Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.04.2012, Az. III ZR 75/11

III. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 7490

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BUNDE[X.]GERICHT[X.]HOF

IM NAMEN DE[X.] VOLKE[X.]

URTEIL
III ZR 75/11

Verkündet am:

4. April 2012

F r e i t a g

Justizamtsinspektor

als Urkundsbeamter

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja

ZPO § 522 Abs. 1, § 523 Abs. 1 [X.]atz
1
Wird der Rechtsstreit vom Berufungsgericht auf den Einzelrichter übertragen, so tritt dieser nach § 526 Abs. 1 ZPO vollständig an die [X.]telle des Kollegiums. Er ist nach Übertragung der [X.]ache auf ihn für
die Entscheidung des [X.] insgesamt und damit auch für die Verwerfung der Berufung durch End-urteil zuständig.
[X.], Urteil vom 4. April 2012 -
III ZR 75/11 -
LG [X.]tuttgart

[X.]

-

2

-

Der III.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vizepräsidenten [X.] und die [X.] [X.], [X.], [X.] und Tombrink
im schriftlichen Verfahren aufgrund der
bis zum 29. März 2012
eingereichten [X.]chriftsätze

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 4. Zivilkammer des [X.] vom 9.
März 2011 aufgehoben.

Die [X.]ache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Die Parteien streiten um Vergütungsansprüche aus privatärztlicher Be-handlung der Beklagten im
M.

Hospital in [X.].

.

Das Amtsgericht hat die Beklagte verurteilt,
1.935,93

und Mahnkosten zu zahlen.

Das amtsgerichtliche Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten der [X.] am 9.
Juli 2010 zugestellt worden. Mit handschriftlichem [X.]chriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 9.
August 2010 hat die Beklagte Berufung gegen 1
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3

-

das amtsgerichtliche Urteil einlegen lassen. Diesen [X.]chriftsatz hat der Prozess-bevollmächtigte der Beklagten per Telefax an das [X.] übersandt. Das erste Fax hat
die Berufungsschrift sowie die [X.]eiten 1, 3, 5 und 7 des amtsge-richtlichen Urteils
umfasst. Ausweislich des [X.]s des Landge-richts vom 10.
August 2010
hat der Empfang der gesendeten [X.]ignale
am 9.
August 2010 um 23.59
Uhr
begonnen und insgesamt
36 [X.]ekunden bean-sprucht. Es ist
eine zweite Faxübermittlung
der [X.]eiten 2,
4
und 6
des angegrif-fenen Urteils
gefolgt. Laut dazugehörigem [X.] vom 10.
August 2010 hat der an diesem Tag um 00.01
Uhr
in Gang gesetzte Empfang
28 [X.]e-kunden
gedauert.

Nach Eingang der Berufungsbegründung ist das Verfahren auf die Ein-zelrichterin der Berufungskammer
übertragen worden.

Das [X.] hat die Berufung durch Urteil als unzulässig verworfen und den Antrag
der Beklagten
auf Wiedereinsetzung in den vorigen [X.]tand hin-sichtlich der Einhaltung der Berufungsfrist zurückgewiesen.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der vom [X.]enat zugelassenen Revision.

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg.

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7
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4

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I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung angeführt, dass die Einzelrich-terin auch zur Verwerfung der Berufung durch Urteil und für die Entscheidung über die Wiedereinsetzung zuständig sei. Die Berufung sei unzulässig, da ein fristgerechter Eingang der Berufungsschrift nicht festgestellt werden könne. Die Frist zur Einlegung der Berufung sei am 9.
August 2010 um 24.00
Uhr abgelau-fen. Die handschriftliche, per Fax beim [X.] eingegangene Berufungs-schrift stelle nur dann eine formgerechte Berufung dar, wenn wenigstens die erste [X.]eite des beigefügten Urteils mit herangezogen werde. Die Beklagte
sei
für den rechtzeitigen Eingang der Berufungsschrift vollumfänglich darlegungs-
und beweisbelastet. Aus dem [X.] des [X.]s vom 10.
Au-gust 2010
Uhr ergebe sich
ein Beginn der Übertragung beziehungsweise
des Empfangs des Faxes um 23.59
Uhr. Wann sekundengenau der Empfang be-gonnen habe, könne anhand dieses Protokolls nicht festgestellt werden. Die Übertragungszeit habe nach den Unterlagen 36 [X.]ekunden gedauert. Da sich der exakte Beginn der Übertragung nicht aus dem Protokoll ergebe, sei es nicht geeignet, für den erforderlichen fristgerechten Eingang der Berufung Beweis zu erbringen. Aus den Daten für die Übertragung des zweiten Faxes ergebe sich, dass es ohne weiteres möglich sei, dass die [X.]peicherung des ersten Faxes um 23.59
Uhr und 59 [X.]ekunden
begonnen und bis zum 10.
August 2010 um 00.00
Uhr und 35 [X.]ekunden gedauert habe. Gründe, eine Wiedereinsetzung in den vorigen [X.]tand zu gewähren, lägen nicht vor.

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-

II.

Die Revision ist begründet. [X.]ie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der [X.]ache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht.

1.
Ohne Erfolg bleibt
die Rüge der Beklagten, nicht die Einzelrichterin, son-dern nur das Kollegium der landgerichtlichen Zivilkammer
hätte
die Berufung durch Endurteil als unzulässig verwerfen dürfen. Bereits der Wortlaut des §
522 Abs.
1 und des § 523 Abs.
1 [X.]atz 1 ZPO belegt, dass die Verwerfung einer Be-rufung durch Urteil nicht durch die Kammer als Kollegium erfolgen muss. Die Zuständigkeit des [X.] insgesamt ist nach §
522 Abs.
1 [X.]atz
1 ZPO nur für die Verwerfung im [X.] zwingend vorgesehen, die ge-mäß §
523 Abs.
1 [X.]atz
1 ZPO der Entscheidung, ob eine Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter erfolgt, vorhergeht. Wird nicht so verfahren und der Rechtsstreit auf den Einzelrichter übertragen, so tritt
dieser nach §
526 Abs.
1 ZPO vollständig an die [X.]telle des Kollegiums (Musielak/Ball, ZPO, 8.
Aufl., §
527 Rn.
5). Er ist nach Übertragung der [X.]ache auf ihn für die Ent-scheidung des Rechtsstreits insgesamt und damit auch für die Verwerfung der Berufung durch Endurteil zuständig (vgl. [X.] BeckR[X.] 2009, 14690, insoweit in [X.], 112
nicht abgedruckt; [X.]/[X.], 3.
Aufl., §
522 Rn.
14; Hk-ZPO/[X.], 4.
Aufl., §
522 Rn.
5; [X.]/[X.]chütze/[X.], ZPO, 3. Aufl., §
522 Rn. 27; [X.], ZPO, 9.
Aufl., § 522 Rn. 4; a. A. wohl [X.]/[X.]/[X.], ZPO, 32. Aufl., § 522 Rn. 2).

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-

2.
Einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand hält jedoch die Auffassung des [X.], die Berufung sei nicht rechtzeitig bei Gericht eingegangen. Die entsprechende tatrichterliche Würdigung des [X.], ein frist-gemäßer Eingang der Berufungsschrift könne nicht festgestellt werden, beruht auf einer Verkennung der Anforderungen an die Beweiswürdigung.

a) Zutreffend ist der Ausgangspunkt des [X.], dass die rechtzeitige Einlegung der Berufung als eine Zulässigkeitsvoraussetzung
vom Berufungsführer zu beweisen ist. Für die Beweiserhebung gilt der sogenannte
Freibeweis; dieser senkt jedoch nicht die Anforderungen an die richterliche Überzeugung, sondern stellt das Gericht -
im Rahmen pflichtgemäßen Ermes-sens
-
nur freier bei der Gewinnung der Beweise und dem Beweisverfahren. An die Feststellungen des [X.] zur Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einer Berufung ist das Revisionsgericht dabei nicht gebunden, weil es das [X.] dieser Prozessvoraussetzung, von der das gesamte weitere Verfahren abhängt, selbst von Amts wegen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu prüfen hat ([X.], Beschluss vom 4.
Juni 1992 -
IX
ZB 10/92, NJW-RR 1992, 1338, 1339
mwN).

b) Bei der tatrichterlichen Würdigung hat das Berufungsgericht einen un-zulässig verengten
Maßstab angelegt und ist deshalb zu dem Ergebnis [X.], dass die Berufung nicht rechtzeitig eingelegt worden sei. Dabei hat es zugrunde gelegt, dass das Empfangsgerät des [X.]s den Empfang des Faxes der Beklagten um 23.59
Uhr quittiert hat, ohne dabei [X.]ekunden auszu-weisen. Anhand des Übertragungsprotokolls kann deshalb nicht festgestellt werden, wann sekundengenau der Empfang der Berufungsschrift begonnen hat und wann er
abgeschlossen war. Die Übertragungszeit hat ausweislich des [X.]s 36 [X.]ekunden gedauert und betraf insgesamt sieben [X.]eiten, 11
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-

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-

von denen auch nach Auffassung des [X.] lediglich die ersten beiden erforderlich waren, um eine zulässige Berufungseinlegung annehmen zu können. Das Berufungsgericht stellt dabei mangels Feststellbarkeit
der genau-en [X.]ekundenzeit nach 23.59
Uhr darauf ab, wann das Fax spätestens hätte gesendet werden können. Daraus schließt es, dass im ungünstigsten Fall die Berufungseinlegung verspätet, weil nach 00.00
Uhr erfolgt sei.

Dem kann nicht gefolgt werden.
Ausgehend von dem aus
Art.
2 Abs.
1
GG in Verbindung mit dem
Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Anspruch auf ein faires Verfahren darf dem Bürger das Versagen organisatorischer oder betrieb-licher Vorgänge, auf die er keinen Einfluss hat, nicht zur Last gelegt werden. Der [X.] darf sich nicht widersprüchlich verhalten und insbesondere nicht aus eigenen oder ihm zurechenbaren Fehlern oder Versäumnissen Verfahrens-nachteile
für die Beteiligten ableiten (vgl. [X.] NJW 1998, 2044; [X.]E 75, 183, 190). Das Gericht hat in Rechnung zu stellen, dass es den Beteiligten aus Gründen, die in der [X.]phäre einer Behörde liegen, auf deren Tätigkeit
sie keinen Einfluss haben, unmöglich sein kann, eine Tatsache glaubhaft zu machen, die bei fehlendem behördlichen Versagen unschwer aufzuklären wäre (vgl. [X.] NJW 1998, 2044, 2045). Daraus folgt, dass bei der Beweiswürdigung zur Rechtzeitigkeit des Eingangs einer Berufungsschrift nicht auf den letztmögli-chen Zeitpunkt abzustellen
ist, wenn das Gericht durch die Auswahl seines [X.] darauf verzichtet, den Eingangszeitpunkt eines übermittel-ten Faxes sekundengenau festzuhalten. Das Gericht hat deshalb angesichts eines Protokolls der Faxübertragung, das lediglich die Uhrzeit 23.59
Uhr aus-weist, wegen der nicht erfolgten Erfassung der [X.]ekunden für den Berufungsfüh-

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-

rer den -
vorbehaltlich der Würdigung anderer Umstände
-
günstigsten mögli-chen Zeitpunkt als für die Prüfung der Zulässigkeit des maßgeblichen Eingangs der Berufungsschrift zugrunde zu legen. Da hier die Faxübertragung von sieben [X.]eiten 36 [X.]ekunden gedauert hat und nur die ersten beiden für das Einhalten der Zulässigkeitsanforderungen der Berufung erforderlich waren, ist davon [X.], dass die hier maßgebliche Faxübertragung maximal 15 [X.]ekunden gedauert hat und deshalb vor 24.00
Uhr beendet war, da es für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit des Eingangs eines per Telefax übersandten [X.]chriftsatzes allein darauf ankommt, ob die gesendeten [X.]ignale noch vor Ablauf des letzten Tages der Frist vom Telefaxgerät des Gerichts vollständig empfangen und ge-speichert wurden und nicht auf den Ausdruck dieser [X.]eiten (vgl. [X.], [X.] vom 25.
April 2006 -
IV
ZB 20/05, [X.]Z 167, 214, 219
ff Rn. 14 ff). Da die Berufung deswegen rechtzeitig eingelegt worden war, kann die Verwerfung der Berufung als unzulässig keinen Bestand haben.

Auf die weiteren [X.] der Beklagten hinsichtlich der Zurückweisung ihres Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen [X.]tand kommt es nicht an.

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3.
Das Urteil ist deshalb aufzuheben und die [X.]ache an das Berufungsge-richt zurückzuverweisen. Eine eigene
Entscheidung in der [X.]ache ist dem [X.]enat nicht möglich, da sie noch nicht zur Endentscheidung reif ist.

[X.]

[X.]
[X.]

[X.]
Tombrink
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 07.07.2010 -
42 [X.] -

LG [X.]tuttgart, Entscheidung vom 09.03.2011 -
4 [X.] 186/10 -

16

Meta

III ZR 75/11

04.04.2012

Bundesgerichtshof III. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.04.2012, Az. III ZR 75/11 (REWIS RS 2012, 7490)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 7490

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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III ZR 75/11

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