Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 04.03.2014, Az. 2 BvR 1020/13

2. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2014, 7403

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung des Gebots bestmöglicher Sachaufklärung durch Entscheidung über Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§§ 63, 67d StGB) ohne Einholung eines externen Sachverständigengutachtens - Grundrechte des Untergebrachten aus Art 2 Abs 2 S 2 GG iVm Art 104 Abs 1 GG verletzt


Tenor

Der Beschluss des [X.] vom 25. Januar 2013 - 3 Ws 53/13 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 1 des Grundgesetzes.

Der Beschluss des [X.] vom 25. Januar 2013 - 3 Ws 53/13 - wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Der [X.] hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus.

2

1. a) Mit Urteil des [X.] vom 15. Juli 2004 wurde der Beschwerdeführer von den Vorwürfen der versuchten gefährlichen Körperverletzung, der Beleidigung in zwei Fällen, in einem Fall tateinheitlich mit Sachbeschädigung, sowie der vorsätzlichen Körperverletzung wegen Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB freigesprochen. Zugleich wurde seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet.

3

aa) Das [X.] sah als erwiesen an, dass der Beschwerdeführer am 1. September 2003 versuchte, den Angestellten eines [X.], den er zuvor beleidigt hatte, mit einer Bierflasche zu schlagen. Des Weiteren habe er am 3. April 2004 gegen 0.15 Uhr seine Nachbarin heftig beleidigt und zum Geschlechtsverkehr aufgefordert sowie versucht, nur mit einer Unterhose bekleidet, in deren Wohnung einzudringen. In der darauffolgenden Nacht habe er gegen 3.15 Uhr, laut herumschreiend, diese Aufforderung unter Hinzufügung schwerer Beleidigungen wiederholt. Am 10. April 2004 schließlich habe der Beschwerdeführer einem weiblichen Fahrgast in einem Linienbus ohne jeden Anlass einen Faustschlag ins Gesicht versetzt.

4

bb) In den Urteilsgründen führte das sachverständig beratende [X.] aus, der Beschwerdeführer leide unter einer paranoiden Schizophrenie ([X.] 10: [X.]) und einem sekundären Alkoholabusus ([X.] 10: [X.]). Die begangenen Taten seien geeignet, den Rechtsfrieden empfindlich zu stören, da der Beschwerdeführer ohne jeden Anlass auf Unbeteiligte losgegangen sei. Die mangelnde Krankheitseinsicht ließen eine erfolgversprechende Behandlung extrem schwierig erscheinen. Da von dem Beschwerdeführer weitere Taten mindestens vergleichbaren Gewichts zu erwarten seien, sei seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB anzuordnen.

5

b) Nach vorangegangener vorläufiger Unterbringung gemäß § 126a StPO seit dem 29. Juli 2004 wurde die Unterbringung des Beschwerdeführers gemäß § 63 StGB ab dem 8. Dezember 2004 im Bezirkskrankenhaus K. vollzogen.

6

c) Nach fünfjährigem Vollzug der Unterbringung lehnte das [X.] Kempten im Jahr 2009 die nach § 463 Abs. 4 StPO grundsätzlich erforderliche Einholung eines externen Sachverständigengutachtens mit der Begründung ab, dass der Untergebrachte die Mitwirkung an der Begutachtung ablehne und sich bereits in der Entlassungsvorbereitung befinde. Da sich die Entlassung des Beschwerdeführers in der Folgezeit nicht realisierte, beauftragte das [X.] zum nächsten Prüftermin im [X.] einen externen Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens. Dieser teilte jedoch kurze [X.] später mit, dass er kein Gutachten erstatten könne, da der Beschwerdeführer sich nicht von einem externen Gutachter begutachten lassen wolle. Das [X.] Kempten ordnete daraufhin auf Grundlage der Stellungnahme des behandelnden [X.] erneut die Fortdauer der Unterbringung an. Das [X.] bestätigte die Entscheidung und stellte fest, dass die Einholung eines externen Gutachtens aufgrund des Verzichts des Beschwerdeführers nicht erforderlich gewesen sei. Auch in der Folgezeit unterblieb aufgrund der Weigerung des Beschwerdeführers, sich explorieren zu lassen, die Einholung eines Sachverständigengutachtens.

7

2. Mit Beschluss vom 13. Dezember 2012 lehnte es das [X.] Kempten erneut ab, die weitere Vollstreckung der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Bewährung auszusetzen, weil noch nicht erwartet werden könne, dass der Beschwerdeführer außerhalb des [X.] keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen werde.

8

Nach dem Bericht des [X.] K. vom 16. Oktober 2012 bestünden bei dem Beschwerdeführer weiterhin ein schizophrenes Residuum sowie ein Alkoholmissbrauch. Im Prüfungszeitraum habe sich weder psychopathologisch noch in seinem Verhalten Entscheidendes verändert.

9

Danach könne die Maßregel zum jetzigen [X.]punkt nicht zur Bewährung ausgesetzt werden. Von der Einholung eines externen Sachverständigengutachtens gemäß § 463 Abs. 4 StPO sei im Hinblick auf die weiterhin erklärte Verweigerung des Beschwerdeführers erneut abgesehen worden.

Der weitere Maßregelvollzug sei im Hinblick auf die zu befürchtenden Straftaten auch noch verhältnismäßig. So sei in der Vergangenheit immer wieder von aggressiven Ausbrüchen des Beschwerdeführers - meist in alkoholisiertem Zustand - berichtet worden. Gegenüber Nachbarn, Mitpatienten und sogar seiner Betreuerin sei es zu Übergriffen mit teilweise sexuellem Hintergrund gekommen. Einer Verurteilung des Beschwerdeführers durch das [X.] Kempten im [X.] habe ein Vorfall zugrunde gelegen, bei dem er alkoholisiert in das Haus der Geschädigten eingedrungen sei, sie bis ins Schlafzimmer verfolgt und sie dort in sexueller Absicht auf das Bett gedrückt, dann aber sofort von ihr abgelassen habe. Ähnliche Taten könnten angesichts des zuletzt gezeigten Verhaltens auf der Station nicht ausgeschlossen werden. Nach der Einschätzung der behandelnden Therapeuten wären mit einem Absetzen der Medikamente außerdem eine Verstärkung der psychotischen Symptome sowie die Zunahme verbaler Aggressivität und fremdaggressiven Verhaltens verbunden.

3. Die gegen diesen Beschluss gerichtete sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers vom 21. Dezember 2012 verwarf das [X.] mit angegriffenem Beschluss vom 25. Januar 2013 unter vollumfänglicher Bezugnahme auf den Beschluss des [X.]s Kempten als unbegründet.

Von der Einholung eines externen Sachverständigengutachtens habe abgesehen werden können. Der Beschwerdeführer habe mehrfach erklärt, dass er eine externe Begutachtung unabhängig von der Person des Sachverständigen ablehne. Das [X.] habe sich daher die nötige Sachaufklärung in zulässiger Weise unter Zuhilfenahme anderer Erkenntnisquellen verschafft. Die eingeholte aktuelle gutachterliche Stellungnahme des [X.] genüge in der Gesamtschau mit deren bisherigen Stellungnahmen den Anforderungen an ein Sachverständigengutachten gemäß § 463 Abs. 4 Satz 1 StPO.

Der anwaltlich nicht vertretene Beschwerdeführer sieht sich durch den angegriffenen Beschluss in verfassungsmäßigen Rechten verletzt. Ausführungen dazu, inwiefern die angegriffene Entscheidung bestimmte Grundrechte verletzen soll, enthält die Verfassungsbeschwerde nicht.

1. a) Das [X.] hat von einer Stellungnahme abgesehen.

b) Der [X.] beim [X.] hält die Verfassungsbeschwerde, soweit sie einer inhaltlichen Prüfung zugänglich sei, nicht für erfolgversprechend.

aa) Der Beschwerdeführer habe die Verfassungsbeschwerde nicht ausreichend gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.] begründet. Der Beschwerdeführer habe für deren Verständnis relevante Entscheidungen und Dokumente weder vorgelegt, noch sonst inhaltlich wiedergegeben. Zudem fehle es an nachvollziehbaren Ausführungen dazu, inwieweit die angegriffene Entscheidung Verfassungsrecht verletzen solle.

bb) Soweit die Verfassungsbeschwerde eine Überprüfung der angegriffenen Entscheidung ermögliche, sei kein Verstoß gegen Verfassungsrecht ersichtlich.

(1) Der angegriffene Beschluss genüge den verfassungsrechtlichen Begründungs- und Darlegungsanforderungen. Die Verhältnismäßigkeit der weiteren Unterbringung sei zwar knapp, jedoch ausdrücklich mit Hinweis "auf die konkret bestehende Gefahr neuer Übergriffe im mittleren bis schweren Kriminalitätsbereich" noch ausreichend begründet worden.

(2) Es bestünden auch keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, dass von der Einholung eines externen Sachverständigengutachtens abgesehen worden sei.

Nach den verfassungsrechtlichen Maßstäben sei es zwar zumindest bedenklich, wenn Fachgerichte von der Begutachtung durch einen externen Sachverständigen bereits deshalb absähen, weil der Untergebrachte eine Exploration ablehne. Gleichwohl werde der gesteigerten Unvoreingenommenheit des externen Sachverständigen in der Regel gerade und nur dann die angestrebte besondere Bedeutung zukommen, wenn sich dieser selbst einen möglichst unmittelbaren Eindruck vom Untergebrachten habe verschaffen können. Ohne eigene Exploration hingegen könne sich seine gutachterliche Stellungnahme nur auf die Berichte der bereits mit dem Unterbringungsvollzug und der Behandlung befassten Personen stützen. Deren Darstellung und Einschätzung werde damit zur wesentlichen Beurteilungsgrundlage, wodurch gleichzeitig die institutionelle Unabhängigkeit des externen Sachverständigen wesentlich an Bedeutung verliere.

Für das Absehen des [X.] von einer Begutachtung durch einen externen Sachverständigen sei nicht allein maßgeblich gewesen, dass der Beschwerdeführer eine Exploration ablehne. Vielmehr sei ausdrücklich festgehalten, dass "die erholte aktuelle gutachterliche Stellungnahme des [X.] K. […] in der Gesamtschau mit deren bisherigen Stellungnahmen den Anforderungen an ein Sachverständigengutachten gemäß § 463 Abs. 4 Satz 1 StPO" genüge. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer nicht nur die Begutachtung durch einen bestimmten Sachverständigen, sondern jede Begutachtung abgelehnt habe.

2. Dem [X.] haben die Akten 304 Js 133284/03 der Staatsanwaltschaft Augsburg vorgelegen.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Voraussetzungen für eine stattgebende [X.] nach § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 [X.] sind erfüllt. Das [X.] hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen - insbesondere die sich aus dem verfassungsrechtlichen Gebot bestmöglicher Sachaufklärung im Strafvollstreckungsverfahren ergebenden Anforderungen an die Anordnung der Fortdauer langandauernder Unterbringungen in einem psychiatrischen Krankenhaus - bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 [X.]; vgl. [X.] 70, 297) und die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]). Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 [X.]).

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Sie ist insbesondere hinsichtlich einer Verletzung des Freiheitsgrundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG hinreichend begründet (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.]).

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Fortdauer seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgrund des vorgelegten Beschlusses des [X.] München vom 25. Januar 2013 und macht damit konkludent eine Verletzung seines Freiheitsgrundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG geltend. Eine ausdrückliche Benennung des als verletzt gerügten Grundrechtsartikels verlangen die §§ 23, 92 [X.] nicht (vgl. [X.] 84, 366 <369>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 11. Oktober 2010 - 2 BvR 1710/10 -, juris, Rn. 16). Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht auch nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer weder den vorangegangenen Fortdauerbeschluss des [X.] München vom 4. Januar 2012 noch die Stellungnahme des [X.] K. vom 16. Oktober 2012, auf die der angegriffene Beschluss Bezug nimmt, vorgelegt hat, da es zur Überprüfung und Feststellung der Verletzung des verfassungsrechtlichen Gebotes bestmöglicher Sachaufklärung im Strafvollstreckungsverfahren (vgl. [X.] 70, 297 <308 ff.>) der Vorlage dieser Dokumente nicht bedarf.

Der angegriffene Beschluss des [X.] München vom 25. Januar 2013 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG, weil er den Anforderungen, die sich aus dem verfassungsrechtlichen Gebot bestmöglicher Sachaufklärung für die Anordnung der Fortdauer langandauernder Unterbringungen in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ergeben, nicht genügt.

1. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährt jedermann die "Freiheit der Person" und nimmt einen hohen Rang unter den Grundrechten ein (vgl. [X.] 128, 326 <372> m.w.N.). Eine Einschränkung darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter Beachtung strenger formeller Gewährleistungen erfolgen (vgl. [X.] 70, 297 <307>).

a) Die freiheitssichernde Funktion des Art. 2 Abs. 2 GG hat dabei auch verfahrensrechtliche Bedeutung. Aus ihr ergeben sich [X.] für eine zuverlässige Wahrheitserforschung. Es ist unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben (vgl. [X.] 70, 297 <308>; [X.]K 15, 287 <294 f.>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 19. Juni 2012 - 2 BvR 2521/11 -, juris, Rn. 15).

Das Gebot bestmöglicher Sachaufklärung gilt auch für den Straf- und Maßregelvollzug (vgl. [X.] 70, 297 <309>; [X.]K 15, 287 <295>). Im Rahmen dieses Gebotes besteht bei [X.], bei denen geistige und seelische Anomalien in Frage stehen, in der Regel die Pflicht, einen erfahrenen Sachverständigen hinzuzuziehen. Dies gilt insbesondere dort, wo die Gefährlichkeit eines in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten zu beurteilen ist; denn die Umstände, die diese bestimmen, sind für den [X.] oft schwer erkennbar und abzuwägen ([X.] 70, 297 <309>). Daraus folgt zwar noch nicht, dass bei jeder nach § 67e Abs. 2 StGB turnusmäßig vorzunehmenden Überprüfung der Unterbringung von Verfassungs wegen zwingend ein ärztliches Sachverständigengutachten einzuholen wäre ([X.]K 15, 287 <295>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 16. Juni 2008 - 2 BvR 598/08 -, juris, Rn. 4). Nicht bei jeder Überprüfung der Unterbringung muss der gleiche Aufwand veranlasst sein ([X.] 70, 297 <309>). Bestehen keine zwingenden gesetzlichen Vorgaben, hängt es von dem sich nach den Umständen des einzelnen Falles bestimmenden pflichtgemäßen Ermessen des [X.]s ab, in welcher Weise er die [X.] prüft. Immer ist allerdings eine für den Einzelfall hinreichende Gründlichkeit bei der Entscheidungsfindung zu gewährleisten (vgl. [X.] 70, 297 <309 f.>; [X.]K 15, 287 <295>).

Befindet sich der Untergebrachte seit langer [X.] in ein und demselben psychiatrischen Krankenhaus, ist es in der Regel geboten, von [X.] zu [X.] einen anstaltsfremden Sachverständigen hinzuzuziehen, um der Gefahr repetitiver Routinebeurteilungen vorzubeugen (vgl. [X.] 70, 297 <311, 316>; 109, 133 <162>; 117, 71 <105, 106>; [X.]K 5, 40 <43>; 15, 287 <295>) und um auszuschließen, dass Belange der Anstalt oder die Beziehung zwischen Untergebrachtem und Therapeuten das Gutachten beeinflussen (vgl. [X.] 109, 133 <164>; [X.]K 15, 287 <295>). Aus denselben Gründen kann es bei langdauernder Unterbringung weitergehend angezeigt sein, den Untergebrachten von einem solchen externen Sachverständigen begutachten zu lassen, der im Laufe des [X.] noch überhaupt nicht mit dem Untergebrachten befasst war ([X.] 109, 133 <164>; [X.]K 15, 287 <295 f.>).

b) Mit der Einführung von § 463 Abs. 4 StPO im Jahr 2007 hat der Gesetzgeber diese verfassungsrechtlichen Vorgaben einfachrechtlich prozedural besonders abgesichert. Danach soll im Rahmen der Überprüfungen nach § 67e StGB das Gericht nach jeweils fünf Jahren vollzogener Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus das Gutachten eines Sachverständigen einholen (§ 463 Abs. 4 Satz 1 StPO), der weder im Rahmen des Vollzugs der Unterbringung mit der Behandlung der untergebrachten Person befasst gewesen ist (§ 463 Abs. 4 Satz 2 Alt. 1 StPO) noch in dem psychiatrischen Krankenhaus arbeitet, in dem sich die untergebrachte Person befindet (§ 463 Abs. 4 Satz 2 Alt. 2 StPO). Die Vorschrift konkretisiert das verfassungsrechtliche Gebot bestmöglicher Sachaufklärung im Strafvollstreckungsverfahren, indem durch die Hinzuziehung eines bisher nicht mit der untergebrachten Person befassten Gutachters, der eine kritische Distanz zu den bisherigen - im Laufe der letzten fünf Jahre eingeholten - Stellungnahmen hält, der Gefahr von Routinebeurteilungen vorgebeugt und die Prognosesicherheit des Gerichts entscheidend verbessert werden soll (vgl. BTDrucks 16/1110, [X.]; [X.]K 15, 287 <296 f.>).

Nach dieser Regelung ist ein externes Gutachten als Grundlage einer nach fünf Jahren zu treffenden Überprüfungsentscheidung nur in sehr eng begrenzten Ausnahmefällen entbehrlich ([X.]K 15, 287 <297> m.w.N.). Eine Ausgestaltung des § 463 Abs. 4 StPO als Mussvorschrift ist im Gesetzgebungsverfahren zunächst nur unterblieben, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass einige Ländergesetze zum Maßregelvollzug bereits regelmäßige externe Begutachtungen in kürzeren [X.]abständen vorsahen. Wenn in diesen Fällen nach fünf Jahren vollzogener Unterbringung bereits ein aktuelles externes Gutachten vorliegt, könne - so der Gesetzgeber - auf die neuerliche Einholung eines externen Gutachtens verzichtet werden (BTDrucks 16/5137, [X.]). Dasselbe könne gelten, wenn die untergebrachte Person sich bereits in der Entlassungsvorbereitung befinde, da die Einholung eines externen Gutachtens hier zu einer ungewollten Verlängerung der Unterbringung führen könne (BTDrucks 16/5137, [X.] f.), sowie in Fällen, in denen die untergebrachte Person neben der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu einer langen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, sodass es sich als sachgerechter darstellen könne, eine externe Begutachtung mit dem möglichen [X.]punkt der Strafaussetzung nach § 67 Abs. 5 StGB abzustimmen (BTDrucks 16/5137, [X.]). Die möglicherweise fehlende Bereitschaft des Betroffenen zur Mitwirkung an der Begutachtung ist demgegenüber im Gesetzgebungsverfahren nicht als Grund für die Ausgestaltung von § 463 Abs. 4 StPO als Sollvorschrift genannt worden.

Die Einhaltung der Vorgaben aus § 463 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO ist ein Verfassungsgebot. Art. 104 Abs. 1 GG nimmt den schon in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG enthaltenen Gesetzesvorbehalt auf und verstärkt ihn dergestalt, dass die Einhaltung der Formvorschriften eines freiheitsbeschränkenden Gesetzes zum Verfassungsgebot erhoben wird. Die Verletzung des § 463 Abs. 4 StPO wird damit zu einem Verfassungsverstoß, dem der Betroffene mit der Verfassungsbeschwerde entgegentreten kann ([X.]K 15, 287 <298>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 19. Juni 2012 - 2 BvR 2521/11 -, juris, Rn. 19).

c) Die Auslegung und Anwendung des § 463 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO ist zunächst Aufgabe der Fachgerichte. Ein Eingreifen des [X.]s ist erst dann gerechtfertigt, wenn deren Auslegung und Anwendung der freiheitssichernden Vorschrift des § 463 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO mit Bedeutung und Tragweite des Freiheitsgrundrechts nicht zu vereinbaren sind oder sich als objektiv willkürlich erweisen ([X.]K 15, 287 <298>; vgl. auch [X.] 65, 317 <322>).

Die Fachgerichte haben bei Auslegung und Anwendung der prozeduralen Sicherungen des Freiheitsgrundrechts allerdings zu berücksichtigen, dass die materiellen Freiheitsgarantien des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG unter den grundrechtlich verbürgten Rechten ein besonderes Gewicht haben und die Freiheit des Einzelnen nur in einem mit wesentlichen formellen Garantien ausgestatteten Verfahren entzogen werden darf. Daher sind Inhalt und Reichweite der Form- und Verfahrensvorschriften eines freiheitsbeschränkenden Gesetzes von den Fachgerichten so auszulegen, dass sie eine der Bedeutung des Grundrechts angemessene Wirkung entfalten, schon um einer Aushöhlung und Entwertung des Grundrechts über das Verfahrensrecht entgegenzuwirken ([X.] 65, 317 <322 f.>; [X.]K 15, 287 <298> m.w.N.).

2. Die angegriffene Entscheidung hält diesen Maßstäben nicht stand.

Es kann dahinstehen, ob angesichts der Tatsache, dass der Beschwerdeführer nach seiner Begutachtung im Erkenntnisverfahren im Jahr 2004 seit achteinhalb Jahren von keinem externen Sachverständigen untersucht worden ist, eine externe Begutachtung nicht schon unabhängig von der Regelung des § 463 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO von Verfassungs wegen angezeigt gewesen wäre. Die Entscheidung des [X.] verletzt das Freiheitsgrundrecht des Beschwerdeführers jedenfalls deshalb, weil das Gericht die einfachrechtlichen Vorgaben aus § 463 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO und deren Bedeutung für die Sicherung des Freiheitsgrundrechts des Beschwerdeführers nicht hinreichend beachtet hat (vgl. [X.]K 15, 287 <299>).

a) Eine der Ausgestaltung des § 463 Abs. 4 StPO als Sollvorschrift zugrundeliegende Ausnahmekonstellation liegt nicht vor. Weder bestand für das [X.] die Möglichkeit, auf ein aktuelles externes Gutachten zurückzugreifen, da der Beschwerdeführer nach seiner Begutachtung im Erkenntnisverfahren im Jahr 2004 von keinem externen Sachverständigen untersucht und begutachtet worden ist, noch konnte - im Unterschied zu der Fortdauerentscheidung des Jahres 2009 - ein Verzicht auf die Einholung eines Gutachtens unter dem Gesichtspunkt einer ungewollten Verlängerung der Unterbringung angesichts einer bevorstehenden Entlassung des Beschwerdeführers gerechtfertigt werden. Ebenso wenig kam eine Zurückstellung der Begutachtung mit dem Ziel einer sachgerechten Abstimmung mit der Entscheidung über eine mögliche Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 67 Abs. 5 StGB in Betracht.

b) Der Notwendigkeit der Einholung eines externen Sachverständigengutachtens kann auch nicht entgegengehalten werden, die aktuelle gutachterliche Stellungnahme des [X.] K. genüge in der Gesamtschau mit den bisherigen Stellungnahmen den Anforderungen an ein Sachverständigengutachten gemäß § 463 Abs. 1 Satz 1 StPO. Dies ist mit Sinn und Zweck der Vorschrift nicht zu vereinbaren, die gerade darauf abzielt, der Gefahr repetitiver Routinebeurteilungen vorzubeugen und auszuschließen, dass Belange der Anstalt oder die Beziehung zwischen Untergebrachtem und Therapeuten das Gutachten beeinflussen. Die Hinzuziehung eines bisher mit der untergebrachten Person nicht befassten Gutachters soll sicherstellen, dass eine eigenständige Bewertung aus kritischer Distanz zu den Stellungnahmen der [X.] erfolgt und dadurch die Prognosesicherheit der gerichtlichen Entscheidung verbessert wird. Diese dem externen Gutachten zukommende Funktion kann durch die Stellungnahmen der Klinik nicht übernommen werden.

c) Schließlich führt auch die Weigerung des Beschwerdeführers, an einer Begutachtung mitzuwirken, nicht zur Entbehrlichkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens. Dies käme allenfalls dann in Betracht, wenn ein ohne Mitwirkung des Betroffenen erstelltes Gutachten keinen Beitrag zur Verbesserung der Prognosesicherheit des Gerichts leisten könnte. Davon kann aber nicht ohne Weiteres ausgegangen werden:

Zwar wird die eigenständige Exploration des Untergebrachten durch den Sachverständigen regelmäßig die Aussagekraft und Belastbarkeit eines Gutachtens erhöhen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass einem ohne Mitwirkung des Betroffenen nach der Aktenlage erstellten Sachverständigengutachten keine zusätzliche Bedeutung im Rahmen der durch das Gericht zu treffenden Prognoseentscheidung zukommt. Bei der Erstellung des Gutachtens ist der Sachverständige nicht nur auf die Feststellungen und Stellungnahmen der [X.] angewiesen. Er kann darüber hinaus auf frühere Gutachten und Unterlagen aus dem Erkenntnisverfahren zurückgreifen. Zudem wird er die Feststellungen und Stellungnahmen der [X.] einer eigenständigen Bewertung zuführen, bei der sich seine gesteigerte Unvoreingenommenheit und kritische Distanz entfalten können. Daher ist nicht auszuschließen, dass der externe Gutachter zu Ergebnissen gelangt, die sich von den Bewertungen der [X.]en unterscheiden. Auch wenn dies nicht der Fall ist, kann ein derartiges Sachverständigengutachten zu einer deutlichen Erweiterung der tatsächlichen Grundlage führen, von der das Gericht bei seiner Entscheidung über die Fortdauer der Freiheitsentziehung auszugehen hat. Daher ist aufgrund des Gebotes bestmöglicher Sachaufklärung die Einholung eines externen Sachverständigengutachtens regelmäßig auch dann nicht verzichtbar, wenn der Betroffene seine Mitwirkung an der Erstellung des Gutachtens verweigert (vgl. auch [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2380/06 -, juris, Rn. 31; [X.], Beschluss vom 11. März 2013 - 1 Ws 307/12 -, juris, Rn. 43; [X.], Beschluss vom 13. März 2012 - 3 Ws 33/12 -, juris, Rn. 25; [X.], Beschluss vom 10. Februar 2009 - 2 Ws 19/09 -, juris, Rn. 34). Welche Bedeutung einem solchen nach der Aktenlage erstellten Gutachten zukommt, ist durch das Gericht im Rahmen seiner Fortdauerentscheidung eigenständig zu bewerten. Einen Verzicht auf die Einholung eines externen Sachverständigengutachtens rechtfertigt dies regelmäßig jedoch nicht.

1. Da der Beschluss des [X.] München vom 25. Januar 2013 durch den Verzicht auf die Einholung eines externen Sachverständigengutachtens dem Gebot bestmöglicher Sachaufklärung nicht genügt und dadurch das Freiheitsgrundrecht des Beschwerdeführers verletzt hat, ist er aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 [X.]).

Bei der nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zu treffenden Entscheidung wird zu beachten sein, dass sich das zunehmende Gewicht des Freiheitsanspruchs des Beschwerdeführers angesichts der Dauer seiner Unterbringung auf die an die Begründung einer Fortdauerentscheidung zu stellenden Anforderungen auswirkt (vgl. [X.] 70, 297 <315 f.>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 4. Oktober 2012 - 2 BvR 442/12 -, juris, Rn. 17). Erforderlich ist eine Konkretisierung der Art und des Grades der Wahrscheinlichkeit künftiger rechtswidriger Taten des Beschwerdeführers, die Darlegung der "Erheblichkeit" dieser Taten im Sinne des § 63 StGB sowie des Überwiegens der Sicherungsbelange der Allgemeinheit gegenüber dem aufgrund der Dauer der Unterbringung zunehmenden Gewicht des Freiheitsanspruchs des Beschwerdeführers und die Auseinandersetzung mit der Frage, ob den Sicherungsinteressen der Allgemeinheit auch durch den Beschwerdeführer weniger belastende Maßnahmen Rechnung getragen werden kann (vgl. [X.] 70, 297 <312 ff.>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 5. Juli 2013 - 2 BvR 789/13 -, juris, Rn. 18, 19). Dem genügt der Hinweis, dass bei dem Beschwerdeführer nach wie vor ein schizophrenes Residuum sowie ein Alkoholmissbrauch vorliegen und sich weder psychopathologisch noch in seinem Verhalten Entscheidendes verändert habe, ebenso wenig wie die Behauptung, dass eine Entlassung des Beschwerdeführers zur Zunahme verbaler Aggressivität und fremdaggressiven Verhaltens führen werde. Nichts anderes gilt für den bloßen Verweis auf eine der Unterbringung nicht zugrundeliegende Verurteilung aus dem [X.] und die Darlegung, dass der Beschwerdeführer während der Unterbringung immer wieder durch lautstarke Beschimpfungen aufgefallen und einer Patientin gegenüber zudringlich geworden sei. Dies vermag weder die gebotene Konkretisierung der Art und des Grades der Wahrscheinlichkeit künftiger rechtswidriger Taten des Beschwerdeführers zu ersetzen noch ergibt sich hieraus ohne Weiteres ein Überwiegen der Sicherungsinteressen der Allgemeinheit gegenüber dem zunehmenden Gewicht des Freiheitsanspruchs des Beschwerdeführers.

2. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 [X.].

Meta

2 BvR 1020/13

04.03.2014

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 2. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG München, 25. Januar 2013, Az: 3 Ws 53/13, Beschluss

Art 2 Abs 2 S 2 GG, Art 104 Abs 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 63 StGB, § 67d StGB, § 463 Abs 1 S 1 StPO, § 463 Abs 4 S 1 StPO, § 463 Abs 4 S 2 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 04.03.2014, Az. 2 BvR 1020/13 (REWIS RS 2014, 7403)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 7403

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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