Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 15.12.2022, Az. 1 BvR 2146/22

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2022, 8117

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Verfassungsbeschwerde bzgl gesetzgeberischen Unterlassens im Bereich der Klimagesetzgebung (hier: Normierung eines Tempolimits) mangels hinreichender Substantiierung unzulässig - Möglichkeit eines Grundrechtseingriffs nicht aufgezeigt


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

1. Die [X.]n wenden sich gegen aus ihrer Sicht unzureichende Klimaschutzmaßnahmen der [X.]. Einen Verstoß gegen das Klimaschutzgebot des Art. 20a [X.] und gegen Freiheitsrechte leiten sie "exemplarisch" daraus ab, dass der Gesetzgeber im Verkehrsrecht durch das Unterlassen eines Tempolimits keine den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechende Abwägungsentscheidung getroffen habe. Es sei sehr unwahrscheinlich, dass die bislang zur Senkung des CO2-Ausstoßes im Verkehrsbereich ergriffenen Maßnahmen ausreichten, um die im Klimaschutzgesetz für den Verkehrssektor bis 2030 geregelte Emissionsmenge einzuhalten. Die Beschwerdeführenden halten es für erforderlich, die Freiheit, heute auf Autobahnen ohne Tempolimit fahren zu können, mit dem Klimaschutzpotenzial eines Tempolimits und mit künftigen, vermutlich härteren Freiheitseinbußen abzuwägen, die durch eine Verschiebung von [X.] im Verkehrsbereich auf das Ende dieses Jahrzehnts entstünden. Die aktuellen Freiheitseinbußen eines jetzt einzuführenden Tempolimits seien gegenüber den damit zu erreichenden CO2-Einsparungen gering.

2

2. Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerf[X.] liegen nicht vor. Die [X.]beschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg. Sie genügt den aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerf[X.] folgenden Begründungsanforderungen nicht.

3

Die [X.]n haben die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung nicht hinreichend dargelegt. Zwar gewinnt das im Klimaschutzgebot des Art. 20a [X.] enthaltene Ziel der Herstellung von Klimaneutralität bei fortschreitendem Klimawandel in allen Abwägungsentscheidungen des Staates weiter an relativem Gewicht (vgl. [X.] 157, 30 <139 Rn. 198>). Dies gilt nicht nur für Verwaltungsentscheidungen über klimaschutzrelevante Vorhaben, Planungen et cetera, sondern auch für den Gesetzgeber, dem die [X.]n hier im [X.] vorwerfen, Maßnahmen, die im Verkehrsbereich alsbald die emittierte CO2-Menge senken könnten, in Abwägung mit anderen Belangen kein hinreichendes Gewicht beigemessen zu haben.

4

Zwar kann mit der [X.]beschwerde unter bestimmten Voraussetzungen auch mittelbar ein Verstoß gegen Art. 20a [X.] gerügt werden. Das ist denkbar, wenn sich [X.] gegen einen Eingriff in Grundrechte wenden, weil dieser verfassungsrechtlich nur gerechtfertigt werden könnte, wenn die zugrunde liegenden Regelungen den elementaren Grundentscheidungen und allgemeinen [X.]grundsätzen des Grundgesetzes entsprechen, zu denen auch das Klimaschutzgebot des Art. 20a [X.] zählt (vgl. [X.] 157, 30 <133 f. Rn. 189 f.>).

5

Die [X.]n haben jedoch die Möglichkeit eines Grundrechtseingriffs nicht aufgezeigt. Sie legen insbesondere nicht substantiiert dar, dass gesetzliche Regelungen oder gesetzgeberisches Unterlassen im Verkehrssektor, hier das Fehlen eines Tempolimits, eingriffsähnliche Vorwirkung auf ihre Freiheitsgrundrechte entfalten könnten, indem sie zu einem späteren Zeitpunkt unausweichlich zu aus heutiger Sicht unverhältnismäßigen staatlichen Beschränkungen grundrechtlich geschützter Freiheit führten (vgl. dazu [X.] 157, 30 <98 ff. Rn. 118 ff.; 131 ff. Rn. 184 ff.>; Beschluss der [X.] des [X.] vom 18. Januar 2022 - 1 BvR 1565/21 u.a. -, Rn. 4, 9, 12). Dafür muss sich die [X.]beschwerde grundsätzlich gegen die Gesamtheit der zugelassenen Emissionen richten, weil regelmäßig nur diese, [X.] oder Unterlassen des Staates die [X.] insgesamt unverhältnismäßig auf die Zukunft verschieben könnte (vgl. Beschluss der [X.] des [X.] vom 18. Januar 2022 - 1 BvR 1565/21 u.a. -, Rn. 12 m.w.N.). Das ist hier nicht der Fall. Auch der Vortrag der [X.]n, im Verkehrssektor werde es am Ende dieses Jahrzehnts zu erheblichen Freiheitsbeschränkungen kommen, weil die im Klimaschutzgesetz bis zum Jahr 2030 dem Verkehrssektor zugewiesene Emissionsmenge aktuell zu schnell aufgezehrt werde, vermag eine eingriffsähnliche Vorwirkung des Unterlassens eines Tempolimits nicht zu begründen. Sie haben schon ihre Annahme, das dem Verkehrssektor bis zum Jahr 2030 zugewiesene [X.] werde überschritten, nicht näher belegt. Außerdem haben sie weder dargelegt, dass am Ende dieses Jahrzehnts Treibhausgasminderungen in der von ihnen unterstellten Höhe auch von [X.] wegen unausweichlich gerade im Verkehrssektor erbracht sein müssen, noch dass weitergehende aktuelle Einsparungen gerade durch ein Tempolimit erzielt werden müssten.

6

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerf[X.] abgesehen.

7

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 2146/22

15.12.2022

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

Art 20a GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 15.12.2022, Az. 1 BvR 2146/22 (REWIS RS 2022, 8117)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 8117

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32 U 936/23 e

7 A 9/22

3 O 12581/21

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