Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.02.2006, Az. 1 StR 523/05

1. Strafsenat | REWIS RS 2006, 5112

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 523/05 vom 8. Februar 2006 in der Strafsache gegen wegen versuchten Mordes u.a. - 2 - Der 1. Strafsenat des [X.] hat in der Verhandlung vom 8. Februar 2006, an der teilgenommen haben: [X.] am [X.] Dr. Wahl als Vorsitzender und die [X.] am [X.] [X.], [X.], die [X.]in am [X.] Elf, der [X.] am [X.] Dr. [X.], [X.] als Vertreter der [X.]schaft, Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt: - 3 - Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 28. Juni 2005 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tra-gen. Von Rechts wegen Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in [X.] mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jah-ren verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, die die [X.] formellen und sachlichen Rechts rügt, bleibt ohne Erfolg. [X.] Nach den vom [X.] getroffenen Feststellungen begab sich der Angeklagte am 25. Dezember 2004 gegen 1.30 Uhr zu der Diskothek "[X.]

" in [X.]. Obwohl er dort Hausverbot hatte, begehrte er Einlass. Be-reits von der gegenüberliegenden Straßenseite schrie er zu dem Türsteher der Diskothek, dem [X.], herüber, lärmte und forderte diesen immer wieder auf, mit ihm zu kommen, damit "man die Angelegenheit untereinander ausmachen" könne. Da der Angeklagte sich "nicht abwimmeln" ließ, bat der 2 - 4 - Zeuge Z. seinen Türsteher-Kollegen, den Zeugen [X.], an seiner Stelle mit dem Angeklagten zu reden. Auch dieser konnte die Diskussion mit dem [X.] nicht beenden. Schließlich eskalierte die Situation, nachdem der An-geklagte den [X.] an dessen Jacke gepackt hatte. Es kam zu einer tätlichen Auseinandersetzung, in deren Folge es [X.]gelang, den [X.] auf den Boden zu drücken und festzuhalten. Nachdem auch der Zeuge [X.]zu Hilfe geeilt war, konnten beide den Angeklagten vom Ein-gangsbereich der Diskothek wegschieben. Im Weggehen sagte der Angeklagte zu den beiden Türstehern, "insbesondere aber zu dem [X.] , "dass er zurückkommen und ihn umbringen" werde. Gegen 2.10 Uhr erschien der Angeklagte erneut im Eingangsbereich der Diskothek. Er hielt jetzt unter seiner Jacke verborgen in der rechten Hand ein [X.], das er aus der von ihm betriebenen Imbissbude herbeigeholt hatte. Dieses hatte eine Klingenlänge von 44 cm und eine Klingenbreite von 4 cm. Bei einem maximalen Blutalkoholkonzentrationswert von 2,25 Promille hatte er aus Wut über die von ihm empfundene Kränkung durch die beiden Tür-steher den Entschluss gefasst, sich an diesen zu rächen und zumindest einen von ihnen zu töten. In erster Linie richtete sich sein Zorn gegen den [X.]. Dem Angeklagten war bewusst, dass ihm beide Türsteher körperlich überlegen waren und er keinen der beiden alleine antreffen würde. Er wusste daher, dass er sein Ziel mit einem einzigen Schlag erreichen musste und ihm auch dies nur unter Ausnutzung des Überraschungsmoments gelingen würde. 3 Mit vor dem Oberkörper verschränkten Armen ging er auf den Eingang der Diskothek zu. Vor diesem stand jedoch nicht - wie von ihm erhofft - der [X.], sondern der Türsteher [X.]. Dieser hatte den Angeklagten bereits gesehen. Aufgrund der vorangegangenen Auseinandersetzung, der ver-schränkten Armhaltung des Angeklagten und seiner Erfahrung als Türsteher 4 - 5 - schätzte er die Situation als "komisch" ein. Gleichwohl ging er ein paar Schritte auf den Angeklagten zu und fragte ihn, was er unter seiner Jacke habe. Gleich-zeitig beugte er sich etwas nach unten, um in der [X.] zu können. Diese Gelegenheit nutzte der Angeklagte, zog plötzlich das unter der Jacke verborgene [X.] heraus, holte weit aus und schlug mit voller Wucht von oben nach unten auf den Kopfbereich des Zeugen [X.]. Dieser sah jedoch im letzten Moment etwas "blitzen" und wich instinktiv nach rechts aus. Aufgrund dessen traf der in der Absicht tödlicher Verletzung geführte Hieb den Zeugen [X.]nur im Nackenbereich und nicht mehr mit voller Wucht. Der [X.] der von [X.]um den Hals getragenen silbernen Panzerkette wurde durchtrennt und dadurch ein Teil der Wucht des Schlages abgefangen. Dieser führte letztlich nur zu einer etwa 4 bis 5 cm langen, etwa 1 mm breiten und nur wenige Millimeter tiefen Schnittwunde am Nacken des Zeugen [X.]. Diese Wunde verheilte bei Narbenbildung folgenlos. [X.]erlitt weiter eine BWS- und [X.] beidseits, die abgeklungen ist. Darüber hinaus führte der Vorfall bei ihm zu einer postraumatischen Belastungsstörung. Unmittelbar nach dem Schlag warf der Angeklagte das Messer weg. Er bemerkte, dass der andere Türsteher Z.
seinem Kollegen [X.]zu Hilfe gekommen war. Das Führen eines weiteren Schlages wäre deshalb nicht mehr möglich gewesen. [X.]kam Sekundenbruchteile zu spät, um den Hieb des Angeklagten auf den Kopf [X.] s abzufangen. Der Angeklagte drehte sich um und versuchte zu Fuß zu flüchten. [X.]nahm die Verfolgung auf, konnte den Angeklagten nach wenigen Metern fassen und nach heftigem Kampf zu Boden ringen. Dabei wurde er von dem Angeklagten gebissen. 5 - 6 - Bei einem Gespräch mit einem Polizeibeamten nach seiner Festnahme gegen Morgen äußerte der Angeklagte hinsichtlich des vorgefallenen Gesche-hens: "Schade, dass er nicht tot ist." Als ihm schließlich mitgeteilt wurde, dass dem Türsteher nicht viel passiert sei, erwiderte er wörtlich: "Schade, ich wünschte, er wäre tot." 6 In seiner rechtlichen Würdigung ist das [X.] davon ausgegangen, dass der geschädigte Zeuge [X.]unmittelbar vor der Tat nicht mehr arglos gewesen sei; er habe sogar mit der Möglichkeit einer Messerattacke gerechnet. Allerdings sei hier auf den [X.] und die Vorstellungen des Angeklagten ab-zustellen. Diesem sei bewusst gewesen, dass er seinen Entschluss, einen der Türsteher zu töten, nur unter Ausnutzung des Überraschungsmoments würde verwirklichen können. Zu diesem Zweck habe er sein Tatwerkzeug verbergen und sich dem Türsteher möglichst unauffällig nähern müssen. Auf diese Weise habe er erreichen wollen, dass sich der Angegriffene zur Tatzeit keines Angriffs versehe, also die positive Vorstellung habe, vor einem Angriff sicher zu sein. Daher liege ein versuchter [X.] vor, der in Tateinheit zur gefährli-chen Körperverletzung stehe. [X.] Die Revision erhebt eine Verfahrensrüge. Sie macht geltend, das [X.] habe über den Antrag der Verteidigung auf Einholung eines Sachver-ständigengutachtens nicht entschieden. Damit sollte die Behauptung bewiesen werden, dass das zur Tat eingesetzte "[X.]" als Schlagwerkzeug keine tödlichen Verletzungen verursachen könne. 8 [X.] ist unbegründet. Das [X.] ist dem Beweisantrag [X.]. Es hat nach der Beweisantragstellung den [X.]sarzt Dr. S. als Sachverständigen vernommen. Dieser hat sich - entgegen 9 - 7 - dem Vortrag der Revision - auch zu der im Beweisantrag aufgestellten Behaup-tung geäußert. Das ergibt sich aus der dienstlichen Äußerung des Sitzungsver-treters der Staatsanwaltschaft, Staatsanwalt B. , zu dieser Rüge und der von der Staatsanwaltschaft abgegebenen Gegenerklärung; es spiegelt sich [X.] in den Urteilsgründen wider und findet in diesen seine Bestätigung (vgl. [X.] unten). Soweit der Verteidiger in der Hauptverhandlung vor dem [X.] die hinreichende Sachkunde des [X.]sarztes für die Beurteilung der Beweisbehauptung in Frage gestellt hat, lässt sich dem auch im [X.] mit der erhobenen Rüge eine [X.] nicht entneh-men. Die Auswahl des Sachverständigen hatte die Kammer nach [X.] Ermessen vorzunehmen (§ 73 Abs. 1 Satz 1 StPO). Dafür, dass dessen Sachkunde zur Beurteilung der Beweisfrage nicht hingereicht haben könnte, fehlt jeder Anhalt. [X.] Die Revision und der [X.] sind der Auffassung, der Schuldspruch wegen versuchten Mordes könne aus sachlich-rechtlichen Grün-den keinen Bestand haben; das Merkmal der Heimtücke sei nicht erfüllt. Beide stützen sich darauf, dass der Angeklagte etwa 40 Minuten vor der Tat den bei-den Türstehern angekündigt hatte, wieder zurückzukehren und sie umzubrin-gen, und dass er dann tatsächlich bei Wiederannäherung bei dem Zeugen [X.], dem Tatopfer, den Eindruck erweckt habe, etwas unter seiner Jacke zu verbergen. 10 Diesen rechtlichen Bedenken vermag der [X.] nicht beizupflichten. Die Annahme heimtückischen Tötungsversuchs durch die [X.] gefährdet den Bestand des angefochtenen Urteils nicht; sie hält rechtlicher Prüfung stand. 11 - 8 - Das [X.] ist im rechtlichen Ansatz zutreffend von der Rechtspre-chung des [X.]s ausgegangen. Dieser hat bereits früher hervorgehoben, dass Heimtücke objektiv zu verneinen ist, wenn ein Geschädigter wegen eines vo-rausgegangenen Verhaltens des [X.] misstrauisch war und mit einem Angriff gegen sich rechnete. [X.] der Täter bei dem [X.] indessen, dieses sei arglos, und wolle er seine Tat unter Ausnutzung der daher von ihm angenommenen Wehrlosigkeit des Opfers begehen, so [X.] er einen heimtückisch begangenen Mordversuch. [X.] das Opfer am [X.], sodass ein vollendetes Tötungsdelikt nicht vorliege, könne die objektiv feh-lende Heimtücke nichts daran ändern, dass die Tat versuchter Mord sei, wenn nach den Vorstellungen des [X.] Heimtücke vorgelegen hätte. Letztlich [X.] dieses Ergebnis auf den allgemeinen Grundsätzen zur Strafbarkeit des un-tauglichen Versuchs (so [X.]R StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 19 = [X.], 583). 12 Hier hat der Angeklagte nach den Feststellungen der [X.] ge-zielt das Überraschungsmoment gesucht. Ohne dieses hätte er aus seiner Sicht keine Möglichkeit gehabt, die Tat auszuführen. Er näherte sich dem Opfer ru-hig, während er bei der etwa 40 Minuten zuvor erfolgten Annäherung mit [X.] streitend und tätlich auftrat. Die Tatwaffe verbarg er unter seiner Jacke. Das belegt hinreichend tragfähig die Würdigung des [X.]s, dass er nach [X.] Vorstellung das Opfer bis zur Annäherung und plötzlichen Ausführung des wuchtigen Hiebes im Unklaren über seine Absicht lassen wollte. Gerade die Ausnutzung des Überraschungsmoments lag in der Absicht des Angeklagten. In der Rechtsprechung des [X.] ist anerkannt, dass das Opfer selbst dann arglos sein kann, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entge-gentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der wahren Absicht des [X.] und dem Angriff aber so kurz ist, dass dem Opfer keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen (vgl. [X.]R StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3, 15; 13 - 9 - [X.], Urteil vom 13. Juli 2005 - 2 [X.] = NStZ-RR 2005, 309). Deshalb ist gegen die Annahme, der Angeklagte habe auf der Grundlage einer entspre-chenden Vorstellung subjektiv heimtückisch gehandelt, von Rechts wegen nichts zu erinnern. Danach kommt es nicht mehr darauf an, ob die - den Angeklagten für sich gesehen nicht beschwerende - Annahme des [X.]s, der Türsteher [X.] sei nicht arglos gewesen und habe mit der Möglichkeit einer [X.] gerechnet, von den Feststellungen getragen wird (siehe [X.] einer-seits, [X.], 26 andererseits). 14 Wahl Boetticher [X.] Elf [X.]

Meta

1 StR 523/05

08.02.2006

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.02.2006, Az. 1 StR 523/05 (REWIS RS 2006, 5112)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2006, 5112

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