Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 16.08.2018, Az. 4 B 41/17

4. Senat | REWIS RS 2018, 4740

© Bundesverwaltungsgericht, Foto: Michael Moser

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Abstandsflächenrecht als nicht revisibles Landesrecht


Gründe

1

Die auf die Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte [X.]eschwerde bleibt ohne Erfolg.

2

1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche [X.]edeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die [X.]eschwerde beimisst.

3

Als rechtsgrundsätzlich bedeutsam wirft die [X.]eschwerde die Fragen auf,

ob unter [X.]erufung auf das nachbarliche [X.] das geschriebene Gesetzesrecht (hier: Abstandsflächenrecht; [X.]odenrecht, § 34 Abs. 1 [X.]auG[X.]) zu Lasten des Nachbarn außer [X.] gelassen werden kann, ohne dass Art, Ausmaß und Gewicht einer vermeintlichen eigenen Rechtsverletzung des Nachbarn festgestellt wurden,

ob das nachbarschaftliche [X.] das Abwehrrecht des klagenden Nachbarn auch dann ausschließen kann, wenn dessen Gebäude formell und materiell rechtmäßig ist und zudem aufgrund einer [X.]augenehmigung [X.]estandsschutz genießt,

und ob das [X.] bei der Einschränkung des [X.] auf einen nach der mündlichen Verhandlung in der Zukunft liegenden Zeitpunkt abheben und unterstellen kann, dass [X.]edingungen eintreten, von deren Eintritt ein Abstandsflächenverstoß des klagenden Nachbarn abhängen, um dann losgelöst vom tatsächlichen Eintritt der [X.]edingungen seine Entscheidung zu treffen.

4

Die Fragen rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision.

5

a) Soweit die [X.]eschwerde die Fragen auf [X.] der Klägerin wegen möglicher Verstöße gegen das Abstandsflächenrecht bezieht, betreffen sie die Auslegung nicht revisiblen Landesrechts (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO) und wären in einem Revisionsverfahren einer rechtsgrundsätzlichen Klärung durch den Senat nicht zugänglich. Soweit sie auch eine Verletzung von [X.]undes([X.])recht geltend macht, legt sie nicht dar, inwieweit gerade die denkbaren Maßstäbe rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf aufwerfen.

6

aa) Das in § 6 [X.]auO [X.]ln normierte Abstandsflächenrecht, aus dem die Klägerin einen Abwehranspruch herleitet, ist Teil des nicht revisiblen Landesrechts. Es verliert diesen [X.]harakter nicht dadurch, dass Abstandsflächenvorschriften Inhalt und Schranken des grundrechtlich geschützten Grundeigentums bestimmen (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG). Gerade weil Art. 14 Abs. 1 GG als normgeprägtes Grundrecht der gesetzlichen Ausgestaltung bedarf, bleibt für den Inhalt abstandsflächenrechtlicher [X.] das nicht revisible Landesrecht maßstäblich (vgl. [X.], Urteil vom 7. November 1997 - 4 [X.] 7.97 - [X.] 11 Art. 14 GG Nr. 316 S. 31).

7

Dies gilt auch für die Schranken abstandsflächenrechtlicher [X.], die das Oberverwaltungsgericht daraus hergeleitet hat, dass sich die Klägerin nach dem Grundsatz von [X.] und Glauben nicht auf die Verletzung abstandsflächenrechtlicher Vorschriften berufen könne, weil die [X.]ebauung auf ihrem eigenen Grundstück die erforderlichen Abstandsflächen mindestens in vergleichbarem Umfang nicht einhalte. Der Grundsatz von [X.] und Glauben gehört zu den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts (stRspr, z.[X.]. [X.], Urteil vom 20. März 2014 - 4 [X.] 11.13 - [X.]E 149, 211 [X.] und Rn. 29). Sofern sich der geltend gemachte Abwehranspruch - wie hier - nach nicht revisiblem Landesrecht bestimmt, ist auch der Einwand von [X.] und Glauben dem revisionsgerichtlichen [X.] entzogen (stRspr, [X.], Urteile vom 16. Mai 2000 - 4 [X.] 4.99 - [X.]E 111, 162 <172 f.> und vom 20. März 2014 - 4 [X.] 11.13 - a.a.[X.], zuletzt [X.], [X.]eschluss vom 16. Juli 2018 - 4 [X.] - Rn. 5).

8

bb) Einen beachtlichen [X.]ezug zum revisiblen Recht vermag die [X.]eschwerde nicht dadurch herzustellen, dass sie sich auf eine Verletzung von Art. 14 Abs. 1 GG und das Erfordernis eigentumskonformer Auslegung des Abstandsflächenrechts beruft. Die Rüge einer Verletzung von [X.]undes([X.])recht bei der vorinstanzlichen Auslegung und Anwendung nicht revisiblen Landesrechts vermag die Zulassung der Grundsatzrevision nur dann zu rechtfertigen, wenn die [X.]eschwerde eine klärungsbedürftige Frage gerade des [X.]undesrechts darlegt, nicht aber dann, wenn nicht das [X.]undesrecht, sondern allenfalls die (bundesrechtskonforme) Auslegung von Landesrecht klärungsbedürftig ist (stRspr, vgl. etwa [X.], [X.]eschluss vom 13. Juni 2009 - 9 [X.] - [X.] 445.4 § 3 WHG Nr. 6 Rn. 4 m.w.N.). Abweichendes ergibt sich auch nicht aus der von der [X.]eschwerde angeführten Entscheidung des [X.] ([X.], Urteil vom 23. August 1994 - 1 [X.] 18.91 - [X.]E 96, 293 <295 ff.>; siehe auch Urteil vom 23. Februar 2011 - 8 [X.] 51.09 - NVwZ 2011, 1142). Denn diese Entscheidung ist in einem Revisionsverfahren ergangen, in dem das Revisionsgericht - anders als im [X.] - auch zu prüfen hat, ob die Vorinstanz bei der Auslegung und Anwendung irrevisiblen Landesrechts [X.]undes[X.]recht beachtet bzw. eine bundesrechtskonforme Auslegung des Landesrechts gewählt hat (stRspr, z.[X.]. [X.], [X.]eschluss vom 15. Dezember 1989 - 7 [X.] 177.89 - [X.] 310 § 132 VwGO Nr. 277).

9

Rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 GG zeigt die [X.]eschwerde nicht auf. Mit den aufgeworfenen Fragen möchte sie in einem Revisionsverfahren - zusammengefasst - klären lassen, ob das Oberverwaltungsgericht die durch Art. 14 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützte Eigentümerposition der Klägerin in [X.]widriger Weise verkürzt hat, indem es ein sich aus dem Abstandsflächenrecht ergebendes mögliches Abwehrrecht der Klägerin durch den Grundsatz von [X.] und Glauben und die hieraus abgeleiteten "Grundsätze zur wechselseitigen Abstandsflächenunterschreitung" ([X.]) bzw. zum "nachbarschaftlichen [X.]" ([X.]) als ausgeschlossen angesehen hat. Dass die bundes[X.]rechtlichen Maßstäbe selbst, insbesondere die sich aus Art. 14 Abs. 1 und 2 GG ergebenden [X.]rechtlichen [X.]indungen des ([X.] bei der [X.]estimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums (siehe hierzu z.[X.]. [X.]VerfG, [X.]eschluss vom 2. März 1999 - 1 [X.]vL 7/91 - [X.]VerfGE 100, 226 <240 f.> und [X.], [X.]eschluss vom 28. Juli 2016 - 4 [X.] 12.16 - Zf[X.]R 2016, 692), einer rechtsgrundsätzlichen Fortentwicklung bedürften, legt die [X.]eschwerde nicht dar. Ob das Oberverwaltungsgericht bei der Auslegung und Anwendung von Landesrecht die bundes[X.]rechtlichen Maßstäbe verletzt hat, ist keine Frage, die auf die Klärung dieser Maßstäbe zielt, sondern deren korrekte Anwendung im Einzelfall zum Gegenstand hat ([X.], [X.]eschluss vom 21. Dezember 1994 - 4 [X.] 266.94 - NVwZ 1995, 601). Rechtsgrundsätzliche [X.]edeutung lässt sich deshalb weder der Kritik der [X.]eschwerde entnehmen, das Oberverwaltungsgericht sei für die aus dem Gebot von [X.] und Glauben abgeleiteten "Grundsätze zur wechselseitigen Abstandsflächenunterschreitung" Nachweise schuldig geblieben, noch dem Vorwurf, die vom Oberverwaltungsgericht vorgenommene Einschränkung des [X.] sei unverhältnismäßig überdehnt worden. Gleiches gilt, soweit die [X.]eschwerde die Gesetzesbindung des Richters (Art. 20 Abs. 3 GG) als verletzt ansieht, weil sich das Oberverwaltungsgericht anhand eines ungeschriebenen Rechtssatzes ohne tatbestandliche Konturen und klare Rechtsfolgen über geschriebenes Gesetzesrecht hinweggesetzt habe. Um eine bloße Anwendung bundesrechtlicher Maßstäbe ohne rechtsgrundsätzliche [X.]edeutung geht es schließlich auch bei der Kritik, das Oberverwaltungsgericht schneide der Klägerin mit dem von ihm zugrunde gelegten entscheidungserheblichen Zeitpunkt den Einwand einer bestandskräftigen [X.]augenehmigung und einer rechtskonformen Errichtung ihres Gebäudes ab.

b) Soweit die [X.]eschwerde die aufgeworfenen Fragen auf das "[X.]odenrecht, § 34 [X.]auG[X.]" bezieht, fehlt jede Darlegung dazu, warum in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer [X.]edeutung über den Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts zu erwarten ist (zu den [X.] [X.], [X.]eschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 [X.] 78.61 - [X.]E 13, 90 <91>).

2. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen Divergenz zuzulassen.

Die [X.]eschwerde räumt ein, dass das Oberverwaltungsgericht "im Einstieg" von dem allgemeinen Maßstab ausgegangen sei, wonach eine Verletzung des [X.]s vorliege, wenn der betroffene Grundstückseigentümer unter [X.]erücksichtigung der gesamten Situation und nach Abwägung der schutzwürdigen [X.]elange der beteiligten Grundstücke unzumutbar beeinträchtigt ist. Sodann verenge das Oberverwaltungsgericht jedoch den allgemeinen Maßstab und lehne eine Verletzung des [X.]s ab, indem es auf die Annahme verweise, dass das genehmigte Vorhaben keine schlechthin unvertretbaren, als Missstand zu bewertenden [X.]eeinträchtigungen des Grundstücks der Klägerin erwarten lasse. Damit stehe dem Obersatz des [X.] ([X.], Urteil vom 13. März 1981 - 4 [X.] 1.78 - [X.] 406.19 [X.] Nr. 44), wonach das Gebot der Rücksichtnahme verletzt sei, wenn dem Nachbarn eine [X.]eeinträchtigung nicht mehr zumutbar sei, der Maßstab des [X.] gegenüber, das eine schlechthin unzumutbare, als Missstand zu bewertende [X.]eeinträchtigung verlange.

Eine die Zulassung der Revision rechtfertigende Abweichung ist damit nicht dargetan (zu den [X.] [X.], [X.]eschluss vom 20. Dezember 1995 - 6 [X.] 35.95 - NVwZ-RR 1996, 712). Dass das Oberverwaltungsgericht dem [X.]undesverwaltungsgericht mit einem in dem angegriffenen Urteil formulierten abstrakten Rechtssatz die Gefolgschaft verweigert hätte, behauptet die [X.]eschwerde selbst nicht. Die behauptete unzutreffende Rechtsanwendung führt nicht auf eine die Zulassung der Revision rechtfertigende Rechtssatzdivergenz. Im Übrigen verschweigt die [X.]eschwerde, dass das Oberverwaltungsgericht ([X.]) bei dem Verweis auf das Fehlen eines Missstandes nicht stehen geblieben ist, sondern "darüber hinaus" auch andere Zumutbarkeitsaspekte untersucht hat und erst in einer Gesamtschau aller untersuchten schutzwürdigen [X.]elange zu dem Ergebnis gelangt ist, dass das [X.] nicht verletzt sei.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung stützt sich auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Meta

4 B 41/17

16.08.2018

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 4. April 2017, Az: OVG 2 B 4.16, Urteil

§ 6 BauO BE 2005, Art 14 Abs 1 S 2 GG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 16.08.2018, Az. 4 B 41/17 (REWIS RS 2018, 4740)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 4740

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

4 B 17/18 (Bundesverwaltungsgericht)

Zurückweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde


2 ZB 14.2605 (VGH München)

Grundsatz von Treu und Glauben bei Abstandsflächenverstoß


AN 9 K 15.00573 (VG Ansbach)

Erteilung einer Baugenehmigung für die Wiedererrichtung einer Terrassenüberdachung


4 B 51/10 (Bundesverwaltungsgericht)

Pflicht zur Zeugenvernehmung in Berufungsinstanz


AN 9 S 15.00581 (VG Ansbach)

Baugenehmigung, Terrassenüberdachung, Reihenhaus, Befreiung, Abweichung, Drittschutz, Nachbarschutz


Referenzen
Wird zitiert von

M 28 K 17.36270

Au 2 S 17.30752

Zitiert

1 BvL 7/91

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.