Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.06.2017, Az. 4 StR 19/17

4. Strafsenat | REWIS RS 2017, 9801

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Gegenstand

Strafurteil: Feststellung subjektiver Tatbestandsvoraussetzungen eines erpresserischen Menschenraubs und einer versuchten räuberischen Erpressung


Tenor

Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 19. Juli 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten jeweils des erpresserischen [X.] in Tateinheit mit versuchter räuberischer Erpressung und gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen und den Angeklagten [X.]zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten und den Angeklagten [X.]zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Hiergegen wenden sich die Angeklagten mit ihren auf Verfahrensbeanstandungen und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen.

2

Die Rechtsmittel haben jeweils mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die geltend gemachten Verfahrensrügen nicht mehr ankommt.

I.

3

Nach den Feststellungen des [X.]s befand sich einer der beiden Angeklagten oder der gesondert Verfolgte     [X.].   (vgl. [X.]sbeschluss vom heutigen Tag - 4 StR 607/16) Anfang Juli 2013 im Besitz von zwölf Kilogramm Marihuana, das noch im Eigentum unbekannt gebliebener Betäubungsmittelhändler stand. Dieses Marihuana kam um den 11. Juli 2013 auf nicht genau feststellbare Weise abhanden. Entweder wurde es durch einen der Angeklagten oder durch [X.].   unterschlagen, wobei die Verantwortung für den Verlust des Rauschgifts auf den Nebenkläger abgewälzt und von ihm eine entsprechende Ersatzmenge erpresst werden sollte (im Urteil wird diese Sachverhaltsvariante als „Sündenbocktheorie“ bezeichnet), oder das Marihuana wurde den Personen um die beiden Angeklagten gestohlen, ohne dass der Nebenkläger hiermit etwas zu tun hatte.

4

Das [X.] ist „zugunsten“ der Angeklagten und des [X.].   davon ausgegangen, dass das Marihuana gestohlen wurde und sie irrtümlich davon ausgingen, der Nebenkläger habe es entwendet (im Folgenden: [X.]).

5

Die Angeklagten und [X.].   kamen überein, den Nebenkläger zu nötigen, die zwölf Kilogramm Marihuana „zurückzugeben“. Dabei gingen sie davon aus, dass der Nebenkläger hierzu nicht freiwillig bereit sein würde. Sie fassten daher den Entschluss, ihn durch Einsperren in einem Hinterzimmer der Teestube des Angeklagten [X.]und durch Bedrohung mit dem Tod, erforderlichenfalls auch unter Gewaltanwendung, zur Rückgabe des Rauschgifts zu zwingen. Vor dessen Herausgabe sollte der Nebenkläger nicht freigelassen werden. Die Angeklagten handelten dabei, um sich selbst oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern.

6

Am 16. Juli 2013 begab sich der Angeklagte [X.]mit dem Nebenkläger in das Hinterzimmer der Teestube, wo sich [X.] auch der Angeklagte [X.]und [X.].   befanden. Hier warf der Angeklagte [X.]dem Nebenkläger vor, dieser sei am 13. Juli 2013 bei ihm eingebrochen und habe zwölf Kilogramm Marihuana gestohlen; außer dem Nebenkläger habe niemand von dem Versteck gewusst. Der Angeklagte [X.]bedeutete dem Nebenkläger, er solle dies zugeben, vorher komme er „hier“ nicht raus. Der Nebenkläger stellte den Vorwurf in Abrede.

7

Die Forderung wurde von den Anwesenden wiederholt, und es wurde mehrfach damit gedroht, „jemanden“ anzurufen, der den Nebenkläger „fertig machen“ werde, so dass er seine Familie nicht wiedersehen werde. Der Nebenkläger äußerte die Vermutung, dass der Angeklagte [X.]möglicherweise selbst für das Verschwinden des [X.] verantwortlich sei. Darauf schlug dieser ihm mit der flachen Hand auf den Mund, wodurch der Nebenkläger eine Platzwunde an der [X.] erlitt. Danach schlugen die Angeklagten und [X.].   mit den Händen wiederholt auf den Nebenkläger ein.

8

Schließlich gelang dem Nebenkläger, der zwischenzeitlich von weiteren Personen bedroht, geschlagen und getreten worden war, in einem unbeobachteten Moment die Flucht.

II.

9

Das Urteil hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.

Die Verurteilung der Angeklagten wegen erpresserischen [X.] gemäß § 239a Abs. 1 StGB und wegen versuchter räuberischer Erpressung gemäß §§ 253, 255, 22, 23 Abs. 1 StGB begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Soweit das [X.] bezüglich der Tathintergründe keine sicheren Feststellungen getroffen, sondern insofern zwei unterschiedliche Geschehens-abläufe - zum einen die [X.], zum anderen die [X.] - für möglich erachtet, indes seinem Urteil unter Heranziehung des Zweifelsgrundsatzes allein die [X.] zugrunde gelegt hat ([X.], weist die Beweiswürdigung durchgreifende Lücken auf. Der [X.] kann deshalb nicht überprüfen, ob bei Zugrundelegung der vom [X.] als gleichermaßen möglich erachteten [X.] als Tathintergrund eine für die Angeklagten günstigere Rechtsfolge eingetreten wäre.

1. a) Eine Strafbarkeit wegen erpresserischen [X.] gemäß § 239a Abs. 1 StGB erfordert im sog. Zweipersonenverhältnis - wie hier - in subjektiver Hinsicht neben dem Vorsatz des [X.] bezüglich der objektiven Tatbestandsmerkmale, dass er beim Entführen oder Sichbemächtigen des Opfers die Absicht hat, dessen Sorge um sein Wohl zu einer Erpressung auszunutzen. Dies setzt voraus, dass sich nach der Vorstellung des [X.] die [X.] in gewissem Umfang stabilisieren und neben den [X.]n des § 253 StGB eigenständige Bedeutung für die Durchsetzung der erpresserischen Forderung erlangen wird (vgl. [X.], Urteil vom 31. August 2006 - 3 [X.], [X.], 32 f.; Beschlüsse vom 4. Dezember 2007 - 3 [X.], [X.], 16 f.; vom 22. November 1994 - [X.], [X.]St 40, 350, 359). Darüber hinaus muss aus der Sicht des [X.] zwischen der Entführungs- oder [X.] und der beabsichtigten Erpressung ein solcher funktionaler und zeitlicher Zusammenhang hergestellt werden, dass dem Opfer die erstrebte Vermögensverfügung noch während der Dauer der Zwangslage abgenötigt werden soll; der Tatbestand ist deshalb nicht erfüllt, wenn die dem Opfer abgepresste Handlung erst nach der Freilassung erfolgen soll (vgl. [X.], Beschlüsse vom 20. September 2007 - 4 [X.], [X.], 109 f.; vom 14. März 2007 - 2 StR 576/06, [X.], 354; vom 14. Mai 1996 - 4 [X.], [X.] 1997, 302 f.).

b) Die subjektiven Voraussetzungen eines erpresserischen [X.], namentlich zum funktionalen und zeitlichen Zusammenhang zwischen der [X.] und der beabsichtigten Erpressung, sind im angefochtenen Urteil bei Zugrundelegung der [X.] nicht beweiswürdigend belegt.

Zwar ist das [X.] davon ausgegangen, dass die Angeklagten - nach beiden Sachverhaltsvarianten - die „Herausgabe“ von zwölf Kilogramm Marihuana durch den Nebenkläger erstrebten und die Erpressung noch während der [X.] vollendet werden sollte ([X.] f.). Auf welcher Tatsachengrundlage sich das [X.] diese Überzeugung auch bei Zugrundelegung der [X.] verschafft hat, erschließt sich indes aus dem Urteil nicht.

In Anbetracht der Feststellung des [X.]s, dass der Nebenkläger selbst nicht mit Drogen handelte ([X.]), und des Umstands, dass den Angeklagten bewusst war, dass der Nebenkläger - sollte er nur „Sündenbock“ gewesen sein - das Marihuana tatsächlich gar nicht an sich gebracht hatte, versteht es sich nicht von selbst, dass die Angeklagten die Vorstellung hatten, der Nebenkläger könne noch innerhalb der [X.] die ganz erhebliche Menge von zwölf Kilogramm Marihuana bereitstellen. Nach den bisherigen Feststellungen ist zudem nichts dafür ersichtlich, dass die Angeklagten von einer Tätigkeit des [X.] als Drogenhändler oder anderen Bezugsmöglichkeiten des [X.] in dieser Größenordnung ausgingen.

Angesichts der vorgenannten Umstände, die eine zeitnahe Bereitstellung des [X.] durch den Nebenkläger als eher fernliegend erscheinen lassen, hätte es einer tragfähigen Beweiswürdigung bedurft, warum die Angeklagten ausgehend von der [X.] gleichwohl die Herausgabe des [X.] noch während der [X.] erstrebten. Hieran fehlt es.

2. Die subjektiven Voraussetzungen einer versuchten räuberischen Erpressung gemäß §§ 253, 255, 22, 23 Abs. 1 StGB sind bei Zugrundelegung der [X.] ebenfalls nicht hinreichend mit Tatsachen belegt.

a) Eine räuberische Erpressung nach §§ 253, 255 StGB setzt in objektiver Hinsicht unter anderem einen finalen Zusammenhang zwischen dem [X.] und der von dem Opfer vorzunehmenden vermögensschädigenden Handlung voraus (vgl. [X.], Urteil vom 2. Februar 2012 - 3 [X.], [X.], 173, 175; Beschlüsse vom 25. Februar 2014 - 4 StR 544/13, [X.], 269; vom 21. März 2006 - 3 StR 3/06, [X.], 508). Dementsprechend muss im Falle des Versuchs der Tatentschluss des [X.] darauf gerichtet sein, einen - ernsthaft und nicht nur zum Schein erstrebten (vgl. [X.], Urteil vom 3. Mai 1988 - 1 [X.], [X.]R StGB § 253 Abs. 1 Bereicherungsabsicht 3; Beschluss vom 27. Juli 2004 - 3 [X.], [X.], 155 f.; MüKoStGB/[X.], 2. Aufl., § 253 Rn. 30 f.) - Vorteil durch den Einsatz des [X.]s zu erlangen.

b) Mit den Voraussetzungen eines Tatentschlusses der Angeklagten zur Begehung einer räuberischen Erpressung hat sich die [X.] nicht auseinander gesetzt. Es erschließt sich aus den Urteilsgründen nicht, was sich die Angeklagten zum finalen Zusammenhang zwischen den eingesetzten [X.]n und der erstrebten Vermögensverfügung vorstellten, sofern der Nebenkläger nur als „Sündenbock“ dienen sollte.

So setzt sich das Urteil nicht hinreichend mit der - bei diesem Tathintergrund - naheliegenden Möglichkeit auseinander, dass die Angeklagten vom Nebenkläger gar nicht ernsthaft eine „Herausgabe“ des [X.] erstrebten, sondern ihnen allein daran gelegen war, ihren Hintermännern einen Schuldigen für das Abhandenkommen der Betäubungsmittel zu präsentieren. Zwar ist das [X.] - wie bereits ausgeführt - davon ausgegangen, dass die Angeklagten nach beiden Sachverhaltsvarianten die „Herausgabe“ von zwölf Kilogramm Marihuana durch den Nebenkläger erstrebten ([X.] f.); näher begründet und beweiswürdigend belegt wird dies jedoch nicht.

Überdies bleibt unklar, ob die Vorstellung der Angeklagten dahin ging, der Nebenkläger werde die ihm abverlangte Handlung noch unter dem Einfluss der eingesetzten [X.] - und nicht etwa geraume Zeit später (vgl. [X.], Beschluss vom 25. April 2017 - 4 [X.], [X.], 1891, 1893) - vornehmen. Vor dem Hintergrund, dass den Angeklagten nach der [X.] bekannt war, dass der Nebenkläger gar nicht über das Marihuana verfügte, hätte das [X.] auch diese Annahme nachvollziehbar begründen und belegen müssen. Dies ist nicht erfolgt.

Die Sache bedarf daher insgesamt neuer tatrichterlicher Prüfung.

III.

Für die neue Hauptverhandlung weist der [X.] mit Blick auf die von den Angeklagten erhobene Verfahrensrüge auf Folgendes hin:

Der [X.] hat Bedenken, ob sich die Erwägungen des [X.]s für die Annahme, dass dem Nebenkläger ein auf den Rechtsgedanken des § 34 StGB gestütztes außergesetzliches Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, als tragfähig erweisen. Allerdings bedarf es vorliegend keiner abschließenden Entscheidung, ob in begrenzten Ausnahmesituationen die Annahme eines solchen Zeugnisverweigerungsrechts in Betracht kommt. Denn jedenfalls müssten zuvor eingehendere Ermittlungen zu einer tatsächlich bestehenden Gefährdung des [X.] sowie dazu erfolgen, dass andere Maßnahmen zum Schutz des Zeugen - etwa nach § 58a StPO oder nach dem [X.] - nicht ausreichend wären.

Sost-Scheible     

       

Roggenbuck     

       

[X.]

       

Quentin     

       

Feilcke     

       

Meta

4 StR 19/17

08.06.2017

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bochum, 19. Juli 2016, Az: 13 KLs 12/16

§ 22 StGB, § 23 Abs 1 StGB, § 239a Abs 1 StGB, § 253 StGB, § 255 StGB, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.06.2017, Az. 4 StR 19/17 (REWIS RS 2017, 9801)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 9801

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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