Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.01.2015, Az. V ZR 110/14

V. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 17023

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
V [X.]
Verkündet am:

16. Januar 2015

Weschenfelder,

Justizhauptsekretärin

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
[X.] § 862 Abs. 1 Satz 2, § 858

Die Störung eines Mieters in seinem Besitz durch den Tabakrauch eines anderen Mieters, der auf dem Balkon seiner Wohnung raucht, ist auch dann eine verbotene Eigenmacht im Sinne des §
858 Abs. 1 [X.], wenn dem anderen Mieter im [X.] zu seinem Vermieter das [X.]en gestattet ist.

[X.] § 862 Abs. 1, § 906 Abs. 1 Satz 1

Nach dem auf den Besitzschutzanspruch (§ 862 Abs. 1 [X.]) entsprechend anzu-wendenden Maßstab des § 906 Abs. 1 Satz 1 [X.] kann der Mieter Einwirkungen durch das [X.]en eines anderen Mieters nicht verbieten, wenn sie einen verständi-gen Nutzer in dem Gebrauch der Mietsache nicht oder nur unwesentlich beeinträch-tigen.

[X.] § 862 Abs. 1, § 242 Ba

a)
Der Unterlassungsanspruch nach § 862 Abs. 1 Satz 2 [X.] besteht auch gegen-über wesentlichen Beeinträchtigungen nicht uneingeschränkt, weil der durch den 2

[X.] gestörte Mieter auf das Recht des anderen Mieters Rücksicht nehmen muss, seine Wohnung vertragsgemäß zu nutzen, wozu grundsätzlich auch das [X.]en in der eigenen Wohnung gehört.

b)
Das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme führt im Allgemeinen zu einer Ge-brauchsregelung. Für die Zeiten, in denen beide Mieter an einer Nutzung ihrer Balkone interessiert sind, sind dem einen Mieter Zeiträume freizuhalten, in denen er seinen Balkon unbeeinträchtigt von [X.]belästigungen nutzen kann, während dem anderen Mieter Zeiten einzuräumen sind, in denen er auf dem Balkon rau-chen darf.

[X.] § 1004 Abs. 1, § 823 Abs. 1

a)
Gesundheitsschädliche Immissionen durch Tabakrauch sind wesentliche Beein-trächtigungen, die nicht geduldet werden müssen. Das gilt auch im Verhältnis von Mietern untereinander.

b)
Der Mieter, der unter Berufung auf die Gesundheitsschädlichkeit des [X.] von einem anderen Mieter verlangt, das [X.]en auf dem Balkon zu
unter-lassen, muss das sich aus den Nichtraucherschutzgesetzen ergebende Indiz er-schüttern, dass mit dem [X.]en im [X.] keine solchen Gefahren einhergehen.

[X.], Urteil vom 16. Januar 2015 -
V [X.] -
LG [X.]

AG Rathenow

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3
-
Der V. Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 16. Januar 2015 durch die Vorsitzende Richterin Dr.
Stresemann, [X.]
Czub, die Richterinnen Dr.
Brückner und Weinland und [X.]
Kazele

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil der 1. Zivilkammer des [X.] vom 14. März 2014 insoweit aufgehoben, als ihre Berufung gegen das Urteil des [X.] vom 6. September 2013 auch im Hinblick auf den Klageantrag zu
1 zurückgewiesen worden ist.
In Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:
Die Parteien sind Mieter in einem Mehrfamilienhaus in
Brandenburg. Die Kläger wohnen im ersten Stock, die Beklagten im Erdgeschoss. Die Balkone der Wohnungen liegen übereinander. Die Beklagten sind [X.]er und nutzen ihren Balkon mehrmals am Tag zum [X.]en, wobei der Umfang des täglichen Zigarettenkonsums streitig ist. Die Kläger fühlen sich als Nichtraucher durch den aufsteigenden Tabakrauch im Gebrauch ihrer Wohnung gestört. Sie haben -
soweit hier von Interesse -
beantragt, die Beklagten zu verurteilen, das [X.]
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chen auf dem Balkon während bestimmter Stunden zu unterlassen. Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen und die Revision zugelassen, mit der die Kläger den [X.] weiter verfolgen. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht (dessen Entscheidung u.a. in [X.], 414 ff.
veröffentlicht ist) meint, dass den Klägern kein Unterlassungsanspruch wegen einer Besitzstörung (§ 862 Abs. 1 Satz 2, §
858 Abs.
1 [X.]) zustehe, weil das [X.]en zum vertragsgemäßen Gebrauch einer Mietwohnung gehöre. Selbst wenn die Kläger durch das [X.]en der Beklagten in dem Gebrauch ihrer Wohnung beeinträchtigt sein sollten, stünde ihnen lediglich ein vertraglicher Anspruch gegen den Vermieter wegen eines Mangels der Mietsache zu. Die Kläger hätten auch keinen Abwehranspruch wegen einer drohenden Gesund-heitsverletzung (§ 1004 Abs. 1, § 823 Abs. 1 [X.]), weil das [X.]en im [X.] keine dem [X.]en in Innenräumen vergleichbaren gesundheitlichen Risiken durch Passivrauchen mit sich bringe. Schließlich ergebe sich auch kein [X.] aus den Grundsätzen des nachbarlichen [X.]. Es könne dahinstehen, ob diese Regeln im Verhältnis zwischen Mietern untereinander anwendbar seien, da es an zwingenden Gründen fehle, aus de-nen es geboten sei, den Beklagten zeitabschnittsweise das [X.]en auf dem Balkon zu untersagen. Ein solches Verbot wäre mit Art. 2 Abs. 1 GG unverein-bar; die grundrechtlich geschützte Freiheit der Lebensführung schließe das Recht ein, in der eigenen Wohnung unabhängig von zeitlichen und [X.]
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ßigen Vorgaben zu rauchen. Da es sich bei den Beklagten nicht um exzessive [X.]er (Kettenraucher) handele, sei es den Klägern auch unter Berücksichti-gung ihres Interesses, nicht durch Tabakrauch belästigt zu werden, zuzumuten, für die verhältnismäßig kurzen Zeiträume, in denen die Beklagten rauchten, die Fenster zu schließen und einen Aufenthalt auf dem Balkon zurückzustellen.

II.
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Rechtsfehlerhaft verneint das Berufungsgericht einen Abwehranspruch der Kläger wegen einer Störung ihres Besitzes nach § 862 Abs. 1, § 858 Abs. 1 [X.].
a) Eine Besitzstörung kann darin begründet sein, dass der Besitzer bei dem Gebrauch der Sache
durch Immissionen im Sinne des § 906 Abs. 1 Satz 1 [X.] beeinträchtigt wird (vgl. [X.]/[X.]/[X.], [X.], 3. Aufl., § 858 Rn.
10; Erman/[X.], [X.], 14. Aufl., § 858 Rn. 3a; [X.]/[X.], [X.], 15.

Aufl., § 858 Rn. 2; MünchKomm-[X.]/[X.], [X.], 6. Aufl., § 858 Rn. 5; [X.], [X.], 595, 596; [X.]/Prütting, [X.], 9.
Aufl., § 858 Rn. 4). Dass einem Mieter ein Abwehranspruch nach § 862 Abs. 1 [X.] gegen [X.] durch den von einem anderen Mieter verursachten Lärm zustehen kann, ist in der Rechtsprechung (BayObLGZ 1987, 36, 40; KG, [X.] 2004, 75, 76; [X.], [X.], 221; [X.], NJW-RR 1992, 1097) und im Schrifttum (Bub/[X.], Handbuch der Geschäfts-
und Wohnraummiete, 4. Aufl., Kap III Rn.
2581; [X.]/[X.], [X.], 74. Aufl., § 535 Rn. 28; MünchKomm-[X.]/[X.], 6. Aufl., § 535 Rn. 171; [X.]/[X.], [X.], 9. Aufl., §
535 Rn. 50) anerkannt und ist auch in der von dem Berufungsgericht zitierten 3
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Urteil des [X.] zur sog. Versorgungssperre (Urteil vom 6. Mai 2009 -
VIII ZR 137/07, [X.]Z 180, 300 Rn. 28) nicht an[X.] gesehen worden. Dem Besitzer wird -
obwohl ihm an der Sache kein dingliches Recht zusteht -
durch den Abwehranspruch ein dem §
1004 [X.] entsprechender Schutz gegen von außen kommende Störungen seiner Sachherrschaft gewährt. Er wird inso-weit behandelt, als wäre er Eigentümer der Sache ([X.], [X.], 8. Aufl., §
23 Rn.
13). Für [X.] durch [X.] und Ruß kann grundsätzlich nichts anderes gelten.
b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt es nicht [X.] an, ob den Beklagten das [X.]en im Verhältnis zu ihrem Vermieter ge-stattet ist.
[X.]) [X.] ist nicht deswegen zu verneinen, weil das [X.]en im Verhältnis zwischen Mietvertragsparteien im Allgemeinen zum ver-tragsgemäßen Gebrauch der Wohnung gehört (vgl. [X.], Urteil vom 28.
Juni
2006 -
VIII ZR 124/05, [X.], 2915 Rn. 23; Urteil vom 5.
März
2008 -
VIII ZR 37/07, [X.], 1439 Rn. 22). Nach §
858 Abs. 1 [X.] ist allein maßgeblich, dass die Entziehung oder Störung des Besitzes ohne den Willen des Besitzers erfolgt und nicht durch das Gesetz gestattet ist. [X.] Vereinbarungen des Störers mit Dritten vermögen eine Besitzstörung grundsätzlich nicht zu rechtfertigen.
Das gilt auch für die hier zu beurteilenden [X.] durch andere Mieter. Allerdings kann sich für den gestörten Mieter aus seinem Mietvertrag und einer darin in Bezug genommenen Hausordnung ergeben, dass er Störun-gen durch Mitmieter in einem bestimmten Umfang (etwa durch das Musizieren oder durch die Haustierhaltung in einer anderen Wohnung) dulden muss und daher nicht nach § 862 Abs. 1 [X.] abwehren kann (vgl. [X.], NJW-6
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RR 1992, 1099). Fehlt es jedoch -
wie hier -
an einer vertraglich begründeten Duldungspflicht, steht dem Mieter der Anspruch nach §
862 Abs. 1 [X.] unab-hängig davon zu, ob dem Mitmieter der die Beeinträchtigungen verursachende Gebrauch nach seinem Mietvertrag erlaubt ist oder nicht.
bb) Einen gegenteiligen Rechtssatz hat der Senat in der von dem [X.] zitierten Entscheidung vom 12. Dezember 2003 ([X.], [X.]Z 157, 188, 194) nicht aufgestellt. Er hat lediglich einen -
hier nicht streit-gegenständlichen -
verschuldensunabhängigen Ausgleichsanspruch nach §
906 Abs. 2 Satz 2 [X.] bei Immissionen verneint, die von dem Nutzungsbereich eines Mieters auf den eines anderen einwirken. Dass zwischen den Mietern auf besitzschutz-
und deliktsrechtlichen Normen beruhende [X.] können, ist nicht in Abrede gestellt worden ([X.]O S.
194 f.).
c) Zur Bestimmung der Grenzen dessen, was der Mieter an Immissionen (hier durch Tabakrauch) hinzunehmen hat, die von dem Gebrauch der anderen Wohnung ausgehen, ist der in §
906 Abs. 1 Satz 1 [X.] bezeichnete Maßstab entsprechend anzuwenden (vgl. [X.], Urteil vom
14. April 1954 -
VI [X.], [X.] 1954, 613, 614; RG, HRR 1931 Nr. 1219; MünchKomm-[X.]/[X.], 6.
Aufl., §
906 Rn. 165 [X.]. 362; [X.], [X.] 2004, 918, 919, [X.]. in [X.]/
[X.], [X.] [2009], § 906 Rn. 107; [X.], [X.], 884, 885). Demnach kann der Mieter Einwirkungen durch das [X.]en eines anderen Mieters nicht ver-bieten, wenn sie ihn in dem Gebrauch der Mietsache nicht oder nur unwesent-lich beeinträchtigen. Wann eine wesentliche Beeinträchtigung vorliegt, beurteilt sich nach dem Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen und dem, was diesem unter Würdigung anderer öffentlicher und privater Belange zuzumuten ist (Senat, Urteil vom 15. Februar 2008 -
V [X.], [X.]Z 175, 254 Rn. 24 mwN).
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Ob die Kläger nach diesem Maßstab durch den aufsteigenden [X.] in dem Gebrauch ihrer Wohnung wesentlich beeinträchtigt sind, ist [X.] eine Tatfrage. [X.] nachprüfbar ist, ob das Berufungsge-richt die nötigen Tatsachenfeststellungen getroffen und bei ihrer Würdigung die zutreffenden rechtlichen Gesichtspunkte zugrunde gelegt hat (Senat, Urteil vom 5. Februar 1993 -
V [X.], [X.]Z 121, 248, 252; Urteil vom 30. Oktober 1998 -
V [X.], [X.]Z 140, 1,
7). Das Berufungsgericht hat die zur Beurtei-lung der Wesentlichkeit der Beeinträchtigung
erforderlichen Feststellungen, ob und wie intensiv und damit störend der Tabakrauch auf dem Balkon der Kläger wahrgenommen wird (vgl. [X.], [X.], 515, 516), bislang nicht getroffen. Sie sind -
entgegen der in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] vorgetragenen Ansicht der Beklagten -
nicht deshalb entbehrlich, weil revi-sionsrechtlich von einem durch Aufzeichnungen der Kläger dokumentierten und von den Beklagten zugestandenen durchschnittlichen Konsum von zwölf [X.] täglich ausgegangen werden müsste. Es kann dahinstehen, ob die [X.] durchschnittlich zwölf oder zwanzig Zigaretten an einem Tag auf dem Balkon rauchen. Intensiv wahrgenommene und deshalb als störend [X.] [X.]einwirkungen in den für die Balkonnutzung bevorzugten Zeiten wären auch dann nicht als eine nur unwesentliche Beeinträchtigung anzusehen, wenn der durchschnittliche Zigarettenkonsum der Beklagten sich auf die von ihnen zugestandene Menge beschränkte.
d) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts scheidet die Annah-me einer wesentlichen Beeinträchtigung der Kläger nicht deshalb von [X.] aus, weil das [X.]en auf dem Balkon in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG fällt.
[X.]) Vor dem Inkrafttreten der Nichtraucherschutzgesetze ist ein Abwehr-anspruch des Mieters gegen Beeinträchtigungen durch das [X.]en eines 11
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Mitmieters im [X.] allerdings mit der Begründung verneint worden, dass das [X.]en sozialadäquat und in der [X.] akzeptiert sei. Da [X.]en durch das Grundrecht auf freie Entfaltung
der Persönlichkeit nach Art.
2 Abs.
1 GG geschützt sei, müsse das Interesse des [X.] an einer von Tabakrauch nicht gestörten Nutzung seiner Wohnung zurücktreten ([X.], [X.], 33; [X.], [X.], 487). Für das Verhältnis zwi-schen Vermieter und Mieter vertritt das [X.] Berlin (63. Zivilkammer) die Auffassung, dass der Vermieter einem Mieter das [X.]en auf dem Balkon auch im Hinblick auf das Interesse eines anderen Mieters an einer von [X.] ungestörten Nutzung seiner Wohnung nicht untersagen könne, weil das [X.]en grundsätzlich zum vertragsgemäßen Gebrauch der Wohnung gehöre ([X.], Grundeigentum 2009, 781).
bb) Das Schrifttum ist demgegenüber der Ansicht, dass auch das Recht des nicht rauchenden Mieters auf ungestörten Gebrauch seiner Mietsache zu beachten und der rauchende Mieter daher verpflichtet sei, sich auf maßvolles [X.]en zu beschränken (Börstinghaus/Pielsticker, [X.], 480, 481
f.; Derleder, NJW 2007, 812, 814; [X.], [X.], 265, 267; Stapel, [X.], 595, 597). Im Verhältnis zum Vermieter wird vom [X.] Hamburg (NJW-RR 2012, 1362) und vom [X.] Berlin, 67. Zivilkammer, (NJW-RR 2013, 1284) ein Mangel der Mietsache (§ 536 Abs.
1 Satz 2 [X.]) durch die von dem [X.]en auf dem Balkon einer anderen Wohnung ausgehenden Einwir-kungen bejaht, weil der in die Wohnung eines Nichtrauchers eindringende [X.] deren Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch mindere.
[X.]) Der Senat teilt den im Schrifttum vertretenen Ansatz. Angesichts der Nichtrauchergesetze von [X.] und Ländern kommt die Annahme, durch [X.] erzeugte Immissionen seien als sozialadäquat einzustufen und damit von stets unwesentlich im Sinne von § 906 Abs. 1 [X.], heute nicht mehr in Be-14
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tracht. Deutlich (intensiv) wahrnehmbarer [X.] ist vielmehr grundsätzlich als eine wesentliche Beeinträchtigung anzusehen; das gilt auch dann, wenn sie nur eine Zigarettenlänge andauert.
Allerdings besteht der Unterlassungsanspruch nach § 862 Abs. 1 Satz 2 [X.] gegenüber als wesentlich anzusehenden Beeinträchtigungen durch [X.] nicht uneingeschränkt, weil der gestörte Mieter auf das Recht des anderen Mieters Rücksicht nehmen muss, seine Wohnung vertragsgemäß zu nutzen, wozu grundsätzlich auch das [X.]en in der Wohnung und auf dem Balkon gehört (siehe oben [X.]) [X.]). Bei Störungen durch solche Immissionen kollidieren die durch die Mietverträge begründeten Besitzrechte. Diese [X.] sind grundrechtlich geschützte Eigentumsrechte im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, da jede Partei auf den Gebrauch der Wohnung zur [X.] elementarer Lebensbedürfnisse wie zur Freiheitssicherung und Entfaltung ihrer Persönlichkeit angewiesen ist ([X.] 89, 1, 6). Sie müssen daher -
un-ter Einbeziehung des ebenfalls betroffenen Grundrechts des [X.]ers aus Art.
2 Abs. 1 GG -
in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden.
(1) Fehlt es an für beide Teile verbindlichen vertraglichen Regelungen in einer Hausordnung, bestimmen sich die Grenzen des zulässigen Gebrauchs und der hinzunehmenden Beeinträchtigungen nach dem Gebot der gegen-seitigen Rücksichtnahme (vgl. KG, [X.], 261, 262; [X.], NJW-RR 1989, 10; MünchKomm-[X.]/[X.], 6. Aufl., § 569 Rn. 17; vgl. auch [X.]/Pielsticker, [X.], 480, 482). Aus der Anwendung des [X.] (§ 242 [X.]) ergibt sich für jeden Hausbewohner die Pflicht zur Rücksichtnahme auf das Interesse des anderen, die von ihm ge-nutzte Wohnung für seine Lebensbedürfnisse und zur Entfaltung seiner Persön-lichkeit zu gebrauchen. In
Anbetracht dieser Verpflichtung kann die Ausübung auch eines an sich bestehenden Unterlassungsanspruchs des Mieters nach 16
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§
862 Abs. 1 Satz 2 [X.] unzulässig sein (vgl. [X.], [X.]O -
[X.] von ei-nem Grill; [X.], [X.], 265, 267; Stapel, [X.], 595, 597 -
[X.]; zum Gebot der Rücksichtnahme zwischen [X.]: Senat, Urteil vom 9.
Juli 1958 -
V [X.], [X.]Z 28, 110, 114).
(2) Bei Beeinträchtigungen durch Tabakrauch führt das Gebot der ge-genseitigen Rücksichtnahme -
wenn eine Verständigung der Parteien unterei-nander nicht möglich ist -
im Allgemeinen zu einer Gebrauchsregelung für die Zeiten, in denen beide Mieter an einer Nutzung ihrer Balkone interessiert sind. Dem Mieter sind Zeiträume freizuhalten, in denen er seinen Balkon unbeein-trächtigt von [X.]belästigungen nutzen kann, während dem anderen Mieter Zeiten einzuräumen sind, in denen er auf dem Balkon rauchen darf. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts darf der nichtrauchende Mieter nicht [X.] verwiesen werden, seinen Aufenthalt auf dem Balkon zurückzustellen, [X.] sich der andere Mieter entschließt zu rauchen. Es muss ihm vielmehr mög-lich sein, seinen Balkon mindestens stundenweise zu nutzen, ohne jederzeit eine Unterbrechung des Aufenthalts gewärtigen zu müssen.

2. Ebenfalls nicht rechtsfehlerfrei verneint das Berufungsgericht einen Abwehranspruch analog § 1004 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 823 Abs. 1 [X.] wegen der Gefahr einer Verletzung der Gesundheit der Kläger durch den vom Balkon der Beklagten aufsteigenden Tabakrauch. Ein solcher Anspruch käme in [X.], wenn das [X.]en der Beklagten zwar zu keiner oder nur zu einer un-wesentlichen Beeinträchtigung durch Qualm oder Geruch führte, aber die [X.] Gefahr einer gesundheitlichen Schädigung bei dem Gebrauch des
Bal-kons der Kläger mit sich brächte.
a) Im Ausgangspunkt nimmt das Berufungsgericht zutreffend an, dass den Klägern unter dieser Voraussetzung gegen die Beklagten ein Unterlas-18
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sungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 Satz
2 [X.] zustünde. Die Vorschrift ist nicht auf Beeinträchtigungen des Eigentums beschränkt. Der negatorische Schutz wird vielmehr sämtlichen absoluten Rechten zuerkannt und auf alle de-liktsrechtlich unmittelbar nach § 823 Abs.
1 [X.] oder durch Gesetze im Sinne des §
823 Abs. 2 [X.] geschützten Rechtsgüter ausgedehnt (Senat, Urteil vom 13. März 1998 -
V [X.], NJW 1998, 2058, 2059; [X.], Urteil vom 18. Ja-nuar 1952 -
I [X.], NJW 1952, 417; Urteil vom 17. Juli 2008 -
I [X.], [X.], 3565 Rn.
12).
b) Gesundheitsschädliche Immissionen durch Tabakrauch sind wesentli-che Beeinträchtigungen, die nicht geduldet werden müssen. Das gilt auch im Verhältnis von Mietern untereinander (vgl. zu Lärm [X.], Urteil vom 14. April 1954 -
VI [X.], [X.] 1954, 613, 614). Sie überschreiten stets die Grenze dessen, was der beeinträchtigte Mieter hinzunehmen hat (vgl. [X.], Mietrecht, §
535 Rn. 515; [X.]/[X.], [X.] [2009], § 906 Rn. 110).
c) Rechtsfehlerhaft sind aber die Ausführungen, mit denen das [X.] die Feststellbarkeit einer solchen Gefahr verneint.
[X.]) Richtig ist allerdings die Erwägung, dass die Gefahr des Eintritts ge-sundheitlicher Schäden durch das Einatmen der im Tabakrauch enthaltenen krebserzeugenden Substanzen aus der Raumluft (Passivrauchen) grundsätzlich geringer einzuschätzen ist, wenn nicht in geschlossenen Räumen, sondern
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wie hier -
im [X.] geraucht wird. Nicht zu beanstanden ist auch, dass sich die Gefahr gesundheitlicher Schäden bei einer größeren Distanz zwischen der Stelle, an der geraucht, und derjenigen, an der die mit dem [X.] belastete Luft eingeatmet wird (hier ein Höhenunterschied von ca. drei Metern) und bei 21
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einem dazwischen liegenden Hindernis ([X.]) eher als gering einzu-schätzen ist.
bb) Nicht zulässig ist es jedoch, die Gefahr gesundheitlicher Schäden auch unter Berücksichtigung des auf eine Feinstaubmessung gestützten und unter Beweis gestellten Vortrags der Kläger zu verneinen, dass während des [X.]ens der Beklagten erhöhte Belastungen der Luft durch die im Tabakrauch enthaltenen Feinstaubpartikel festgestellt worden seien, die eine Gefahr für die Gesundheit bei einem Aufenthalt auf dem Balkon bedeuteten.
(1) Wird im [X.] geraucht, ist allerdings grundsätzlich davon auszu-gehen, dass damit keine Gefahr für die Gesundheit anderer verbunden ist. In-soweit kommt den Nichtraucherschutzgesetzen des [X.]es und der Länder, die im Grundsatz das [X.]en nur in Gebäuden und in vollständig umschlos-senen Räumen verbieten (§ 1 Abs. 2 BNichtrSchG; Art. 3 Abs. 1 [X.], §
2 Abs. 2 [X.] Bln, § 2 Abs. 2 Satz 1 BbgNiRSchG, §
1 Abs. 1 BremNiSchG, § 2 Abs. 2 Satz 1 HbgPSchG, § 1 Abs. 1 HessNRG, §
1 Abs. 1 Nicht[X.]SchG M-V, § 1 Abs. 1 NNiRSchG, § 1 Abs. 1 Satz 1 NiRSchG [X.], § 1 Abs. 2 NRauSchG SL, § 1 Abs. 3 [X.], § 3 Abs. 1 N[X.]SchG LSA, § 2 Abs.
1 NRauSchG Schl.-H., §
3 Abs. 3 Satz 1 ThürNRSchutzG), eine indizielle Bedeutung bei der Einschätzung der Gefahren durch Passivrauchen zu. Der Anwendungsbereich dieser Gesetze ist zwar auf öffentliche Einrichtungen und öffentlich zugängliche Bereiche privater Grundstücke beschränkt; mit [X.] bebaute Grundstücke, zu denen nur Eigentümer, Mieter und Besucher Zutritt haben, fallen nicht darunter. Die diesen Gesetzen zugrunde liegende Einschätzung ist jedoch im Hinblick auf das [X.]en im [X.] bei der Beurtei-lung der Gefahr von Gesundheitsschäden heranzuziehen, die von dem [X.] in nicht öffentlich zugänglichen Bereichen ausgehen. Das rechtfertigt sich aus dem Zweck der genannten Gesetze, Nichtraucher vor den im Tabakrauch 24
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enthaltenen gesundheitsgefährdenden Giftstoffen zu schützen (Begründung zum [X.]esnichtraucherschutzgesetz: BT-Drucks. 16/5049, S. 7; in vielen Lan-desgesetzen wird dieser Schutzzweck im Gesetzestext selbst genannt: §
1 Abs. 1 Satz 2 LNRSchG BW, Art. 1 [X.], §
1 [X.] Bln, § 1 BbgNiRSchG, § 1 Abs. 1 BremNiSchG, § 1 Abs. 1 HbgPSchG, § 1 NiSchG [X.], § 1 Abs.
1 [X.], § [X.], § 1 [X.], §
1 N[X.]SchG LSA, §
1 Abs. 1 NRauSchG Schl.-H., §
1 Abs. 1 ThürNRSchutzG). Die Gefahr gesund-heitlicher Schäden ist grundsätzlich nicht an[X.] zu beurteilen, wenn nicht im öffentlichen Raum, sondern auf einem privaten, nicht frei zugänglichen [X.] geraucht wird.
(2) Den Verboten in den Nichtraucherschutzgesetzen kommt jedoch le-diglich eine Indizwirkung
dafür zu, dass mit dem [X.]en im [X.] keine ge-sundheitlichen Gefahren für Dritte durch das Passivrauchen einhergehen. Diese kann im Einzelfall erschüttert sein. Auch wenn in Gesetzen, Verordnungen oder allgemeinen Verwaltungsvorschriften für bestimmte Immissionen Grenz-
oder Richtwerte festgelegt sind, bei deren Einhaltung nach § 906 Abs. 1 Sätze 2 und 3 [X.] in der Regel von einer unwesentlichen Beeinträchtigung auszugehen ist, kommt eine davon abweichende Beurteilung bei einer besonderen Gefahrenla-ge im Einzelfall stets in Betracht (vgl. Senat, Urteil vom 6. Juli 2001 -
V [X.], [X.]Z 148, 261, 264; Urteil vom 13.
Februar 2004 -
V [X.], NJW 2004, 1317, 1318). Das gilt erst recht, wenn sich das für die Ungefährlichkeit des [X.]ens im [X.] sprechende Indiz -
wie hier -
allein aus den auf das [X.]en in geschlossenen Räumen beschränkten und nur für öffentlich zu-gängliche Grundstücke geltenden Verbotsgesetzen entnehmen lässt.
Dem nicht rauchenden Mieter kann deshalb gegenüber dem rauchenden Mieter ein Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 [X.] wegen der Gesundheitsschädlichkeit des Passivrauchens auch dann zustehen, wenn im 26
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[X.] geraucht wird. Er muss dazu allerdings das sich aus den Nichtraucher-schutzgesetzen ergebende gegenteilige
Indiz erschüttern. Das setzt voraus, dass sich auf Grund der besonderen Verhältnisse vor Ort im konkreten Fall der fundierte Verdacht einer Gesundheitsbeeinträchtigung durch Feinstaubpartikel ergibt, die auf den Balkon oder in die Wohnung des nicht rauchenden Mieters gelangen. Verhält es sich so, kommen die allgemeinen Grundsätze zur Darle-gungs-
und Beweislast zur Anwendung; es muss dann der rauchende Mieter beweisen, dass die von seiner Wohnung ausgehenden Immissionen nur eine unwesentliche Beeinträchtigung bedeuten (vgl. [X.], Urteil vom 13. Februar 2004 -
V [X.], NJW 2004, 1317, 1318
f.).
Die Kläger haben Umstände dargelegt und unter Beweis gestellt, die [X.] sind, die Annahme, Passivrauchen im [X.] sei ungefährlich, für den konkreten Fall zu erschüttern. Sie haben unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Feinstaubmessungen vorgetragen, dass immer dann, wenn die Beklagten rauchen, in einem für die Gesundheit gefährlichen Umfang toxische Feinstaub-partikel auf ihren Balkon und in ihre Wohnung gelangen. Diesem Vortrag wird das Berufungsgericht nachgehen müssen, wenn der Unterlassungsanspruch nicht schon wegen der Geruchsbelästigung begründet ist.
[X.]) Sollte sich dieses Vorbringen als richtig erweisen, erfordert das Ge-bot der gegenseitigen Rücksichtnahme wiederum eine Gebrauchsregelung nach Zeitabschnitten (siehe oben 1.d) [X.]) (2)).
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III.
Das Berufungsurteil ist danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil sie nach den [X.] Feststellungen nicht zur Entscheidung reif ist (§ 563 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 ZPO). Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
1. Das Berufungsgericht wird zunächst festzustellen haben, ob der von dem Balkon der Beklagten aufsteigende [X.] nach dem Empfinden eines durchschnittlichen, verständigen Nutzers auf dem Balkon der Kläger oder -
so-fern er bei offenem Fenster bzw. offener Balkontür in die Wohnung zieht -
in deren Wohnung als störend wahrzunehmen ist. Das macht es -
wie bei der Be-urteilung der von Lärmbelästigungen ausgehenden Störungen -
in der Regel erforderlich, dass der Tatrichter sich selbst in einem Ortstermin einen persönli-chen Eindruck von dem Maß der Beeinträchtigung verschafft (vgl. Senat, Urteil vom 8.
Mai 1992 -
V [X.], [X.], 2019; Urteil vom 5.
Februar 1993
-
V [X.], [X.]Z 121, 248, 255).
30
31
-
17
-
2. Sollte eine wesentliche Beeinträchtigung zu verneinen sein, weil der [X.] nicht oder kaum wahrnehmbar ist, wäre der unter Beweis gestellten Be-hauptung der Kläger nachzugehen, dass mit dem Tabakrauch Feinstaubpartikel auf ihren Balkon bzw. in ihre Wohnung gelangen, hinsichtlich derer der [X.] besteht, dass sie geeignet sind, die Gesundheit zu schädigen; Maßstab ist auch insoweit der durchschnittliche Nutzer.
Stresemann
Czub
Brückner

Weinland
Kazele
Vorinstanzen:
AG Rathenow, Entscheidung vom 06.09.2013 -
4 C 300/13 -

LG [X.], Entscheidung vom 14.03.2014 -
1 S 31/13 -

32

Meta

V ZR 110/14

16.01.2015

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.01.2015, Az. V ZR 110/14 (REWIS RS 2015, 17023)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 17023

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