Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.04.2017, Az. 1 StR 147/17

1. Strafsenat | REWIS RS 2017, 12123

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:250417B1STR147.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 147/17

vom
25. April
2017
in der Strafsache
gegen

wegen
Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte

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Der 1. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung der Beschwerde-führerin und des Generalbundesanwalts
am 25. April
2017
gemäß §
349 Abs.
4 StPO beschlossen:

1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 12. Dezember 2016 im Ausspruch über die Höhe der verhängten Tagessätze aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an das Amtsgericht Göppingen

Strafrichter

[X.].

Gründe:
I.

Das [X.] hat die Angeklagte wegen Widerstands gegen Vollstre-ckungsbeamte zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 25 Euro verur-teilt und von einem weiteren Tatvorwurf freigesprochen.

Mit ihrer auf die Höhe der verhängten Tagessätze beschränkten [X.] wendet sich die Angeklagte gegen die Festsetzung der Höhe des einzelnen Tagessatzes durch das [X.]. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
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II.

1. Zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Angeklag-ten hat das [X.] festgestellt, dass diese im [X.] an ihre Schulzeit eine Ausbildung zur Zahnarzthelferin machte und nach deren Abschluss noch etwa eineinhalb Jahre in diesem Beruf in einer Zahnarztpraxis tätig war. [X.] sie aber mit ihrem damaligen Chef nicht zurecht kam, beendete sie das Arbeitsverhältnis und unternahm mehrere Versuche, andere berufliche Tätigkei-ten zu finden, welche allesamt scheiterten. In der Folge lebte sie bis zu ihrer Heirat im Alter von 27 Jahren im Haushalt ihrer Mutter, ohne irgendeiner [X.] nachzugehen. Nach der Eheschließung hatte sie auch weiterhin keine eigenen Einkünfte; die Eheleute haben zwei gemeinsame Kinder im Alter von nunmehr 21 und 19 Jahren, welche noch zu Hause wohnen. Der Ehemann verdie

h-

Die Angeklagte befindet sich seit 1988 regelmäßig in psychologischer und psychiatrischer Behandlung und war erstmals auch 1988 für vier und fol-gend für sechs Wochen wegen Magersucht und Depressionen in einer Klinik. Ein weiterer stationärer Aufenthalt erfolgte über 14,5 Wochen 1992 wegen Bu-limie. Beginnend Mitte der 1990er Jahre folgten 30-35 stationäre Aufenthalte im [X.]

, welche
zwischen drei Tagen und zweieinhalb Jahren dauerten. Derzeit ist die Angeklagte auf freiwilliger Basis im [X.]

untergebracht, wobei sie allerdings an den Wochenenden zu Hause bei ihrer Familie ist.

2. Keine Feststellungen hat die [X.] dazu getroffen, wer aktuell für die Kosten der Unterbringung aufkommt und in welchem Umfang gegebe-3
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nenfalls weitere Kosten der Lebenshaltung von ihrem Ehemann übernommen werden.

III.

Das Rechtsmittel ist wirksam auf die Bemessung der [X.] be-schränkt ([X.], Beschluss vom 30. November 1976

1 [X.], [X.]St 27, 70, 73). Ein Ausnahmefall, bei dem sich die Zumessungsakte zur Anzahl des Tagessatzes und dessen Höhe überschneiden, liegt nicht vor.
Die Festsetzung der [X.] hält rechtlicher Prüfung nicht stand, weil das [X.] vor der Vornahme der Schätzung die Einkommens-
und Zahlungsverhältnisse sowie eventuell vorhandene Ansprüche an Sozialhilfeträger nicht ausreichend geklärt hat
(§ 40 Abs. 2 Satz 2 StGB).

1. Die Höhe eines Tagessatzes bestimmt sich unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des [X.] (§ 40 Abs. 2 Satz 1 StGB). Dabei ist grundsätzlich vom Nettoeinkommen auszugehen, das der Täter an einem Tag hat oder haben könnte
(§ 40 Abs. 2 Satz
2 StGB). Jedoch erschöpft sich die Festlegung der [X.] nicht in einem mechanischen Rechenakt, sondern es handelt sich um einen wertenden Akt richterlicher Straf-zumessung, der dem
Tatrichter Ermessensspielräume hinsichtlich der berück-sichtigungsfähigen Faktoren belässt (MüKo-StGB/[X.], 3. Aufl., § 40 Rn. 56; [X.],
StGB,
64. Aufl.,
§ 40 Rn. 6a). Zudem ist das Einkommen ein rein strafrechtlicher und nicht steuerrechtlicher Begriff, welcher alle Einkünfte aus selbständiger und nicht selbständiger Arbeit sowie aus sonstigen [X.] umfasst [X.], aaO
Rn. 7), wobei es auch nicht erforderlich ist, dass es sich um Einnahmen in Form von Geldleistungen handelt (MüKo-6
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StGB/[X.],
3. Aufl.,
§ 40 Rn. 60), auch Unterhalts-
und Sachbezüge oder sonstige Naturalleistungen zählen hierzu.

Grundsätzlich kann auch das Einkommen des Ehepartners berücksich-tigt werden, wenn dem Täter hieraus tatsächlich Vorteile zufließen, wobei aber das Strafgericht den Entschluss eines Ehepartners, nicht berufstätig zu werden, zu respektieren hat [X.], aaO
Rn. 9). Im Ergebnis kommt es in solchen Fäl-len darauf an, inwieweit der nicht berufstätige Ehepartner am [X.] teilhat, indem ihm tatsächlich Naturalunterhalt, gegebenenfalls auch ein Taschengeld, gewährt wird.

Von den anzurechnenden Einkünften abzuziehen sind damit zusam-menhängende Ausgaben, wie beispielsweise Werbungskosten und Betriebs-ausgaben, auch Sozialversicherungsbeiträge; ebenfalls sind in der Regel [X.] Belastungen zu berücksichtigen, Unterhaltsverpflichtungen des [X.] demgegenüber nur in angemessenem Umfang [X.], aaO
Rn. 13 ff.; MüKo-StGB/[X.],
3. Aufl.,
§ 40 Rn. 65 ff.; vgl. [X.]/[X.]/[X.], Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl.,
Rn. 121).

Dem
Tatrichter steht gemäß § 40 Abs. 3 StGB eine Schätzungsbefugnis zu, sofern entweder der Angeklagte keine oder unrichtige Angaben zu seinen
wirtschaftlichen Verhältnissen macht oder deren Ermittlung zu einer unange-messenen Verzögerung des Verfahrens führen würde bzw. der erforderliche Aufwand nicht im Verhältnis zur Höhe der Geldstrafe stehen würde (OLG
Düsseldorf, Beschluss vom 19. Januar 1995

5 Ss 437/94; MüKo-StGB/

[X.], 3. Aufl., § 40 Rn. 119).
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2. Demgegenüber hat das [X.] die [X.] durch Schät-zung festgelegt, ohne ausreichend die wirtschaftlichen Verhältnisse der Ange-klagten aufzuklären. Es hat zwar festgestellt, dass die Angeklagte ohne eigene Erwerbseinkünfte ist, der Ehemann mindestens 3.
21 und 19 Jahre alten Kindern Naturalunterhalt gewährt, und dass
die Ange-klagte jeweils am Wochenende sich in der Familienwohnung aufhält. Ob der Aufenthalt am Wochenende 2,5 Tage oder etwa nur 1,5 Tage ausmacht, ergibt sich aus den Feststellungen des [X.]s nicht, was aber entscheidend e-schätzte Naturalunterhalt tatsächlich ein Viertel des Nettoverdienstes des [X.] kann.

Des weiteren gibt es keine Feststellungen dazu, wer die Kosten der frei-willigen Unterbringung der Angeklagten im [X.]

ganz oder teilweise aufbringt, ob es insoweit Ansprüche gegen Sozialhilfeträger gibt oder ob diese
bei einer Leistung möglicherweise Rückzahlungsansprüche gegen den [X.] haben oder bereits geltend machen.

Die Aufklärung der vorgenannten Grundlagen für die Bestimmung der [X.] benötigt ersichtlich keinen unübersehbaren zeitlichen Aufwand, weshalb die Voraussetzungen einer Schätzung gemäß § 40 Abs. 3 StGB vor-liegend noch nicht gegeben waren.

3. Der neue Tatrichter wird nach den erforderlichen ergänzenden Fest-stellungen die Höhe des Tagessatzes unter Berücksichtigung von § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO neu festzulegen haben, wobei ihm die Schätzungsbefugnis zu-11
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steht, wenn auch aufgrund der weiteren Feststellungen keine eindeutigen Grundlagen für die richterliche Strafzumessung gegeben sind.
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4. Nachdem die durch rechtskräftigen Schuldspruch festgestellte Straftat auch zur
Zuständigkeit
des Amtsgerichts

Strafrichter

gehört, hat der Senat von der Möglichkeit gemäß § 354 Abs. 3
StPO Gebrauch gemacht und die Sa-che an den Strafrichter des örtlich zuständigen [X.] zu-rückverwiesen.

[X.] Bellay

Cirener [X.]
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Meta

1 StR 147/17

25.04.2017

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.04.2017, Az. 1 StR 147/17 (REWIS RS 2017, 12123)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 12123

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