Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.07.2011, Az. 1 StR 631/10

1. Strafsenat | REWIS RS 2011, 4415

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 631/10
vom
25.
Juli 2011
[X.]St: ja
[X.]R: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja

[X.] § 231 Abs. 2
[X.] § 371 Abs. 1

1.
Eigenmächtigkeit des Entfernens im Sinne von §
231 Abs.
2 [X.] kann vorliegen, wenn der Angeklagte aufgrund einer mittelgradigen depressiven Episode einen Suizidversuch unternimmt, der zu seiner Verhandlungsunfä-higkeit führt.

2.
Zur Wirksamkeit von Selbstanzeigen mit geringfügigen
Abweichungen von dem in §
371 Abs.
1 [X.] für Selbstanzeigen vorgeschriebenen Inhalt.

[X.], Beschluss vom 25.
Juli 2011 -
1 StR 631/10 [X.]

-
2
-

in der Strafsache
gegen

wegen
Steuerhinterziehung

-
3
-
Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 25. Juli 2011 beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 26.
März 2010 wird
a)
das Verfahren auf den Antrag des [X.] gemäß §
154 Abs.
2 i.V.m. Abs.
1 Nr.
1 [X.] eingestellt, soweit dem Angeklagten im Tatkomplex "Umsatzsteuer-hinterziehung" Steuerhinterziehung in 20 Fällen (betref-fend die Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate März, April, Juni, Oktober und Dezember 2001, Januar, März, Juni und Juli 2002, Januar bis April, Juli, September und Dezember 2003 sowie die [X.] für die Jahre 2000 bis 2003) zur Last liegt;
b)
das genannte Urteil im Schuldspruch dahingehend [X.], dass der Angeklagte der Steuerhinterziehung in 32 Fällen schuldig ist.
2.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
3.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

-
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-

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 52 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verur-teilt. Von weiteren Vorwürfen hat es ihn freigesprochen. Weiter hat das [X.] festgestellt, dass von der Gesamtfreiheitsstrafe ein Monat als verbüßt gilt.
Die Revision des Angeklagten, mit der er sich gegen seine Verurteilung wendet und dabei die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, führt zu einer [X.] des Verfahrens gemäß §
154 Abs.
2 [X.]. Im Übrigen ist sie unbegründet [X.].
§
349 Abs.
2 [X.].
[X.] Erörterung bedürfen die auf den absoluten Revisionsgrund des §
338 Nr.
5 [X.] gestützte Verfahrensrüge (A) und der Schuldspruch
(B).

A.
Die Hauptverhandlung wurde an fünf Tagen in Abwesenheit des Ange-klagten durchgeführt. Die Revision macht deshalb einen Verstoß gegen §
230 Abs.
1, §
231 Abs.
2 [X.] geltend. Zwar
habe sich der Angeklagte selbst in den Zustand der Verhandlungsunfähigkeit gebracht, indem er während laufen-der Hauptverhandlung bei "eingeschränkter Steuerungsfähigkeit" versucht ha-be, sich das Leben zu nehmen. Er habe sich deshalb aber -
anders als das [X.] annimmt
-
noch nicht eigenmächtig der weiteren Hauptverhandlung entzogen. Die Verfahrensrüge ist unbegründet.
[X.] Der Rüge liegt folgendes Prozessgeschehen zu Grunde:
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5
-
1.
Die Hauptverhandlung gegen den ordnungsgemäß geladenen Ange-klagten begann am 18.
Oktober 2009 mit Verlesung des Anklagesatzes aus der Anklageschrift und aus einer Ergänzungsanklage. Im [X.] hieran erklärte einer der Verteidiger, der Angeklagte werde an diesem Tag keine Stellungnah-me abgeben. Nach Erteilung des Hinweises an den Angeklagten, dass es ihm freistehe, sich zur Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen, trat das [X.] im Einverständnis mit allen Verfahrensbeteiligten in die Be-weisaufnahme ein. Es wurden ausschließlich Urkunden verlesen. Am zweiten Hauptverhandlungstag sagte der Angeklagte zu seinen persönlichen Verhält-nissen und zur Sache aus und beantwortete Fragen des Vorsitzenden. Am drit-ten Verhandlungstag fuhr das Gericht mit der Beweisaufnahme fort. Der Ange-klagte erklärte, er fühle sich nicht
in der Lage, weitere Fragen des Vorsitzenden zu beantworten, er sei aber in der Lage, die Fragen aufzunehmen. Der [X.] stellte seine Fragen und gab dem Angeklagten anheim, diese am nächs-ten Verhandlungstag, der für den 11.
November 2009 angesetzt war, zu beant-worten.
2.
Zu dem danach erfolgten Suizidversuch des Angeklagten hat das [X.] -
im Urteil
-
folgende Feststellungen getroffen:
"In der Nacht vom 10.11.2009 auf den 11.11.2009, mithin während lau-fender Hauptverhandlung, lag beim Angeklagten [X.] eine mittelgradige depressive Episode vor, hervorgehend aus einer zuvor bestehenden leichteren depressiven Verstimmung bei äußerer Belastungssituation. Am 11.11.2009 stand nämlich für den Angeklagten eine Reihe von belas-

e-ginn des Fortsetzungstermins der Hauptverhandlung, zu einer Zeit, als er mit seinem Auffinden rechnen konnte, fügte sich der Angeklagte [X.] Ver-letzungen an den Armbeugen zu, die zu einem hohen Blutverlust führten. Der Angeklagte [X.] war bei Vornahme der Selbstverletzungen in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt; gänzlich ausgeschlossen war sie aber nicht. Der Angeklagte [X.] wollte durch sein Handeln der Hauptverhandlung entgehen und nahm hierbei billigend seinen Tod in 5
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Kauf. Gleichzeitig hoffte er aber noch -
wie dann auch geschehen
-

rden."

3.
Infolge des Selbstmordversuchs war der Angeklagte für einen für das [X.] nicht vorhersehbaren Zeitraum nicht mehr verhandlungsfähig. [X.] beauftragte das [X.] am 12.
November 2009 Dr. S.

, einen Arzt für Neurologie und Psychiatrie, mit einem Sachverständigengutachten, in dem geklärt werden sollte, ab wann und in welchem Umfang der Angeklagte wieder verhandlungsfähig sein werde. Der Gutachter sollte sich "auch zu der Frage äußern, ob der Angeklagte seinen Selbstmordversuch schuldhaft unternommen hat, d.h. nicht im Zustand fehlender Einsichts-
bzw. Steuerungsfähigkeit im [X.] des §
20 StGB". Das [X.] stellte in Aussicht, im Falle fortdauernder Verhandlungsunfähigkeit die Hauptverhandlung auszusetzen und zu einem späteren Zeitpunkt von vorne beginnen zu lassen.
Die Exploration durch den Sachverständigen fand am 21.
November 2009 statt. Nachdem der Sachverständige im Hauptverhandlungstermin vom 26.
November 2009 sein Gutachten mündlich erstattet hatte (das schriftliche Gutachten ging am 7.
Dezember 2009 bei der [X.] ein) und zudem ärztliche Atteste verlesen worden waren, verkündete das [X.] nach [X.] den Beschluss, dass die Hauptverhandlung gemäß §
231 Abs.
2 [X.] in Abwesenheit des Angeklagten fortgesetzt und gegebenenfalls zu Ende geführt werden solle. In diesem Beschluss vom 26.
November 2009 führt das [X.] u.a. aus:
"Das Fernbleiben des Angeklagten [X.] war eigenmächtig. Der [X.] [X.] ist seiner Anwesenheitspflicht wissentlich durch die von ihm nur wenige Stunden vor dem Verhandlungstermin vom 11.11.2009 [X.] Selbstverletzung nicht nachgekommen. Diese
Verletzungshandlung diente nach Überzeugung der Kammer dazu, dem Gang der Urteilsfin-dung durch Missachtung seiner Anwesenheitspflicht durch das Herbei-7
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führen eines andauernden Zustandes der Verhandlungsunfähigkeit vor-sätzlich entgegenzutreten.
Dies ergibt sich aus den folgenden Umständen:
Gegen Ende des 3.
Verhandlungstages am Freitag, den [X.], konfrontierte die Kammer den Angeklagten mit einer Reihe aus ihrer da-maligen Sicht bestehender unauflösbarer Widersprüche zwischen der vom Angeklagten in der Hauptverhandlung abgegebenen Einlassung und dem schriftsätzlichen Vortrag seiner Verteidiger im Ermittlungs-
und Be-steuerungsverfahren, dessen Richtigkeit er teilweise sogar eidesstattlich versichert hat. Bereits zuvor traten an diesem Verhandlungstag im Rah-men der Vernehmung des Zeugen T. ersichtlich nicht nur für die Kammer überraschend unterschiedliche Versionen von Gesellschaftsverträgen zu-tage, die die Kammer dazu veranlassten, den Angeklagten nach dem Zustandekommen und der Verwendung der unterschiedlichen Versionen zu befragen. Diese Fragen und Hinweise auf Widersprüche blieben un-beantwortet. Die Kammer hat dabei auch zu verstehen gegeben, dass sie bei vorläufiger Würdigung der Sachlage der Einlassung des Ange-klagten wohl nicht würde folgen können. Mit diesen Widersprüchen kon-frontiert endete der 3. Verhandlungstag.
Für den 4.
Verhandlungstag am Mittwoch, den 11.11.2009, waren [X.] vorgesehen, die nach Aktenlage wie z.B. die Zeugin [X.] über intime Details über das Verhältnis des Angeklagten [X.] zu [X.] würden be-richten können und hieraus folgernd das mögliche Motiv für die nicht ver-steuerten Zahlungen von [X.] an den Angeklagten beleuchtende Angaben machen würden. Diese Angaben wären für den Angeklagten [X.] deswegen besonders unangenehm, weil der Prozess intensiv durch die Medien verfolgt wird und entsprechende Angaben aufgrund der Be-richterstattung der Medien große Verbreitung finden würden.
Unter Würdigung dieser Prozesslage zieht der Sachverständige Dr.
S.

den naheliegenden Schluss, dass der Angeklagte [X.] aus sei-ner Sicht keine befriedigenden Antworten auf die durch die Kammer auf-gezeigten Widersprüche finden konnte und der kommende Prozessver-lauf für ihn äußerst peinlich zu werden schien. Um sich diesen Wider-sprüchen und der Peinlichkeit der weiteren Hauptverhandlung zu entzie-hen, hat der Angeklagte [X.] sich dann selbst körperlich beschädigt. Der Begriff der Selbstbeschädigung rührt dabei vom Sachverständigen (her), der in Zweifel zieht, ob es sich überhaupt um einen ernsthaften Selbst-mordversuch gehandelt hat. Wegen der [X.] dieser Frage geht die Kammer davon aus, dass die Selbstbeschädigung mit beding--
8
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tem Selbsttötungsvorsatz erfolgte

zu einem Zeitpunkt und an einem Ort, wo der Angeklagte auf ein rechtzeitiges Auffinden hoffen konnte.
Ein weiteres Indiz dafür, dass der Angeklagte [X.] sich der weiteren Hauptverhandlung durch die Selbstbeschädigung entziehen wollte, ergibt sich aus dem Zeitpunkt der Tat: Der Angeklagte [X.] hat die Selbstverlet-zung gegen 6.30 Uhr nur wenige Stunden vor der Fortsetzung der Hauptverhandlung um 9.00 Uhr unternommen. Dieser enge zeitliche Zu-sammenhang mit der Fortsetzung der Hauptverhandlung spricht nach Überzeugung der Kammer ebenfalls dafür, dass der Angeklagte [X.] hier-durch die unmittelbar bevorstehenden und für ihn aller Voraussicht nach höchst peinlichen Zeugenaussagen in öffentlicher Verhandlung verhin-dern wollte.
Der Angeklagte [X.] hat sich seine Verletzungen nicht im Zustand fehlen-der Einsichts-
bzw. Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 20 StGB zuge-fügt. Aus dem stets nachvollziehbaren und überzeugenden Gutachten des vom Gericht beauftragten, forensisch sehr erfahrenen [X.] Dr.
S.

, dem sich die Kammer anschließt, ergibt sich, dass die eigene körperliche Beschädigung des Angeklagten
[X.] Ausdruck eines wachen und abwägenden, bilanzierenden Verstandes war und nicht im Zustand des Ausschlusses seiner Steuerungs-
oder Einsichtsfähigkeit begangen wurde. Zu diesem Ergebnis kommt der Sachverständige für die Kammer nachvollziehbar aufgrund des mit dem Angeklagten [X.] am 21.11.2009 geführten Gesprächs sowie der ihm geschilderten pro-zessualen Situation, die

wie oben bereits ausgeführt

beim [X.]n [X.] Gefühle wie Scham, Ehre und Gesichtsverlust ausgelöst haben. Diese Gefühle führen jedoch nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen nicht dazu, dass sie die Einsichts-
oder [X.] aufheben. Seinem vom Angeklagten [X.] im Rahmen des mit ihm geführten Gespräches gewonnenen Eindrucks sei der [X.] merklich davon entfernt, in einem [X.] Zustand ge-

Aufgrund der vorgenannten Umstände gelangt die Kammer daher zu dem Ergebnis, dass der Angeklagte [X.] versuchte, sich dem weiteren Gang der Hauptverhandlung durch Herbeiführen einer Verhandlungsun-fähigkeit vorsätzlich zu entziehen, ohne dass seine Einsichts-
oder Steu-erungsfähigkeit aufgehoben gewesen wäre."
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In diesem Beschluss, die Hauptverhandlung ohne den Angeklagten fort-zusetzen, wies das [X.] darauf hin, dass der Angeklagte uneinge-schränkt Gelegenheit gehabt habe, zum [X.] Stellung zu nehmen, und von diesem Recht auch Gebrauch gemacht habe. Es hielt deswegen [X.] weitere Anwesenheit nicht für erforderlich. Das [X.] kündigte aller-dings an, sich an diesem und am folgenden Hauptverhandlungstag auf ein mi-nimales Beweisprogramm zu beschränken, um die Mitwirkungsrechte des [X.] soweit wie möglich zu achten. Den Aussetzungsantrag eines [X.] lehnte das [X.] ab.
4.
In der Folge verhandelte das [X.] an fünf [X.] ohne den Angeklagten; ab dem 11.
Hauptverhandlungstag ([X.] 2009) war der Angeklagte wieder anwesend. Der Vorsitzende unterrichtete ihn in entsprechender Anwendung des §
231a Abs.
2 [X.] über den wesentli-chen
Inhalt dessen, was Gegenstand der Verhandlung während seiner Abwe-senheit gewesen ist.
Am 12.
Januar 2010 lehnte der Angeklagte den Sachverständigen Dr.
S.

wegen Besorgnis der Befangenheit ab und beantrage die Einholung eines weiteren fachpsychiatrischen Gutachtens "insbesondere zu der Frage, ob anlässlich des Suizidversuchs am 11.
November 2009 ein freier Willensent-schluss von Herrn [X.] vorlag."
Am 22.
Januar beschloss das [X.], den Psychiater Dr.
J.

mit einem Sachverständigengutachten zu beauftragen, wobei dieser sich auch zur Frage der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten vom Beginn der [X.] am 28.10.2009 bis zum Fortsetzungstermin am 6.11.2009 äußern sollte.
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5.
In seinem am 15.
Februar 2010 erstellten schriftlichen
Gutachten, das -
soweit es um den Zustand des Angeklagten ging
-
im Wesentlichen auf [X.] eigenen Angaben beruhte,
führte der Sachverständige Dr.
J.

u.a. aus:
Eine "depressive Episode" trat "in der Nacht zum 11.11.2009 ein, nach-dem Herr [X.] von seinem Verteidiger über unangenehme Aussichten im Strafverfahren hingewiesen wurde und er danach noch ein längeres [X.] unbekannten Inhalts mit seiner Ehefrau führte. Die depressive Verstimmung nahm nun ein so großes Ausmaß an, dass Herr [X.] in ei-nen Zustand geriet, der von [X.] [dem behandelnden Arzt] tref-durch das Gefühl der Hoffnungs-
und Aussichtslosigkeit, der Isolierung von den Mitmenschen und dem immer verführerischen Drang, diese als

Herr [X.] war im Zeitraum der ersten Verhandlungstage angeschlagen, er litt an einer Anpassungsstörung mit depressiver und vielleicht auch ängstlicher Symptomatik, aber er war nicht verhandlungsunfähig. Zum Zeitpunkt seines Suizidversuchs befand sich Herr [X.] allerdings in einem akuten depressiven und präsuizidalen Verstimmungszustand, der sich aus der leichteren depressiven Verstimmung am Abend durch das [X.] mit dem Anwalt und danach mit seiner Frau verstärkt hatte und nun innerhalb von Stunden sein Denken und Handeln zunehmend im Sinne eines Tunnelblicks lenkte. Hierbei ließ er sich zum Teil von noch vernünftig scheinenden Erwägungen leiten, zum Beispiel davon, viel-leicht durch
seinen Tod seiner Familie zusätzliches Unbill ersparen zu können. Dass er mit einem Freitod seiner Frau ein noch viel größeres Leid zufügen würde, vermochte er allerdings nicht mehr zu erkennen. Das impliziert, dass er in seiner Hemmungsfähigkeit (Steuerungsfähig-keit) zum Zeitpunkt des Suizids erheblich beeinträchtigt war."
Dr.
J.

verneinte die Annahme von Dr.
S.

, es habe ein "rein de-monstrativer Suizidversuch" vorgelegen und kam zu dem Ergebnis:
"Die Wahrheit dürfte, wie so oft, in der Mitte
liegen: Herr [X.] war weder im
-e-

S.

schlussfolgerte. Ein schuldfähigkeitsrele-vantes Krankheitsbild lag erst in der Nacht zum 11.11.2009 vor, in Form einer mittelgradigen depressiven Episode mit Suizidversuch, hervorge-13
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hend aus einer zuvor leichteren depressiven Verstimmung bei äußerer Belastungssituation (Strafprozess und Medienkampagne)."
Seinen Befund zur Frage der Schuldhaftigkeit des [X.] fasste Dr. J.

so zusammen:
"Der in diesem Zustand begangene Suizidversuch war nach Überzeu-gung des Unterzeichnenden nicht demonstrativ im Sinne eines reinen Zweckverhaltens, sondern Ausdruck und Symptom dieses depressiv-suizidalen Verstimmungszustandes im Sinne einer akuten krankhaften seelischen Störung (entsprechend dem ersten [X.] der §
20, 21 StGB). Hinsichtlich der Schuldhaftigkeit des [X.] [gemeint wohl Unfähigkeit] am Folgetag ist von einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit bei erhaltener Einsicht auszugehen (gemäß §
21 StGB). Es lag keine wahnhafte depressive Psychose vor und bei dem Suizidversuch, der sich über zwei Stunden hinzog, handelte es sich nicht um einen melancholischen Raptus, so dass weder von [X.] noch von [X.] [X.] zum Zeitpunkt des Suizidversuchs auszugehen ist."
6.
Auch den Sachverständigen Dr.
J.

lehnte der Angeklagte wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Das [X.] wies diesen Befangenheitsan-trag mit Beschluss vom 18.
März 2010 zurück. Zugleich teilte der Vorsitzende mit, dass die [X.] "auf die gutachtlichen Ausführungen des Sachver-ständigen Dr.
S.

nichts stützt". Nachdem der Verteidiger an dem Ableh-nungsantrag gegen Dr.
S.

festhielt, beschloss das [X.]:
"Der gegen den Sachverständigen Dr. S.

gerichtete Ablehnungsan-trag wird als unzulässig zurückgewiesen, weil die Sachverständigentätig-keit des Dr.
S.

bei der weiteren Entscheidungsfindung keine Rolle spielt und damit der Befangenheitsantrag gegenstandslos ist."
I[X.]
Bei dieser Sachlage ist ein absoluter Revisionsgrund i.S.d. §
338 Nr.
5 [X.] nicht gegeben. Das [X.] durfte deshalb an den fraglichen fünf Hauptverhandlungstagen ohne den Angeklagten verhandeln.
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-
1.
Allerdings findet gegen einen ausgebliebenen Angeklagten eine Hauptverhandlung grundsätzlich nicht statt (§
230 Abs.
1 [X.]); ein erschiene-ner Angeklagter
darf sich aus der Hauptverhandlung auch nicht wieder entfer-nen (§
231 Abs.
1 Satz
1 [X.]). Diese gesetzlichen Vorgaben dienen der Ge-währleistung des Anspruchs des Angeklagten auf rechtliches Gehör (Art.
103 Abs.
1 GG) in jeder Phase der Hauptverhandlung. Zur Sicherung der Funktions-fähigkeit der Rechtspflege und zur Durchsetzung des st[X.]tlichen Strafan-spruchs ist der Angeklagte im Gegenzug zur Teilnahme an der Hauptverhand-lung grundsätzlich verpflichtet und kann dazu auch gezwungen werden (§
230 Abs.
2, §
231 Abs.
1 Satz
2, §
112 [X.]). Ein Angeklagter, der sich der [X.] entzieht, hat zwar im Grunde seinen Anspruch auf Gehör verwirkt (zur Verwirkung vgl. [X.] in [X.]/[X.], Grundgesetz, Art.
103 Abs.
1 Rn.
18, 83 [Stand: 48.
Lfg. 2006 bzw. 27.
Lfg. 1988]). Wegen der beson-deren Bedeutung des Rechts auf rechtliches Gehör als Voraussetzung für ein faires rechtsst[X.]tliches Verfahren erlaubt die Strafprozessordnung die [X.] einer Hauptverhandlung gleichwohl nur unter
den Voraussetzungen des §
231 Abs.
2 [X.] und des -
hier nicht einschlägigen
-
§
231a [X.] sowie nach Entfernung eines Angeklagten aus der Hauptverhandlung wegen Unge-bühr nach §
177 GVG ([X.], Beschluss vom 7.
November 2007

1
StR 275/07, NStZ-RR
2008, 285). Im Falle des §
231 Abs.
2 [X.] muss der Ange-klagte dabei über den bloßen Wortlaut dieser Vorschrift hinaus seine Pflicht zum Verbleiben oder Wiedererscheinen eigenmächtig verletzt haben, denn bei genügender Entschuldigung kann sein Erscheinen auch sonst nicht erzwungen werden (vgl. §
230 Abs.
2 [X.]; [X.] [X.]O).
2.
Eigenmächtigkeit liegt nach der Rechtsprechung des [X.] vor, wenn der Angeklagte wissentlich und ohne Rechtfertigungs-
oder Ent-schuldigungsgrund der weiteren Hauptverhandlung fernbleibt ([X.], Urteil vom 30.
November 1990 -
2
StR 44/90, [X.]St 37, 249). Dem Ausbleiben [X.].
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-
§
231 Abs.
2 [X.] steht es gleich, wenn sich der Angeklagte nach der [X.] zur Sache -
vorher gilt §
231a [X.]
-
eigenmächtig in einen seine Verhandlungsfähigkeit ausschließenden Zustand versetzt hat ([X.], Urteil vom 19.
Februar 2002 -
1
[X.], [X.], 533, 535 [X.]; [X.], Urteil vom 26.
Juli 1961 -
2 [X.], [X.]St 16, 178, 183). Für die Annahme eines ei-genmächtigen Ausbleibens ist nicht die Feststellung erforderlich, dass der An-geklagte versucht habe, im Sinne einer Boykottabsicht den "Gang der [X.]" zu stören oder ihm "entgegenzutreten"
(vgl. [X.], Urteil vom 30.
November 1990 -
2
StR 44/90, [X.]St 37, 249, 254
f. [X.]). Gegenteiliges lässt
sich auch älterer Rechtsprechung des [X.] nicht entneh-men (vgl. [X.] [X.]O [X.]).
3.
Der Gesetzgeber hat die zu §
231 Abs.
2 [X.] ergangene Rechtspre-chung aufgegriffen, als er mit dem Gesetz zur Ergänzung des [X.] des Strafverfahrensrechts (1.
StVRErgG) vom 20.
Dezember 1974 die Vorschrift des §
231a in die Strafprozessordnung einfügte ([X.] I S. 3686, 3688). Nach dieser Vorschrift kann die Hauptverhandlung, auch wenn der An-geklagte noch nicht über die Anklage vernommen worden war, in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführt werden, wenn er sich vorsätzlich und schuldhaft in einen seine Verhandlungsfähigkeit ausschließenden Zustand versetzt hat. Der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages führte in seinem Bericht (BT-Drucks. 7/2989) aus, diese Vorschrift lehne sich an den von der [X.] herausgearbeiteten Gehalt des §
231 Abs.
2 [X.] an. Ohne den Angeklagten dürfe nur verhandelt werden, wenn er seine Verhand-lungsunfähigkeit selbst herbeigeführt hat und ihm dies zuzurechnen ist. Den seine Verhandlungsunfähigkeit ergebenden Zustand müsse er dabei vorsätzlich bewirkt haben und zwar ("wissentlich") in Kenntnis des Umstandes, dass hier-durch die ordnungsgemäße Durchführung der Hauptverhandlung verhindert wird. Allerdings brauche das nicht das Ziel des Angeklagten zu sein. Es [X.]
-
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-
ge, wenn er dies als notwendige Folge seines Verhaltens erkennt und damit will. Ferner müsse der Angeklagte schuldhaft handeln; wer schuldunfähig sei, wenn er die entscheidende Ursache für die Verhandlungsunfähigkeit setze, falle nicht unter diese Vorschrift.
4.
Eigenmächtigkeit kann danach grundsätzlich auch dann gegeben sein, wenn der Angeklagte -
wie hier
-
während laufender Hauptverhandlung einen Suizidversuch unternimmt (vgl. [X.], Urteil vom 26.
Juli 1961 -
2
StR
575/60, [X.]St 16, 178; vom 19.
Februar 2002 -
1 [X.], [X.], 533).
Für den von der Rechtsprechung herausgearbeiteten und vom [X.] übernommenen Begriff der Eigenmächtigkeit sind bei einem [X.] während laufender Hauptverhandlung folgende Kriterien maßgebend:
a)
Der Angeklagte muss seine Verhandlungsunfähigkeit selbst herbeige-führt haben und dies muss ihm zuzurechnen sein. Dabei muss er vorsätzlich handeln und in Kenntnis des Umstandes, dass hierdurch die ordnungsmäßige Durchführung der Hauptverhandlung verhindert wird. Die Verhinderung der Hauptverhandlung muss allerdings nicht das Ziel des Angeklagten sein. Es ge-nügt, wenn er dies als notwendige Folge seines Verhaltens erkennt und damit
will; eine Boykottabsicht ist demnach nicht erforderlich.
b)
Zu diesen Kriterien muss hinzukommen, dass der Angeklagte "[X.]" handelt. Das in §
231a Abs.
1 Satz 1 [X.] genannte Merkmal "schuldhaft" gilt nach dem Vorstehenden in gleicher Weise für
das Verständnis des unge-schriebenen Merkmals "Eigenmächtigkeit" in §
231 [X.].
Den Begriff "schuldhaft" verwendet die Strafprozessordnung auch in §
464c [X.] (Säumnis des Angeschuldigten und Dolmetscherauslagen). [X.] Merkmale finden sich etwa
in §
230 [X.] (Vorführung oder Haftbe-21
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-
15
-
fehl, wenn der ausgebliebene Angeklagte "nicht genügend entschuldigt" ist) und in §
51 Abs.
2 [X.] (Ausbleiben des Zeugen); vgl. auch §
44 [X.]. Auch wenn es bei den Vorschriften der §§
51, 230 und §
464c [X.] um Fälle
der Säumnis geht, ist der [X.] doch der Ansicht, dass das dortige Begriffsverständnis von "schuldhaft" jedenfalls auf Fälle der vorliegenden Art nicht übertragbar ist.
c)
Für Fälle der vorliegenden Art erscheint dem [X.] eine Konturierung des Merkmals "schuldhaft" anhand der [X.]e der §§
20, 21 StGB besser geeignet (vgl. [X.], [X.], 54.
Aufl., §
231a Rn.
8). Freilich spricht die amtliche Überschrift der §§
20, 21 StGB von "Schuldunfähigkeit" bzw. "Schuldfähigkeit". Das sind materiell-rechtliche Begriffe, die mit dem in der Strafprozessordnung verwendeten verfahrensrechtlichen Merkmal "schuldhaft" nicht deckungsgleich sind (vgl. [X.], Urteil vom 26.
Juli 1961 -
2
[X.], [X.]St 16, 178, 183). Hinzu kommt, dass es dort um die Schuldfähigkeit "bei Begehung der Tat" -
also der Straftat
-
und die Fähigkeit geht, das Unrecht der Straftat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Soweit es um die eingeschränkte Steuerungsfähigkeit i.S.d.
§
21 StGB geht, ist darüber hinaus von Bedeutung, dass diese Fähigkeit "erheblich" ver-mindert sein muss. Dafür gilt nach ständiger Rechtsprechung (vgl.
nur [X.], Urteil vom 17.
März 2009 -
1
StR 627/08, [X.]St 53, 221, 223): Bei der Frage, ob eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit "erheblich" i.S.d.
§
21 StGB ist, handelt es sich um eine Rechtsfrage, die das Tatgericht ohne Bindung an [X.] von Sachverständigen zu beantworten hat. Dabei fließen normative Erwägungen ein. Die rechtliche Erheblichkeit der Verminderung des Hem-mungsvermögens hängt
auch von den Ansprüchen ab, die die Rechtsordnung an das Verhalten des Einzelnen stellt. Dies zu beurteilen, ist allein Sache des Gerichts. Lediglich zur Beurteilung der Vorfrage nach den medizinisch-26
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psychiatrischen Anknüpfungstatsachen bedarf es sachverständiger Hilfe, wenn es hierüber nicht aufgrund eigener Sachkunde befinden kann.
Dies verdeutlicht, dass in Fällen der vorliegenden Art für die Auslegung der "Eigenmächtigkeit" [X.].
"schuldhaft" nur begrenzt auf das Verständnis von Schuldfähigkeit [X.].
§§
20, 21 StGB zurückgegriffen werden kann, namentlich dann, wenn keine volle "Schuldunfähigkeit" gegeben ist. Nach [X.] gilt daher:
Nicht "schuldhaft" bzw. nicht eigenmächtig kann ein Suizidversuch vor [X.] dann sein, wenn der ihn auslösende Zustand von dem ersten Eingangs-merkmal des §
20 StGB (krankhafte seelische Störung) bestimmt wurde. Beruht der Suizidversuch entscheidend auf einer "Schuldunfähigkeit" im Sinne des [X.], dann wird eine Eigenmächtigkeit regelmäßig zu vernei-nen sein. Das zweite und dritte [X.] dürfte insoweit kaum prak-tisch relevant sein. Soweit das vierte [X.] (schwere andere seeli-sche Abartigkeit) Ursache des Suizidversuchs sein sollte, kommt es auf den Schweregrad an. Dieser muss, um überhaupt relevant zu sein, dem Schwere-grad der anderen [X.]e entsprechen (vgl. [X.], Urteil vom 21.
Januar 2004 -
1 [X.], [X.]St 49, 45; vom 5.
April 2006 -
2
StR 41/06,
NStZ-RR 2006, 235). Dies gilt auch für eine Depression, sofern sie die-ses [X.]
erfüllt (vgl. [X.], Urteil
vom 9.
Januar 2008 -
5 [X.]).
Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, handelt ein Angeklagter im Hinblick auf die Aufhebung seiner Verhandlungsfähigkeit selbst dann "[X.]" bzw. eigenmächtig, wenn er einen ernsthaften Suizidversuch unternimmt. Der [X.] ist der Ansicht, dass das Kriterium der "Ernsthaftigkeit" (vgl. dazu [X.] in LR-[X.], 26.
Aufl., §
231 Rn.
18 [X.]) bei der hier vorliegenden 28
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-
17
-
Fallgestaltung für die hier maßgebliche Fragestellung -
eigenmächtig im Sinne von "schuldhaft"
-
nicht relevant sein kann. Denn auch bei einem "ernsthaften" Suizidversuch kann, und wird sogar zumeist, der -
schuldfähige
-
Angeklagte die notwendigen Auswirkungen seines Verhaltens auf den weiteren Fortgang des Strafverfahrens erkennen. Freilich ist es richtig, dass bei der -
hier nicht vorliegenden
-
Fallgestaltung eines bloß inszenierten und deshalb nicht [X.] gemeinten Suizidversuchs eines "schuldfähigen" Angeklagten die [X.] zu bejahen wäre. Hieraus kann aber nicht geschlossen werden, dass allein die Ernsthaftigkeit eines Suizidversuchs die Bewertung der hier-durch herbeigeführten Verhandlungsunfähigkeit als eigenmächtig ausschließen würde.
5.
Unter Zugrundelegung dieser Kriterien
hat der [X.] das Verfahrens-geschehen freibeweislich geprüft.
a)
Dabei war zu bedenken, dass die hier entscheidenden Fragen, wie der psychische Zustand des Angeklagten war und welche Motive für den [X.] handlungsleitend waren, innere Tatsachen
betreffen, die letztlich nur auf-grund äußerer Umstände erschlossen werden können. Grundlage der Prüfung des [X.]s sind zum einen das Gutachten des Sachverständigen Dr.
J.

und zum andern die -
auch
-
auf dieses Gutachten aufbauenden Feststellungen und Bewertungen des [X.]s. Dabei hat der [X.] bedacht, dass das [X.] eine breitere Entscheidungsgrundlage hatte als der Sachverständi-ge. Dieser stützte sich -
entsprechend seinem Auftrag
-
schwerpunktmäßig auf die eigenen Angaben des Angeklagten im Rahmen der Exploration. [X.] hat das [X.] -
zusätzlich zum Befund des Sachverständigen
-
auch das mit dem Suizidversuch einhergehende Prozessgeschehen und weite-re Umstände in seine Bewertung einbezogen. Hinzu kommt -
und auch das ist
hier von Bedeutung
-, dass die Frage, ob der Angeklagte eigenmächtig [X.].
31
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-
18
-
schuldhaft gehandelt hat, eine Rechtsfrage ist, die nicht der Sachverständige, sondern allein der [X.] zu entscheiden hat.
b)
Der [X.] geht von folgendem Sachverhalt aus:
Soweit es den psychischen Zustand des Angeklagten betrifft, liegt dem zugrunde, dass der Suizidversuch zwar in einem Zustand erfolgte, der einer akuten krankhaften seelischen Störung i.S.d.
des ersten [X.]s der §§
20, 21 StGB entsprach. Allerdings war diese Störung nicht wahnhaft und es lag auch kein melancholischer Raptus vor. Das Störungsbild war vielmehr eine "mittelgradige depressive Episode". Die "Einsichtsfähigkeit" des Angeklagten war voll erhalten; er war lediglich in seiner Hemmungsfähigkeit beeinträchtigt. Soweit Dr.
J.

hierbei im Zusammenhang mit der "Steuerungsfähigkeit" den insoweit unzutreffenden Rechtsbegriff "erheblich" verwendet hat, versteht der [X.] dies dahin, dass der Angeklagte, wie der Sachverständige ausführte, "sein
Denken und Handeln im Sinne eines Tunnelblicks lenkte."
Bei den äußeren Umständen, die Rückschlüsse auf Zustand und Motive des Angeklagten ermöglichen, ist zunächst die [X.] vor dem vierten Verhandlungstag von Bedeutung. Der Angeklagte war am vorausgehenden Verhandlungstag mit Widersprüchen zu seiner Einlassung konfrontiert worden. Für den vierten Verhandlungstag standen belastende Zeugenaussagen bevor, die für den Angeklagten besonders unangenehm und zudem [X.] waren. Hinzu kommen
der enge zeitliche Zusammenhang des Suizid-versuchs mit dem Fortsetzungstermin und das Auffinden durch die Ehefrau. Ob auch dem Umstand, dass der Angeklagte keinen Abschiedsbrief verfasst hatte, Bedeutung zukommen könnte, braucht der [X.] nicht zu
entscheiden.
Bei der Bewertung des Zustands des Angeklagten gerade mit Blick auf die genannten äußeren Umstände kommt der Bewertung des [X.]s be-33
34
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36
-
19
-
sonderes Gewicht zu. Dieses hatte nicht nur einen persönlichen Eindruck vom Angeklagten und seinem Prozessverhalten; es konnte auch am ehesten die prozessuale Drucksituation des Angeklagten einschätzen.
c)
Von daher ist für den [X.] der Schluss des [X.]s nicht nur nachvollziehbar, sondern überzeugend, dass [X.] Motiv des [X.] war, der Hauptverhandlung zu entgehen, wenn er auch hierbei sei-nen Tod billigend in Kauf genommen hat. Diese Würdigung trägt die rechtliche Bewertung als Eigenmächtigkeit. Aber selbst wenn -
wovon der [X.] mit dem [X.] allerdings nicht ausgeht
-
die erkannte Verhinderung des Fortgangs der Hauptverhandlung lediglich die in Kauf genommene Folge des [X.]s gewesen wäre, würde dies nach den oben dargestellten rechtlichen Maßstäben ein eigenmächtiges Handeln des Angeklagten belegen.

B.
[X.]
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen Hinterziehung von Schenkungsteuer in 32 Fällen.
1.
Indem es der Angeklagte entgegen §
30 Abs.
1 [X.] pflichtwidrig unterließ, die im Zeitraum von Dezember 1999 bis Dezember 2003 erhaltenen Schenkungen dem zuständigen Finanzamt anzuzeigen und dieses in Folge des Unterlassens
keine Steuererklärungen nach §
31 Abs.
1 Satz
1 [X.] anfor-derte, bewirkte er, dass die geschuldete Schenkungsteuer nicht festgesetzt und dadurch verkürzt wurde (§
370 Abs.
4 [X.]).
2.
Die Schenkungssteuerhinterziehungen sind nicht verjährt. Durch die Bekanntgabe der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mit Schreiben vom 37
38
39
40
-
20
-
13.
Januar 2005 (UA S.
74) wurde die Verfolgungsverjährung rechtzeitig unter-brochen.
a)
Der Lauf der Verjährungsfrist begann jeweils mit der Beendigung der [X.]en (§
78a Satz
1 StGB). Da es sich bei der Schenkungsteuer um eine Veranlagungssteuer handelt, ist die Hinterziehung zu dem Zeitpunkt beendet, zu
dem die Veranlagung spätestens stattgefunden hätte, wenn der Angeklagte seiner Anzeigepflicht gemäß §
30 Abs.
1 [X.] rechtzeitig nach-gekommen wäre (vgl. [X.], Abgabenordnung, 10.
Aufl.,
§
370 Rn.
201). Da -
anders als bei anderen Veranlagungssteuern
-
für die [X.] mangels kontinuierlichem abschnittsbezogenem Veranlagungsver-fahren kein allgemeiner Veranlagungsschluss festgestellt werden kann, ist für den Verjährungsbeginn maßgeblich, wann die Veranlagung der Schenkung-steuer dem Steuerpflichtigen bei rechtzeitiger Anzeige der Schenkung [X.] bekanntgegeben worden wäre (vgl. [X.] in [X.]/[X.]/[X.], Wirt-schafts-
und Steuerstrafrecht, 1.
Aufl. 2011, §
376 [X.] Rn.
48, §
370 [X.] Rn.
487 [X.]; [X.] in [X.] §
376 [X.] Rn.
36). Die Bearbeitungsdauer bei den Finanzbehörden ist bei dieser fiktiven Steuerfestsetzung mit einem Mo-nat anzusetzen, denn das Finanzamt könnte gemäß §
31 Abs.
1 und Abs.
7 [X.] die Abgabe einer Steuererklärung binnen eines
Monats verlangen, in welcher der Steuerpflichtige die Steuer selbst zu berechnen hat.
b)
Nach diesen Grundsätzen bestimmen sich hier die Beendigungszeit-punkte für die Hinterziehung von Schenkungsteuer durch Unterlassen wie folgt: Der Angeklagte hatte die Schenkungen jeweils binnen einer
Frist von drei [X.] nach Kenntnis von der jeweiligen Schenkung beim zuständigen Finanz-amt schriftlich anzuzeigen (§
30 Abs.
1 [X.]). Wäre er dieser Pflicht fristge-recht nachgekommen, hätte ihn das Finanzamt auffordern können, binnen einer Frist von einem Monat eine Steuererklärung mit von ihm selbst berechneter 41
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-
21
-
Schenkungsteuer abzugeben (§
31 Abs.
1 und 7 [X.]). Damit hätte die [X.] und deren Bekanntgabe vier Monate nach der jeweiligen Schenkung erfolgen können, so dass zu diesem Zeitpunkt die jeweilige [X.] beendet war. Auf die früheste Möglichkeit, die Schenkung anzuzeigen, ist hin-gegen nicht abzustellen, denn die Verjährung kann nicht beginnen, bevor die Tat begangen wurde. Dies war hier erst mit Ablauf der Anzeigefrist gemäß §
30 Abs.
1 [X.] der Fall.
c)
Bei einer Verjährungsfrist von fünf Jahren ist hier somit auch die erste verfahrensgegenständliche Schenkungssteuerhinterziehung nicht verjährt: Die ihr zugrundeliegende Schenkung erfolgte am 15.
Dezember 1999, damit lief die diesbezügliche Anzeigefrist am 15.
März 2000 ab. Die [X.] war somit (frühestens) am 15.
April 2000 beendet. Mit Bekanntgabe der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens am 13.
Januar 2005 wurde die Verjährungsfrist vor Ablauf der regulären Verjährungsfrist unterbrochen. Die Verurteilung des Ange-klagten durch das [X.] am 26.
März 2010 fand vor Eintritt der absoluten Verjährung (§
78b Abs.
3, Abs.
4 StGB) statt.
I[X.]
Im Tatkomplex "Umsatzsteuerhinterziehung" erfolgt eine Teileinstel-lung des Verfahrens.
Dem Angeklagten liegt u.a. zur Last, in 20 Fällen durch Unterlassen [X.]. §
370 Abs.
1 Nr.
2 [X.] Umsatzsteuer hinterzogen zu haben. Die Tatvorwürfe, wegen derer das [X.] den Angeklagten auch verurteilt hat, beziehen sich nach Beschränkung gemäß §
154a [X.] auf die Nichtabgabe bzw. nicht rechtzeitige Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate März, April, Juni, Oktober und Dezember 2001; Januar, März, Juni und Juli 2002; Ja-nuar bis April sowie Juli, September und Dezember 2003 sowie der [X.] für die Veranlagungszeiträume 2000 bis 2003. Der 43
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45
-
22
-
[X.] stellt das Verfahren auf Antrag des [X.] gemäß §
154 Abs.
2 [X.] insoweit ein und ändert den Schuldspruch des angefochtenen Ur-teils entsprechend.
Die [X.] erfolgt aus verfahrensökonomischen Gründen, weil die Urteilsfeststellungen insoweit die Verurteilung des Angeklagten wegen Um-satzsteuerhinterziehung nicht tragen. Sie lassen keine abschließende Beurtei-lung zu, ob die von dem Angeklagten im Jahr 2005 für die [X.] bis 2003 verspätet abgegebenen [X.] als Selbstanzeigen gemäß §
371 [X.] insoweit zur Straffreiheit des Angeklagten geführt haben. Zwar waren die verspätet abgegebenen [X.] unvollständig, so dass sie lediglich "Teilselbstanzeigen" enthielten. Die Urteilsgründe nennen jedoch allein die nach den Selbstanzeigen verbliebe-nen Unrichtigkeiten, so dass der [X.] -
ohne weitergehende Feststellungen
-
nicht prüfen kann, ob die Abweichungen gegenüber dem für eine Selbstanzeige notwendigen Inhalt lediglich geringfügig waren.
Im Einzelnen beruht die [X.] auf folgenden Erwägungen:
1.
Selbstanzeigen [X.].
§
371 Abs.
1 [X.] müssen nicht als solche [X.] werden. Für ihre Vollständigkeit ist allein von Bedeutung, ob sie den nach §
371 [X.] erforderlichen Inhalt haben. Wird -
wie hier
-
eine Umsatzsteuer-jahreserklärung verspätet abgegeben, kann sie deshalb Selbstanzeige für die [X.] sein, die mit der nicht rechtzeitigen Einreichung der [X.] begangen wurde.
2.
Nach der Rechtsprechung des [X.] kann eine Umsatz-steuerjahreserklärung -
selbst wenn sie verspätet abgegeben wird
-
auch eine strafbefreiende Selbstanzeige für unrichtige oder pflichtwidrig nicht abgegebene 46
47
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49
-
23
-
Umsatzsteuervoranmeldungen sein (vgl. [X.], Beschluss vom 13.
Oktober 1998 -
5 [X.], [X.], 27).
3.
Welche Anforderungen an die Vollständigkeit einer Selbstanzeige zu stellen sind, hängt im Hinblick auf die Änderung des §
371 [X.] durch das "[X.]" (Schwarzgeldbekämpfungsgesetz) vom 28. April 2011 ([X.] I S.
676) sowohl vom Tatzeitpunkt als auch vom Zeitpunkt der Abgabe der Selbstanzeige ab.
a)
Gemäß §
2 Abs.
1 StGB bestimmen sich die Strafe und ihre Nebenfol-gen grundsätzlich nach dem Gesetz, das zur [X.] galt. Wird allerdings das Gesetz, das bei der Beendigung der Tat galt, vor der Entscheidung [X.], so ist gemäß §
2 Abs.
3 StGB das mildeste Gesetz anzuwenden. Diese Vorschrift ist auch noch im Revisionsverfahren anzuwenden.
b)
Hier ist das zur Tatzeit geltende Gesetz für den Angeklagten das mil-dere Gesetz. Zwar sind nach der Rechtsprechung des [X.] [X.] -
auch wenn sie als solche
zunächst nicht erkennbar sind
-
schon bisher keine wirksamen Selbstanzeigen i.S.d. §
371 [X.], weil es bei [X.] an der erforderlichen (vollständigen) Rückkehr zur Steu-erehrlichkeit fehlt ([X.], Beschluss vom 20.
Mai 2010 -
1 [X.], [X.]St 55, 180). Allerdings hat der Gesetzgeber mit dem durch das Schwarzgeldbe-kämpfungsgesetz neu geschaffenen Art.
97 §
24 EG[X.] ([X.] I 2011, S.
676, 677) bestimmt, dass bei Selbstanzeigen nach §
371 [X.], die bis zum 28.
April 2011 bei der zuständigen Finanzbehörde eingegangen sind, §
371 [X.] in der bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung mit der Maßgabe anzuwenden ist, dass im Umfang der gegenüber der zuständigen Finanzbehörde berichtigten, ergänzten oder nachgeholten Angaben Straffreiheit eintritt. Im Hinblick auf die-50
51
52
-
24
-
se rückwirkend in [X.] gesetzte und damit materiell wie eine Teilamnestie wir-kende Regelung ist das zur Tatzeit geltende Recht für den Angeklagten milder.
c)
Auch nach der Vorschrift des Art.
97 §
24 EG[X.] bleibt allerdings der Täter einer Steuerhinterziehung in dem Umfang strafbar, in dem eine Berichti-gung oder Nacherklärung nicht erfolgt ist. Denn die -
in solchen Fällen wirksa-me
-
Teilselbstanzeige vermindert lediglich den Schuldumfang der
Tat. [X.] führt nach der Rechtsprechung des [X.] eine Selbst-anzeige auch dann zur vollständigen Strafaufhebung, wenn die Abweichungen in der Berichtigung oder Nacherklärung vom geforderten Inhalt der Selbstanzei-ge nur geringfügig sind ([X.], Beschluss vom 13.
Oktober 1998 -
5 [X.], [X.], 27). Enthält die Selbstanzeige neue, erhebliche Unrichtigkeiten, ist sie keine Berichtigung und kann daher nicht zur Straffreiheit führen ([X.], Urteil vom 14.
Dezember 1976 -
1 [X.]/76,
[X.] 1978, 698).
[X.])
Diese Rechtsprechung gilt fort und ist auch in den Gesetzesmateria-lien zum Schwarzgeldbekämpfungsgesetz aufgegriffen worden. Dabei wurde zum Erfordernis der Berichtigung oder Nachholung "in vollem Umfang" in der Neufassung des §
371
Abs.
1 [X.] darauf hingewiesen, dass Bagatellabwei-chungen weiterhin nicht zur Unwirksamkeit der strafbefreienden Selbstanzeige als solcher führen sollen. Vielmehr müssten wie bisher im praktischen Vollzug Unschärfen hingenommen werden (BT-Drucks. 17/5067 [neu] S. 19).
bb)
Welcher Maßstab für die Rechtsfrage gilt, ob Differenzen der Anga-ben in einer Selbstanzeige gegenüber wahrheitsgemäßen Angaben nur "gering-fügig" sind, so dass die Selbstanzeige als solche wirksam bleibt, ist umstritten. Der [X.] hat hierzu bisher keine Grundsätze aufgestellt (vgl. [X.], Beschluss vom 13.
Oktober 1998 -
5 [X.], [X.], 27; [X.], Urteil vom 14.
Dezember 1976 -
1
[X.]/76, [X.] 1978, 698). In der Literatur 53
54
55
-
25
-
wird überwiegend auf ein Urteil des [X.] (Urteil vom 18.
Oktober 1961 -
1 Ss 854/61, NJW 1962, 974) verwiesen, bei dem im entschiedenen Fall eine Abweichung von sechs Prozent als unschädlich angesehen wurde (vgl. auch [X.], Urteil vom 28.
August 1979 -
1
Ss 574-575/79 sowie die weiteren Nachweise bei [X.] in [X.]/Gast/[X.], Steuerstrafrecht, 7.
Aufl., §
371 [X.] Rn.
215). Anknüpfend hieran werden zum Teil Abweichungen von bis zu zehn Prozent noch für "geringfügig" gehalten (vgl. Schauf in [X.], Steuer-strafrecht, 43.
EL November 2010, §
371 [X.] Rn.
68).
[X.])
Der [X.] ist der Ansicht, dass nach der neuen Gesetzesfassung des §
371 Abs.
1 [X.], die für die Wirksamkeit einer Selbstanzeige eine Berichtigung bzw. Nacherklärung "in vollem Umfang" verlangt, jedenfalls eine Abweichung mit einer Auswirkung von mehr als fünf Prozent vom Verkürzungsbetrag i.S.d.
§
370 Abs.
4 [X.] nicht mehr geringfügig ist. [X.] damit z.B. im Rahmen [X.] im Umfang von 100.000 Euro verkürzt, so wä-ren die Abweichungen in einer sich auf
diese Tat beziehenden Selbstanzeige jedenfalls dann nicht mehr geringfügig, wenn durch die Selbstanzeige lediglich eine vorsätzliche Verkürzung von weniger als 95.000 Euro aufgedeckt würde.
Allerdings führt nicht jede Abweichung unterhalb dieser (relativen) [X.] stets zur Annahme einer unschädlichen "geringfügigen Differenz". Vielmehr ist -
in diesen Fällen
-
eine Bewertung vorzunehmen, ob die inhaltlichen Abwei-chungen vom gesetzlich vorausgesetzten Inhalt einer vollständigen Selbstan-zeige noch als "geringfügig" einzustufen sind. Diese wertende Betrachtung kann auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung der Umstände bei Abgabe der Selbstanzeige auch unterhalb der [X.] von fünf Prozent die Versagung der Strafbefreiung rechtfertigen. Bei dieser Bewertung spielen ne-ben der relativen Größe der Abweichungen im Hinblick auf den [X.] insbesondere auch die Umstände eine Rolle, die zu den Abweichungen 56
57
-
26
-
geführt haben. Namentlich ist in die Würdigung mit einzubeziehen, ob es sich um bewusste
Abweichungen handelt oder ob -
etwa bei einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen
-
in der Selbstanzeige trotz der vorhandenen Abwei-chungen noch die Rückkehr zur Steuerehrlichkeit gesehen werden kann, denn gerade diese soll durch die Strafaufhebung gemäß
§
371 [X.] honoriert werden (vgl. [X.], Beschluss vom 20.
Mai 2010 -
1
[X.], [X.]St 55, 180, 181, Rn.
7 [X.]; vgl. auch BT-Drucks. 17/4182 S. 4,
BR-Drucks. 851/10 S. 4). [X.] vorgenommene Abweichungen dürften schon deshalb, weil sie nicht vom Willen zur vollständigen Rückkehr zur Steuerehrlichkeit getragen sind, in der Regel nicht als "geringfügig" anzusehen sein (vgl. [X.] in [X.]/[X.]/[X.] [X.]O §
371 [X.] Rn.
44).
dd)
Der [X.] ist der Auffassung, dass diese Maßstäbe auch für die [X.] der Wirksamkeit von Selbstanzeigen gelten, die vor Inkrafttreten des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes abgegeben worden sind, denn auch nach der bisherigen Rechtslage setzte die (vollständige) Straffreiheit eine Rückkehr zur Steuerehrlichkeit voraus ([X.] [X.]O). Die vom Gesetzgeber mit Art.
97 §
24 EG[X.] rückwirkend normierte Wirksamkeit von Teilselbstanzeigen ändert daran nichts, weil sie gerade nur zu einer teilweisen Straffreiheit führen soll.
4.
Ausgehend von diesen Grundsätzen kann der [X.] aufgrund der Ur-teilsfeststellungen nicht abschließend prüfen, ob im Tatkomplex "Umsatzsteu-erhinterziehung" nach der verspäteten Abgabe von [X.] noch eine Strafbarkeit des Angeklagten verblieben ist oder ob in vollem Umfang strafbefreiende Selbstanzeigen vorlagen.
a)
Dies gilt zunächst für die Strafbarkeit des Angeklagten wegen unter-lassener rechtzeitiger Einreichung der [X.] für die Jahre 2000 bis 2003. Denn das [X.] hat in den Urteilsgründen zu diesen 58
59
60
-
27
-
Taten jeweils lediglich den nach den Selbstanzeigen verbliebenen Tatumfang, d.h. die nicht von den Selbstanzeigen erfassten Umsätze und die sich hieraus ergebende Steuerverkürzung, geschildert. Die Taten im Übrigen und die durch diese insgesamt bewirkten Steuerverkürzungen hat das [X.] demge-genüber nicht wiedergegeben. Im Hinblick auf die vom [X.] gemäß §
154a [X.] vorgenommene Beschränkung des Verfahrens erschließt sich der Gesamtumfang der Taten auch nicht aus den die nicht abgegebenen Umsatz-steuervoranmeldungen betreffenden Taten.
Die vom [X.] gewählte Darstellung hindert den [X.] an der [X.], ob die verspätet eingereichten [X.] als Selbstanzeigen zu einer vollständigen Strafbefreiung bezüglich der nicht recht-zeitigen Abgabe der [X.] geführt haben. Da das [X.] den Gesamtumfang der im Rahmen der einzelnen Taten verschwiegenen Umsätze nicht angegeben hat, kann der [X.] bereits nicht prüfen, ob die in den [X.] enthaltenen Abweichungen gegenüber dem für eine vollständige Selbstanzeige erforderlichen Inhalt einen Umfang hatten, bei dem eine Wertung als lediglich unerhebliche geringfügige Abweichung in Betracht kam. Im Übrigen enthalten die Urteilsgründe auch keine ausreichenden Feststellungen zu den Umständen, die zu diesen Abweichungen geführt haben, so dass -
mangels Gesamtwürdigung
-
auch aus diesem Grund nicht nachgeprüft werden kann, ob die vorhandenen Abweichungen lediglich geringfügig waren.
b)
[X.] lassen auch keine Nachprüfung zu, ob die Verurteilung des Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 16 Fällen durch Nichtabgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen zu Recht erfolgt ist. Denn das [X.] teilt nicht mit, in welchem Umfang hinsichtlich dieser Taten durch die verspäteten [X.] jeweils eine Nacherklärung bisher verschwiegener Umsätze stattgefunden hat. Dessen hätte es aber be-61
62
-
28
-
durft, weil eine Umsatzsteuerjahreserklärung auch hinsichtlich nicht eingereich-ter Umsatzsteuervoranmeldungen
eine Selbstanzeige darstellen kann (vgl. [X.], Beschluss vom 13.
Oktober 1998 -
5 [X.], [X.], 27). Die Urteilsgründe hätten daher so gefasst werden müssen, dass die Vollständigkeit und Wirksamkeit der Selbstanzeige für jede Tat im materiellen Sinn gesondert geprüft werden kann (vgl. dazu auch BT-Drucks. 17/5067 [neu] S.
19). Nur dann hätte der [X.] nachprüfen können, in welchem Umfang die Umsatzsteu-erjahreserklärungen als Selbstanzeige für die einzelnen Taten entweder teilwei-se (vgl. Art. 97 §
24 EG[X.]) oder -
bei lediglich geringfügigen Abweichungen
-
sogar insgesamt strafbefreiend wirkten. Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Angeklagte hier jeweils mit einer Umsatzsteuerjahreserklärung zu-gleich mehrere durch Nichtabgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen began-gene [X.]en offenbart hatte. Anders als bei §
371 Abs.
1 [X.] in der Fassung des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes ("zu allen [X.] in vollem Umfang") führt die Unvollständigkeit der Selbstanzeige hinsichtlich einer Tat nicht auch zur Unwirksamkeit der Selbstanzeigen hinsicht-lich anderer Taten, welche dieselbe Steuerart betreffen.
5.
Der [X.] sieht davon ab, die Sache zur Nachholung der fehlenden Feststellungen und -
hieran anknüpfend
-
zur gegebenenfalls erforderlichen Gesamtwürdigung, ob die Selbstanzeigen lediglich geringfügige Abweichungen gegenüber dem gesetzlich geforderten Inhalt aufwiesen, an das [X.] zurückzuverweisen. Da die für die Hinterziehung von Umsatzs
teuer zu erwar-tenden Strafen gegenüber den übrigen -
rechtsfehlerfrei bemessenen
-
Strafen nicht beträchtlich ins Gewicht fallen würden, sieht der [X.] insoweit auf Antrag des [X.] gemäß §
154 Abs.
2 [X.] von der Verfolgung ab.
II[X.]
Die Strafzumessung hält rechtlicher Nachprüfung stand.
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-
29
-
Auch der Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe hat trotz des [X.] im Tatkomplex "Umsatzsteuerhinterziehung" Bestand. Der [X.] schließt aus, dass das [X.] eine geringere als die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten festgesetzt hätte, wenn es die für die Hinterziehung von Umsatzsteuer verhängten 20 Einzelstra-fen -
Strafen zwischen Geldstrafe von 15
Tagessätzen und Freiheitsstrafe von zwei Monaten
-
bei der Gesamtstrafenbildung nicht berücksichtigt hätte. Dies
gilt namentlich mit Blick auf die Tatsache, dass die von den Tatvorwürfen er-fasste Umsatzsteuerverkürzung neben der hinterzogenen Schenkungsteuer lediglich einen geringen Bruchteil ausmacht.

[X.]

Wahl

[X.]

[X.]

Sander
65

Meta

1 StR 631/10

25.07.2011

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.07.2011, Az. 1 StR 631/10 (REWIS RS 2011, 4415)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4415

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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5 StR 226/99 (Bundesgerichtshof)


3 Ss 541/06 (Oberlandesgericht Hamm)


Referenzen
Wird zitiert von

II R 8/17

II R 7/17

Zitiert

1 StR 631/10

1 StR 577/09

Zitieren mit Quelle:
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