Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 03.11.2005, Az. 3 StR 345/05

3. Strafsenat | REWIS RS 2005, 1031

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[X.] vom 3. November 2005 Nachschlagewerk: ja [X.]St: nein Veröffentlichung: ja __________________ [X.] § 275 a Abs. 1 Zur Rücknahme eines Antrags auf Anordnung der nachträglichen Siche-rungsverwahrung sowie zu den Mindestanforderungen an einen solchen [X.]. [X.], [X.]. vom 3. November 2005 - 3 [X.] - [X.] in der Strafsache gegen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u. a.; hier: Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung - 2 - Der 3. Strafsenat des [X.] hat am 3. November 2005 beschlos-sen: Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft gegen die Entscheidung des [X.] vom 26. April 2005 und die dem Verurteilten dadurch entstandenen notwendigen Ausla-gen werden der Staatskasse auferlegt. Gründe: Der Verurteilte verbüßt derzeit eine vierjährige Gesamtfreiheitsstrafe aus einem Urteil des [X.] wegen schweren sexuellen [X.] in drei Fällen und wegen Körperverletzung. Das Strafende ist für den 21. November 2005 notiert. Die Staatsanwaltschaft hat beantragt, "vorbehaltlich des Ergebnisses der einzuholenden Gutachten" die nachträgliche Sicherungsverwahrung anzuordnen. In einem nach Antragstellung erstatteten Bericht hat die Justizvollzugsanstalt mitgeteilt, der 43 Jahre alte, zuvor unbe-strafte [X.] habe ein beanstandungsfreies Vollzugsverhalten gezeigt und sich um die Aufarbeitung seiner Sexualstraftat im Rahmen der therapeuti-schen Ambulanz bemüht. 1 Durch [X.]uss vom 26. April 2005 hat das [X.] die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung abgelehnt, weil keine neuen Tatsa-chen erkennbar geworden seien, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen würden. 2 Gegen die Ablehnung ihres Antrags hat die Staatsanwaltschaft [X.] eingelegt. Das [X.] hat sich zu einer [X.] - 3 [X.] darüber als nicht berufen angesehen, weil über einen Antrag auf nach-trägliche Sicherungsverwahrung nur aufgrund einer Hauptverhandlung ent-schieden werden könne und der [X.]uss des [X.]s deshalb als ein Urteil anzusehen sei. Daraufhin hat die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel als Revision weiterverfolgt und die Sache über den [X.] dem Se-nat vorgelegt. Im Hinblick darauf, dass das Rechtsmittel nicht innerhalb einer Woche nach Zustellung beim [X.] eingegangen war, hat sie zugleich einen Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt. Zur Begründung hat sie unter [X.] auf die Entscheidung des [X.] vom 13. Januar 2005 (NStZ-RR 2005, 109) vorgetragen, sie habe jedenfalls bis zum Urteil des [X.] vom 1. Juli 2005 (NJW 2005, 3079; zur Veröffentlichung in [X.]St vorgesehen) die Beschwerde als das zulässige Rechtsmittel ansehen können und deshalb die Frist zur Einlegung der Revision unverschuldet ver-säumt. Nach Eingang der Vorgänge beim Senat hat die Staatsanwaltschaft "den Antrag auf nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungs-verwahrung gemäß § 66 b StGB" zurückgenommen. 1. Der Senat muss über den Wiedereinsetzungsantrag nicht mehr [X.], weil das Verfahren auf andere Weise beendet ist. 4 a) Die Beendigung des Verfahrens ist allerdings nicht dadurch eingetre-ten, dass die Staatsanwaltschaft ihren Antrag zurückgenommen hat. 5 Die Frage, ob, unter welchen Voraussetzungen und bis zu welchem Fortgang des Verfahrens eine Rücknahme des Antrags auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung rechtlich möglich ist, war - soweit er-sichtlich - noch nicht Gegenstand veröffentlichter Gerichtsentscheidungen. 6 - 4 - aa) Nach Auffassung des Senats stehen der Annahme, die Staatsan-waltschaft könne einen solchen Antrag zurücknehmen, keine grundsätzlichen Bedenken entgegen. Für diese Annahme sprechen Gesichtspunkte der [X.] und allgemeine Prozessgrundsätze. Auch sonst können die [X.] und insbesondere die Staatsanwaltschaft Anträge und [X.] zurücknehmen. Ausnahmen und Beschränkungen gelten nur, wenn und soweit sie gesetzlich angeordnet sind, so etwa für die Rücknahme der Anklage, die regelmäßig nur bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens möglich ist (§ 156 [X.]; vgl. § 153 c Abs. 4, § 153 d Abs. 2 [X.]), oder etwa für die Rücknahme eines Rechtsmittels, die - abhängig vom Stand [X.] - zur Wirksamkeit der Zustimmung eines anderen Verfahrensbeteiligten bedarf (vgl. § 302 Abs. 1 Satz 2, § 303 [X.]), oder für die Rücknahme des Strafbefehlsantrags (vgl. § 411 Abs. 3 [X.]). 7 Solche Ausnahmen oder Beschränkungen sieht das Gesetz in § 275 a Abs. 1 [X.] für die Rücknahme eines Antrags der Staatsanwaltschaft auf Durchführung des gerichtlichen Verfahrens zur Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nicht vor. Ein Vergleich mit anderen Verfahrensnormen, insbesondere mit § 156 [X.], der die Rücknahme der Anklage nur zulässt, bis das Gericht das Hauptverfahren eröffnet hat, spricht sogar gegen eine Be-schränkung der [X.]: Ein Zwischenverfahren, in dem das Gericht - wie dies bezüglich der Anklage in §§ 201 ff. [X.] geregelt ist - über die Zulassung des Antrags zur Hauptverhandlung entscheiden könnte, ist nicht vorgesehen. Vielmehr schließt sich dem Eingang des staatsanwaltschaftlichen Antrags unmittelbar die gerichtliche Vorbereitung der Hauptverhandlung an (vgl. § 275 a Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 [X.]). Sollte das Gericht dabei feststellen, dass der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nicht mehr zu besei-tigende Hindernisse entgegenstehen (wie insbesondere das Fehlen formeller 8 - 5 - Voraussetzungen, etwa einer der von § 66 b Abs. 1 oder 2 StGB bzw. § 66 Abs. 3 StGB vorausgesetzten Katalogtaten, einer Vorverurteilung oder einer Vorverbüßung), dann erscheint es unter verfahrensökonomischen [X.] zwingend, dass die Staatsanwaltschaft nach einem entsprechenden gerichtlichen Hinweis das Verfahren durch Rücknahme des Antrags zum [X.] bringen kann, zumal Interessen des Verurteilten nicht entgegen stehen. Dies gilt umso mehr, als eine Beendigung des Verfahrens durch [X.]uss, wie sie zur Vermeidung unnötigen Verfahrensaufwands zweckmäßig sein könnte (was auch dem [X.] vor Augen gestanden haben mag), aufgrund der eindeutigen gesetzgeberischen Entscheidung ausgeschlossen ist. Nimmt die Staatsanwaltschaft ihren Antrag trotz gerichtlicher Bedenken nicht zurück, muss eine Hauptverhandlung durchgeführt und durch Urteil ent-schieden werden, selbst wenn - was allerdings kaum denkbar erscheint - der Mangel an einer formellen Voraussetzung für die Anordnung der Maßregel evi-dent ist. Um den zeitlichen und materiellen Aufwand für das Verfahren gering zu halten, ist es in einem solchen Fall denkbar, die Hauptverhandlung durchzufüh-ren, ohne vorher Sachverständigengutachten einzuholen. 9 bb) Hinsichtlich der Frage, bis zu welchem Stadium des Verfahrens und unter welchen Voraussetzungen die Staatsanwaltschaft ihren Antrag noch zu-rücknehmen kann, könnte nach Auffassung des Senats eine sachgerechte Antwort dahin gehen, eine Rücknahme bis zur Entscheidung des Gerichts zu ermöglichen, sie nach Beginn der Hauptverhandlung aber von der Zustimmung des Verurteilten abhängig zu machen. Eine solche Regelung, wie sie - freilich für eine andere Verfahrensgestaltung - in § 411 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 303 [X.] getroffen ist, würde nicht nur das Verfahren beschleunigen, was sowohl die Rechtspflege als auch den Verurteilten entlastet; durch sie würde auch dem 10 - 6 - daneben bestehenden Interesse des Verurteilten an einer endgültigen Ent-scheidung über die Maßregel ausreichend Rechnung tragen: Da die [X.] keinen unbedingten Schutz gegen eine erneute Antragstellung auf unveränderter Tatsachengrundlage bietet, kann der Verurteilte, sobald die Hauptverhandlung begonnen hat, durch die Verweigerung seiner Zustimmung zur Antragsrücknahme dafür sorgen, dass das Verfahren mit einem den Antrag ablehnenden und nach Rechtskraft eine neue Antragstellung auf gleicher Basis verhindernden Urteil abgeschlossen wird. Der Senat muss diese Frage indes nicht abschließend entscheiden, weil die Staatsanwaltschaft hier ihren Antrag nicht mehr wirksam zurücknehmen kann, nachdem das [X.] über ihn entschieden hat. Von da an besteht für die Staatsanwaltschaft nur noch die Wahl, die Entscheidung rechtskräftig werden zu lassen oder ein Rechtsmittel einzulegen. 11 b) Das Verfahren ist hier indes dadurch zum Abschluss gekommen, dass die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel zurückgenommen hat. 12 Dies ergibt eine Auslegung der Erklärung der Beschwerdeführerin. Die Staatsanwaltschaft erstrebt nicht länger die Unterbringung des Verurteilten in der nachträglichen Sicherungsverwahrung. Das zeigt sich nicht nur in der [X.] erklärten Rücknahme ihres Antrags, sondern auch darin, dass sie im Rechtsmittelverfahren nur den formellen Aspekt der gesetzeswidrigen Ent-scheidungsweise beanstandet und sich nicht gegen die Ansicht des Landge-richts gewandt hat, es fehle an neuen Tatsachen i. S. v. § 66 b Abs. 1 StGB. Ihr Ziel, das Verfahren zu beenden, kann die Staatsanwaltschaft jetzt nur noch durch die Rücknahme der Revision gegen die Entscheidung des [X.]s erreichen. Eine solche Rücknahme ist möglich. Sie wird insbesondere nicht [X.] - 7 - durch gehindert, dass das Rechtsmittel - bei Erfolglosigkeit des [X.] - wegen Versäumung der [X.] als unzulässig verwor-fen werden müsste. Die Zustimmung des Verurteilten zur Rücknahme ist nicht erforderlich, da eine Hauptverhandlung noch nicht begonnen hat (vgl. § 303 [X.]). 2. Nach Rücknahme des Rechtsmittels war nur noch die aus § 473 Abs. 1 und 2 [X.] folgende Kostenentscheidung zu treffen. 14 3. Der Verfahrensablauf gibt angesichts der teilweise noch ungeklärten Fragen im Zusammenhang mit der nachträglichen Sicherungsverwahrung [X.] zu folgenden Bemerkungen: 15 a) Die Staatsanwaltschaft kann den nach § 275 a Abs. 1 [X.] erforderli-chen Antrag erst stellen, nachdem sie in einem [X.] zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die formellen Voraussetzungen der Maßregel (vgl. im Einzelnen § 66 b i. V. m. § 66 StGB) vorliegen. Zu ihnen gehört insbe-sondere, dass neue Tatsachen ([X.]) erkennbar sind, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen. Nur wenn in ei-nem ersten Schritt das Vorliegen neuer Faktoren festgestellt worden ist, besteht ein sachlicher Grund für die Einleitung des Verfahrens nach § 275 a [X.] (vgl. [X.], 665, 668). 16 b) Der Antrag der Staatsanwaltschaft darf sich nicht in der pauschalen Behauptung, die formellen Voraussetzungen der nachträglichen Sicherungs-verwahrung lägen vor, erschöpfen. Zwar nennt das Gesetz keine Einzelheiten, die der Antrag enthalten muss. Dieser ist aber, insoweit vergleichbar mit einer Anklageschrift im Strafverfahren, die Grundlage für das gerichtliche Nachver-17 - 8 - fahren, in dem es um die Anordnung einer einschneidenden, die im Ursprungs-verfahren verhängte Sanktion regelmäßig übertreffenden Maßregel geht. Er muss deshalb die Entschließung der Staatsanwaltschaft nachvollziehbar ma-chen und die formellen Voraussetzungen der von der Staatsanwaltschaft je-weils für gegeben erachteten Variante des § 66 b StGB im Einzelnen darlegen (vgl. [X.], 279, 281). Dabei kommt für Anträge nach § 66 b Abs. 1 und 2 StGB der Darstellung der [X.] hinsichtlich ihrer Erkennbarkeit und ihrer Aussagekraft für die Gefährlichkeit des Verurteilten besondere Bedeu-tung zu. Der Antrag muss die Behauptung enthalten, dass nach vorläufiger Ein-schätzung der Staatsanwaltschaft die materiellen Voraussetzungen der nach-träglichen Sicherungsverwahrung im weiteren Verfahren festgestellt werden, also eine unter sachverständiger Hilfestellung (§ 275 a Abs. 4 Satz 2
- 9 - [X.]) erfolgende Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und ergän-zend seiner Entwicklung während des Strafvollzugs dessen besondere Gefähr-lichkeit (hohe Wahrscheinlichkeit erheblicher Straftaten) ergeben wird. [X.] von Lienen [X.]

Meta

3 StR 345/05

03.11.2005

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 03.11.2005, Az. 3 StR 345/05 (REWIS RS 2005, 1031)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2005, 1031

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