Bundesgerichtshof, Urteil vom 23.11.2011, Az. XII ZR 78/11

12. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 1203

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Gegenstand

Wirksamkeitsprüfung für eine Vaterschaftsanerkennung: Anwendbares Statut im Falle des so genannten scheidungsakzessorischen Statuswechsels


Leitsatz

Zum anwendbaren Statut im Fall des sog. scheidungsakzessorischen Statuswechsels nach § 1599 Abs. 2 BGB.

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 3. Senats - Senat für Familiensachen - des [X.] in [X.] vom 8. Dezember 2010 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer vom [X.]n abgegebenen Vaterschaftsanerkennung.

2

Die Klägerin ist die Mutter des am 22. Mai 2004 geborenen Kindes [X.] Im Zeitpunkt der Geburt lebte sie mit ihrem früheren Ehemann in Scheidung. Diese drei Genannten sind [X.] Staatsangehörige.

3

Am 12. Juli 2004 erkannte der [X.], der die [X.] Staatsangehörigkeit besitzt, die Vaterschaft des Kindes durch Jugendamtsurkunde an. Die Klägerin und ihr damaliger Ehemann erklärten dazu ihre Zustimmung. Später wurde die erste Ehe geschieden. Die Parteien des [X.] heirateten 2006 und trennten sich 2008. Seither bestreitet der [X.] seine biologische Vaterschaft.

4

Das Standesamt hat die Beurkundung der Vaterschaftsanerkennung beim Geburtseintrag des Kindes unter Hinweis auf entgegenstehendes [X.]s Abstammungsrecht abgelehnt. Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass der [X.] die Vaterschaft wirksam anerkannt habe. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Dagegen wendet sich der [X.] mit der zugelassenen Revision, mit der er die Klageabweisung weiter verfolgt.

Entscheidungsgründe

5

Die zulässige Revision hat in der Sache keinen Erfolg.

6

Für das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 [X.] noch das bis Ende August 2009 geltende Prozessrecht anzuwenden, weil der Rechtsstreit vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 3. November 2010 - [X.] 197/10 - FamRZ 2011, 100).

I.

7

Das [X.] hat zur Begründung seiner in FPR 2011, 410 veröffentlichten Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Die für die Abstammung des Kindes maßgebliche Rechtsordnung bestimme sich nach der Kollisionsnorm des Art. 19 EGBGB. Knüpfe man gemäß Art. 19 Abs. 1 Satz 1 EGBGB an das [X.] oder gemäß Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EGBGB an das [X.] an, komme [X.] Recht zur Anwendung, wonach die qualifizierte Vaterschaftsanerkennung des Beklagten gemäß § 1599 Abs. 2 BGB wirksam sei. Knüpfe man hingegen gemäß Art. 19 Abs. 1 Satz 3 EGBGB an das [X.] an, komme [X.] Recht zur Anwendung, wonach die Vaterschaftsanerkennung unwirksam sei, weil das [X.] Recht eine qualifizierte Vaterschaftsanerkennung während bestehender Ehe ohne vorherige Vaterschaftsanfechtung nicht kenne. Unter den grundsätzlich gleichrangigen [X.] des Art. 19 Abs. 1 EGBGB müsse die für das Kind günstigste gewählt werden. Das sei nach dem [X.] grundsätzlich diejenige Rechtsordnung, die dem Kind einen Vater frühest möglich zuordne. [X.] sich hierbei kein Unterschied zwischen den in Frage kommenden Rechtsordnungen, sei nach dem Grundsatz der höchsten Abstammungswahrscheinlichkeit diejenige Rechtsordnung vorzuziehen, deren Regelungen dem Kind zu seinem "wirklichen" Vater verhelfe, also zu demjenigen Vater, für dessen biologische Vaterschaft die höchste Wahrscheinlichkeit spreche. Das sei nach einer abgegebenen qualifizierten Vaterschaftsanerkennung, der alle Beteiligten zugestimmt hätten, [X.], der die Vaterschaft anerkannt habe, weshalb hier das [X.] Recht anzuwenden sei.

II.

8

Das hält einer rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.

9

1. a) In der Ausgangslage bei der Geburt des Kindes war dieses nach beiden hier in Frage kommenden Rechtsordnungen nicht vaterlos: Sowohl nach [X.]m Recht (§ 1592 Nr. 1 BGB) wie auch nach dem vom Berufungsgericht festgestellten [X.]n Abstammungsrecht bestand seit der Geburt die rechtliche Vaterschaft des damaligen [X.]n Ehemanns der Klägerin aufgrund bestehender Ehelichkeitsvermutung. Wegen der insoweit übereinstimmenden [X.] bedurfte es einer kollisionsrechtlichen Festlegung des Abstammungsstatuts zu dem Zeitpunkt noch nicht.

b) Das Bedürfnis einer Festlegung des Abstammungsstatuts trat erstmals mit der am 12. Juli 2004 erklärten qualifizierten Vaterschaftsanerkennung auf. Denn ob durch diese Rechtshandlung ein Statuswechsel eintrat und die Vaterschaft des Beklagten begründet wurde, wird durch die in Frage kommenden Rechtsordnungen unterschiedlich beantwortet.

Nach der inländischen Sachnorm des § 1599 Abs. 2 BGB, deren gesetzliche Voraussetzungen das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt hat, wäre die vom Beklagten erklärte Vaterschaftsanerkennung wirksam. Dadurch wäre der Statuswechsel eingetreten und es bestünde eine Vaterschaft des Beklagten.

Nach den [X.]n [X.] hingegen wäre die vom Beklagten erklärte Vaterschaftsanerkennung nicht möglich, da das vom Berufungsgericht festgestellte [X.] Recht eine Vaterschaftsanerkennung eines [X.] während bestehender Ehe und daraus folgender Ehelichkeitsvermutung, solange diese nicht angefochten ist, nicht kennt. Somit wäre weiterhin der frühere [X.] Ehemann als Vater anzusehen.

Für die Wirksamkeit der qualifizierten Vaterschaftsanerkennung kommt es somit darauf an, welche der in Frage kommenden Rechtsordnungen zur Anwendung berufen ist.

2. Bei der Bestimmung des Abstammungsstatuts ist zu beachten, dass die qualifizierte Vaterschaftsanerkennung nach § 1599 Abs. 2 BGB aus zwei Komponenten besteht und nicht nur die Anerkennung der Vaterschaft, sondern auch die Beseitigung der bestehenden Vaterschaft beinhaltet (sogenannter scheidungsakzessorischer Statuswechsel).

Durch dieses zum 1. Juli 1998 eingeführte Verfahren eröffnet das Gesetz einen erleichterten Wechsel der väterlichen Abstammung, der im Gegensatz zur vorausgegangenen Rechtslage keiner Mitwirkung des (Familien-)Gerichts und auch keiner Beteiligung des Kindes mehr bedarf. Der Statuswechsel beruht vielmehr weitgehend auf dem entsprechenden Willen der (rechtlichen) Eltern und eines anerkennungsbereiten [X.]. Anstelle der gerichtlichen Überprüfung der biologischen Vaterschaft ist die vom Gesetz vorausgesetzte hinreichende Wahrscheinlichkeit der Nichtvaterschaft des Ehemannes bei einer Geburt des Kindes nach Anhängigkeit des Scheidungsantrags getreten. Diese Regelung hat die nach früherer Rechtslage - nach der Scheidung - erforderliche Anfechtung der Ehelichkeit (nunmehr: Vaterschaft) ersetzt und fasst diese mit der anschließenden Anerkennung zusammen. Nach der früheren Rechtslage war zur Beseitigung der bestehenden Vaterschaft ein gerichtliches (Anfechtungs-)Verfahren erforderlich, an dem vor allem auch das von dem Statuswechsel betroffene Kind notwendig zu beteiligen war und das eine gerichtliche Prüfung der biologischen Vaterschaft voraussetzte (zur Entstehung und rechtspolitischen Kritik s. [X.]/[X.] BGB [2011] § 1599 Rn. 4 ff.; [X.] Neues Kindschaftsrecht Rn. 70 ff. sowie [X.] FamRZ 1999, 7).

a) Die wesentliche Besonderheit der geltenden Regelung besteht somit darin, dass die mit der Geburt eingetretene Vaterschaft nunmehr ohne gerichtliches Verfahren beseitigt werden kann und die Neuregelung mit dem Statuswechsel insoweit dieselben Rechtsfolgen hat wie ein - auch nach heutiger Rechtslage noch mögliches - Anfechtungsverfahren. Das zeigt sich etwa, wenn der anerkennende Dritte später seine Vaterschaft anficht. In diesem Fall lebt nicht etwa die Vaterschaft des früheren Ehemanns wieder auf, sondern wird das Kind vaterlos ([X.]/[X.] BGB [2011] § 1599 Rn. 111). Es handelt sich somit um einen besonders ausgestalteten Anfechtungstatbestand, der die Vaterschaft beseitigt ([X.] Neues Kindschaftsrecht Rn. 74).

Da die Regelung in § 1599 Abs. 2 BGB das früher erforderliche Anfechtungsverfahren ersetzt hat und in der Sache zu ähnlichen Wirkungen wie eine Vaterschaftsanfechtung führt, ist dementsprechend für das anwendbare Statut auf den Rechtsgedanken des Art. 20 EGBGB zurückzugreifen, der eine auf die Beseitigung der Abstammung zugeschnittene Regelung enthält. Die Vorschrift bezieht sich zwar auf die Anfechtung in einem Gerichtsverfahren und ist somit nicht unmittelbar anzuwenden. Sie enthält aber in der Sache eine allgemeine Regelung des Problems, dass mehrere in Betracht kommende Abstammungsstatute an die Beseitigung der rechtlichen Abstammung unterschiedliche Anforderungen stellen. Der in der Regelung zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke der Wahlfreiheit (dazu [X.]/[X.] BGB [2008] Art. 20 EGBGB Rn. 12 ff.) ist auch für die Beseitigung der Abstammung durch übereinstimmende Erklärungen heranzuziehen. Diese ist der Sache nach mit einer Anfechtung der Vaterschaft in vereinfachter Form vergleichbar und ist bei der am 1. Juli 1998 in [X.] getretenen Gesetzesänderung im Hinblick auf das internationale Privatrecht nicht berücksichtigt worden.

Nach Art. 20 Satz 1 EGBGB kann die Abstammung nach jedem Recht angefochten werden, aus dem sich ihre Voraussetzungen ergeben. Abzustellen ist hierbei auf die jeweilige zur Anfechtung berechtigte Person. Da sich die Voraussetzungen der Vaterschaft des früheren Ehemannes der Klägerin - wie oben ausgeführt - sowohl aus dem [X.]n wie auch aus dem [X.]n Recht ergaben, stand es sowohl der Klägerin als auch ihrem früheren Ehemann als Anfechtungsberechtigten offen, für die Beseitigung der Abstammung das [X.] Recht zu wählen. Demnach hatte insbesondere der frühere Ehemann der Klägerin die Wahl, ob er sich statt eines nach [X.]m (oder [X.]m) Recht durchzuführenden Anfechtungsverfahrens an dem im [X.]n Recht erleichterten Statuswechsel nach § 1599 Abs. 2 BGB beteiligte, indem er seine Zustimmung zur Vaterschaftsanerkennung durch den Beklagten erteilte und damit eine gerichtliche Vaterschaftsanfechtung entbehrlich machte.

Demnach ergibt sich das anwendbare Statut im Hinblick auf die in dem Statuswechsel nach § 1599 Abs. 2 BGB enthaltene Beseitigung der bestehenden Abstammung aus dem Rechtsgedanken des Art. 20 EGBGB. Die Klägerin und ihr früherer Ehemann übten die ihnen offen stehende Rechtswahl in wirksamer Weise zugunsten des [X.]n Rechts aus, indem sie durch Erklärungen vor den zuständigen Stellen das Verfahren des scheidungsakzessorischen Statuswechsels nach § 1599 Abs. 2 BGB durchgeführt haben.

b) Bei der Anerkennung der Vaterschaft durch den Beklagten und der beseitigten Sperrwirkung der - bisherigen - Vaterschaft (§ 1594 Abs. 2 BGB) handelt es sich schließlich um nachgelagerte Fragen, die sich nach der Beseitigung der Vaterschaft des früheren Ehemannes der Klägerin ergeben. Das auf die Anerkennung anwendbare Statut ergibt sich insoweit aus Art. 19 EGBGB. Die in Frage kommenden Anknüpfungen, als Aufenthalts- und Staatsangehörigkeitsstatut das [X.] Recht sowie als [X.] das [X.] Recht, führen insoweit mit der wirksamen Anerkennung zum selben Ergebnis. Ob die Beseitigung der Vaterschaft des früheren Ehemannes der Klägerin im Verfahren nach § 1599 Abs. 2 BGB vom [X.]n Recht anerkannt wird, ist nach dem anwendbaren [X.]n Internationalen Privatrecht gemäß Art. 20 EGBGB nicht ausschlaggebend. Denn insofern stellt die Beseitigung der früheren Vaterschaft lediglich eine Vorfrage dar, die selbstständig anzuknüpfen ist. Dass dadurch die Gefahr eines hinkenden Verwandtschaftsverhältnisses entsteht, ergibt sich schon aus der Konzeption der Anknüpfungen in Art. 20 EGBGB und wird vom Gesetz bewusst in Kauf genommen.

[X.]                                             Weber-Monecke                                               [X.]

                        Schilling                                                      [X.]

Meta

XII ZR 78/11

23.11.2011

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend KG Berlin, 8. Dezember 2010, Az: 3 UF 100/09

Art 19 BGBEG, Art 20 BGBEG, § 1599 Abs 2 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 23.11.2011, Az. XII ZR 78/11 (REWIS RS 2011, 1203)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1203

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