Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.07.2017, Az. V ZB 69/17

V. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 8035

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:130717BVZB69.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V [X.]
vom

13. Juli 2017

in der Abschiebungshaftsache

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
FamFG § 422 Abs. 2
Die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit gemäß § 422 Abs. 2 FamFG muss sich eindeutig und unmissverständlich aus dem Haftanordnungsbeschluss er-geben. Hierfür ist es unerheblich, ob die Anordnung im Tenor enthalten ist oder ob sie sich den Gründen des Beschlusses entnehmen lässt.
FamFG § 68 Abs. 3 Satz 1, § 420 Abs. 1 Satz 1
Eine Übertragung der Anhörung des Betroffenen gemäß § 420 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG auf ein Mitglied des [X.] scheidet aus, wenn es auf die Glaubwürdigkeit des Betroffenen und nicht nur auf die Glaubhaftigkeit seiner Aussage ankommt.
[X.], Beschluss vom 13. Juli 2017 -
V [X.] -
LG [X.]

[X.]

-
2
-
Der V.
Zivilsenat des [X.] hat am 13. Juli 2017
durch die Vorsitzende [X.]in Dr.
Stresemann, die [X.]innen Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und Weinland, den [X.] [X.] und die [X.]in Haberkamp

beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 4.
Zivilkammer des [X.] vom 16.
Februar
2017 wird auf Kos-ten des Betroffenen zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 5.000

.

Gründe:
I.
Der Betroffene, ein algerischer Staatsangehöriger, reiste am 2.
Dezember 2015 von [X.] kommend nach [X.] ein. Die [X.] beabsichtigte,
den Betroffenen nach dem Rückübernahmeabkom-men zwischen der Bundesrepublik [X.] und [X.] dorthin [X.].
Auf ihren Antrag hat das Amtsgericht durch Beschluss vom 3.
Dezember 2015 Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum 3.
Mai 2016 angeordnet. Der Betroffene wurde am 4.
Januar 2016 aus der Haft entlassen. Seine Beschwerde mit dem Ziel, die Rechtswidrigkeit der Haft festzustellen, hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene
1
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3
-
mit der Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die beteiligte Behörde bean-tragt.
II.
Das Beschwerdegericht bejaht die Rechtmäßigkeit der Haftanordnung. Der Haftantrag der beteiligten Behörde sei den Vorgaben des § 417 Abs.
2
FamFG entsprechend begründet worden. Es habe u.a. der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß
§
62 Abs.
3 Satz
1 Nr.
5, §
2 Abs.
14 Nr.
5 [X.] vorgelegen. Dass der Beschluss des Amtsgerichts im Tenor nicht den [X.] über die sofortige Vollziehbarkeit enthalte, sei unschädlich, weil sich die Anordnung aus den Gründen des Beschlusses ergebe. Die Haftanordnung sei schließlich auch nicht deshalb rechtswidrig, weil die Abschiebung voraussicht-lich nicht innerhalb von drei
Monaten hätte durchgeführt werden können

62 Abs.
3 Satz
3 [X.]). Dies habe nämlich der Betroffene zu vertreten, weil
er ohne Reisepass eingereist sei. Seine Einlassung betreffend den Verlust des Reisepasses erachte die Kammer als nicht glaubwürdig. Bei der polizeilichen Vernehmung habe er noch angegeben, das Gepäck mit dem Pass auf der [X.] nach [X.] verloren zu haben. Bei der richterlichen Anhörung vor dem beauftragten [X.] des [X.] habe er geschildert, dass das Boot wegen hoher Wellen in der Nacht 100 bis 200 m vor dem Ufer [X.] sei und er alles verloren habe. Wäre
der Verlust des Gepäcks einschließlich des Ausweises so dramatisch gewesen,
sei nicht nachvollziehbar, warum er dies
nicht bereits bei der ausführlichen polizeilichen Vernehmung angegeben habe.
Es sei
davon auszugehen, dass der Betroffene den Pass bewusst ent-sorgt habe, um seine Identität zu verschleiern und eine schnelle Abschiebung nach [X.] zu verhindern.
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4
-
III.
Die gemäß §
70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG mit dem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG statthafte und auch im Übrigen (§
71 FamFG) zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
1. Das Beschwerdegericht geht zu Recht davon aus, dass der Haftan-ordnung ein zulässiger, den besonderen Begründungsanforderungen des §
417 Abs.
2 FamFG entsprechender Haftantrag zugrunde lag und jedenfalls der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß §
62 Abs.
3 Satz
1 Nr.
5, §
2 Abs.
14 Nr.
5 [X.] gegeben war. Die beteiligte Behörde hat auch den Beschleunigungs-grundsatz beachtet. Der Senat sieht insoweit von einer weiteren Begründung gemäß §
74 Abs.
7 FamFG ab.
2. Ohne Erfolg rügt der Betroffene, dass die Haft rechtswidrig gewesen sei, weil das Amtsgericht im Tenor des [X.] vom 3.
Dezember 2015 nicht die sofortige Wirksamkeit der Haftanordnung gemäß §
422 Abs. 2 FamFG angeordnet habe
und diese deshalb erst mit Rechtskraft wirksam geworden wäre (§ 422 Abs. 1 FamFG). Richtig ist zwar, dass sich die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit eindeutig und unmissverständlich aus dem Haftanordnungsbeschluss ergeben muss (vgl. [X.]/Wendtland, 2.
Aufl., § 422 Rn. 3; Prütting/[X.]/Jennissen, FamFG, 3. Aufl., § 422 Rn. 5; [X.], FamFG, 19. Aufl., § 422, Rn. 4,

Anordnung verlangen). Entgegen einer in der Literatur vereinzelt vertretenen Auffassung (vgl. [X.] in: Bahrenfuss, FamFG, 3. Aufl., § 422 Rn. 3) ist es hierfür aber unerheblich, ob die Anordnung
im Tenor enthalten ist oder ob sie sich den Gründen des Beschlusses entnehmen lässt. Diese können zur Ausle-gung des Tenors herangezogen werden
(vgl. Senat, Beschluss vom 7.
April 2011 -
V [X.], [X.] 2011, 30 Rn.
6). Hier bestehen an der Anordnung
3
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5
-
gemäß § 422 Abs. 2 FamFG keine Zweifel, weil es
in den Gründen des [X.] des Amtsgerichts heißt, gem. § 422 FamFG (sei)
erforderlich,
da sonst der Zweck der Maßnahme nicht

3. Zutreffend ist auch die Auffassung des [X.], der Haftanordnung habe §
62 Abs.
3 Satz
3 [X.] nicht entgegengestanden.
a) Nach dieser Vorschrift ist die [X.] unzulässig, wenn fest-steht, dass aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, die [X.] nicht innerhalb der nächsten drei
Monate durchgeführt werden kann. Zu vertreten hat der Ausländer nicht nur solche Umstände, die für die Behebung des Abschiebungshindernisses von Bedeutung sein können, sondern auch Gründe, die -
von ihm zurechenbar veranlasst -
dazu geführt haben, dass ein Hindernis für seine Abschiebung überhaupt erst entstanden ist, etwa indem er seinen Pass weggegeben hat (vgl. Senat, Beschluss vom 25.
März 2010
-
V
ZA
9/10, NVwZ 2010, 1175 Rn.
20; Beschluss vom 19.
Januar 2017
-
V
ZB
99/16, juris Rn.
6).
b)
Das Beschwerdegericht hat die Feststellung, der Betroffene habe den Pass bewusst entsorgt
und damit die
über drei Monate hinausgehende
Haft-dauer zu vertreten, verfahrensfehlerfrei getroffen. Die von der [X.] insoweit erhobene Verfahrensrüge (§
74 Abs.
3 Satz
3 FamFG)
ist nicht [X.].
aa) Das Beschwerdegericht durfte die Anhörung auf ein Mitglied
der Kammer als beauftragten
[X.] übertragen.
(1) Nach § 68 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG ist die Anhörung des Betroffenen Aufgabe des Gerichts

Wie diese Aufgabe inner-6
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10
-
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halb eines aus mehreren [X.]n zusammengesetzten [X.] wahrzu-nehmen ist, bestimmt sich nach den Vorschriften über die Sachaufklärung (§ 26 FamFG) und hier nach den Vorschriften über die Beweisaufnahme in den §§
29, 30 FamFG. Danach erhebt das Gericht die erforderlichen Beweise in geeigneter Form, wozu auch die Befassung eines Mitgliedes des [X.] als beauftragter [X.]
gehört. Nichts anderes ergibt sich, wenn man die Anhö-rung des Betroffenen als Fall einer im Sinne von § 30 Abs. 2 FamFG vorge-schriebenen förmlichen Beweisaufnahme ansieht. Eine förmliche Beweisauf-nahme hätte gemäß § 30 Abs. 1 FamFG nach den Regeln der Zivilprozessord-nung stattzufinden. Diese erlauben sowohl die Vernehmung von Zeugen als auch die Vernehmung von Parteien durch den beauftragten [X.] (§ 375 ZPO und § 451 i.V.m. § 375 ZPO). Voraussetzung ist allerdings
(vgl. § 375 Abs. 1a ZPO), dass dies zur Vereinfachung der Verhandlung zweckmäßig erscheint und dass von vornherein anzunehmen ist, dass das Beweisergebnis auch ohne [X.] Eindruck von dem Verlauf der Beweisaufnahme sachgemäß [X.] werden kann (Senat, Beschluss vom 17. Juni 2010 -
V [X.], NVwZ 2010, 1318
Rn. 13 f.).
Eine Übertragung der Anhörung des Betroffenen gemäß § 420 Abs. 1 FamFG i.V.m.
§ 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG auf ein Mitglied des [X.] ist hiernach nicht zulässig, wenn es auf Glaubwürdigkeit des Betroffenen, d. h. auf seine Persönlichkeit, und nicht nur auf die Glaubhaftigkeit seiner Aussage ankommt (vgl. zu dieser Unterscheidung [X.], Urteil vom 13.
März 1991 -
IV ZR 74/90, NJW 1991, 3284). Eine sachgerechte Würdigung ohne unmittelbaren Eindruck von dem Verlauf der Anhörung scheidet in
derarti-gen Fällen von vornherein aus (vgl. [X.]/[X.], ZPO, 31. Aufl., § 375 Rn. 1; PG/[X.], ZPO, 8. Aufl., § 375 Rn. 4; [X.] ZPO/Scheuch, [X.].
Stand 1.
März 2017, ZPO § 375 Rn. 2).
(2) Hier stand entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde im Zeit-punkt der Übertragung der Anhörung
auf ein Mitglied der [X.] 11
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nicht von vornherein fest, dass es auf die Glaubwürdigkeit des Betroffenen an-kommen würde. Dies lässt sich insbesondere nicht aus dem vor der Anhörung erteilten Hinweis des
Berichterstatters entnehmen, es erscheine fraglich, ob die Einlassung des Betroffenen, er habe sein Gepäck mit dem Pass verloren, wi-derlegt werden könne.
bb) Das Beschwerdegericht war auch nicht gehalten, die Anhörung in der [X.] zu wiederholen. Zu einer solchen Wiederholung besteht zwar Veranlassung, wenn sich die im Zeitpunkt der Übertragung der Anhörung auf den Berichterstatter gestellte Prognose, dass auch ohne unmittelbaren Eindruck von dem Verlauf der Anhörung eine sachgerechte Würdigung des Beweiser-gebnisses möglich sein werde, beim Abfassen der Entscheidung im Nachhinein als unzutreffend herausstellt (vgl. [X.] ZPO/Scheuch, 24.
Ed. 1.
März
2017, ZPO § 375 Rn. 2; Musielak/[X.]/[X.], ZPO, 14. Aufl., § 375 Rn. 2). Dies ist hier aber nicht der Fall. Zwar hält das Beschwerdegericht die Einlassung des sich aus den weiteren Ausführungen aber ergibt, stellt es ausschließlich auf die unterschiedlichen Schilderungen des Verlustes des Reisepasses durch den Betroffenen bei der Polizei einerseits und im Rahmen der Anhörung vor dem beauftragten [X.] andererseits ab.
Damit zieht es der Sache nach die Glaubhaftigkeit der Aussage des Betroffenen in Zweifel. Für diese Beurteilung bedurfte es eines unmittelbaren Eindrucks von dem Verlauf der Anhörung nicht.
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IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
84 FamFG, die Festsetzung des [X.] auf §
36 Abs.
3 GNotKG.
Stresemann
Schmidt-Räntsch
Weinland

Göbel
Haberkamp

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 03.12.2015 -
XIV 39/15 -

LG [X.], Entscheidung vom 16.02.2017 -
4 [X.] -

13

Meta

V ZB 69/17

13.07.2017

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.07.2017, Az. V ZB 69/17 (REWIS RS 2017, 8035)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 8035

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4 T 4506/15

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