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Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts
– 11. Kammer, Einzelrichterin – vom 25. Januar 2018 mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert:
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruches gegen die mit Bescheid vom 12. Dezember 2017 verfügte Wohnsitzauflage (Ziffer 1 des Bescheides) wird bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides angeordnet. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Parteien tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,-- Euro festgesetzt.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 25. Januar 2018 ist zulässig; sie ist zum Teil auch begründet.
Das Verwaltungsgericht hat die streitgegenständliche Regelung im Bescheid vom 12. Dezember 2017, mit der die Antragstellerin aufgefordert wurde, ab dem 2. Januar 2018 Wohnsitz in der Ausreiseeinrichtung in Boostedt zu nehmen, als offensichtlich rechtmäßig eingestuft. Rechtsgrundlage sei § 61 Abs. 1e Aufenthaltsgesetz. Hierbei handele es sich um eine hinreichend bestimmte Rechtsgrundlage. Die Voraussetzungen für eine solche Wohnsitzauflage (vollziehbare Ausreisepflicht, Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz dem Grunde nach, Realisierbarkeit der Ausreise in absehbarer Zeit) lägen vor. Die Unmöglichkeit der Befolgung der Auflage beziehungsweise eine Unzumutbarkeit aus gesundheitlichen Gründen sei von der Antragstellerin nicht dargelegt worden. Sie sei auch bisher in einer nichtbehindertengerechten Wohnung untergebracht. Besondere Pflegemaßnahmen seien vom Sozialamt nicht angeordnet worden. Das Angewiesensein auf Unterstützungsleistungen des Sohnes sei lediglich pauschal behauptet worden. Dieser sei bis Ende 2017 allenfalls besuchsweise unterstützend tätig gewesen. In der Ausreiseeinrichtung bestehe zudem ein ärztlicher Dienst; das Deutsche Rote Kreuz sei vor Ort tätig. Der bloße Hinweis darauf, dass der Sohn beim Verwaltungsgericht Chemnitz erfolgreich auf länderübergreifende Umverteilung nach Schleswig-Holstein geklagt habe, reiche nicht aus.
Die Beschwerdebegründung, die allein Gegenstand der Prüfung durch den Senat ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), beschränkt sich auf die Darlegung der Auffassung, dass der Antragstellerin eine Wohnsitznahme in der Ausreiseeinrichtung aus gesundheitlichen Gründen nicht zuzumuten sei. Es liege eine erhebliche Erkrankung vor. Sie bedürfe einer engmaschigen fachärztlichen Behandlung. Exemplarisch werde auf das fachärztliche Attest vom 19. September 2017 verwiesen. Bei der Antragstellerin bestehe eine Schwerbehinderung mit dem Grad von 90 %. Sie sei zwar nicht in einer sogenannten behindertengerechten Wohnung untergebracht, jedoch könne in einer abgeschlossenen Wohnung auf die besonderen Bedürfnisse einer behinderten Person anders eingegangen werden. Dies sei in Boostedt nicht möglich. Ob das DRK Betreuungsleistungen übernehmen könne, sei unbeachtlich. Offensichtlich sei eine behindertengerechte Lebensführung in einer abgeschlossenen Wohnung besser möglich. Jedenfalls sei nach wie vor von einer wesentlichen Verschlechterung der gesundheitlichen Situation bei Unterbringung in der Sammelunterkunft auszugehen. Das Verwaltungsgericht Chemnitz habe im Rahmen der Entscheidung über den Anspruch des Sohnes auf länderübergreifende Unterbringung gemäß § 51 Abs. 1 AsylG sonstige humanitäre Gründe von vergleichbarem Gewicht im Sinne dieser Vorschrift anerkannt und ein Angewiesensein der Antragstellerin auf Unterstützungsleistungen des Sohnes angenommen. Hiermit stünden die Ausführungen des Verwaltungsgerichts im Widerspruch.
Unter Berücksichtigung der Beschwerdebegründung kann derzeit von einer offensichtlichen Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Regelung nicht ausgegangen werden. Der Antragsgegner hat bislang das im Rahmen von § 61 Abs. 1e AufenthG pflichtgemäß auszuübende Ermessen (§ 73 LVwG) nicht hinreichend ausgeübt. Zu der hier interessierenden gesundheitlichen Problematik führt der Antragsgegner im Bescheid vom 12. Dezember 2017 lediglich aus, nach der vorliegenden amtsärztlichen Stellungnahme vom 19. Oktober 2017 sei Frau A. mit begleitenden ärztlichen Maßnahmen durchaus reisefähig. Die ärztliche Versorgung und Betreuung von Frau A. sei durch den ärztlichen Dienst und das DRK vor Ort in Boostedt gewährleistet. Aufgrund der Gehbehinderung werde ihr für die Fahrt nach Boostedt ein Taxischein ausgestellt werden.
Richtig ist, dass der Fachdienst Gesundheit im Rahmen der Prüfung der Flugreisetauglichkeit der Antragstellerin in der Stellungnahme vom 19. Oktober 2017 eine Reisefähigkeit im engeren Sinne als gegeben ansieht, wenn die empfohlenen Schutz- und Begleitmaßnahmen durchgeführt werden, unter anderem eine Begleitung durch ärztliches Personal, um bei Bedarf einen epileptischen Anfall umgehend behandeln zu können. Abgesehen davon, dass es vorliegend nicht um die Transportfähigkeit, sondern um die Zumutbarkeit eines – unter Umständen einen gewissen Zeitraum andauernden – Aufenthalts in der Ausreiseeinrichtung in Boostedt geht, hat der Fachdienst in seiner Stellungnahme auch darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin aufgrund einer im September 2016 erfolgten Amputation des linken Oberschenkels psychisch massiv belastet sei. Die Maßnahme sei nach Entfernung eines bösartigen Knochentumors im Bereich des Oberschenkels ca. 2003 mit nachfolgendem komplikationsreichen Verlauf, mehrmaligen Re-Operationen und zuletzt einer massiven Weichteilinfektion nach Implantation eines künstlichen Kniegelenks erforderlich geworden. Die Mobilisation an zwei Unterarmgehstützen sei sehr unsicher. Es wird ferner ausgeführt, bei vielen Alltagstätigkeiten sei fremde Hilfe ständig erforderlich. In einem solchen Falle reicht es zur Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens nicht aus, lediglich pauschal auf die Tätigkeit des DRK in der Ausreiseeinrichtung sowie auf das Vorhandensein eines ärztlichen Dienstes hinzuweisen. Es bleibt ungeklärt, ob die vom Fachdienst Gesundheit auf der Grundlage der vorgelegten Unterlagen und der erfolgten Untersuchung der Antragstellerin konstatierte ständig erforderliche Hilfe bei vielen Alltagstätigkeiten gewährleistet ist. Hierzu bedarf es einer konkreten Abklärung des erforderlichen Hilfebedarfs einerseits und der möglichen Hilfestellung in Boostedt andererseits. Des Weiteren führt der Fachdienst Gesundheit unter anderem unter Berücksichtigung des ärztlichen Attestes von Herrn Dr. X vom 19. September 2017 aus, die bei der Antragstellerin seit dem 19. Lebensjahr bestehende Epilepsie gehe trotz konsequenter Einnahme von entsprechenden Medikamenten mit regelmäßigen Krampfanfällen einher. Vor allem emotionale Belastungssituationen würden das Auftreten von Krampfanfällen triggern. Beispielsweise sei es am Vortrag und am Morgen des aktuellen Begutachtungstermins zu einem epileptischen Anfall gekommen. Im ärztlichen Attest von Herrn Dr. X vom 19. September 2017 heißt es hierzu unter anderem, bei erneuten Anfällen unter Carbamazepin 2 x 600 mg (Einstellung Oktober 2015 im Bundeswehrkrankenhaus Berlin) sei die stationäre medikamentöse Einstellung im UKSH (Dezember 2015) erfolgt. Unter der bestehenden Therapie habe eine deutlich verminderte Anfallsfrequenz erreicht werden können. Anamnestisch komme es aber immer noch zu ca. zwei Anfallsereignissen pro Monat. Die ärztlichen Ausführungen belegen zwar im Hinblick auf die medikamentös eingestellte chronische Epilepsie keine Unzumutbarkeit des Aufenthalts der Antragstellerin in der Ausreiseeinrichtung; sie geben aber Anlass zu der Überlegung, ob im Hinblick auf die damit verbundene emotionale Belastung und der damit verbundenen Anfallsgefahr für den Anreisetag nach Boostedt nicht nur ein Taxigutschein, sondern auch ärztliche Begleitung vorgesehen werden sollte. Im Hinblick auf das mögliche Ergänzen der Ermessensbetätigung im Widerspruchsbescheid erscheint es dem Senat sachgerecht, die Anordnung der aufschiebenden Wirkung bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides zu befristen. Eine grundsätzliche und andauernde Unzumutbarkeit der Wohnsitznahme in der Ausreiseeinrichtung ist aus den bisher vorliegenden Erkenntnissen bezüglich des Gesundheitszustandes der Antragstellerin nicht zu entnehmen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO,
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
Meta
23.04.2018
Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss
Zitiervorschlag: Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 23.04.2018, Az. 4 MB 37/18 (REWIS RS 2018, 10348)
Papierfundstellen: REWIS RS 2018, 10348
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