Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.03.2012, Az. VII R 12/11

7. Senat | REWIS RS 2012, 8026

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Gegenstand

Restschuldbefreiung für Hinterziehungszinsen - Akzessorietät des Zinsanspruchs


Leitsatz

Hinterziehungszinsen sind keine Verbindlichkeiten aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung i.S. des § 302 Nr. 1 InsO. Sie sind deshalb nicht von der Restschuldbefreiung ausgeschlossen .

Tatbestand

1

I. Mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts (AG) [X.] vom 4. Juni 2009 wurde der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wegen Steuerhinterziehung betreffend die Jahre 1999 bis 2003 zu einer Geldstrafe verurteilt. Durch Beschluss des [X.] vom 5. Dezember 2007 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers eröffnet.

2

Mit Schreiben vom 29. Dezember 2009 meldete der Beklagte und Revisionskläger (das [X.]inanzamt --[X.]A--) [X.] gemäß § 235 der Abgabenordnung ([X.]) gemäß § 174 Abs. 2 der Insolvenzordnung ([X.]) zur Insolvenztabelle an.

3

Mit Bescheid vom 16. März 2010 stellte das [X.]A die vom Kläger bestrittenen [X.]orderungen gemäß § 251 Abs. 3 [X.] als [X.]orderungen aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung gemäß § 302 Nr. 1 [X.] fest.

4

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren durchgeführte Klage war erfolgreich. Das [X.]inanzgericht ([X.]G) hob aus den in Entscheidungen der [X.]inanzgerichte 2011, 945 veröffentlichten Gründen den [X.]eststellungsbescheid vom 16. März 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. April 2010 auf.

5

Mit seiner Revision wendet sich das [X.]A gegen die Rechtsauffassung des [X.]G, wonach [X.] nicht als [X.]orderungen aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung i.S. des § 302 Nr. 1 [X.] zur Insolvenztabelle angemeldet werden können. Die Entscheidung des [X.]G stehe in Widerspruch zu den einschlägigen Verwaltungsanweisungen. Die [X.]estsetzung von [X.] sei unmittelbare [X.]olge der Steuerhinterziehung. Deshalb nähmen [X.] --anders als die hinterzogenen [X.] an der Restschuldbefreiung nach § 286 [X.] nicht teil. Dies sei jedenfalls die Konsequenz der Senatsrechtsprechung zur Zulässigkeit von Aufrechnungen mit Vorsteuerüberhängen, die in "[X.]" vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ihren Entstehungsgrund haben (Senatsurteil vom 2. November 2010 [X.], B[X.]HE 231, 488, [X.], 374). Danach komme es entscheidend auf die der Steuerforderung zugrunde liegende Rechtshandlung an und nicht auf die steuerrechtliche Entstehung des Anspruchs. Da die [X.] auf einer Rechtshandlung des Steuerpflichtigen, der Steuerhinterziehung, beruhten, müssten sie von der Restschuldbefreiung ausgeschlossen sein.

6

Der Kläger trägt vor:

7

Aus der Senatsrechtsprechung, wonach Steuerhinterziehung keine die Restschuldbefreiung ausschließende vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung i.S. des § 302 Nr. 1 [X.] darstelle, und mangels eindeutiger gesetzlicher Bestimmungen ergebe sich, dass dies auch für [X.] gelte.

Entscheidungsgründe

8

II. Die zulässige Revision ist unbegründet. Das angefochtene Urteil entspricht Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

9

1. Das [X.] hat den Feststellungsbescheid zu Recht aufgehoben. Der auf § 251 Abs. 3 [X.] gestützte Bescheid ist rechtswidrig. Das [X.] war nicht berechtigt, auf den gemäß § 184 Abs. 1 [X.] erhobenen Widerspruch des [X.] gegen die Anmeldung der [X.] zur Insolvenztabelle festzustellen, dass es sich bei den [X.] um Forderungen i.S. von § 174 Abs. 2, § 175 Abs. 2 [X.] handelt.

Nach dem [X.]surteil vom 19. August 2008 VII R 6/07 ([X.], 199, [X.], 947) sind hinterzogene Steuern keine Verbindlichkeiten aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung. [X.], selbst wenn sie in Zusammenhang mit einer Steuerhinterziehung entstanden sind, sind weder Schadenersatzansprüche aus §§ 823 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs noch diesen oder Geldstrafen vergleichbare Verbindlichkeiten. Eine erweiternde Auslegung dahingehend, dass von § 302 Nr. 1 [X.] von Gesetzes wegen unerlaubte Handlungen allgemein und damit auch Steuerstraftaten nach § 370 [X.] erfasst werden, hat der [X.] nicht als geboten angesehen. Dem lag die Erwägung zugrunde, dass Steuer- und Haftungsansprüche eigenständige, dem öffentlichen Recht zugehörige Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 [X.]) sind, die sowohl nach ihrer Entstehung als auch nach ihrem Inhalt und ihrer Durchsetzung eigenen, von den zivilrechtlichen [X.] unterschiedlichen Regeln unterliegen ([X.]surteil vom 24. Oktober 1996 [X.]/94, [X.], 552, [X.] 1997, 308). Sie beruhen auf der Verwirklichung eines steuerrechtlichen Tatbestandes, an den das Gesetz eine Leistungspflicht knüpft (§ 38 [X.]).

Entgegen der Auffassung des [X.] gilt für [X.] nichts anderes. § 302 Nr. 1 [X.] beruht auf dem vollstreckungsrechtlichen Gedanken, dass der Schuldner, gegen den Forderungen aus unerlaubten Handlungen bestehen, wegen dieser Forderungen weniger schutzwürdig ist. Deshalb ist dem Insolvenzschuldner für Forderungen aus unerlaubten Handlungen die Restschuldbefreiung zu versagen. Ebenso wie der auf einer Steuerhinterziehung beruhende Steueranspruch resultieren jedoch auch die [X.] nicht auf einer unerlaubten Handlung. Sie entstehen nur, wenn die auf einem Steuertatbestand --und nicht auf einer unerlaubten Handlung-- beruhende Hauptforderung entstanden ist. Ähnlich wie der in § 71 [X.] geregelte Haftungsanspruch (vgl. [X.]surteil in [X.], 552, [X.] 1997, 308) hängt der Zinsanspruch nach § 235 [X.] somit vom Entstehen des auf einer Steuerhinterziehung beruhenden Steueranspruchs ab. Der Zinsanspruch knüpft damit an die auf einer Steuerhinterziehung beruhenden Steuerschulden an, die --wegen der Akzessorietät des Zinsanspruchs-- entstanden sein müssen. Dieses zusätzliche Erfordernis muss ein bloßer Deliktsanspruch nicht erfüllen. Deshalb teilt die Zinsforderung das Schicksal der Hauptforderung und kann nicht als aus einer unerlaubten Handlung resultierender Anspruch angesehen werden (so auch [X.], Die Steuerhinterziehung als Fallstrick der Restschuldbefreiung?, Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht 2006, 1126; a.[X.], Erleichterte Pfändung von Arbeitseinkommen nach Steuerhinterziehung, [X.] Steuer-Zeitung 1984, 280).

Nicht nachvollziehbar ist für den [X.] die Ansicht des [X.], etwas anderes ergebe sich aus dem [X.]surteil in [X.], 488, [X.] 2011, 374. In dieser Streitsache ging es um das [X.] nach § 96 Abs. 1 Nr. 3, § 129 [X.]. Zu entscheiden war, ob die Aufrechnung des [X.] mit einem steuer(verfahrens)rechtlich erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen Umsatzsteuererstattungsanspruch anfechtbar ist. Wenn der [X.] die die Anfechtbarkeit begründende Rechtshandlung bereits in der Verwirklichung des [X.] sieht, der zur Aufrechnungslage geführt hat, so betrifft das ein rein anfechtungsrechtliches Problem. Das Anknüpfen an den verwirklichten Lebenssachverhalt als entscheidendes Kriterium für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals "anfechtbare Rechtshandlung" in § 96 Abs. 1 Nr. 3, § 129 [X.] ist nicht auf das Merkmal "Verbindlichkeiten aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung" in § 302 Nr. 1 [X.] übertragbar. Das Abstellen auf die die Aufrechnungsmöglichkeit auslösende Rechtshandlung ohne Rücksicht auf die Entstehung des zur Aufrechnung gestellten Erstattungsanspruchs hat der [X.] zur Vermeidung von Gläubigerbenachteiligungen --dem mit dem [X.] nach § 96 Abs. 1 Nr. 3, § 129 [X.] verfolgten insolvenzrechtlichen Ziel-- für geboten erachtet. Eine vergleichbare Zielrichtung ist der Regelung des § 302 Nr. 1 [X.] nicht zu entnehmen. Als Ausnahme von der schuldnerbegünstigenden Restschuldbefreiung kann sie vielmehr nur dann greifen, wenn die von der Befreiung ausgenommene Schuld unmittelbare Rechtsfolge einer unerlaubten Handlung ist. Demgegenüber zieht allein die Steuerhinterziehung weder die Haftung bezüglich der hinterzogenen Steuern noch den Anspruch auf [X.] nach sich. Ein bestehender Steueranspruch ist vielmehr --s.o.-- unabdingbare Voraussetzung für den jeweiligen Anspruch.

2. Da sich die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids bereits aus der Einstufung der festgestellten Forderungen als Verbindlichkeiten aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung ergibt, ist im Streitfall keine abschließende Entscheidung darüber veranlasst, ob ein Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 [X.] ausschließlich auf eine solche Qualifikation gestützt werden kann (vgl. auch [X.]surteil in [X.], 199, [X.], 947).

Im Übrigen liegt es auf der Hand, dass [X.] keine Geldstrafen sind [X.]/Rüsken, [X.], 10. Aufl., § 235 Rz 1, m.w.N.) und auch nicht in eine der in § 39 Abs. 1 Nr. 3 [X.] genannten Kategorien passen. Insbesondere sind sie keine der neben Geldstrafen, Geldbußen, Ordnungsgelder und Zwangsgelder genannten Nebenfolgen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit, die zu einer Geldzahlung verpflichten.

Meta

VII R 12/11

20.03.2012

Bundesfinanzhof 7. Senat

Urteil

vorgehend Hessisches Finanzgericht, 13. Januar 2011, Az: 13 K 1261/10, Urteil

§ 251 Abs 3 AO, § 370 AO, § 174 Abs 2 InsO, § 184 Abs 1 InsO, § 302 InsO, § 235 AO, § 38 AO, § 96 Abs 1 Nr 3 InsO, § 129 InsO, § 39 Abs 1 Nr 3 InsO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.03.2012, Az. VII R 12/11 (REWIS RS 2012, 8026)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 8026

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