Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.07.2010, Az. XI ZR 224/09

11. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 5124

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Gegenstand

Kreditkartenmissbrauch: Sachverständige Begutachtung des Sicherheitssystems zur Entkräftung des Anscheinsbeweises zu Lasten des Karteninhabers


Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] wird das Urteil des 23. Zivilsenats des [X.] vom 17. Juni 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gegenstandswert: 24.207,75 €

Gründe

I.

1

Die Parteien streiten um [X.] im Zusammenhang mit missbräuchlichen Abhebungen an Geldautomaten mittels der [X.]/Mastercard.

2

Der Kläger ist ein Verbraucherverband, zu dessen Aufgaben es gehört, die Interessen der Verbraucher durch Aufklärung und Beratung wahrzunehmen. Die Beklagte ist Emittentin der Kreditkarte [X.]/Mastercard.

3

Der Kläger ließ sich von zehn Kunden der Beklagten deren behauptete [X.] gegenüber der Beklagten aus - nach der Behauptung des [X.] - missbräuchlichen Abhebungen an Geldautomaten, die zeitnah nach dem Diebstahl der Kreditkarten bzw. - in einem Fall - angeblich mit einer Kartendublette unter Verwendung der jeweiligen Geheimzahl ([X.]) in dem [X.]raum vom 15. September 1999 bis zum 24. April 2003 erfolgten, und dem vereinzelten Einsatz der Kreditkarten bei sonstigen Vertragsunternehmen des [X.] in Höhe von insgesamt 24.207,75 € abtreten. Mit der Klage nimmt der Kläger die Beklagte auf Rückzahlung dieser den Kunden belasteten und per Lastschrift von deren Bankkonten eingezogenen Beträge nebst Zinsen in Anspruch. Er beruft sich unter anderem darauf, dass sich die Beklagte im Hinblick auf einen angeblich unsorgfältigen Umgang der Zedenten mit der [X.] nicht auf einen Anscheinsbeweis berufen könne. Dies setze die Feststellung voraus, dass die [X.]-Entschlüsselung auch mit größtmöglichem finanziellem Aufwand mathematisch ausgeschlossen sei; hierzu fehle es aber an einem substantiierten Vorbringen der Beklagten zu den Einzelheiten ihres Sicherheitssystems.

4

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat dies im Wesentlichen wie folgt begründet:

5

Der Kläger sei zwar aktivlegitimiert, weil die gerichtliche Einziehung fremder und zu Einziehungszwecken abgetretener Forderungen im Interesse des Verbraucherschutzes liege. Ihm stünden aber die geltend gemachten [X.] nicht zu, weil die jeweiligen [X.] nicht ohne Rechtsgrund erfolgt seien. Vielmehr habe die Beklagte gegen jeden Zedenten einen Schadensersatzanspruch wegen Verstoßes gegen eine vertragliche Nebenpflicht, weil diese nicht dafür gesorgt hätten, dass kein unbefugter Dritter Kenntnis von der [X.] erhalte. Für einen solchen Sorgfaltsverstoß spreche der für [X.] vom [X.] anerkannte Anscheinsbeweis. Insoweit habe die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast zu den Einzelheiten ihres Sicherheitssystems genügt. Sie habe im Jahr 2001 ihr System von einer Schlüsselbreite von 56 Bit auf das sog. Triple-DES-Verfahren mit 128 Bit erhöht. Weder [X.] noch Referenzwert würden auf der Kreditkarte abgespeichert. Die Überprüfung der [X.] erfolge online durch einen Zentralrechner. Die von der Beklagten in dem hier maßgeblichen [X.]raum eingesetzten Sicherheitssysteme seien in Parallelverfahren durch einen Sachverständigen als hinreichend sicher eingestuft worden, dessen Gutachten nach § 411a ZPO verwertet werden könnten. Aufgrund dessen sei es Aufgabe des [X.] gewesen, etwaige Lücken und Schwächen des Sicherheitssystems der Beklagten substantiiert darzulegen; dies sei ihm nicht gelungen. Soweit der Kläger auf andere Schadensfälle, in denen teilweise der Umschlag mit der [X.] noch ungeöffnet gewesen sein solle, zurückgreife, habe sich dies entweder nicht bewahrheitet oder betreffe andere Kreditkarten bzw. andere Sicherheitssysteme; teilweise sei der Vortrag auch verspätet.

II.

6

Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, weil das angegriffene Urteil den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (vgl. Senatsbeschlüsse [X.], 135, 139 f. und vom 18. Januar 2005 - [X.], [X.] 2005, 939 f.). Aus demselben Grunde ist das angefochtene Urteil gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

7

1. Das Berufungsurteil verletzt den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG.

8

a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen ([X.] 60, 247, 249; 65, 293, 295 f.; 70, 288, 293; 83, 24, 35; [X.] NJW-RR 2001, 1006, 1007; Senatsbeschluss vom 18. Januar 2005 - [X.], [X.] 2005, 939 f. und [X.], Beschluss vom 31. August 2005 - [X.], NJW-RR 2005, 1603; jeweils m.w.[X.]). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG setzt dabei eine gewisse Evidenz der Gehörsverletzung voraus, das heißt, im Einzelfall müssen besondere Umstände vorliegen, die deutlich ergeben, dass das Vorbringen der Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist ([X.] 22, 267, 274; 79, 51, 61; 86, 133, 146; 96, 205, 216 f.; [X.], [X.], 131; [X.]Z 154, 288, 300). Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Sachvortrags und Beweisangebots verstößt auch dann gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn der Tatrichter dieses Vorbringen - hier des [X.] - zwar zur Kenntnis genommen hat, das Unterlassen der danach gebotenen Beweisaufnahme aber im Prozessrecht keine Stütze mehr findet ([X.], NJW 2003, 1655; [X.], Beschluss vom 7. Dezember 2006 - [X.], [X.], 569, [X.]. 9).

9

b) Nach diesen Maßgaben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt.

Nach der Rechtsprechung des Senats spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Karteninhaber seine persönliche Geheimzahl entweder auf der Kreditkarte notiert oder sie gemeinsam mit dieser aufbewahrt hat ([X.]Z 160, 308, 314; 170, 18, [X.]. 31). Dieser Anscheinsbeweis kann unter anderem dadurch erschüttert werden, dass der Kunde darlegt und beweist, dass dies nicht der Fall war (vgl. [X.], [X.], 208, 209) oder - was vorliegend vom Kläger allerdings nicht behauptet wird - die Geheimnummer ohne Verschulden des Karteninhabers kurze [X.] vor der Entwendung der Karte ausgespäht worden ist.

Der Kläger hat für jeden der zehn Schadensfälle im Einzelnen dargelegt, dass Kreditkarte und persönliche Geheimzahl zum [X.]punkt der Entwendung der Kreditkarte bzw. des [X.] nicht zusammen aufbewahrt waren, und dies unter Beweis gestellt. Diesen Beweisantritt durfte das Berufungsgericht nicht übergehen, auch wenn aus seiner Sicht für die Richtigkeit der Behauptung nur eine geringe Wahrscheinlichkeit sprechen mag. Dies würde indes eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung darstellen.

c) Das angefochtene Urteil beruht auf dieser Verletzung des rechtlichen Gehörs. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht zu einer abweichenden Entscheidung gelangt wäre, wenn es die Zeugen vernommen hätte. Würde das Berufungsgericht aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme die Behauptung des [X.] als wahr erachten, könnte - gegebenenfalls nachdem es den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag gegeben hat - Anlass bestehen, das Sicherheitssystem der Beklagten einer erneuten sachverständigen Begutachtung zu der Frage zu unterwerfen, ob dieses ein ausreichendes Sicherheitsniveau für die Anwendung des Anscheinsbeweises bietet (vgl. [X.]Z 170, 18, [X.]. 31), anstatt die Gutachten aus den Jahren 2000 und 2002 heranzuziehen, deren Verwertung - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - wegen § 29 Nr. 3 EGZPO nicht nach § 411a ZPO, sondern nur als [X.] zulässig war (vgl. [X.], Urteile vom 26. Mai 1982 - [X.], NJW 1983, 121, 122 und vom 27.  Mai 1982 - [X.], NJW 1982, 2874).

d) Sollte danach ein Rückzahlungsanspruch des [X.] in Betracht kommen, müsste das Berufungsgericht auch noch Feststellungen dazu treffen, ob die Unterschriften der Zedenten in den [X.] echt sind und ob in einzelnen Fällen bereits der Verlust der Kreditkarte als solcher von den Zedenten fahrlässig verursacht worden ist.

2. Die weiteren geltend gemachten Zulassungsgründe hat der Senat geprüft, aber für nicht durchgreifend erachtet. Von einer näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ZPO abgesehen.

[X.]                                                                   Joeres                                                               Mayen

                                      Grüneberg                                                             [X.]

Meta

XI ZR 224/09

06.07.2010

Bundesgerichtshof 11. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Frankfurt, 17. Juni 2009, Az: 23 U 22/06, Urteil

§ 286 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.07.2010, Az. XI ZR 224/09 (REWIS RS 2010, 5124)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 5124

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