Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.06.2013, Az. XII ZB 59/13

12. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 4721

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Gegenstand

Betreuungsverfahren: Voraussetzungen für die Bestellung eines Verfahrenspflegers


Tenor

Dem Betroffenen wird für das Verfahren der Rechtsbeschwerde ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin Dr. [X.] beigeordnet.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des [X.] vom 18. Januar 2013 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.

[X.]: 3.000 €

Gründe

I.

1

Durch Beschluss des Amtsgerichts ist der Beteiligte zu 1 zum Betreuer des Betroffenen mit den [X.]n Gesundheitssorge, Vermögenssorge, Aufenthaltsbestimmung, Empfang, Öffnen und Anhalten der Post, Vertretung gegenüber Ämtern und Behörden, Geltendmachung von Ansprüchen auf Leistungen aller Art und Wohnungsangelegenheiten bestellt worden. Das [X.] hat die dagegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.

II.

2

Die nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

3

1. Das [X.] hat angenommen, dass der Betroffene aufgrund einer Alkoholabhängigkeit vom [X.] nach [X.] in chronischer Phase mit fortgesetztem [X.] und einer daraus resultierenden deutlichen, durch kognitive Beeinträchtigungen gekennzeichneten Enzephalopathie derzeit nicht in der Lage sei, die Angelegenheiten, derentwegen das Amtsgericht die Betreuung angeordnet hat, selbst zu besorgen. Das folge aus dem psychiatrischen Betreuungsgutachten des Sachverständigen. Der Betroffene sei nach dem Sachverständigengutachten auch nicht zu einer freien Willensbildung in der Lage.

4

2. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Beschwerdegericht dem Betroffenen keinen Verfahrenspfleger bestellt hat.

5

a) Nach § 276 Abs. 1 FamFG hat das Gericht dem Betroffenen einen Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist. Nach § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG ist die Bestellung in der Regel erforderlich, wenn der Gegenstand des Verfahrens die Bestellung eines Betreuers zur Besorgung aller Angelegenheiten des Betroffenen oder die Erweiterung des [X.] hierauf ist. Nach § 276 Abs. 2 Satz 1 FamFG kann von der Bestellung in den Fällen des Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 abgesehen werden, wenn ein Interesse des Betroffenen an der Bestellung des [X.] offensichtlich nicht besteht. Nach § 276 Abs. 2 Satz 2 FamFG ist die Nichtbestellung zu begründen. Der Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht unterliegt es, ob die den Tatsacheninstanzen obliegende Entscheidung ermessensfehlerfrei getroffen worden ist.

6

b) Die Bestellung eines [X.] für den Betroffenen ist regelmäßig schon dann geboten, wenn der Verfahrensgegenstand die Anordnung einer Betreuung in allen Angelegenheiten als möglich erscheinen lässt. Für einen in diesem Sinne umfassenden Verfahrensgegenstand spricht, dass die vom Gericht getroffene Maßnahme die Betreuung auf [X.] erstreckt, die in ihrer Gesamtheit alle wesentlichen Bereiche der Lebensgestaltung des Betroffenen umfassen und damit in die Zuständigkeit des Betreuers fallen. Selbst wenn dem Betroffenen nach der Entscheidung letztlich einzelne restliche Bereiche zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung verblieben sind, entbindet dies jedenfalls dann nicht von der Bestellung eines [X.], wenn die verbliebenen Befugnisse den Betroffenen in seiner konkreten Lebenssituation keinen nennenswerten eigenverantwortlichen Handlungsspielraum belassen (Senatsbeschlüsse vom 28. September 2011 - [X.] 16/11 - FamRZ 2011, 1866 Rn. 9 und vom 4. August 2010 - [X.] 167/10 - FamRZ 2010, 1648 Rn. 13).

7

Nach diesen Grundsätzen ist im vorliegenden Fall das Regelbeispiel des § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG erfüllt. Die angeordnete Betreuung umfasst die [X.] Gesundheitssorge, Vermögenssorge, Aufenthaltsbestimmung, Empfang, Öffnen und Anhalten der Post, Vertretung gegenüber Ämtern und Behörden, Geltendmachung von Ansprüchen auf Leistungen aller Art und der Wohnungsangelegenheiten. Dies hat zur Folge, dass der Betreuer in allen wesentlichen Bereichen maßgeblichen Einfluss auf die Lebensgestaltung des Betroffenen hat, so dass der Verfahrensgegenstand alle Angelegenheiten im Sinne des § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG betrifft.

8

c) Da die Interessen des Betroffenen im Betreuungsverfahren nicht von einem Rechtsanwalt oder einem anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten vertreten wurden (vgl. § 276 Abs. 4 FamFG), konnte nach § 276 Abs. 2 Satz 1 FamFG nur unter den bereits genannten Voraussetzungen von der Bestellung eines [X.] abgesehen werden. Eine [X.] ist nur dann nicht anzuordnen, wenn sie nach den gegebenen Umständen einen rein formalen Charakter hätte (Senatsbeschlüsse vom 28. September 2011 - [X.] 16/11 - FamRZ 2011, 1866 Rn. 13 und vom 4. August 2010 - [X.] 167/10 - FamRZ 2010, 1648 Rn. 15). Ob es sich um einen Ausnahmefall im Sinne dieser Umschreibung handelt, ist aufgrund der nach § 276 Abs. 2 Satz 2 FamFG vorgeschriebenen Begründung zu beurteilen.

9

Der angefochtene Beschluss enthält indessen keine Begründung für die unterbliebene Bestellung eines [X.]. Deshalb lässt sich weder feststellen, aus welchen Erwägungen von der Anordnung einer Verfahrenspflegschaft abgesehen wurde, noch dass diese Entscheidung ermessensfehlerfrei zustande gekommen ist. Dass der vor dem [X.] anwaltlich nicht vertretene Betroffene seine Interessen selbst hätte wahrnehmen können, erscheint angesichts des bei ihm angenommenen Krankheitsbildes und der dargestellten mangelnden Krankheitseinsicht fernliegend.

d) Die Entscheidung des [X.]s beruht auf der Nichtbestellung des [X.]. Denn es lässt sich nicht ausschließen, dass das [X.] nach Hinzuziehung eines [X.] aufgrund dessen Stellungnahme zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre.

3. Der angefochtene Beschluss ist deshalb aufzuheben und die Sache ist an das [X.] zurückzuverweisen. Dieses wird die Bestellung eines [X.] zu prüfen und gegebenenfalls nach dessen Stellungnahme erneut zu entscheiden haben.

[X.]

               [X.]

Meta

XII ZB 59/13

26.06.2013

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Görlitz, 18. Januar 2013, Az: 2 T 6/13

§ 276 Abs 1 S 2 Nr 2 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.06.2013, Az. XII ZB 59/13 (REWIS RS 2013, 4721)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 4721

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Wird zitiert von

XII ZB 59/13

Zitiert

XII ZB 16/11

XII ZB 167/10

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