Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.03.2006, Az. IV ZR 32/05

IV. Zivilsenat | REWIS RS 2006, 4521

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[X.] BESCHLUSS [X.] vom 15. März 2006 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja [X.]Z: nein _____________________

GG Art. 103 Abs. 1; BGB § 1795 Abs. 1 Nr. 3, 1, § 1908 i Abs. 1; ZPO § 139 Abs. 3 Zur Notwendigkeit eines rechtzeitigen Hinweises auf das Fehlen einer Pro-zessvoraussetzung (hier: ordnungsgemäße Vertretung einer Partei) bei von der Vorinstanz abweichender Beurteilung der Rechtslage durch das Rechtsmittelgericht. Die Hinweispflicht entfällt grundsätzlich auch dann nicht, wenn sich aus ei-nem Vorprozess eine bestimmte Rechtsauffassung des Rechtsmittelge-richts erschließen lässt.
[X.], Beschluss vom 15. März 2006 - [X.] - [X.]

LG Lüneburg - 2 -

[X.] hat durch den [X.], [X.], [X.], [X.] und Dr. [X.] am 15. März 2006 beschlossen: Auf die Beschwerde der Klägerin wird die Revision gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des [X.] vom 29. Dezember 2004 zugelassen. Das vorbezeichnete Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Streitwert: 76.693,78 •

Gründe: 1 I. 1. Die Klägerin ist die Schwiegermutter der Beklagten. Der [X.] der Beklagten ist der [X.] der Klägerin und seit Juni 2001 - unter anderem für den Bereich der Vermögenssorge - auch ihr Betreuer. Im - 3 -

Jahre 1989 gewährte die Klägerin der Beklagten und ihrem Ehemann ein Darlehen über 150.000 DM. Im Mai 2000 kündigte sie das Darlehen. Die Klage auf Rückzahlung der Darlehensvaluta wurde von demselben Senat des Berufungsgerichts, dessen Entscheidung die Klägerin im [X.] Beschwerdeverfahren angreift, mangels Fälligkeit des [X.] abgewiesen. Nach einem Hinweis des Berichterstatters des Berufungsgerichts auf den Ausschluss der Vertretungsmacht des [X.] wegen einer möglichen Interessenkollision hatte das zuständige Vormundschaftsgericht für die Klägerin noch vor der Entscheidung des Berufungsgerichts einen Ergänzungsbetreuer bestellt.
2. Im vorliegenden Rechtsstreit hat die Klägerin, zunächst erneut vertreten durch ihren [X.] als Betreuer, wiederum Rückzahlung des Darlehens verlangt. Sie hat im Verfahren vor dem [X.] einen rechtlichen Hinweis für den Fall erbeten, dass Bedenken gegen ihre [X.] Vertretung im Prozess bestünden, um gegebenenfalls ei-nen Ergänzungsbetreuer bestellen lassen zu können. Das [X.] hat die Klage als zulässig behandelt und ihr stattgegeben. In der Ent-scheidung wird näher ausgeführt, es sei nicht von einer Interessenkolli-sion derart auszugehen, die den Ehemann der Beklagten von der [X.] ausschließen würde. Die Beklagte hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt. Das Berufungsgericht hat die Betreuungsakten zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. Im Hinblick auf die Rechtsausführungen des Vorsitzenden in der mündlichen Verhand-lung hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt, das Verfah-ren auszusetzen, um einen Ergänzungsbetreuer bestellen zu lassen. Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Berufungsgericht das Urteil des [X.]s geändert und die Klage als unzulässig abgewiesen. Zur 2 - 4 -

Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin sei im vorliegenden Verfah-ren von Anfang an gemäß § 1908i Abs. 1 i.V. mit § 1795 Abs. 1 Nr. 3, Nr. 1 BGB nicht ordnungsgemäß vertreten gewesen. Der [X.] der Klä-gerin sei als deren Betreuer und Ehemann der Beklagten gehindert, ei-nen Rechtsstreit zwischen diesen Personen zu führen. Ein Grund für die Aussetzung des Rechtsstreits bis zur Bestellung eines Ergänzungsbe-treuers liege nicht vor. Den Parteien sei die Rechtsauffassung des Se-nats aus dem Vorprozess bekannt gewesen, in dem auf dessen Anre-gung hin ein Betreuer für die Prozessführung und die ordnungsgemäße Kündigung des Darlehens bestellt worden sei. Unter diesen Umständen sei ein rechtlicher Hinweis entbehrlich gewesen, zumal sich dem Betreu-er der Klägerin und insbesondere ihrer Prozessbevollmächtigten der hier ohne Zweifel vorliegende Interessenkonflikt habe aufdrängen müssen. Dass das [X.] die Klage für zulässig gehalten habe, ändere dar-an nichts.

[X.] Die zulässige Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revi-sion ist begründet. Zu Recht rügt die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungs-beschwerde, dass das Berufungsgericht ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt hat, indem es einen rechtzeitigen Hinweis auf ihre nicht ordnungsgemäße Vertretung im Rechtsstreit [X.] hat. 3 1. Gerichtliche Hinweispflichten dienen der Vermeidung von Über-raschungsentscheidungen und konkretisieren den Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör ([X.] 84, 188, 189 f.). Diese in Art. 103 Abs. 1 GG normierte Gewährleistung stellt eine Ausprägung des [X.] - 5 -

[X.] für das gerichtliche Verfahren dar (vgl. [X.] 55, 72, 93 f.; [X.] NJW 1996, 3202). Rechtliche Hinweise müssen danach unter Be-rücksichtigung der Parteien in ihrer konkreten Situation so erteilt werden, dass es diesen auch tatsächlich möglich ist, vor einer Entscheidung zu Wort zu kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis [X.] zu können, sie also nicht gehindert werden, rechtzeitig ihren Sach-vortrag zu ergänzen ([X.] 84, 188, 190; 86, 133, 144; [X.]/[X.], ZPO 25. Aufl. § 139 Rdn. 14). Dem Gewährleistungsgehalt von Art. 103 Abs. 1 GG entnimmt der [X.] in ständiger Rechtsprechung daher, dass eine in erster Instanz siegreiche Partei darauf vertrauen darf, vom Berufungsgericht rechtzeitig einen Hinweis zu erhalten, wenn dieses in einem entscheidungserheblichen Punkt der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen will und aufgrund seiner abweichenden Ansicht eine Ergänzung des Vorbringens oder einen Beweisantritt für erforderlich hält ([X.], Urteile vom 27. April 1994 - [X.] - [X.], 1351; vom 16. Mai 2002 - [X.] - NJW-RR 2002, 1436 unter II 1; vgl. auch [X.], Urteil vom 15. Januar 1981 - [X.] - NJW 1981, 1378 unter 2 c und 3). Das gilt auch für von Amts wegen zu berücksichti-gende Punkte, für die § 139 Abs. 3 ZPO ausdrücklich eine Hinweispflicht vorsieht. In den Anwendungsbereich dieser Vorschrift fallen auch [X.] gegen die ordnungsgemäße gesetzliche Vertretung einer Partei im Prozess (vgl. dazu SchlHOLG [X.] 1978, 108).
2. Da das [X.] im vorliegenden Fall gegen die Zulässigkeit der Klage keine Bedenken hatte, durfte die Klägerin darauf vertrauen, dass sie von der gegenteiligen und entscheidungserheblichen Rechtsauf-fassung des Berufungsgerichts durch einen Hinweis gem. § 139 Abs. 3 ZPO rechtzeitig unterrichtet werden würde. Das gilt umso mehr, als sie 5 - 6 -

selbst schon im Verfahren vor dem [X.] um einen rechtlichen Hinweis für den Fall gebeten hatte, dass Bedenken gegen ihre [X.] Vertretung bestünden. Zu Unrecht vertritt das Berufungs-gericht die Auffassung, die Klägerin sei wegen der auf Anregung des Se-nats erfolgten Bestellung eines Ergänzungsbetreuers im Vorprozess be-reits hinreichend über die Rechtsauffassung des Senats unterrichtet ge-wesen. Zweifelhaft ist schon, ob die aus Anlass eines früheren Verfah-rens bekannt gewordene Rechtsauffassung eines Gerichts generell [X.] sein kann, einen rechtlichen Hinweis in einem weiteren Verfahren, wenn auch mit identischen Parteirollen und vergleichbarem Streitgegen-stand, entbehrlich zu machen. Denn die Auffassung des zur Entschei-dung berufenen Spruchkörpers kann sich geändert, der Spruchkörper kann in seiner personellen Zusammensetzung Änderungen erfahren ha-ben. Jedenfalls musste die Klägerin allein dem Umstand, dass hier im Vorprozess der Berichterstatter des [X.] die Akten dem zu-ständigen Vormundschaftsgericht mit der Anfrage zugeleitet hatte, ob nicht im Hinblick auf eine mögliche Interessenkollision die Bestellung ei-nes Ergänzungsbetreuers angezeigt sei, nicht entnehmen, dass sich das Berufungsgericht in dieser - danach nicht mehr entscheidungserheblich gewordenen - Frage auch für einen zukünftigen Rechtsstreit bereits end-gültig festgelegt hatte.
War demgemäß ein rechtlicher Hinweis des Berufungsgerichts ge-boten, musste ihn das Berufungsgericht so rechtzeitig erteilen, dass der Klägerin Gelegenheit blieb, der Rechtsauffassung des Gerichts gegebe-nenfalls Rechnung zu tragen. Dazu gehörte im Falle eines - hier in Rede stehenden - [X.] nicht nur die Gelegenheit zu ergänzen-dem rechtlichen Vortrag, sondern auch die Heilung des [X.] - 7 -

gels durch Bestellung eines Ergänzungsbetreuers. Der in der mündlichen Verhandlung vor der Verkündung einer Entscheidung erteilte Hinweis ist deshalb nicht mehr rechtzeitig erfolgt. Das Berufungsgericht hat auch keine geeigneten verfahrenslenkenden Maßnahmen - etwa die Bestim-mung eines neuen Termins - ergriffen, um diesen Mangel auszugleichen. Sein Verfahren hat daher den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt.
Terno [X.]

[X.] [X.] Dr. [X.] Vorinstanzen: [X.], Entscheidung vom 17.06.2004 - 4 O 53/04 - [X.], Entscheidung vom 29.12.2004 - 3 U 246/04 -

Meta

IV ZR 32/05

15.03.2006

Bundesgerichtshof IV. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.03.2006, Az. IV ZR 32/05 (REWIS RS 2006, 4521)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2006, 4521

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