Bundesfinanzhof, Urteil vom 16.09.2014, Az. VIII R 8/12

8. Senat | REWIS RS 2014, 2972

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Gegenstand

Ingenieurähnliche Tätigkeit eines Autodidakten


Tatbestand

1

I. Der 1965 geborene Kläger und Revisionskläger (Kläger) hat im Juni 1982 den Realschulabschluss erhalten. Von August 1982 bis Juli 1984 machte er eine Lehre als Versicherungskaufmann, die er im Juli 1984 mit der Abschlussprüfung zum Versicherungskaufmann vor der Industrie- und Handelskammer bestand. Von Oktober 1987 bis November 1988 erwarb er beim [X.] [X.] [X.] die berufliche Qualifikation "EDV-Zusatzwissen". Die Prüfungsleistungen ergaben die Gesamtbewertung "mit mangelhaftem Erfolg (48 %)".

2

Im [X.] an die Ausbildung als Versicherungskaufmann war er von August 1992 bis Dezember 1995 als Versicherungskaufmann und Sachbearbeiter für die [X.] tätig. In den Jahren 1987 bis 1989 erfolgten Umschulungsmaßnahmen zum Organisationsprogrammierer und [X.]. Nachfolgend arbeitete er von 1989 bis 1991 als angestellter Organisationsprogrammierer für die Z-Bank AG. Während dieser [X.] nahm er an einem [X.] Bankwesen in der [X.] vom 2. April 1990 bis 21. Mai 1990 an sieben Abenden jeweils in der [X.] von 17:30 Uhr bis 20:20 Uhr teil.

3

Von 1991 bis 1998 war er als angestellter Sachbearbeiter für die Wertpapier-Fachberatung des [X.] sowie von August 1998 bis März 2004 auf selbständiger Basis für die D-Bank tätig. Im [X.] folgten bis Juni 2006 Projekte bei der H-Bank, der [X.] sowie der [X.], die im Rahmen eines mit der Firma [X.] geschlossenen [X.] ausgeführt wurden.

4

Unter Hinweis auf seine Tätigkeit, die die Anwendung verschiedener Betriebs- und Datenbanksysteme und das Erstellen von Programmen in verschiedenen [X.] umfasste, sowie auf eine Vielzahl im Einzelnen dargestellter und belegter Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen erklärte der Kläger seine Einkünfte in seinen Einkommen- und Gewerbewerbesteuererklärungen für die Jahre 2005 und 2006 in vollem Umfang als solche aus Gewerbebetrieb. Zugleich wies er darauf hin, er halte weiterhin an seiner bereits im Veranlagungsverfahren 2004 vertretenen Meinung fest, dass es sich um freiberufliche und nicht um gewerbliche Einkünfte handele.

5

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) erfasste die Einkünfte erklärungsgemäß als solche aus Gewerbebetrieb und setzte entsprechend Gewerbesteuermessbeträge mit [X.] vom 5. März 2008 für 2005 und 2006 gemäß § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest. Zur Begründung verwies das [X.] darauf, dass der Kläger entgegen seiner Auffassung keine einem Diplom-Informatiker vergleichbare Tätigkeit ausübe. Den Vorbehalt für 2005 hob es mit Bescheid vom 29. Juli 2009 auf.

6

Die gegen die Gewerbesteuermessbetragsbescheide nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das [X.] ([X.]) mit seinem in Entscheidungen der [X.]e 2012, 919 veröffentlichten Urteil als unbegründet ab, nachdem es durch ein schriftliches Gutachten Beweis darüber erhoben hatte, ob der Kläger als EDV-Berater in den Streitjahren 2005 und 2006 eine Tätigkeit ausgeübt habe, die der eines Wirtschaftsinformatikers (FH) vergleichbar gewesen sei und ob die vorgelegten Unterlagen einen Kenntnis- und Wissensstand auswiesen, der dem eines Ingenieurs vergleichbar und ähnlich sei.

7

Nach dem Gutachten wies der Kläger ab 2005 einen Wissens- und Kenntnisstand auf, der in Tiefe und Breite in den Kernbereichen gleichwertig zu einem [X.] war. Den geringeren Kenntnissen in den Fächern Mathematik, Statistik und [X.] maß der [X.] als das [X.]-- eine nicht entscheidende Bedeutung bei, weil es sich dabei um Nebenfächer handele.

8

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Zu Unrecht habe das [X.] die von ihm beantragte Wissensprüfung unter Hinweis auf fehlende Unterlagen zu seinem Kenntnisstand abgelehnt, nachdem der Sachverständige bereits hinreichende Kenntnisse --mit Ausnahme der Bereiche Mathematik, Statistik und [X.]-- in den Fächern eines Fachhochschulstudiengangs Wirtschaftsinformatik festgestellt habe. Insbesondere habe sich das [X.] zu Unrecht über die Auffassung des Sachverständigen hinweggesetzt, das Fach Mathematik gehöre nicht zum Haupt- und Kernbereich eines Informatikstudiums.

9

Er beantragt, das angefochtene Urteil sowie die angefochtenen Gewerbesteuermessbetragsbescheide aufzuheben, hilfsweise die Sache zur Durchführung einer Wissensprüfung zurückzuverweisen.

Das [X.] beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zurückzuweisen.

1. Ein Diplom-Informatiker übt einen ingenieurähnlichen Beruf gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes aus. Seine Tätigkeit wird durch Wahrnehmung von für den Ingenieurberuf typischen Aufgaben geprägt (vgl. Urteil des [X.] --BFH-- vom 22. September 2009 VIII R 63/06, [X.], 386, [X.], 466, unter Bezugnahme auf BFH-Urteile vom 11. Juni 1985 VIII R 254/80, [X.], 62, [X.] 1985, 584; vom 7. September 1989 IV R 156/86, [X.] 1991, 359; [X.] [X.], 21. Aufl., Stichwort "Ingenieur"; www.wikipedia.de, Stichwort "Ingenieur", Abschn. Berufsbild).

Voraussetzung für diese Zuordnung als ähnlicher Beruf ist insbesondere bei Autodidakten wie dem Kläger, dass sie Erfahrungen und Kenntnisse in allen Kernbereichen des [X.] nachweisen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 18. April 2007 XI R 29/06, [X.], 65, [X.] 2007, 781; vom 4. Mai 2004 XI R 9/03, [X.], 233, [X.] 2004, 989; vom 28. August 2003 IV R 21/02, [X.], 152, [X.] 2003, 919).

Dazu gehören nach der BFH-Rechtsprechung auch Nachweise über ausreichende Kenntnisse im Fach Mathematik "als Kernfach" zu den unverzichtbaren Voraussetzungen für die Annahme eines dem Ingenieurberuf ähnlichen Berufs ([X.] vom 21. Dezember 2007 VIII B 39/07, [X.] 2008, 940; vgl. auch BFH-Urteil vom 7. Dezember 1989 IV R 115/87, [X.], 171, [X.] 1990, 337, zur Mathematik als prägendem Ausbildungselement bei Diplom-Informatikern).

2. Auf dieser Grundlage hat das [X.] in Würdigung des eingeholten Sachverständigengutachtens und der dazu gegebenen Erläuterungen zu Recht anders als der Gutachter angenommen, dass der Kläger zwar zum Teil wie ein Diplom-Informatiker beruflich tätig ist, aber nicht in der Breite und Tiefe über das Wissen verfügt, das dem eines [X.] vergleichbar ist.

a) Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des [X.] fehlt es dem Kläger nämlich an Kenntnissen, die in ihrer Gesamtheit mit den Kenntnissen eines [X.] vergleichbar sind. Dies folgt insbesondere aus dem Fehlen der unter [X.] als wesentlich dargestellten hinreichenden Kenntnisse im Fach Mathematik, aber auch aus den nach Beweisaufnahme festgestellten Defiziten in den Bereichen [X.], Statistik, [X.], Grundlagen der BWL und VWL, Buchführung und Bilanzierung, Kosten- und Leistungsrechnung, Produktionswirtschaft, Finanz- und Investitionswirtschaft, Marketing, Controlling, Produktion und Logistik, [X.] und [X.] sowie Wirtschaftsprivatrecht.

Dass das [X.] dem Gutachter in seiner Einstufung der Fächer Mathematik, Statistik und [X.] (mit den dort festgestellten Kenntnisdefiziten) als "Nebenfächer" nicht folgt, ist nach Maßgabe der unter [X.] dargestellten Rechtsprechung ersichtlich rechtsfehlerfrei.

b) Die Feststellung des [X.], dass es im Fach Mathematik --in einem Hauptfach-- an den erforderlichen Kenntnissen fehlt, macht auch eine Wissensprüfung in Ausübung der Sachaufklärungspflicht des Gerichts nach § 76 [X.]O entbehrlich.

Denn ein Anspruch auf Wissensprüfung setzt nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass sich bereits aus den vorgetragenen Tatsachen zum Erwerb und Einsatz der Kenntnisse erkennen lässt, dass der Kläger über hinreichende Kenntnisse verfügen könnte (BFH-Urteile vom 26. Juni 2002 IV R 56/00, [X.], 367, [X.] 2002, 768; vom 18. April 2007 XI R 34/06, [X.] 2007, 1495; vom 16. Dezember 2008 VIII R 27/07, [X.], 898, m.w.N.).

Steht --wie im Streitfall nach den tatsächlichen Feststellungen des [X.] insbesondere hinsichtlich der Defizite im Kernfach [X.] fest, dass die Voraussetzungen für einen ingenieurähnlichen Beruf nicht gegeben sind, kann eine Wissensprüfung nicht begehrt werden (BFH-Urteil in [X.] 2007, 1495).

3. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

VIII R 8/12

16.09.2014

Bundesfinanzhof 8. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 7. September 2011, Az: 1 K 1586/09, Urteil

EStG VZ 2005, EStG VZ 2006, § 18 Abs 1 Nr 1 S 2 EStG 2002, § 15 EStG 2002

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 16.09.2014, Az. VIII R 8/12 (REWIS RS 2014, 2972)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 2972

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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