Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.03.2017, Az. VI ZR 205/16

6. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 14147

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VERSPÄTUNG/PRÄKLUSION ARZTHAFTUNGSSACHEN KURZER PROZESS

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde: Sinn und Zweck der Prozessförderungspflicht; Gehörsverletzung bei fehlerhafter Zurückweisung eines Angriffs- oder Verteidigungsmittels


Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] wird das Urteil des 1. Zivilsenats des [X.] vom 11. Mai 2016 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als ein Schadensersatzanspruch des [X.] wegen eines Fehlers bei der Behandlung vom 21. November 2011 verneint worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: 70.000 €

Gründe

I.

1

Der Kläger begehrt materiellen und immateriellen [X.]adensersatz nach ärztlicher Behandlung.

2

Der Kläger erlitt am 1. September 2011 bei einem Arbeitsunfall einen Kapselausriss am Ringfinger der linken Hand. Am 31. Oktober 2011 stellte sich der Kläger in der Klinik der [X.] zu 1 vor. Die dort tätige Beklagte zu 2 verordnete eine intensive Übungsbehandlung sowie eine Greifschulung. Nach Beschwerden bei den therapeutischen Übungen untersuchte die Beklagte zu 2 den Kläger am 21. November 2011 erneut, worauf die [X.]en die Fortführung der Physiotherapie vereinbarten. Am 15. Dezember 2011 brach der Kläger die Physiotherapie ab. Im Januar 2013 wurde ein nicht mehr therapierbares komplexes [X.]merzsyndrom an der linken Hand (CRPS = Complex Regional Pain Syndrome, Morbus Sudeck) diagnostiziert. Der Kläger ist, soweit für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde noch relevant, der Auffassung, die Beklagte zu 2 habe am 21. November 2011 die spezifischen Anzeichen eines CRPS verkannt und die gebotene [X.]merztherapie daher zu spät eingeleitet.

3

Das [X.] hat die Klage nach Anhörung des [X.] und Beweisaufnahme durch Einholung eines handchirurgischen Gutachtens samt Anhörung des Sachverständigen sowie Vernehmung der Ehefrau des [X.] als Zeugin abgewiesen. Den im Termin zur mündlichen Verhandlung am 27. August 2015 gestellten Antrag des [X.], Frau [X.]., eine bei der Untersuchung vom 21. November 2011 anwesende Mitarbeiterin der Berufsgenossenschaft, als Zeugin zu vernehmen, hat das [X.] gemäß § 296 Abs. 2, § 282 ZPO wegen Verspätung zurückgewiesen. Die Berufung des [X.] blieb ohne Erfolg. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde, die er auf Ansprüche aus der ärztlichen Behandlung vom 21. November 2011 beschränkt hat.

II.

4

Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 544 ZPO; § 26 Nr. 8 EGZPO). Sie hat auch in der Sache Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die Nichtzulassungsbeschwerde macht zu Recht geltend, dass der Kläger durch die Zurückweisung seines Antrags auf Vernehmung der Zeugin [X.]. und die Bestätigung dieser Entscheidung durch das Berufungsgericht in seinem verfassungsrechtlich geschützten Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt wurde.

5

1. Die Zurückweisung des in der mündlichen Verhandlung vom 27. August 2015 gestellten Antrags auf Vernehmung der Zeugin [X.]. findet entgegen der Auffassung der Vorinstanzen in § 296 Abs. 2 ZPO keine Stütze.

6

a) § 296 Abs. 2 ZPO setzt voraus, dass Angriffs- oder Verteidigungsmittel entgegen § 282 Abs. 1 ZPO nicht rechtzeitig vorgebracht oder entgegen § 282 Abs. 2 ZPO nicht rechtzeitig mitgeteilt werden. Das [X.] gibt nicht an, welche der beiden vorgenannten Alternativen einschlägig sein soll. Auch das Berufungsgericht verhält sich hierzu nicht. Indes greift vorliegend keine der Alternativen des § 282 ZPO:

7

§ 282 Abs. 1 ZPO ist nur dann einschlägig, wenn innerhalb einer Instanz mehrere Verhandlungstermine stattfinden; ein Vorbringen im ersten Termin zur mündlichen Verhandlung kann niemals nach § 282 Abs. 1 ZPO verspätet sein. § 282 Abs. 1 ZPO ist hiernach im Streitfall offenkundig nicht anwendbar, da es sich bei dem Termin vom 27. August 2015 um den einzigen Verhandlungstermin in erster Instanz gehandelt hat. Die in § 282 Abs. 2 normierte Prozessförderungspflicht bezweckt nicht, dem Gericht die rechtzeitige Terminvorbereitung zu ermöglichen, sondern schützt allein den Gegner und betrifft nur solche Angriffs- und Verteidigungsmittel, auf die der Gegner voraussichtlich ohne vorherige Erkundigung keine Erklärung abgeben kann (vgl. [X.], Urteil vom 28. September 1988 - [X.], NJW 1989, 716 f.; Beschluss vom 17. Juli 2012 - [X.], [X.], 3787 Rn. 6 f.; jeweils mwN). Dies ist bei einem Antrag auf Vernehmung eines nicht präsenten Zeugen, der ohnehin erst in einem weiteren Termin vernommen werden kann, nicht der Fall. Auch hatten sich die [X.] zu der vom Kläger nunmehr unter Beweis gestellten Behauptung des Vorliegens spezifischer Krankheitssymptome bereits substantiiert und unter Bezugnahme auf die [X.] erklärt (vgl. [X.], Urteile vom 29. Mai 1984 - [X.], [X.], 924, 925; vom 4. Mai 2005 - [X.], NJW-RR 2005, 1007, 1008; [X.]/[X.]/[X.], ZPO, 37. Aufl., § 282 Rn. 3).

8

b) Ob der Antrag nach § 296 Abs. 1 ZPO hätte zurückgewiesen werden dürfen, ist in den [X.] nicht zu prüfen. Ein Wechsel der Präklusionsbegründung durch das Rechtsmittelgericht kommt grundsätzlich nicht in Betracht ([X.], Urteile vom 4. Mai 2005 - [X.], NJW-RR 2005, 1007, 1008; vom 22. Februar 2006 - [X.], [X.]Z 166, 227 Rn. 12 ff.; Beschlüsse vom 17. Juli 2012 - [X.], [X.], 3787 Rn. 8; vom 21. März 2013 - [X.], NJW-RR 2013, 655 Rn. 11; jeweils mwN).

9

2. Bleibt wie im vorliegenden Fall ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel einer [X.] deswegen unberücksichtigt, weil der Tatrichter es in offenkundig fehlerhafter Anwendung der Präklusionsnormen zu Unrecht zurückgewiesen hat, so ist zugleich das rechtliche Gehör der [X.] verletzt (vgl. [X.], Beschluss vom 3. November 2008 - [X.], NJW-RR 2009, 332 Rn. 8; Urteil vom 27. Januar 2010 - [X.], NJW-RR 2010, 1508 Rn. 20; Beschluss vom 17. Juli 2012 - [X.], [X.], 3787 Rn. 9; [X.] 69, 141, 144).

3. Das angefochtene Urteil beruht auf der Verletzung des rechtlichen Gehörs des [X.]. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht zu einem dem Kläger günstigeren Ergebnis gelangt wäre, wenn es die Zeugin [X.]. zu den am 21. November 2011 vorliegenden Krankheitssymptomen vernommen hätte. Die diesbezügliche Wechselhaftigkeit des Vortrags des [X.] ist dabei im Streitfall allein eine Frage der Beweiswürdigung.

(VRi[X.] Galke ist wg.
Urlaubs an der Unterschriftsleistung
gehindert)

                                   

Wellner

        

Wellner   

        

Oehler

        

   Roloff   

        

Klein   

        

Meta

VI ZR 205/16

14.03.2017

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Celle, 11. Mai 2016, Az: 1 U 73/15

Art 103 Abs 1 GG, § 282 Abs 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.03.2017, Az. VI ZR 205/16 (REWIS RS 2017, 14147)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 14147

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