Bundesfinanzhof, Beschluss vom 09.03.2016, Az. V B 82/15

5. Senat | REWIS RS 2016, 14835

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Gegenstand

Restschuldbefreiung bei Lottogewinn in Millionenhöhe?


Leitsatz

1. NV: Beantragt der Steuerschuldner währen der insolvenzrechtlichen Wohlverhaltensphase einen Erlass der restlichen Steuern aus persönlichen Billigkeitsgründen (schlechte wirtschaftliche Lage und daraus angeblich resultierende Gesundheitsprobleme), so kann es den daraufhin gewährten Erlass nach § 130 AO zurücknehmen, wenn sich herausstellt, dass der Steuerschuldner im Zeitpunkt des Erlassantrages einen Lottogewinn in Millionenhöhe verschwiegen hat.

2. NV: Einem Rechtsstreit hierüber fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn vom Insolvenzgericht eine Restschuldbefreiung erteilt wurde, die nicht mehr widerrufen werden kann.

3. NV: Es spricht unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Gläubiger im Insolvenzverfahren, dem Sinn und Zweck der Restschuldbefreiung, einem Schuldner einen Verbleib im sog. "Schuldturm" zu ersparen sowie grundlegenden Gerechtigkeitsvorstellungen, bei einer Restschuldbefreiung nicht nur den Anfall einer Erbschaft (§ 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO), sondern auch einen Lottogewinn in Millionenhöhe zu berücksichtigen.

Tenor

Die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des ... [X.] wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) betrieben einen Gewerbebetrieb. Wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten wurde am … November 2011 das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet.

2

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) meldete Steuerforderungen von 42.710,76 € (Kläger) und 1.741,31 € (Klägerin) an. Das Verfahren wurde am 12. September 2012 bzw. am 11. Dezember 2012 aufgehoben. Während des [X.] der Wohlverhaltensphase wandte sich der Kläger mit Schreiben vom 22. August 2014 bzw. die Klägerin mit Schreiben vom 17. September 2014 an das [X.] und beantragten einen Steuererlass. Der Kläger erhalte eine Altersrente von nur 1.166,38 € und die Klägerin von 192,96 €. Der Insolvenzantrag belaste die Kläger wirtschaftlich und gesundheitlich schwer. Um das Verfahren zu beenden, hätten sich die Kinder der Kläger bereitgefunden, einen Betrag von 40.000 € den Gläubigern zur Verfügung zu stellen, der entsprechend der Konkursquote auf die Gläubiger aufgeteilt werden könne. Nach Zahlung der auf das [X.] entfallenden Beträge von 5.880 € (14,7 %) bzw. von 233,78 € (3,6 %) müsse das [X.] als Gegenleistung erklären, dass sich die Steuerforderungen damit erledigt hätten. Das [X.] nahm das Angebot an und erklärte am 22. bzw. 29. September 2014 den Erlass der restlichen Steuerschulden.

3

Nachdem das [X.] aufgrund einer Grunderwerbsteuermitteilung über den Kauf eines Hauses in der Wohlverhaltensphase erfahren hatte, dass die Kläger im Juli 2014 einen Lottogewinn über 1.010.057 € erhalten hatten, nahm es den gewährten Erlass am 15. Dezember 2014 nach § 130 Abs. 2 Nr. 3 der Abgabenordnung [X.]) zurück.

4

Mit Beschlüssen vom 23. Februar 2015 bzw. 16. März 2015 erteilte das Amtsgericht den Klägern vorzeitig die Restschuldbefreiung.

5

Im Einspruchsverfahren machten die Kläger geltend, dass sie dem Insolvenzverwalter von dem Lottogewinn Mitteilung gemacht hätten, dieser aber darauf hingewiesen hätte, dass der Lottogewinn aus Juli 2014 nicht in die Insolvenzmasse des 2011 eröffneten Insolvenzverfahrens gehöre. Die Kläger seien nicht verpflichtet gewesen, bei dem freiwilligen Angebot den Lottogewinn zu erwähnen.

6

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Der Erlass wegen persönlicher Unbilligkeit sei durch unrichtige Angaben zur wirtschaftlichen Situation der Kläger [X.] § 130 AO erschlichen worden. Unter anderem sei angegeben worden, die Kinder hätten den freiwillig bereitgestellten Betrag angeboten "aus Sorge um den Gesundheitszustand der Eltern", obwohl diese mit einem Schlage die Insolvenzforderungen hätten begleichen können. Der Einwand der Kläger, dass der Lottogewinn nicht in die Insolvenzmasse falle, sei zwar zutreffend, für die Frage der Rechtmäßigkeit der Erlassgewährung jedoch unerheblich. Denn für den [X.] des [X.] sei auch die [X.] der Restschuld maßgebend gewesen. Bei Kenntnis des [X.] hätte das [X.] zumindest die aus dem Lottogewinn resultierenden Erträge beanspruchen können. Daher hätten die Kläger auch die Rechtspflicht gehabt, den Lottogewinn im Erlassverfahren anzugeben.

Entscheidungsgründe

7

II. 1. Die Revision ist nicht wegen Verfahrensfehlern (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--) zuzulassen.

8

a) Verfahrensmängel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O sind Verstöße gegen das Gerichtsverfahrensrecht, die das [X.] bei der Handhabung seines Verfahrens begeht und die zur Folge haben, dass eine ordnungsgemäße Grundlage für die Entscheidung im Urteil fehlt (ständige Rechtsprechung des [X.] --BFH--; vgl. [X.] vom 31. August 2015 VI B 14/15, juris). So kann ein Verfahrensfehler dann vorliegen, wenn das [X.] gegen den Grundsatz der Gewährung des rechtlichen Gehörs verstößt, weil es sich mit [X.] des Vorbringens eines Beteiligten nicht auseinandersetzt. Kein Verfahrensfehler, sondern allenfalls ein materiell-rechtlicher Fehler, der nur unter den weiteren Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 [X.]O zur Revisionszulassung führt, ist hingegen dann gegeben, wenn das Gericht dem Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs genügt hat, weil es die Ausführungen der Beteiligten bei der Urteilsfindung in Erwägung zieht und sich mit [X.] der Klagebegründung auseinandersetzt. Ob das Gericht dann bei seiner Auseinandersetzung mit dem [X.] zu dem vom Kläger gewünschten Ergebnis kommt, stellt eine Frage der richtigen Rechtsanwendung und nicht eines Verfahrensfehlers dar (vgl. Beschluss des [X.] vom 11. Juni 2008  2 BvR 2062/07, [X.], 1056).

9

b) So liegt es im Streitfall. Das [X.] hat das wesentliche Vorbringen des [X.], wonach der erhebliche Lottogewinn nicht zum Insolvenzvermögen nach § 35 der Insolvenzordnung ([X.]) gehört, weil er weder im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch im Zeitraum bis zum Abschluss als Neuvermögen angefallen ist, und er deshalb nicht verpflichtet sei, dem [X.] hiervon Mitteilung zu machen, im Tatbestand ausführlich wiedergegeben und sich in seinen Gründen damit auseinandergesetzt. Es hat ausgeführt, dass dieser Umstand zwar nicht bei der Feststellung des Insolvenzvermögens, wohl aber bei der Frage der Gewährung eines Billigkeitserlasses für den Erlass der restlichen Steuerschulden zu berücksichtigen sei. Die Kläger haben somit nicht schlüssig einen Verfahrensfehler in Form der Verletzung des rechtlichen Gehörs dargelegt.

2. Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O) zuzulassen, da die Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht hinreichend dargelegt haben.

Die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache verlangt substantiierte Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend bestimmten --abstrakt beantwortbaren-- Rechtsfrage, die im konkreten Streitfall voraussichtlich klärungsfähig ist, deren Beurteilung zweifelhaft oder umstritten ist und das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt.

a) Die Kläger haben bereits keine abstrakte Rechtsfrage dargelegt, sondern eine Sachverhaltsschilderung, verbunden mit einer Rechtsansicht, vorgetragen, wenn sie zur Bezeichnung der zu klärenden Rechtsfrage ausführen:

"Die Finanzverwaltung muss bei der Frage der Rücknahme eines gewährten Erlasses in der Wohlverhaltensperiode der Privatinsolvenz und bei Zufluss von finanziellen Mitteln, die nicht zur Masse gezogen werden können, und ein Zahlungsangebot in Aussicht gestellt wird, eine Überprüfung dahingehend vornehmen, ob der kurzfristige Mittelzufluss höher oder niedriger ist, als die zu erwartenden Einnahmen durch Pfändungen über den Treuhänder bis zum Ende der Privatinsolvenz".

b) Auch fehlt im Streitfall die Darlegung, weshalb in diesem Sonderfall eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung für die Allgemeinheit besteht.

c) Im Übrigen bedarf es keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, dass das [X.] bei der Gewährung eines Billigkeitserlasses aus persönlichen Gründen nicht auf bestimmte Erwägungen beschränkt ist, sondern allgemein berücksichtigen kann, dass es nicht der Billigkeit entspricht, Steuerschulden zu erlassen, wenn ein Steuerschuldner sich nicht --wie nach § 227 AO vorausgesetzt-- in einer wirtschaftlichen Notlage befindet, sondern aufgrund eines beträchtlichen [X.] die Steuerschulden in einem Schlage hätte tilgen können und dass ein bereits gewährter Erlass nach § 130 AO zurückgenommen werden kann, wenn im Erlassantrag der Lottogewinn verheimlicht und wahrheitswidrig auf eine angeblich wegen der Steuerschulden bestehende schwere Gesundheitsgefährdung hingewiesen wurde.

Es erscheint auch insolvenzrechtlich nicht ausgeschlossen, dass eine Restschuldbefreiung, mit der nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes dem Schuldner ein lebenslänglicher "Schuldturm" erspart werden sollte, dann nicht mehr erforderlich ist und mit den Grundsätzen der Billigkeit nicht mehr zu vereinbaren ist, wenn dies wegen der durch überraschende Umstände völlig geänderten Vermögensverhältnisse nicht mehr erforderlich erscheint. Der mit der Erteilung der Restschuldbefreiung verbundene Eingriff in die Gläubigerrechte ist dann durch sachliche Gründe nicht mehr zu rechtfertigen. Auch in § 295 [X.] ist geregelt, dass ein --wie beim [X.] nicht erwirtschafteter Erbschaftanfall während der Wohlverhaltensphase wegen des Risikos der Ausschlagung immerhin zur Hälfte an die Gläubiger auszukehren ist. Denn [X.] die amtliche Begründung-- "in diesem Falle wäre es unbillig, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu gewähren, ohne dass er dieses Vermögen antasten muss" (BTDrucks 12/2443, S. 192).

3. Da bereits keine Gründe für die Zulassung der Revision schlüssig vorgetragen sind, kann dahinstehen, ob der Beschwerde wegen des [X.] der restlichen Steuerschulden bereits das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn feststeht, dass eine Restschuldbefreiung erteilt ist und auch ein Widerruf der Befreiung (§ 303 [X.]) ausgeschlossen ist.

4. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

V B 82/15

09.03.2016

Bundesfinanzhof 5. Senat

Beschluss

§ 130 AO, § 227 AO, § 295 InsO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 09.03.2016, Az. V B 82/15 (REWIS RS 2016, 14835)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 14835

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