Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 31.05.2012, Az. 3 StR 99/12

3. Strafsenat | REWIS RS 2012, 5929

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
3 StR
99/12
vom
31. Mai 2012
in dem Sicherungsverfahren
gegen

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2
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Der 3.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 31. Mai
2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender [X.] am [X.]
[X.],

die [X.] am [X.]
Pfister,
[X.],
[X.],
[X.]in am [X.]
Dr. Menges

als beisitzende [X.],

[X.] beim [X.]

als Vertreter der [X.]schaft,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

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3
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Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 20.
Oktober 2011 mit den Fest-stellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem [X.] dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des [X.] in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit sachlichrechtlichen Beanstandun-gen. Das vom [X.] vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

1. Nach den Feststellungen des [X.] leidet der Beschuldigte seit etwa 1979 unter einer paranoiden Psychose aus dem Formenkreis der [X.], die inzwischen einen chronisch floriden Verlauf genommen hat. Der Beschuldigte glaubte in wahnhafter Verkennung der Realität, von Feinden um-1
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geben zu sein und von jedermann betrogen zu werden. Unter dem Eindruck der Erkrankung versuchte er 1983, auf dem Rollfeld des [X.] star-tende Flugzeuge anzuhalten. Er wurde daraufhin nach dem [X.] PsychKG untergebracht. Im [X.] 1984 beschädigte er mehrere hundert Fahrzeuge mit einer ätzenden Flüssigkeit. Vom Vorwurf der Sachbeschädigung wurde er wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen. Die zugleich angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wurde im Hinblick auf das günstige Ergebnis der zwischenzeitlich erfolgten therapeutischen und medika-mentösen Behandlung zur Bewährung ausgesetzt, die Führungsaufsicht nach weiterhin positivem Verlauf der Bewährungszeit im [X.] 1989 beendet. 1990, 1992, 1995 und 2003 waren erneut jeweils kurzzeitige Aufenthalte in der [X.] notwendig. Von Ende Mai 2005 bis Anfang April 2006 befand sich der Beschuldigte nach einem erneuten Ausbruch der Psychose in geschlossener stationärer Unterbringung. Auch 2008 und 2009 musste der Beschuldigte we-gen einer depressiven suizidalen Krise jeweils stationär untergebracht werden.

Am 10.
Oktober 2010 erfuhr der Beschuldigte, das seine -
ebenfalls an einer Psychose leidende -
Ehefrau "ihr Wohnhaus" in Brand setzen wollte und deshalb von der Polizei aufgegriffen und in eine Nervenklinik eingewiesen [X.] war. Daraufhin fügte er sich in [X.] und den Handgelenken zu und entzündete an mehreren Stellen in dem "von ihm und seiner Ehefrau bewohnten Reihenmittelhaus" Einrichtungsgegenstände. Zwei Brandherde waren beim Erscheinen der Feuerwehr bereits erloschen, der dritte konnte von der Feuerwehr gelöscht werden. Wesentliche Gebäudeteile wurden von dem
Brand nicht in dem Sinne erfasst, dass sie selbständig ge-

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Der Beschuldigte verließ "sein Wohnhaus" und schlug mit einem Degen wahllos auf die in der Straße geparkten Fahrzeuge ein. Von alarmierten Poli-zeibeamten wurde der Beschuldigte aufgefordert, die [X.] fallen zu [X.]. Dem kam der Beschuldigte nicht nach, sondern lief -
den [X.] schwingend -
auf die Beamten zu. Erst nach Abgabe von zwei Warn-schüssen warf er die Waffe weg. Der Schaden an zumindest 20 teilweise er-heblich beschädigten

dem Beschuldigten bestellte Betreuer aus dem Verkauf "des Reihenhauses des Beschuldigten" finanziell ausgleichen können.

Das [X.] hat sachverständig beraten angenommen, dass die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten aufgrund einer chronischen paranoiden Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie bei den Taten jeweils [X.] war. Eine Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§
63 StGB) hat es abgelehnt, weil die hierfür erforderliche Wahr-scheinlichkeit höheren Grades, dass der Beschuldigte aufgrund seiner Erkran-kung zukünftig weitere vergleichbare Taten begehen werde und deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei, nicht festgestellt werden könne. Maßgebend [X.] sei zum einen, dass der Beschuldigte trotz seiner langjährigen chronischen Erkrankung seit dem Jahre 1985 über einen Zeitraum von 26 Jahren nicht mehr durch die Begehung rechtswidriger Taten auffällig geworden sei. Zum anderen sei er durch die Behandlung während der ca. zehnmonatigen vorläufigen Un-terbringung nach §
126a StPO durch die regelmäßige Einnahme von [X.] gut und stabil eingestellt; "unter Beibehaltung seines aktuellen [X.]" sei trotz seiner chronischen paranoiden Psychose eine Gefährlichkeit des Beschuldigten für die Allgemeinheit nicht belegt.

2. Das Urteil hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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a) Zutreffend geht das [X.] zwar davon aus, dass wegen der Schwere des mit einer Anordnung nach § 63 StGB verbundenen Eingriffs in die persönliche Freiheit und mit Rücksicht auf den Grundsatz der [X.] (§ 62 StGB) nur schwere Störungen des Rechtsfriedens, die zumindest in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen, eine Unterbringung in ei-nem psychiatrischen Krankenhaus rechtfertigen können (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 17.
August 1977 -
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StR 300/77, [X.]St 27, 246, 248; Urteil vom 15.
August 2007 -
2
StR 309/07, [X.], 210, 212). Auch muss aufgrund einer umfassenden Würdigung von Tat und Täter eine höhere oder doch [X.], jedenfalls über die bloße Möglichkeit hinausreichende Wahrscheinlich-keit zu bejahen sein, dass der Täter infolge seines Zustands weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird (vgl. [X.], Beschluss vom 24.
November
2004 -
1 [X.], [X.], 72, 73).

b) Das [X.] unterlässt indes zum einen die gebotene Gesamt-würdigung der Person des [X.], seines [X.] und der [X.]. Es nimmt bei der Gefährlichkeitsbeurteilung allein die [X.], den gegenwär-tigen, aufgrund der Einnahme von Psychopharmaka als stabil bezeichneten Zustand des Beschuldigten und den Umstand in den Blick, dass der Beschul-digte seit der gegen ihn im Jahr 1985 angeordneten Unterbringung nach § 63 StGB nicht mehr strafrechtlich
geahndet worden war. Dabei lässt es aber außer Betracht, dass es nach 2003 zunehmend zu "Belästigungen, Beschimpfungen und Bedrohungen der Nachbarn" durch den Beschuldigten und seine Ehefrau gekommen war, und dass ab dem [X.] "Auseinandersetzungen der [X.]

" wiederholt den Einsatz der Polizei erforderlich machten. Die [X.] zugrundeliegenden Geschehnisse hätten im Hinblick auf die Gefährlich-keitsprognose näher beleuchtet werden müssen. Darüber hinaus hat der Gene-ralbundesanwalt zutreffend darauf hingewiesen, dass das angefochtene Urteil 7
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eine nähere Auseinandersetzung mit der Frage vermissen lässt, ob nicht schon aus den hier zu beurteilenden [X.] in hinreichendem Maße auf die Ge-fährlichkeit des Beschuldigten geschlossen werden kann und insbesondere die Lebensumstände, die den Anstoß für diese Taten gaben -
eine akute psychi-sche Krise der ebenfalls an einer Psychose leidenden Ehefrau des Beschuldig-ten und deren Einweisung in stationäre psychiatrische Behandlung -
sich in ähnlicher
Weise wiederholen können.

c) Zum anderen lässt das [X.] außer [X.], dass die beiden Sachverständigen -
denen es sich angeschlossen hat -
übereinstimmend der Ansicht waren, dass sich das Krankheitsbild des Beschuldigten nicht ändern werde und eine daraus resultierende Gefährlichkeit nur dann verneint werden könne, wenn und solange der Beschuldigte sich in konsequenter Überwachung seines Tagesablaufs befindet und die Einnahme der notwendigen Medikamente beaufsichtigt und sichergestellt wird.

Für die Entscheidung, ob die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anzuordnen ist, ist es indes unerheblich, ob die von dem [X.] ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit durch eine konsequente medizinische Behandlung, für die ein Betreuer bestellt ist, abgewendet werden kann. Ein solches täterschonendes Mittel -
seine Wirksamkeit vorausgesetzt -
erlangt vielmehr Bedeutung erst für die Frage, ob die Vollstreckung der Unter-bringung gemäß § 67b StGB zur Bewährung auszusetzen ist. Nur auf diese Weise wird der von dem Beschuldigten ausgehenden Gefahr effektiv entgegen-gewirkt und die Allgemeinheit ausreichend geschützt. Durch die Möglichkeit, eine angeordnete, aber zur Bewährung ausgesetzte Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu widerrufen, wird Druck auf den gefährlichen Täter ausgeübt und eine wirksame Kontrolle darüber ermöglicht, ob die medizi-9
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nische Behandlung zur Gefahrenbeseitigung tatsächlich ausreicht ([X.], Urteil vom 23.
Februar 2000 -
3 StR 595/99, [X.]R StGB § 63 Gefährlichkeit 28; Ur-teil vom 20.
Februar 2008 -
5 [X.], [X.], 225 jeweils mwN).

3. Über die Unterbringung und deren Vollstreckung muss deshalb erneut entschieden werden.

Der neue Tatrichter wird dabei auch Gelegenheit haben, die rechtliche Einordnung der Brandstiftung durch den Beschuldigten näher zu prüfen. Die bisherigen Feststellungen deuten darauf hin, dass es sich bei dem Tatobjekt um ein Reihenmittelhaus gehandelt hat, das im Eigentum des Beschuldigten und/oder seiner Ehefrau stand und das er mit dieser zusammen ausschließlich bewohnte. Sollten der Beschuldigte durch die Brandlegung sowie seine Ehefrau durch ihren Plan einer Brandlegung die Wohnung entwidmet, das heißt ihre Nutzung als Wohnung aufgegeben haben (vgl. [X.], Beschluss, vom 22.
Juli 1992 -
3 [X.], [X.], 541; Urteil vom 15.
September 1998 -
1 [X.], [X.], 32, 34), wäre die Tat nicht mehr als versuchtes Verbrechen nach §
306a Abs.
1 Nr.
1 StGB zu beurteilen.

Sollte der Beschuldigte allein oder zusammen mit seiner Ehefrau Eigen-tümer des Hauses sein, dann stünde dies der Einordnung der Brandstiftung als versuchtes Verbrechen gemäß §
306 Abs.
1 Nr.
1 StGB entgegen. [X.] wird das Brandstiftungsgeschehen aber auch im Hinblick auf die angren-zenden Reihenhäuser strafrechtlich zu würdigen sein (vgl. [X.], Beschluss vom 22.
Mai 2001 -
3 [X.], [X.]R StGB § 306a Abs.
1 Nr.
1 Wohnung 2).

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4. Mit der Aufhebung des Urteils ist die sofortige Beschwerde der [X.] gegenstandslos, mit der sich diese gegen die unterbliebene Ent-scheidung über Entschädigungen wegen [X.] [X.] hat.

[X.] Pfister Ri[X.] [X.] befindet sich

im Urlaub und ist daher

gehindert zu unterschreiben.

[X.]

Ri[X.] [X.] befindet

sich im Urlaub und ist daher

gehindert zu unterschreiben.

[X.] Menges
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Meta

3 StR 99/12

31.05.2012

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 31.05.2012, Az. 3 StR 99/12 (REWIS RS 2012, 5929)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 5929

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