstreckte Geldstrafe nicht mehr in eine Gesamtstrafe einbezogen werden kann (Fischer, StGB, 64. Aufl., Rdn. 21 a zu § 55).

Schließlich darf einem Verurteilten, soweit das Verschlechterungsverbot gilt, beim Absehen der Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe nach § 53 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 StGB dieser Vorteil nicht genommen werden.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die nunmehr eingetretene Situation, die derjenigen nach einem Absehen einer Gesamtstrafenbildung nach § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB entspricht, als die für den Verurteilten rechtlich günstigste dar.

Es ist kein erreichbares Beschwerdeziel ersichtlich, welches bei einem Abweichen von der durch den angefochtenen Beschluss des [X.] eingetretenen Entscheidungslage einen rechtlich anerkannten Vorteil für den Verurteilten bewirken könnte.

Die Beschwerde ist deshalb mit der Kostenfolge des § 473 Abs. 1 Satz 1 [X.] schon mangels Beschwer als unzulässig zu verwerfen.

9

Mit seiner am 16. Oktober 2017 gegen die Beschlüsse des [X.] vom 3. August 2017 und des [X.] vom 13. September 2017 erhobenen Verfassungsbeschwerde, die er mit dem Antrag verbunden hat, das [X.] möge im Wege der einstweiligen Anordnung die Haft bis zur Entscheidung in der Hauptsache aussetzen, hat der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Grundrechte gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und 3, Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3, Art. 103 Abs. 2 und Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG gerügt. Er ist der Auffassung, das [X.] sei von Wertungen des Gesetzgebers bezüglich des strafprozessualen Verfahrens und der Vorhersehbarkeit bestimmter Rechtsfolgen in den §§ 43, 53 Abs. 2 Satz 1, 54 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3, 55 StGB, §§ 460, 459d Abs. 1 Ziff. 2, 459e [X.] erheblich abgewichen. Er werde durch diese Entscheidung auch beschwert. Dadurch, dass keine Gesamtstrafe gebildet worden sei, werde die Dauer seines Freiheitsentzuges deutlich verlängert. Bei einer Gesamtstrafenbildung hätte zwar ein Tagessatz der Geldstrafe einem Tag Haft entsprochen, es wäre aber keine Addition der Einzelstrafen erfolgt. Demgegenüber wären die beglichenen Tagessätze - umgerechnet in je einen Tag Freiheitsstrafe - vollständig auf die Gesamtstrafe angerechnet worden.

1. Nach Auffassung des [X.] beim [X.] kann die Verfassungsbeschwerde keinen Erfolg haben. Die Beschwerde gegen die Entscheidung des [X.] vom 3. August 2017 sei unzulässig, weil diese prozessual überholt sei. Im Übrigen lasse die Rechtsanwendung des [X.] - deren Überprüfung durch das [X.] sich auf etwaige Willkür und auf grobe, das Freiheitsrecht des Beschwerdeführers (Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG) berührende Fehler zu beschränken habe - keinen Grund zu verfassungsrechtlichen Beanstandungen erkennen. Es sei nicht evident sachfremd und daher auch nicht willkürlich, dass das [X.] von einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung abgesehen habe.

Zwar hätte das [X.] gemäß §§ 311 Abs. 1, 309 Abs. 2 [X.] in der Sache entscheiden müssen, ob eine nachträgliche Gesamtstrafe zu bilden sei (§ 53 Abs. 2 Satz 1 StGB) oder die Geldstrafe neben der Freiheitsstrafe bestehen bleiben solle (§ 53 Abs. 2 Satz 2 StGB). Soweit [X.] über die Bildung der Gesamtstrafe keine Entscheidung getroffen habe, müsse der [X.] diese Entscheidung nachholen, um § 55 StGB gerecht zu werden. Dem habe das Verschlechterungsverbot bereits deshalb nicht entgegengestanden, weil das [X.] keine Rechtsfolgen im Hinblick auf eine Gesamtstrafenbildung gesetzt habe und insoweit eine Verschlechterung nicht in Betracht komme.

Der Umstand, dass das [X.] eine Sachentscheidung nach Maßgabe der zu § 53 Abs. 2 StGB entwickelten Grundsätze unterlassen habe, wirke sich jedoch nicht zu Lasten des Beschwerdeführers aus. Denn auch wenn die Bildung einer Gesamtstrafe die Regel darstelle, so führe die Entscheidung dennoch nicht zu einem Nachteil im Rechtssinne. Freiheitsstrafe sei schon nach der Systematik des Strafgesetzbuchs, das für minder schwere Delikte Geldstrafe vorsehe und die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen gemäß § 47 StGB nur in Ausnahmefällen erlaube, die schwerere Sanktion. Die Erhöhung einer Freiheitsstrafe durch Einbeziehung einer Geldstrafe führe deshalb ungeachtet des Wegfalls der Geldstrafe zu einer Verschlechterung der früheren Lage des Verurteilten. Dass dem Beschwerdeführer nach Zahlung der Geldstrafe eine andere Entscheidung "lieber" sei, weil er sich auf diese Weise in erheblichem Umfang von der [X.] Freiheitsstrafe gleichsam freigekauft zu haben meine, vermöge die Verfassungswidrigkeit des Ergebnisses, dass er durch das Absehen von der Gesamtstrafenbildung nicht belastet sei, nicht zu begründen.

2. Das [X.] [X.] hat keine Stellungnahme zu der Verfassungsbeschwerde und dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgegeben.

3. Dem [X.] haben die Akten des Strafverfahrens 22 [X.] (Stand: 25. September 2017) in Abschrift vorgelegen.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr nach § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.] statt, soweit diese den Beschluss des [X.] vom 13. September 2017 angreift. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist im dargelegten Umfang zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]). Insoweit ist die zulässige Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das [X.] bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 [X.]).

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Der Beschluss des [X.]s vom 13. September 2017 verletzt den Beschwerdeführer in seinem in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgten Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz. Der Beschwerdeführer hat einen solchen Verfassungsverstoß zwar nicht ausdrücklich gerügt; dies hindert das [X.] jedoch nicht, im Rahmen einer zulässigen Verfassungsbeschwerde seine Prüfung hierauf zu erstrecken (vgl. [X.] 6, 376 <385>; 54, 117 <124>; 58, 163 <167>; 71, 202 <204>).

1. a) Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. [X.] 67, 43 <58>; stRspr). Diese Garantie effektiven Rechtsschutzes erfordert zwar keinen Instanzenzug. Eröffnet das Prozessrecht aber eine weitere Instanz, so gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG dem Bürger auch insoweit eine wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. [X.] 40, 272 <274 f.>; 54, 94 <96 f.>; 122, 248 <271>; stRspr). Die Garantie wirksamen Rechtsschutzes schließt gewisse Erschwerungen des Zugangs zu den Gerichten durch sachgerechte prozessrechtliche Anforderungen - vor allem solche, die einer geordneten Rechtspflege und damit ebenfalls der Wirksamkeit des Rechtsschutzes dienen - nicht aus (vgl. [X.] 10, 264 <267 f.>; 88, 118 <123 f.>; [X.]K 10, 509 <513>; stRspr). Die Rechtsmittelgerichte dürfen ein von der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel jedoch nicht durch die Art und Weise, in der sie die gesetzlichen Voraussetzungen für den Zugang zu einer Sachentscheidung auslegen und anwenden, ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer leerlaufen lassen; der Zugang zu den in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanzen darf nicht von unerfüllbaren oder unzumutbaren Voraussetzungen abhängig gemacht oder in einer durch [X.] nicht mehr zu rechtfertigenden - und damit willkürlich erfolgenden Weise - erschwert werden (vgl. [X.] 96, 27 <39>; 117, 244 <268>; 122, 248 <271>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 21. September 2017 - 2 BvR 1071/15 -, juris, Rn. 22; Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 24. August 2017 - 2 BvR 77/16 -, juris, Rn. 33 f.; Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 7. März 2017 - 2 BvR 162/16 -, juris, Rn. 29; stRspr).

b) Mit der durch Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verbürgten Effektivität des Rechtsschutzes ist es danach zwar grundsätzlich vereinbar, die Zulässigkeit eines Rechtsmittels von einem Rechtsschutzinteresse im Sinne einer gegenwärtigen Beschwer durch die angegriffene Entscheidung abhängig zu machen ([X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 21. September 2017 - 2 BvR 1071/15 -, juris, Rn. 23, 26; Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 24. August 2017 - 2 BvR 77/16 -, juris, Rn. 34). Dabei sind, soweit schwere Grundrechtseingriffe - insbesondere in das Recht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG i.V.m. Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG) - im Raum stehen, allerdings keine überhöhten Anforderungen zu stellen (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 21. September 2017 - 2 BvR 1071/15 -, juris, Rn. 23, 26; Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 24. August 2017 - 2 BvR 77/16 -, juris, Rn. 35, 38).

2. Gemessen an diesen Maßstäben hat das [X.] die von den §§ 311, 304 ff. [X.] vorausgesetzte Beschwer in einer mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht zu vereinbarenden Weise verstanden, indem es angenommen hat, das [X.] gehe zwar unzutreffend davon aus, die Bildung einer Gesamtstrafe sei nach Bezahlung der Geldstrafe rechtlich unzulässig, dies beschwere den Beschwerdeführer im Ergebnis aber nicht.

Ein Beschwerdeführer ist durch die von ihm angegriffene Entscheidung beschwert, wenn er von dieser nachteilig betroffen ist und deshalb ein Rechtsschutzinteresse geltend machen kann (vgl. [X.], in: [X.], [X.], 26. Aufl. 2014, § 304 Rn. 41). Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorhandensein der Beschwer ist der Zeitpunkt der Entscheidung über die Beschwerde. Im Zeitpunkt der Entscheidung des [X.]s über die sofortige Beschwerde vom 21. August 2017 war der Beschwerdeführer dadurch beschwert, dass das [X.] keine Gesamtstrafe gebildet hatte. Hätte es auf eine Gesamtfreiheitsstrafe erkannt, hätte diese gemäß § 54 Abs. 1 Satz 2 und 3 und Abs. 2 Satz 1 StGB nicht der Summe der gemäß § 54 Abs. 3 StGB nach Auflösung der Gesamtgeldstrafe in Freiheitsstrafe umgerechneten Einzelgeldstrafen aus dem Strafbefehl des [X.] vom 18. März 2016 und der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des [X.] vom 24. November 2015 entsprochen. Die Staatsanwaltschaft [X.] ist in ihrem Antrag vom 19. Juli 2017 insoweit von einer zu bildenden Gesamtstrafe von drei Jahren und zwei Monaten ausgegangen. Hierauf wäre die bereits am 13. Februar 2017 bezahlte Geldstrafe - wie das [X.] zutreffend dargelegt hat - von der Strafvollstreckungsbehörde gemäß § 51 Abs. 2 StGB obligatorisch (vgl. [X.], Beschluss vom 17. November 2015 - 4 [X.] -, juris) und vollständig (vgl. [X.], Beschluss vom 9. Mai 2007 - 5 StR 24/07 -, juris, Rn. 5; [X.], [X.], S. 69 <69 f.>; vgl. auch [X.], Urteil vom 7. Juli 1970 - 5 StR 164/70 -, juris, Rn. 1 f.) anzurechnen gewesen, sodass es zu einem erheblichen "Anrechnungsüberhang" gekommen wäre und sich die tatsächlich zu verbüßende Freiheitsstrafe des Beschwerdeführers dadurch deutlich verkürzt hätte.

3. Der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht deshalb der Erfolg zu versagen, weil die Entscheidung des [X.]s aus anderen Gründen zutreffend ist und daher nicht auf der Grundrechtsverletzung beruht (vgl. etwa [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 26. April 2017 - 2 BvR 1016/16 -, juris, Rn. 5; Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 8. November 2017 - 2 BvR 809/17 -, juris, Rn. 18). Es ist nicht ausgeschlossen, dass das [X.] bei der verfassungsrechtlich gebotenen materiellen Befassung mit der Beschwerde zu einem für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis gelangt wäre (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 14. September 2016 - 1 BvR 1335/13 -, juris, Rn. 26). Bei der Entscheidung über die Gesamtstrafenbildung handelt es sich um eine Ermessensentscheidung des [X.]s, deren Ergebnis das [X.] nicht vorwegnehmen darf, wenn - wie hier - mehrere Ergebnisse der Ermessensausübung in Betracht kommen.

a) Bereits das [X.] hätte gemäß § 460 [X.] von Amts wegen (vgl. [X.], in: [X.], [X.], 26. Aufl. 2010, § 460 Rn. 44) über eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung zu entscheiden gehabt, nachdem das [X.] zur Bildung einer Gesamtstrafe nicht berufen war, weil zum damaligen Zeitpunkt die zeitlich frühere Verurteilung durch das [X.] [X.] noch keine Rechtskraft erlangt hatte.

b) Spätestens aber das [X.] hatte gemäß §§ 311 Abs. 1, 309 Abs. 2 [X.] die Entscheidung über eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung nach pflichtgemäßem Ermessen (vgl. [X.], Beschluss vom 7. Dezember 2016 - 1 StR 358/16 -, juris, Rn. 6; [X.], Beschluss vom 3. Dezember 2007 - 5 [X.] -, juris, Rn. 4) zu treffen.

aa) Es hatte unter Berücksichtigung der allgemeinen Strafzumessungserwägungen zu prüfen, ob vorliegend eine längere Gesamtfreiheitsstrafe oder eine kürzere Freiheitsstrafe neben einer Geldstrafe den Strafzwecken eher entspricht (vgl. [X.], Beschluss vom 7. Dezember 2016 - 1 StR 358/16 -, juris, Rn. 6; [X.], Beschluss vom 17. Dezember 2014 - 4 StR 486/14 -, juris, Rn. 6; [X.], Beschluss vom 3. Dezember 2007 - 5 [X.] -, juris, Rn. 4; [X.], Beschluss vom 11. Juni 2002 - 1 [X.] -, juris, Rn. 2). Weil sich aus Wortlaut und Systematik des § 53 Abs. 2 StGB ergibt, dass die selbstständige Verhängung einer Geldstrafe neben einer Freiheitsstrafe die Ausnahme bildet, bedarf sie - anders als der Regelfall der Bildung einer Gesamtstrafe - allerdings regelmäßig besonderer Begründung (vgl. [X.], Beschluss vom 7. Dezember 2016 - 1 StR 358/16 -, juris, Rn. 6 m.w.N.).

bb) Das [X.] war an der Ausübung seines Ermessens nicht deshalb gehindert, weil es die Entscheidung des [X.] nicht zu Lasten des Beschwerdeführers verschlechtern durfte. Zwar mag eine Freiheitsstrafe im Verhältnis zur Geldstrafe grundsätzlich als das schwerere Übel anzusehen sein und die mit einer Erhöhung der Freiheitsstrafe verbundene Einbeziehung einer Geldstrafe regelmäßig zu einer Verschlechterung gegenüber dem Rechtszustand vor der Bildung der Gesamtstrafe führen (vgl. [X.], Beschluss vom 11. Februar 1988 - 4 [X.] -, juris, Rn. 12; [X.], Beschluss vom 7. Dezember 2016 - 1 StR 358/16 -, juris, Rn. 10). Unabhängig davon, ob das Verschlechterungsverbot im Rahmen der Entscheidung nach § 460 [X.] überhaupt zur Anwendung kommt (ablehnend: [X.], Beschluss vom 23. September 2008 - 26 [X.]/08 -, juris, Rn. 24 ff.; [X.], Beschluss vom 25. September 2000 - 533 [X.] -, [X.], S. 3796; zweifelnd etwa: [X.], in: [X.] Kommentar zur Strafprozessordnung, 7. Aufl. 2013, § 460 Rn. 32b) und ob das [X.] in seinem Beschluss Rechtsfolgen im Hinblick auf die Gesamtstrafenbildung gesetzt hat, die "verschlechtert" werden konnten (vgl. hierzu [X.], Beschluss vom 11. Februar 1988 - 4 [X.] -, juris, Rn. 13 ff.; [X.], Beschluss vom 7. Juli 2010 - 1 [X.] -, juris, Rn. 40), verhindert dieses die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe jedenfalls nicht ausnahmslos (vgl. [X.], Beschluss vom 7. Dezember 2016 - 1 StR 358/16 -, juris, Rn. 11; [X.], Beschluss vom 13. März 2003 - 1 [X.]/03 - 5 Ws 90/03 -, juris, Rn. 16). Vielmehr erfordert das Verschlechterungsverbot stets eine "ganzheitliche Betrachtung" ([X.], in: [X.] Kommentar zur Strafprozessordnung, 7. Aufl. 2013, § 331 Rn. 4), entzieht sich einer schematischen Handhabung und ist eine Vorgabe für die über die Gesamtstrafe zu treffenden Entscheidung. In diesem Zusammenhang wäre der vom Beschwerdeführer angeführte Umstand, dass die Geldstrafe mittlerweile bezahlt worden und in einer Gesamtfreiheitsstrafe daher vorliegend nicht das "schwerere Strafübel" zu sehen sei, in die Erwägungen einzubeziehen und ihm auf diese Weise Rechnung zu tragen gewesen.

c) Diese Ermessensentscheidung hat das [X.] nachzuholen. Die angegriffene Entscheidung kann nicht als konkludente Ausübung des Ermessens im Sinne des § 53 Abs. 2 StGB verstanden werden, weil sie das [X.] ausdrücklich und ausschließlich auf die fehlende Beschwer und die hieraus folgende Unzulässigkeit der Beschwerde gestützt hat.

4. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 [X.]).

Gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 [X.] ist festzustellen, dass der Beschluss des [X.] vom 13. September 2017 den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt. Der angegriffene Beschluss ist aufzuheben und die Sache an das [X.] zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 [X.]).

Mit der Entscheidung in der Hauptsache erledigt sich der Antrag des Beschwerdeführers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

1. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 [X.]; der Beschwerdeführer hat sein Rechtsschutzziel im Wesentlichen erreicht (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 7. März 2017 - 2 BvR 162/16 -, juris, Rn. 36).

2. Die Festsetzung des Gegenstandswertes für die anwaltliche Tätigkeit ist auf §§ 37 Abs. 2 Satz 2, 14 Abs. 1 RVG in Verbindung mit den Grundsätzen über die Festsetzung des [X.] im verfassungsrechtlichen Verfahren gestützt (vgl. [X.] 79, 365 <368 ff.>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 26. Januar 2011 - 1 BvR 1671/10 -, juris, Rn. 8). Im Hinblick auf die objektive Bedeutung der Sache ist ein Gegenstandswert von 10.000 Euro angemessen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 2312/17

20.12.2017

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 2. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Karlsruhe, 13. September 2017, Az: 3 Ws 565/17, Beschluss

Art 2 Abs 2 S 2 GG, Art 19 Abs 4 GG, Art 104 Abs 1 S 1 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 51 Abs 2 StGB, § 53 Abs 2 S 1 StGB, § 53 Abs 2 S 2 StGB, § 54 Abs 1 StGB, § 54 Abs 2 S 1 StGB, §§ 304ff StPO, § 304 StPO, § 309 Abs 2 StPO, § 311 Abs 1 StPO, § 460 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 20.12.2017, Az. 2 BvR 2312/17 (REWIS RS 2017, 249)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 249

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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