Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 13.06.2017, Az. 1 BvR 2832/15

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2017, 9620

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Strafbarkeit des Verwendung des Akronyms A.C.A.B bei hinreichender Konkretisierung der Kollektivbeleidigung durch "ostentatives Vorzeigen" gegenüber den zur Sicherung einer Demonstration eingesetzten Polizeibeamten - keine Verletzung der Meinungsfreiheit


Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine strafrechtliche Verurteilung wegen Beleidigung.

2

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts trug der Beschwerdeführer bei einer Gegendemonstration gegen den Landtagswahlkampf einer Partei einen rosafarbenen, ca. 40 x 40 cm großen Stoffbeutel über der Schulter, der im oberen Bereich mit dem Aufdruck [X.] versehen war. Im mittleren Bereich war ein Kätzchen abgedruckt, unter dem in gleicher Größe wie das Akronym [X.] der Schriftzug "[X.]" prangte. Der Einsatzleiter der Polizei forderte den Beschwerdeführer auf, den Beutel nicht weiter offen zu tragen. Dieser Aufforderung kam der Beschwerdeführer nicht nach und trug den Beutel "nunmehr ostentativ" und "nachgerade paradierend" vor den die Demonstration abschirmenden Einsatzkräften der Polizei.

3

Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 20 Euro. Indem der Beschwerdeführer, auch und gerade nachdem er vom [X.] aufgefordert worden sei, den gegenständlichen Stoffbeutel mit dem Aufdruck [X.] nicht weiter offen zur Schau zu tragen, sich nachgerade paradierend vor den [X.] positioniert habe, habe er sich vorsätzlich in eine visuelle Interaktion mit den [X.] vor Ort begeben. Er habe hierdurch eine erkennbare Konkretisierung der Kollektivbeleidigung "all cops are bastards" bewirken wollen. Das [X.] verwarf die Berufung als unzulässig gemäß §§ 313, 322a StPO, da sie offensichtlich unbegründet sei.

4

Die fachgerichtlichen Entscheidungen begegnen im Ergebnis keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Gerichte sind zutreffend davon ausgegangen, dass der Aufdruck [X.] für die [X.] Parole "all cops are bastards" steht. Das Amtsgericht hat sich hinreichend mit weiteren Deutungsmöglichkeiten, auch im Zusammenhang mit dem abgebildeten Kätzchen und dem Schriftzug "[X.]" auseinandergesetzt. Es handelt sich bei der Parole um eine Meinungsäußerung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Sie ist nicht offensichtlich [X.], sondern bringt eine allgemeine Ablehnung der Polizei und ein Abgrenzungsbedürfnis gegenüber der staatlichen Ordnungsmacht zum Ausdruck (vgl. [X.], Beschlüsse der [X.] des [X.] vom 17. Mai 2016 - 1 BvR 257/14 -, juris, Rn. 12; - 1 BvR 2150/14 - , NJW 2016, [X.] 2643).

5

Die Schlussfolgerung, dass das "nachgerade paradierende" [X.] bedruckten Stoffbeutels eine hinreichende Konkretisierung der angesprochenen Personengruppe enthält, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Zwar reicht die alleinige Teilnahme des Beschwerdeführers an einer Versammlung in der Erwartung, dass dort auch Polizeibeamte anwesend sein dürften, ebenso wenig aus wie die Weigerung, den Beutel auf Aufforderung durch den Einsatzleiter wegzustecken. Denn es ist verfassungsrechtlich nicht zulässig, eine auf Angehörige einer Gruppe im Allgemeinen bezogene Äußerung allein deswegen als auf eine hinreichend überschaubare Personengruppe bezogen zu behandeln, weil eine solche Gruppe eine Teilgruppe des nach der allgemeineren Gattung bezeichneten Personenkreises bildet (vgl. [X.]E 93, 266 <302 f.>). Es genügt daher nicht, dass die bei der Gegendemonstration anwesenden Einsatzkräfte der Polizei eine Teilgruppe aller Polizistinnen und Polizisten sind. Ebenso wenig kann ein Mitglied des Kollektivs die Individualisierung dadurch herbeiführen, dass der Äußernde zur Unterlassung aufgefordert wird.

6

Vorliegend folgt die erforderliche personalisierte Zuordnung jedoch aus dem vom Amtsgericht festgestellten Verhalten des Beschwerdeführers, der den Beutel "ostentativ" und "nachgerade paradierend" vor den Polizeibeamten zur Schau stellte. Daraus ergibt sich, dass sich der Beschwerdeführer bewusst in die Nähe der Polizeibeamten begeben und sich auf sie individualisiert bezogen hat, was für eine Beleidigung im Sinne des § 185 StGB ausreicht. Die Verfassungsmäßigkeit der Feststellungen des Amtsgerichts zum Sachverhalt wurden mit der Verfassungsbeschwerde nicht gesondert angegriffen und werden daher hier zu Grunde gelegt. Zu Recht hat die sodann vom Amtsgericht im Rahmen des § 185 StGB durchgeführte Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Betroffenen wegen des geringen Aussagegehalts und der erheblichen Ehrverletzung zu einem Überwiegen der Belange des Persönlichkeitsrechts geführt.

7

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.]G abgesehen.

8

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 2832/15

13.06.2017

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend LG Erfurt, 6. Oktober 2015, Az: 830 Js 34947/14 5 Ns, Beschluss

Art 5 Abs 1 S 1 GG, § 185 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 13.06.2017, Az. 1 BvR 2832/15 (REWIS RS 2017, 9620)

Papier­fundstellen: NJW 2017, 2607 REWIS RS 2017, 9620

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

1 BvR 842/19

Zitiert

1 BvR 257/14

1 BvR 2150/14

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