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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"
Verhältnis von Verdeckungsabsicht und bedingtem Tötungsvorsatz
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 30. Juli 2019 im Fall II.3. der Urteilsgründe mit den Feststellungen zur subjektiven Tatseite sowie im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des [X.] zurückverwiesen.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das [X.] hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Körperverletzung (Fall II.1. der Urteilsgründe), wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (Fall II.2. der Urteilsgründe) und wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit versuchtem Mord „durch Unterlassen“ (Fall II.3. der Urteilsgründe) zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt und Maßregeln nach §§ 69, 69a StGB angeordnet. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie un[X.]gründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Das [X.] hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Am 25. August 2018 geriet der Angeklagte auf einem Weinfest mit seinem langjährigen Freund [X.], dem Ne[X.]nkläger, in Streit. Als der Angeklagte gegen 3.30 Uhr mit seinem Fahrzeug das Weinfest verließ, [X.]merkte er nach kurzer Fahrstrecke infolge Unaufmerksamkeit nicht rechtzeitig, dass der angetrunkene Ne[X.]nkläger auf der Fahrbahn lag. Trotz Bremsung seines Fahrzeugs stieß er mit einer Restgeschwindigkeit von 20 bis 25 km/h gegen den Ne[X.]nkläger (Fall II.1. der Urteilsgründe). Obwohl der Angeklagte erkannt hatte, dass er einen Menschen angefahren hatte, der vor seinem Fahrzeug lag, fuhr er sodann erneut an und schob die Person mit der Front seines Fahrzeugs langsam ca. 20 Meter weit bis an den Rand der Gegenfahrbahn. Durch den Schie[X.]vorgang erlitt der Ne[X.]nkläger schwerste Verletzungen (Fall II.2. der Urteilsgründe). Der Angeklagte setzte nun sein Fahrzeug zurück und erkannte spätestens jetzt den Ne[X.]nkläger. Um [X.] zu verschleiern und unerkannt zu blei[X.]n, entfernte er sich vom Unfallort, ohne sich um den Geschädigten zu kümmern. Da[X.]i sah er den Tod des [X.] als möglich voraus. Der Ne[X.]nkläger wurde kurze [X.] später von anderen Verkehrsteilnehmern gefunden.
Der Angeklagte hatte zu seiner Motivation für das Verlassen der Unfallstelle lediglich angege[X.]n, er ha[X.] unter Schock gestanden und einfach schnell nach Hause gewollt, auch weil er getrunken ha[X.]. Den [X.]dingten Tötungsvorsatz und die [X.] hat das [X.] aus dem Nachtatverhalten des Angeklagten gefolgert. Ein - nur - [X.]dingter Tötungsvorsatz stehe der [X.] hier nicht entgegen, weil der Angeklagte damit gerechnet ha[X.], dass der Ne[X.]nkläger ihn nicht als Täter erkannt ha[X.] und ihn nicht hätte [X.]nennen können.
2. Die Annahme eines versuchten [X.] hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Zwar ist das [X.] im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass [X.] und [X.]dingter Tötungsvorsatz einander nicht grundsätzlich ausschließen, sondern auch zusammen [X.]stehen können (vgl. [X.], Urteil vom 15. Februar 2018 - 4 StR 361/17, NStZ-RR 2018, 174, 175; Beschluss vom 4. August 2010 - 2 StR 239/10, [X.], 34; Urteil vom 23. Novem[X.]r 1995 - 1 [X.], [X.]St 41, 358, 360). Dies kann der Fall sein, wenn die maßgebliche Handlung vom Täter vorgenommen oder eine gebotene Handlung von ihm unterlassen wird, um eine vorangegangene Straftat zu verdecken, dieser Erfolg nach seinem Vorstellungsbild a[X.]r auch ohne den Eintritt des für möglich gehaltenen und billigend in Kauf genommenen [X.] [X.]wirkt wird, der [X.]dingt vorsätzlich her[X.]igeführte Tod des Opfers mithin keine verdeckungsspezifische Funktion aufweist. So ist [X.] etwa anzunehmen, wenn der Täter durch die Vornahme seiner Verdeckunghandlung vorsätzlich eine Person zu Tode bringt, von der ihm - wie er weiß - ü[X.]rhaupt keine Entdeckung droht (vgl. [X.], Urteile vom 23. Novem[X.]r 1995 - 1 [X.], [X.]St 41, 358, 360; und vom 30. März 2004 - 5 [X.], [X.], 495, 496; Beschlüsse vom 4. August 2010 - 2 StR 239/10, [X.], 34; vom 30. Juni 2011 - 4 StR 241/11; und vom 23. Juni 2016 - 5 [X.], [X.], 280; vgl. auch MüKoStGB/[X.], 3. Aufl., § 211 Rn. 245; [X.]/[X.], 3. Aufl., § 211 Rn. 80). Geht der Täter dagegen davon aus, dass nur der Tod des Opfers zur Vortatverdeckung führt, können [X.] und lediglich [X.]dingter Tötungsvorsatz nicht ne[X.]neinander angenommen werden. Hiervon wird in der Regel auszugehen sein, wenn das Opfer den Täter kennt und er deshalb [X.]fürchtet, durch dessen Anga[X.]n ü[X.]rführt zu werden, falls es ü[X.]rlebt (vgl. [X.], Urteil vom 11. Mai 1988 - 3 [X.], [X.], 2682).
Letzteres hat das [X.] nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen. Denn die Feststellung des [X.]s, der Angeklagte ha[X.] nicht damit gerechnet, dass der Ne[X.]nkläger ihn erkannt ha[X.] ([X.]), wird nicht auf einer tragfähigen Beweiswürdigung unterlegt. Denn diese Feststellung steht nicht im Einklang mit dem im Urteil wiedergege[X.]nen Chatverkehr des Angeklagten mit [X.] nach der Tat. Auf die Fragen von [X.], was passiert sei, antwortete der Angeklagte u.a.: „[X.]“ und dann „Weil der [X.]. [X.] anzeigt“. Diese [X.]iden Äußerungen lassen in ihrem Zusammenhang den Schluss zu, dass der Angeklagte [X.]fürchtet hat, der Ne[X.]nkläger ha[X.] ihn erkannt und werde ihn wegen des in Fall II.1. und 2. ausgeurteilten Tatgeschehens anzeigen; wegen der vorangegangenen Auseinandersetzung auf dem Weinfest brauchte der Angeklagte ersichtlich keine schweren rechtlichen Konsequenzen zu [X.]fürchten, die ihn zu der Äußerung veranlassen konnten, dass er morgen „tot“ sei. Mit diesem einer [X.] möglicherweise entgegenstehenden Umstand setzen sich die Urteilsgründe nicht auseinander. Dies wäre a[X.]r erforderlich gewesen.
Soweit die [X.] an anderer Stelle auch davon ausgeht, dass der Angeklagte eine strafrechtlich relevante Alkoholisierung ([X.]) ha[X.] verschleiern wollen, ist eine zu verdeckende Straftat nicht hinreichend festgestellt. Die Urteilsfeststellungen erge[X.]n nicht, dass die Trunkenheit des Angeklagten einen strafrechtlich relevanten Bereich erreicht hatte oder dass der Angeklagte dies annahm. Eine Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) oder eine Straßenverkehrsgefährdung durch Trunkenheit (§ 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB) sind nicht [X.]legt. Der Wille zur Verdeckung einer Ordnungswidrigkeit reicht nicht ([X.], Urteil vom 15. Februar 2018 - 4 StR 361/17, NStZ-RR 2018, 174, 176).
Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen versuchten Mordes [X.]dingt auch die Aufhebung der tateinheitlichen Verurteilung wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort.
3. Der Senat hat die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen, mit Ausnahme derjenigen zur subjektiven Tatseite, aufrecht erhalten. Damit ha[X.]n auch die Feststellungen zum Nachtatgeschehen, wie etwa zum Chatverkehr, Bestand. Der neue Tatrichter kann ergänzende Feststellungen zu den aufrecht erhaltenen treffen, die zu diesen nicht im Widerspruch stehen. Dies gilt auch hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs.
4. Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit versuchtem Mord führt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Der neue Tatrichter wird [X.]i der Strafzumessung den Erziehungsgedanken, der auch [X.]i einer wegen Schwere der Schuld verhängten Jugendstrafe zu [X.]achten ist (vgl. [X.], Beschluss vom 21. Septem[X.]r 2004 - 3 [X.], [X.], 765, 767; Urteil vom 16. März 2006 - 4 StR 594/05; Beschluss vom 28. Februar 2012 - 3 StR 15/12, [X.], 186), und ins[X.]sondere die Auswirkungen der Tat für den Angeklagten in den Blick zu nehmen ha[X.]n. Auch der [X.] hat keinen Bestand. Die von der [X.] [X.]i der [X.] [X.]rücksichtigten, nach §§ 154, 154a StPO ausgeschiedenen Delikte der Straßenverkehrsgefährdung aufgrund alkohol[X.]dingter Fahruntüchtigkeit und der Trunkenheit im Verkehr sind nicht tragfähig festgestellt.
Sost-Scheible |
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Roggenbuck |
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Bender |
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Quentin |
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Feilcke |
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Meta
29.01.2020
Bundesgerichtshof 4. Strafsenat
Beschluss
Sachgebiet: StR
vorgehend LG Traunstein, 30. Juli 2019, Az: 402 Js 28310/10 KLs jug
Zitiervorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.01.2020, Az. 4 StR 564/19 (REWIS RS 2020, 1618)
Papierfundstellen: REWIS RS 2020, 1618
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
4 StR 361/17 (Bundesgerichtshof)
Versuchter Mord durch Unterlassen: Zusammentreffen von Verdeckungsabsicht und bedingtem Tötungsvorsatz
4 StR 369/12 (Bundesgerichtshof)
Trunkenheit im Verkehr und fahrlässige Körperverletzung: Vermeidbarkeit des Verkehrsunfalls durch geringere Geschwindigkeit
4 StR 361/17 (Bundesgerichtshof)
6 StR 23/22 (Bundesgerichtshof)
Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe: Prüfung des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe; Annahme niedriger Beweggründe bei einer …
4 StR 369/12 (Bundesgerichtshof)