Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.08.2011, Az. 4 StR 367/11

4. Strafsenat | REWIS RS 2011, 4136

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Gegenstand

Rücktritt vom Versuch: Aufgabe der weiteren Tatausführung unter dem beruhigenden Einfluss eines Dritten


Tenor

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 23. März 2011

1. mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte im [X.]) der Urteilsgründe wegen versuchter Nötigung rechtlich zusammentreffend mit Beleidigung verurteilt worden ist;

2. mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem rechtskräftigen Urteil des [X.] vom 26. Oktober 2010 zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt worden ist.

II. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

[X.] Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Der Angeklagte wurde vom [X.] wegen Nötigung, Fahrens ohne Fahrerlaubnis in fünf Fällen, einer weiteren Nötigung rechtlich zusammentreffend mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs, mit Fahren ohne Fahrerlaubnis, mit einem weiteren Fall der vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs, mit einer weiteren Nötigung und mit Beleidigung, sachlich zusammentreffend mit einer versuchten Nötigung, diese rechtlich zusammentreffend mit Beleidigung unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einem rechtskräftigen Urteil des [X.] vom 15. Februar 2010 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten und unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einem rechtskräftigen Urteil des [X.] vom 26. Oktober 2010 zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt. Zugleich wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist von drei Jahren und sechs Monaten festgesetzt. Seine hiergegen eingelegte Revision hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.

2

Nach den vom [X.] im [X.]) der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen forderte der Angeklagte die Zeugin A.     auf, ihm ein [X.] herauszugeben, das er ihr einige [X.] zuvor geliehen hatte. Die Zeugin A.     befand sich zu diesem [X.]punkt in Begleitung des Zeugen S.     . Nachdem er eine von der Zeugin mitgeführte Tasche durchsucht hatte, ohne das [X.] finden zu können, beschimpfte er die Zeugin mit den Worten: „[X.], du Miststück“. Anschließend zog er eine geladene Schreckschusspistole aus dem Hosenbund und richtete sie auf den Unterkörper des Zeugen S.    . Zugleich forderte er den Zeugen auf, sich „zu verpissen“ und drohte ihn „abzuknallen“. Dabei kam es dem Angeklagten darauf an, wegen des [X.]s allein mit der Zeugin A.     reden zu können. Die Zeugin A.     drückte die Hand des Angeklagten, in der er die Pistole führte, nach unten und bat ihn aufzuhören und zur Vernunft zu kommen. Daraufhin steckte der Angeklagte die Schreckschusspistole wieder in seinen Hosenbund. Der Zeuge S.     entfernte sich, nachdem ihn die Zeugin A.     dazu aufgefordert hatte und verständigte die Polizei. Bis zu deren Eintreffen unterhielt sich die Zeugin A.     weiter mit dem Angeklagten, der dabei seine Waffe entlud.

3

Das [X.] hat das auf das [X.] gerichtete „Herausgabeverlangen unter Vorhaltung einer Waffe“ als versuchte Nötigung gewertet und in den Beschimpfungen der Zeugin A.     eine in Tateinheit hierzu begangene Beleidigung gesehen.

II.

4

Die Feststellungen des [X.]s tragen die Verurteilung wegen versuchter Nötigung nicht, weil ein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch in Betracht kommt.

5

Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 erste Alternative StGB wird wegen Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt. Voraussetzung ist, dass der Täter zu diesem [X.]punkt (Rücktrittshorizont) noch nicht mit einem Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges rechnet (unbeendeter Versuch), seine Herbeiführung aber noch für möglich hält ([X.], Beschluss vom 19. Mai 1993 – [X.], [X.]St 39, 221, 227f.). Außerdem muss die Aufgabe der weiteren Tatausführung freiwillig erfolgen, also auf einer autonom getroffenen Willensentscheidung beruhen (vgl. [X.], Urteil vom 8. Februar 2007 – 3 [X.], [X.], 399, 400). Autonom ist jede Rücktrittsentscheidung, die dem Täter nicht durch die gegebenen Umstände aufgezwungen wurde (vgl. [X.], Urteil vom 28. Februar 1956 – 5 [X.], [X.]St 9, 48, 51; Urteil vom 17. Dezember 1992 – 4 StR 532/92, [X.], 279). Die Tatsache, dass sich ein affektiv erregter Täter erst unter dem beruhigenden Einfluss eines Dritten zur Aufgabe der weiteren Tatausführung entschlossen hat, stellt für sich genommen die Autonomie seiner Entscheidung nicht in Frage ([X.], Urteil vom 10. November 1987 – 5 [X.], [X.], 69, 70; Urteil vom 14. April 1955 – 4 StR 16/55, [X.]St 7, 296, 299).

6

Der Angeklagte hat die zur Bedrohung des Zeugen S.     verwendete Pistole wieder in den Hosenbund gesteckt, nachdem die Zeugin A.     seine Hand nach unten gedrückt und beruhigend auf ihn eingeredet hatte. Zu diesem [X.]punkt war der Zeuge S.     der Aufforderung des Angeklagten sich zu entfernen, noch nicht nachgekommen. Bei dieser Sachlage wäre es erforderlich gewesen, einen strafbefreienden Rücktritt nach § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB zu prüfen und weitere Feststellungen insbesondere zum Vorstellungsbild des Angeklagten zu treffen. Dies ist nicht geschehen. Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung.

III.

7

Die nach § 55 Abs. 1 StGB mit den Einzelstrafen aus dem Urteil des [X.] vom 26. Oktober 2010 gebildete Gesamtstrafe war schon deshalb aufzuheben, weil die Verurteilung wegen versuchter Nötigung in Tateinheit mit Beleidigung keinen Bestand hat.

8

Auch hat das [X.] bei der Bestimmung der zweiten Gesamtstrafe nicht erkennbar in seine Erwägungen einbezogen, dass aufgrund der Zäsurwirkung des rechtskräftigen Urteils des [X.] vom 15. Februar 2010 nicht im Ganzen auf eine einheitliche Gesamtstrafe erkannt werden konnte. Wird wegen einer Zäsurwirkung die Verhängung zweier oder mehrerer getrennter Strafen erforderlich, darf dies nicht dazu führen, dass die Strafen in ihrer Gesamtheit nicht mehr in einem [X.]en Verhältnis zu den Straftaten stehen. Führt die Bildung mehrerer Gesamtstrafen zu einem zu hohen Gesamtstrafenübel, ist der darin liegende Nachteil auszugleichen. Das Gericht muss erkennen lassen, dass es sich dieser Sachlage bewusst war und darlegen, warum das Gesamtmaß der Strafen [X.] ist ([X.], Beschluss vom 9. November 1995 – 4 [X.], [X.]St 41, 310, 312f.; [X.]/[X.] § 55 Rn. 21).

IV.

9

Die weiter gehende Revision ist offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

Die [X.] nach den §§ 69, 69a StGB konnten bestehen bleiben, weil sie an die [X.] Schuldsprüche wegen der unter [X.]) bis 4.) festgestellten Taten anknüpfen. Der neue Tatrichter kann die unterbliebene Einziehung des Führerscheins ohne Verstoß gegen das Verbot der reformatio in peius nachholen (vgl. [X.], Urteil vom 5. November 1953 – 3 [X.], [X.]St 5, 168, 178).

Mutzbauer     

     Roggenbuck     

[X.]

Ri[X.] Bender ist infolge
Urlaubs ortsabwesend und
daher an der Unterschriftsleistung
gehindert.

Mutzbauer

Quentin     

Meta

4 StR 367/11

09.08.2011

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG München I, 23. März 2011, Az: 6 KLs 233 Js 225120/10, Urteil

§ 24 Abs 1 S 1 Alt 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.08.2011, Az. 4 StR 367/11 (REWIS RS 2011, 4136)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4136

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Referenzen
Wird zitiert von

2 StR 301/18

1 StR 347/16

1 StR 347/16

3 StR 78/13

4 StR 367/11

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