Bundesfinanzhof, Beschluss vom 22.07.2013, Az. I B 158/12

1. Senat | REWIS RS 2013, 3928

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Gegenstand

Kostenentscheidung nach Erledigung der NBZ


Leitsatz

1. NV: Eine Beschränkung der übereinstimmenden Erledigungserklärungen auf das Beschwerdeverfahren wegen Nichtzulassung der Revision ist zulässig.

2. NV: § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO ist nur anwendbar, wenn das FA die angefochtenen Bescheide auf der Grundlage einer unveränderten Sach- und Rechtslage ändert. Ergehen Abhilfebescheide aufgrund einer zu Gunsten des Steuerpflichtigen rückwirkenden Änderung der Rechtslage (hier: § 34 Abs. 10b Satz 2 KStG 2002 i.d.F. des UntSt/RKVereinfG), ist die Kostenentscheidung nach § 138 Abs. 1 FGO nach billigem Ermessen zu treffen.

Tatbestand

1

I. In der Sache stritten die Beteiligten über die Wirksamkeit einer körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft.

2

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine AG und alleinige Gesellschafterin der [X.] Mit dieser schloss die Klägerin am 18. Dezember 2008 einen Gewinnabführungsvertrag ([X.]), ohne darin ausdrücklich eine Verlustübernahme entsprechend § 302 des Aktiengesetzes (AktG) zu vereinbaren.

3

Auf einen Hinweis des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --[X.]--) hin änderte die Klägerin den Gewinnabführungsvertrag am 17. Dezember 2009. Für die Verlustübernahme sollte § 302 AktG in der jeweils geltenden Fassung Anwendung finden (§ 2 Abs. 1 [X.]). Der geänderte Gewinnabführungsvertrag sollte mit seiner Eintragung in das Handelsregister spätestens rückwirkend auf den 1. Januar 2009 wirksam werden (§ 5 Abs. 2 [X.]).

4

Für das [X.] erkannte das [X.] eine Organschaft zwischen der Klägerin und der V-GmbH nicht an und erließ entsprechende Bescheide für 2008 über Körperschaftsteuer und den [X.]. Darin wurde ein Verlust der V-GmbH in Höhe von 23.814.785 € nicht berücksichtigt.

5

Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos; die daraufhin erhobene Klage wies das [X.] ([X.]) [X.] mit Urteil vom 12. September 2012  3 K 2384/11, das in Entscheidungen der [X.]e 2013, 159 veröffentlicht worden ist, ab. Das [X.] ließ die Revision nicht zu.

6

Während des Verfahrens über die Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Revision hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts ([X.]/[X.]) vom 20. Februar 2013 ([X.], 285, [X.], 188) § 17 Satz 2 Nr. 2 des [X.] ([X.] 2002) geändert. Zugleich hat er in den [X.] geregelt, dass die §§ 14 bis 16 [X.] 2002 auch dann anwendbar sind, wenn ein vor Inkrafttreten des Änderungsgesetzes abgeschlossener Gewinnabführungsvertrag keinen den Anforderungen des § 17 Satz 2 Nr. 2 [X.] 2002 entsprechenden Verweis auf § 302 AktG enthält, aber eine Verlustübernahme entsprechend § 302 AktG tatsächlich erfolgt ist und eine Verlustübernahme entsprechend § 17 Satz 2 Nr. 2 [X.] 2002 in der Fassung des [X.]/[X.] ([X.] 2002 n.F.) bis zum Ablauf des 31. Dezember 2014 wirksam vereinbart wird (§ 34 Abs. 10b Satz 2 [X.] 2002 n.F.).

7

In Folge dieser Rechtsänderung hat das [X.] antragsgemäße Bescheide für 2008 über Körperschaftsteuer und den Gewerbesteuermessbescheid erlassen. Die Beteiligten haben das Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde daraufhin einvernehmlich für erledigt erklärt.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens waren im Streitfall nach der Erledigung des Verfahrens über die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin aufzuerlegen.

9

1. Aufgrund der übereinstimmenden Erklärungen der Beteiligten ist das Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde erledigt. Auf die Erklärung des [X.], "die zulässige Beschwerde [...] als erledigt zu beenden" und "die Kosten für die Nichtzulassungsbeschwerde [...] dem Beschwerdeführer aufzuerlegen", hat die Klägerin das "Verfahren ebenfalls für erledigt" erklärt und beantragt, im "Rahmen der Kostenentscheidung [...] die Kosten des Verfahrens" dem [X.] aufzuerlegen. Eine hierin zum Ausdruck kommende Beschränkung der übereinstimmenden Erledigungserklärungen auf das Beschwerdeverfahren wegen Nichtzulassung der Revision ist zulässig (Beschlüsse des [X.] --[X.]-- vom 25. Juli 1991 III B 10/91, [X.], 17, [X.] 1991, 846; vom 12. Oktober 1992 I[X.] 152/91, juris).

2. Für die Wirksamkeit der Erledigungserklärungen ist unerheblich, ob die Nichtzulassungsbeschwerde zulässig erhoben worden ist. Ebenso wie ein unzulässiges Klageverfahren durch einvernehmliche Erledigungserklärung wirksam für erledigt erklärt werden kann, ist auch die Erledigung eines Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde durch hierauf beschränkte einvernehmliche Erledigungserklärungen möglich ([X.] in [X.], 17, [X.] 1991, 846). Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn die Beteiligten den Rechtsstreit insgesamt hätten für erledigt erklären wollen ([X.] vom 14. April 2011 IV B 81/09, [X.], 1181), weil dann dem Rechtsmittelgericht von vornherein die Möglichkeit gefehlt hätte, sachlich auf den Antrag des Rechtsmittelführers einzugehen ([X.] vom 1. August 2012 V B 59/11, [X.], 2013). Dies ist aber --wie erläutert-- aufgrund der von den Beteiligten abgegebenen Erklärungen nicht der Fall.

3. Entsprechend § 138 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hat im Streitfall die Klägerin die Kosten des erledigten Beschwerdeverfahrens zu tragen.

a) § 138 FGO ist zwar nicht unmittelbar anwendbar, da sich der Rechtsstreit nicht in der Hauptsache erledigt hat. § 138 FGO ist jedoch bei einer Erledigung des Verfahrens über die Nichtzulassungsbeschwerde entsprechend anwendbar. Die in der Vorschrift zum Ausdruck kommenden Prinzipien müssen nach ihrem Sinn entsprechend gelten, wenn sich nur das Rechtsmittelverfahren erledigt hat ([X.] in [X.], 17, [X.] 1991, 846).

b) Die Kosten waren nicht entsprechend § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO dem [X.] aufzuerlegen, weil dieses während des Verfahrens über die Nichtzulassungsbeschwerde antragsgemäße Bescheide erlassen hat (vgl. hierzu [X.] vom 12. Oktober 1992 I[X.] 152/91, juris). Das Risiko der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts trägt die Behörde nach dieser Bestimmung nur bei unveränderter Sach- und Rechtslage, nicht aber wie im Streitfall bei einer während des Rechtsmittelverfahrens erfolgenden und in die Streitzeiträume rückwirkenden Gesetzesänderung (so auch [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 138 FGO Rz 62, 74; offenlassend [X.]-Urteil vom 15. Mai 1990 VII R 78/89, [X.] 1991, 123; [X.] vom 12. Mai 1992 VII R 42/91, [X.] 1992, 854; vom 7. April 2004 III R 53/01, [X.] 2004, 1119; vom 29. Oktober 2004 III R 44/02, juris).

c) Nach dem deshalb analog anzuwendenden § 138 Abs. 1 FGO, nach dem über die Kosten des erledigten Beschwerdeverfahrens nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes zu entscheiden ist, hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Denn die Nichtzulassungsbeschwerde wäre ohne Eintritt des erledigenden Ereignisses als unzulässig zu verwerfen gewesen. Die Begründung der Klägerin genügt nicht den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO. In ihr wird weder die grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) noch das Erfordernis der Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) in der gebotenen Weise dargelegt. Die Klägerin hat in ihrer Beschwerdebegründung keine klärungsbedürftige Rechtsfrage herausgearbeitet.

aa) Dazu muss ausgeführt werden, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchem Grunde die Beantwortung der Frage zweifelhaft und streitig ist ([X.] vom 22. März 2011 [X.] 151/10, [X.], 1165; vom 6. März 2013 [X.] 113/11, [X.] 2013, 929). Liegt zu der vom Beschwerdeführer herausgestellten Rechtsfrage bereits höchstrichterliche Rechtsprechung vor, so muss eine fundierte Stellungnahme dazu erfolgen, weshalb diese Rechtsprechung noch nicht zu einer hinreichenden Klärung geführt habe oder aufgrund welcher neuer Entwicklung sie nunmehr erneut in Frage gestellt werden müsse ([X.] vom 19. Oktober 2007 II B 107/06, [X.] 2008, 573; vom 23. März 2009 II B 119/08, juris). Hierfür müssen die vermeintlichen Unklarheiten möglichst genau beschrieben und insbesondere in Rechtsprechung und Schrifttum erhobene, vom [X.] bislang nicht geprüfte Einwände unter Angabe der Quellen benannt werden ([X.] vom 18. Juli 2006 [X.] 206/05, [X.] 2006, 1877; [X.] in [X.]/Gosch, FGO § 116 Rz 66).

bb) Soweit die Klägerin geltend gemacht hat, klärungsbedürftig sei die Rechtsfrage, ob die in § 41, § 42 der Abgabenordnung verankerte objektive Betrachtungsweise ein explizites Vereinbarungserfordernis gemäß § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG 2002 ausschließe, sind die vorstehend erläuterten [X.] nicht erfüllt. Im [X.] will die Klägerin die Frage klären lassen, ob im Falle eines zivilrechtlich wirksamen und durchgeführten Gewinnabführungsvertrages das Festhalten an Formvorschriften sinnlos sei. Hiermit hat sich der erkennende Senat indes bereits in seinem Urteil vom 29. März 2000 I R 43/99 ([X.] 2000, 1250) ausführlich auseinandergesetzt; später hat er diese Rechtsprechung unter Auseinandersetzung mit Rechtsprechung und Literatur mehrmals bekräftigt (Senatsurteile vom 22. Februar 2006 I R 73/05, [X.] --HFR-- 2006, 1009, und [X.], [X.] 2006, 1513). Die Klägerin hat nicht in ausreichender Weise dargelegt, warum eine erneute Auseinandersetzung mit dieser Frage geboten ist.

cc) Ebenso wenig hat die Klägerin die Klärungsbedürftigkeit der Frage ausreichend dargelegt, ob das konkrete Vereinbarungserfordernis nach § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG 2002 verfassungswidrig sei. Mit diesem Einwand hat sich der [X.] bereits in mehreren Beschlüssen beschäftigt ([X.] vom 16. Juni 2008 IV R 76/06, juris; vom 17. Juni 2006 IV R 88/05, [X.] 2008, 1705), ohne dass sich die Klägerin im Einzelnen mit den dort genannten [X.] unter Einbeziehung von Rechtsprechung und Schrifttum substantiiert auseinandergesetzt hätte.

dd) Soweit die Klägerin schließlich die Rechtsfrage aufwirft, ob ein [X.] gemäß § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG 2002 eine dem § 302 [X.] entsprechende Vereinbarung enthalten müsse, hat sie ebenfalls keine klärungsbedürftige Rechtsfrage dargelegt. Hiermit wendet sich die Klägerin gegen die seit langem bestehende ständige Rechtsprechung des [X.] (s. z.B. Senatsurteile vom 17. Dezember 1980 I R 220/78, [X.]E 132, 285, [X.] 1981, 383; in [X.] 2000, 1250; in [X.], 1009; in [X.] 2006, 1513; vom 3. März 2010 I R 68/09, [X.] 2010, 1132; [X.] in [X.] 2008, 1705; Senatsbeschluss vom 22. Dezember 2010 I B 83/10, [X.]E 232, 190), was unter Einbeziehung von Rechtsprechung und Literatur eine besonders eingehende Auseinandersetzung damit erforderlich gemacht hätte, warum trotz der Vielzahl von Entscheidungen zu dieser Rechtsfrage eine weitere Klärung geboten erscheint. Angesichts der oberflächlichen Begründung der Klägerin fehlt es daran im Streitfall.

Meta

I B 158/12

22.07.2013

Bundesfinanzhof 1. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 12. September 2012, Az: 3 K 2384/11, Urteil

§ 302 AktG, § 17 S 2 Nr 2 KStG 2002, § 34 Abs 10b S 2 KStG 2002, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 FGO, § 116 Abs 3 S 3 FGO, § 138 Abs 1 FGO, § 138 Abs 2 S 1 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 22.07.2013, Az. I B 158/12 (REWIS RS 2013, 3928)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 3928

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