Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16.05.2017, Az. 9 AZR 572/16

9. Senat | REWIS RS 2017, 10883

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Gegenstand

Kein Schadensersatz in Geld wegen nicht gewährter Urlaubstage im bestehenden Arbeitsverhältnis


Leitsatz

Der Anspruch auf Abgeltung des sog. Ersatzurlaubs richtet sich nicht nach § 251 Abs. 1 BGB, sondern nach den Vorgaben des § 7 Abs. 4 BUrlG. Er entsteht mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 12. Juli 2016 - 8 [X.]/16 - wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Klägerin verlangt nach Eintritt in die Freistellungsphase der Altersteilzeit Schadensersatz wegen in der Arbeitsphase der Altersteilzeit nicht gewä[X.]ter Urlaubstage.

2

Die am 7. März 1955 geborene Klägerin ist bei der [X.], einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt, seit dem 1. Mai 1989 als Redakteurin gegen eine Bruttomonatsvergütung iHv. zuletzt 3.551,00 Euro beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet [X.]. der Manteltarifvertrag zwischen dem [X.] und der Tarifgemeinschaft im [X.] ([X.]) Anwendung. Zum Urlaubsanspruch war im [X.] [X.]. Folgendes geregelt:

        

„§ 36 

        

Erholungsurlaub

        

1.    

Der Arbeitnehmer hat in jedem Urlaubsja[X.] Anspruch auf Erholungsurlaub unter Zahlung der Dienstbezüge (§ 19), der Familienzuschläge und der sonstigen festen Bestandteile der Vergütung, die nicht nur vorübergehend gezahlt werden.

        

2.    

Urlaubsja[X.] ist das Kalenderja[X.].

        

3.    

Der Ja[X.]esurlaub beträgt

                 

a)    

…       

        
                          

nach dem

vollendeten 40. Lebensja[X.]

31 Arbeitstage.

                 

Arbeitstage sind die Tage von Montag bis Freitag, ausgenommen gesetzliche Feiertage.

                 

…“    

3

Für den Zeitraum vom 1. April 2012 bis zum 31. März 2018 begründeten die Parteien auf der Grundlage des „Tarifvertrags über Altersteilzeitarbeit im [X.] vom 5. November 2009“ ([X.]) ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis im Blockmodell mit einer Arbeitsphase bis zum 31. März 2015. Im [X.] zwischen den Parteien vom 17. Juni 2010 heißt es auszugsweise:

        

„Die Einzelheiten I[X.]er Rechtsbeziehungen zum [X.] wä[X.]end der Altersteilzeit richten sich nach dem o. g. Tarifvertrag. Mit Ablauf der passiven Altersteilzeit endet I[X.] Arbeitsverhältnis zum [X.].“

4

§ 4 Ziff. 5 [X.] lautet:

        

„5.     

Wä[X.]end der aktiven Altersteilzeit wird Erholungsurlaub in dem gemäß [X.] jeweils zustehenden Umfang gewä[X.]t. Wä[X.]end der passiven Altersteilzeit entfällt ein Erholungsurlaub.

                 

Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmer, die im Laufe eines Urlaubsja[X.]es von der aktiven in die passive Altersteilzeit wechseln, erhalten für jeden Beschäftigungsmonat dieses Urlaubsja[X.]es in aktiver Altersteilzeit ein Zwölftel des Ja[X.]esurlaubs.

                 

Im Übrigen findet § 36 Ziff. 6 [X.] entsprechende Anwendung.“

5

Mit Sc[X.]eiben vom 12. Dezember 2014 beantragte die Klägerin für das Kalenderja[X.] 2015 31 Urlaubstage. Die Beklagte gewä[X.]te i[X.] unter Ablehnung des Antrags im Übrigen nur acht Urlaubstage.

6

Mit i[X.]er der [X.] am 14. August 2015 zugestellten Klage hat die Klägerin wegen der Nichtgewä[X.]ung von 23 Urlaubstagen für das Kalenderja[X.] 2015 Ersatz in Geld verlangt. Sie hat geltend gemacht, i[X.] habe für das Kalenderja[X.] 2015 ein ungekürzter Urlaubsanspruch von 31 Arbeitstagen zugestanden. Die bei einem Wechsel von einem Vollzeit- in ein [X.] geltenden Umrechnungsgrundsätze fänden bei einem Wechsel von der Arbeits- in die Freistellungsphase der Altersteilzeit keine Anwendung. Eine Urlaubsumrechnung nach erfüllter Wartezeit benachteilige sie wegen i[X.]er Teilzeit. I[X.] Urlaubsanspruch sei auch nicht nach § 4 Ziff. 5 Abs. 2 [X.] umzurechnen. Diese Regelung sei wegen eines Verstoßes gegen § 13 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 1 [X.] unwirksam. Wegen der Unmöglichkeit der Urlaubsgewä[X.]ung in der Freistellungsphase könne sie den Schadensersatz in Geld bereits vor der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangen.

7

Die Klägerin hat beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an sie 3.769,52 Euro brutto zuzüglich Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15. August 2015 zu zahlen.

8

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, der Klägerin habe für das Kalenderja[X.] 2015 lediglich ein Urlaubsanspruch im Umfang von acht Arbeitstagen zugestanden. Im Ja[X.] des Übergangs von der Arbeits- in die Freistellungsphase sei der Urlaubsanspruch entsprechend den zu einem [X.] mit wöchentlich weniger Arbeitstagen entwickelten Grundsätzen umzurechnen.

9

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das [X.] hat auf die Berufung der [X.] das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision bege[X.]t die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Der Klägerin steht vor der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses weder der beanspruchte Schadensersatz in Geld noch die Abgeltung von 23 Arbeitstagen [X.] aus dem [X.] zu. Der [X.] muss deshalb nicht entscheiden, ob die Klägerin im [X.] einen Urlaubsanspruch im Umfang von 31 Arbeitstagen hatte.

I. Die Klägerin kann von der Beklagten nicht nach § 251 Abs. 1 BGB statt der Gewährung von [X.] Schadensersatz in Geld verlangen, weil ein Anspruch auf [X.] wegen des Eintritts in die Freistellungsphase der Altersteilzeit nicht mehr realisiert werden kann. Der Anspruch auf Abgeltung von [X.] richtet sich nach den Vorgaben des § 7 Abs. 4 [X.]. Soweit der [X.] in der Vergangenheit angenommen hat, der an die Stelle des [X.]sanspruchs tretende Schadensersatzanspruch in Geld ergäbe sich aus § 251 Abs. 1 BGB (vgl. [X.] 6. August 2013 - 9 [X.] - Rn. 20; 20. April 2012 - 9 [X.] - Rn. 12), wird daran nicht festgehalten.

1. Hat der Arbeitgeber den vom Arbeitnehmer rechtzeitig verlangten Urlaub nicht gewährt, wandelt sich der im [X.] verfallene Urlaubsanspruch gemäß § 275 Abs. 1 und Abs. 4, § 280 Abs. 1 und Abs. 3, § 283 Satz 1, § 286 Abs. 1 Satz 1, § 287 Satz 2 und § 249 Abs. 1 BGB in einen Schadensersatzanspruch um, der die Gewährung von [X.] zum Inhalt hat (st. Rspr., zB [X.] 12. April 2016 - 9 [X.] - Rn. 14; 19. Januar 2016 - 9 [X.] - Rn. 21). Ein Schadensersatz in Geld (§ 251 Abs. 1 BGB) wegen des verfallenen Urlaubs vor der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses wäre faktisch eine nicht zulässige Abgeltung von Urlaub während des bestehenden Arbeitsverhältnisses. Der [X.]sanspruch tritt als Schadensersatzanspruch (§ 249 Abs. 1 BGB) an die Stelle des ursprünglichen Urlaubsanspruchs ([X.] 26. Juni 1986 - 8 [X.] - zu II 1 der Gründe, [X.]E 52, 254). Er bewirkt, dass der Urlaubsanspruch trotz seines Erlöschens am Ende des Urlaubsjahres bzw. des [X.] bei rechtzeitigem Verlangen des Arbeitnehmers nicht ohne Kompensation untergeht, und dient somit der Sicherstellung des auf bezahlte Freistellung gerichteten Urlaubsanspruchs.

2. Mit der Entstehung des [X.]sanspruchs erhält der Arbeitnehmer bereits Schadensersatz im Wege der Naturalrestitution. Nach dem in § 249 Abs. 1 BGB festgelegten Grundsatz der Naturalrestitution ist der Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Danach kann der Arbeitnehmer verlangen, so gestellt zu werden, als sei der von ihm rechtzeitig geltend gemachte und vom Arbeitgeber nicht gewährte Urlaub nicht verfallen. Der [X.]sanspruch ist somit auf den Fortbestand des Anspruchs auf bezahlte Freistellung unter den Bedingungen des [X.] gerichtet. Dies hat zur Folge, dass der [X.]sanspruch - mit Ausnahme des Fristenregimes (vgl. [X.] 11. April 2006 - 9 [X.] - Rn. 24) - den Modalitäten des verfallenen Urlaubsanspruchs unterliegt. Dies gilt sowohl für die Inanspruchnahme als auch für die Abgeltung des [X.]s. Für eine Anwendung des § 251 Abs. 1 BGB bleibt kein Raum. Die Herstellung des vor dem schädigenden Ereignis bestehenden Zustands erfolgt durch die (Wieder-)Einräumung eines Anspruchs auf bezahlte Freistellung. Hierdurch ist die Naturalrestitution bewirkt, nicht erst durch die Freistellung selbst. Kann Letztere durch den Wegfall der Arbeitspflicht tatsächlich nicht gewährt werden, liegt keine Unmöglichkeit iSv. § 251 Abs. 1 BGB, sondern ein durch § 7 Abs. 4 [X.] besonders geregelter Fall des [X.] (vgl. [X.] 20. September 2011 - 9 [X.] - Rn. 23, [X.]E 139, 168) vor.

II. Die Klägerin hat mit Beendigung der Arbeitsphase des [X.] keinen Anspruch auf Abgeltung von [X.] nach Maßgabe des § 7 Abs. 4 [X.].

1. Nach § 7 Abs. 4 [X.] ist der ([X.] abzugelten, wenn er wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann. Diese Vorschrift erlaubt eine Abgeltung nicht gewährten ([X.]s nur bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ([X.] 16. Oktober 2012 - 9 [X.] - Rn. 19). Darunter ist dessen rechtliche Beendigung zu verstehen. Dies ergibt sich schon aus dem Begriff „Arbeitsverhältnis“, mit dem die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammenfassend bezeichnet werden und die regelmäßig durch einen Arbeitsvertrag begründet werden. Ist das Arbeitsverhältnis ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis, endet es iSv. § 7 Abs. 4 [X.] zum vereinbarten Endtermin und nicht bereits mit dem Übergang von der Arbeits- in die Freistellungsphase (so auch für das Beamtenverhältnis BVerwG 19. November 2015 - 2 [X.] 3.15 - Rn. 16). Das Arbeitsverhältnis besteht während der Freistellungsphase fort. Zwar hat der Arbeitnehmer keine Arbeitsverpflichtung, weil er seine Leistung in der Arbeitsphase bereits erbracht hat. Der Arbeitgeber ist aber zur Entgeltleistung verpflichtet, sodass auch kein Ruhen des Arbeitsverhältnisses in der Freistellungsphase eintritt. Auch eine analoge Anwendung von § 7 Abs. 4 [X.] ist nicht geboten. Eine planwidrige Regelungslücke liegt nicht vor ([X.] 16. Oktober 2012 - 9 [X.] - Rn. 19 mwN).

2. Danach ist die für die Abgeltung von [X.] erforderliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien nicht eingetreten. Das Altersteilzeitarbeitsverhältnis besteht während der Freistellungsphase der Altersteilzeit fort und endet erst mit Ablauf des 31. März 2018.

III. Die Klägerin hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Brühler    

        

    Krasshöfer    

        

    Zimmermann    

        

        

        

    Lipphaus     

        

    [X.]    

                 

Meta

9 AZR 572/16

16.05.2017

Bundesarbeitsgericht 9. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Frankfurt, 9. Februar 2016, Az: 16 Ca 5351/15, Urteil

§ 7 Abs 4 BUrlG, § 251 Abs 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16.05.2017, Az. 9 AZR 572/16 (REWIS RS 2017, 10883)

Papier­fundstellen: NJW 2017, 2638 MDR 2017, 1252-1253 REWIS RS 2017, 10883

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Referenzen
Wird zitiert von

B 11 AL 56/19 B

B 13 R 21/15 R

2 Ca 706/17

6 Sa 272/18

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