Bundesfinanzhof, Beschluss vom 06.09.2016, Az. V B 52/16

5. Senat | REWIS RS 2016, 5887

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Gegenstand

Umsatzsteuer: Uneinbringlichkeit des Entgelts aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens


Leitsatz

1. NV: Die Rechtsprechung, wonach das Entgelt für eine Leistung aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des leistenden Unternehmers uneinbringlich wird, verstößt weder gegen insolvenzrechtliche Vorgaben noch gegen den Grundsatz der Unternehmenseinheit oder gegen Art. 90 MwStSystRL (Bestätigung der Rechtsprechung) .

2. NV: Ist eine gesetzlich gebundene Entscheidung über einen feststehenden Sachverhalt zu treffen, scheidet eine die Gerichte bindende Selbstbindung der Verwaltung grundsätzlich aus .

Tenor

Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 18. Februar 2016 11 K 11033/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Insolvenzverwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen eines Bauunternehmers. Das Insolvenzverfahren wurde 2005 eröffnet. Im Streitjahr (2007) buchte er Forderungen in Höhe von ... € aus der [X.] vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens als uneinbringlich aus. Entsprechend setzte er in seiner Umsatzsteuer-Jahreserklärung ... € wegen Änderung der Bemessungsgrundlage ab. Nachdem der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) der Umsatzsteuererklärung zunächst zugestimmt hatte, erließ es später einen geänderten Umsatzsteuerbescheid für 2007, in dem es eine Änderung der Bemessungsgrundlage ablehnte, da die Forderungen bereits mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens (im Jahr 2005) uneinbringlich geworden seien. Der dagegen gerichtete Einspruch blieb erfolglos. Die Klage wies das Finanzgericht ([X.]) unter Bezugnahme auf die Senatsurteile vom 9. Dezember 2010 V R 22/10 ([X.] 232, 301, BStBl II 2011, 996), vom 24. September 2014 V R 48/13 ([X.] 247, 460, [X.], 506) ab.

2

Dagegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde.

Entscheidungsgründe

3

II. Die Beschwerde ist unbegründet.

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1. Die Sache ist nicht grundsätzlich bedeutsam (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Denn die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage ist durch die Rechtsprechung des [X.] ([X.]) i.S. des [X.] geklärt (grundlegend [X.]surteil in [X.], 301, BStBl II 2011, 996). Mit der dagegen geäußerten Kritik hat sich der [X.] in mehreren Entscheidungen auseinandergesetzt und sie für nicht durchgreifend erachtet. Danach verstößt die durch das [X.]surteil in [X.], 301, BStBl II 2011, 996 begründete Rechtsprechung zur Uneinbringlichkeit weder gegen insolvenzrechtliche Vorgaben noch gegen den Grundsatz der Unternehmenseinheit oder gegen Art. 90 der Richtlinie 2006/112/[X.] vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem --Mehrwertsteuersystemrichtlinie-- (MwStSystRL) --zuletzt [X.]-Urteil vom 1. März 2016 [X.] R 21/14 ([X.]E 253, 445, [X.], 756, Rz 28 ff.)--. Anlass für ein Vorabentscheidungsersuchen an den [X.] ([X.]) besteht insofern nicht ([X.]surteile vom 24. November 2011 V R 13/11, [X.]E 235, 137, [X.], 298, Rz 54, und in [X.]E 247, 460, [X.], 506, Rz 37 f.; [X.]sbeschluss vom 11. März 2014 V B 61/13, [X.]/NV 2014, 920). Der Kläger trägt keine neuen Gesichtspunkte vor, die eine nochmalige Prüfung und Entscheidung gebieten.

5

Das Beschwerdevorbringen wiederholt großteils die Kritik von [X.] (Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht 2014, 309 --311 f.--) an dem [X.]surteil in [X.], 301, BStBl II 2011, [X.] Diese Kritik hat der [X.] bereits in seinem Urteil in [X.]E 247, 460, [X.], 506, Rz 37 f. zurückgewiesen. Dem hat sich nunmehr auch der [X.]. [X.] des [X.] in seinem Urteil in [X.]E 253, 445, [X.], 756 angeschlossen.

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Soweit die Beschwerde weitergehende Erwägungen anstellt, ergibt sich daraus jedenfalls kein Klärungsbedarf.

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a) Das [X.]surteil in [X.], 301, BStBl II 2011, 996 und die Folgeentscheidungen überschreiten nicht die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung. Zwar hat das [X.] ([X.]) eine solche Überschreitung angenommen, wenn richterrechtlich ein gesetzlich nicht vorgesehenes insolvenzrechtliches Rangvorrecht geschaffen wird ([X.]-Beschluss vom 19. Oktober 1983  2 BvR 485/80, 2 BvR 486/80, [X.]E 65, 182). Die Grundsätze des [X.]surteils in [X.], 301, BStBl II 2011, 996 beeinflussen auch die Verwirklichung von Umsatzsteueransprüchen in [X.]. Der [X.] hat aber kein neues Rangvorrecht eingeführt. Er hat vielmehr darüber entschieden, wann ein Umsatzsteueranspruch i.S. von §§ 38 und 55 der Insolvenzordnung ([X.]) begründet ist, und damit über eine der insolvenzrechtlichen Forderungsrangfolge vorgreifliche steuerrechtliche Frage ([X.]surteil vom 29. Januar 2009 V R 64/07, [X.]E 224, 24, [X.], 682, unter II.1.).

8

b) Die Anwendung der Grundsätze dieses [X.]surteils im Streitfall ist auch nicht durch den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung ausgeschlossen. Eine von den Gerichten zu beachtende Selbstbindung der Verwaltung besteht lediglich ausnahmsweise in dem Bereich der ihr vom Gesetz eingeräumten Entscheidungsfreiheit, also im Bereich des Ermessens, der Billigkeit und der Typisierung oder Pauschalierung ([X.]-Urteil vom 16. Dezember 2014 [X.], [X.]E 248, 99, [X.], 519, Rz 42; s.a. [X.]surteil vom 23. April 2015 V R 32/14, [X.]/NV 2015, 1106, Rz 12, jeweils m.w.[X.]). Ist --wie im [X.] eine gesetzlich gebundene Entscheidung über einen feststehenden Sachverhalt zu treffen, scheidet daher eine die Gerichte bindende Selbstbindung grundsätzlich aus.

9

c) Die Rechtsprechung verstößt nicht gegen Unionsrecht. Die Beschwerde enthält keine durchgreifenden Einwendungen gegen die diesbezüglichen Erwägungen des [X.]surteils in [X.]E 247, 460, [X.], 506, Rz 37 f. Danach beruht auch die Ausnahme vom Grundsatz der [X.] (Art. 63 MwStSystRL) auf der zutreffenden Anwendung von Unionsrecht (Art. 90 MwStSystRL).

Nach Art. 273 Abs. 1 MwStSystRL können die Mitgliedstaaten unter bestimmten Voraussetzungen weitere Pflichten vorsehen, die sie für erforderlich erachten, um die genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen. Der [X.] hat bereits entschieden, dass dies besondere Maßgaben für die Besteuerung in [X.] einschließt und den Mitgliedstaaten dabei ein gewisser Spielraum zusteht ([X.]-Urteil [X.] vom 7. April 2016 [X.]/14, [X.]:[X.]). Er hat damit die Rechtsprechung des [X.]s in dem Urteil in [X.]E 247, 460, [X.], 506, Rz 38 bestätigt.

2. Die Revision ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O) zuzulassen.

a) Das [X.] ist nicht von dem [X.]-Urteil des [X.]. [X.]s vom 25. Juli 2012 [X.] R 29/11 ([X.]E 238, 307, [X.], 36) abgewichen. Dieses Urteil betraf einen Abrechnungsbescheid und damit schon einen andersartigen Sachverhalt als im Streitfall, in dem eine Steuerfestsetzung streitig ist (vgl. [X.]surteil vom 8. März 2012 V R 24/11, [X.]E 236, 274, [X.], 466, Rz 39 ff.). Zudem hat der [X.] in diesem Urteil die hier strittige Frage, ob Forderungen des Insolvenzschuldners durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens uneinbringlich i.S. des § 17 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) werden, ausdrücklich offengelassen ([X.]-Urteil in [X.]E 238, 307, [X.], 36, Rz 20 f.).

b) Es besteht auch keine Abweichung von dem Urteil des [X.] Berlin-Brandenburg vom 2. April 2014  7 K 7337/12 (Entscheidungen der Finanzgerichte --E[X.]-- 2014, 1427). Ist ein vom Beschwerdeführer als Divergenzentscheidung bezeichnetes Urteil des [X.] im Zeitpunkt der Entscheidung über die Zulassung der Revision bereits durch den [X.] aufgehoben worden, liegt keine Divergenz vor ([X.]-Beschluss vom 17. April 2014 III B 146/13, [X.]/NV 2014, 1080). So verhält es sich im Streitfall. Das Urteil des [X.] Berlin-Brandenburg in E[X.] 2014, 1427 wurde durch das [X.]-Urteil in [X.]E 253, 445, [X.], 756 aufgehoben.

3. Im Übrigen sieht der [X.] von einer Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 [X.]O).

4. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

V B 52/16

06.09.2016

Bundesfinanzhof 5. Senat

Beschluss

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 18. Februar 2016, Az: 11 K 11033/14, Urteil

§ 17 Abs 2 Nr 1 UStG 2005, § 38 InsO, § 55 InsO, Art 63 EGRL 112/2006, Art 90 EGRL 112/2006, Art 273 Abs 1 EGRL 112/2006, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, UStG VZ 2007

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 06.09.2016, Az. V B 52/16 (REWIS RS 2016, 5887)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 5887

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