Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.08.2013, Az. 1 StR 449/13

1. Strafsenat | REWIS RS 2013, 3324

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1
StR 449/13

vom
21. August
2013
in der Strafsache
gegen

wegen Körperverletzung mit Todesfolge

-
2
-
Der 1.
Strafsenat des [X.] hat am 21.
August 2013 gemäß §
349 Abs.
2 und 4 StPO beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts [X.] (Allg.) vom 4.
April 2013 mit den [X.] aufgehoben, ausgenommen sind die Feststellungen zum Tatgeschehen;
insoweit wird die weitergehende Revision verwor-fen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des [X.].

Gründe:
I.
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit
Todesfolge zu
einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verur-teilt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Ange-klagten. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Urteils.
1.
Am 22.
Mai 2012 wollte der Geschädigte [X.]

, 176
cm groß
und ca. 72
kg schwer, der zu diesem Zeitpunkt bereits erheblich alkoholisiert 1
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-
war, gegen 19:00
Uhr

Sc.

in K.

besuchen. Er hatte
eine Flasche Wodka besorgt, welche er mit Sc.

zusammen trinken wollte.
Als dieser die Wohnungstüre nicht öffnete, begab sich der Geschädigte [X.] im selben Haus ein Stockwerk höher zur Wohnung des Angeklagten, den er einige Tage zuvor in der Wohnung des Sc.

kennengelernt hatte. Der Angeklagte,
180
cm groß und 80
kg schwer, ließ ihn ein und man trank zusammen Wodka mit Eistee, bis die Flasche leer war. Kurz vor 22:00
Uhr wollte der Angeklagte zu Bett gehen und bot dem erheblich betrunkenen Geschädigten [X.] an, er kön-ne auf seiner Couch übernachten. Als er ins Schlafzimmer gehen wollte, zog der Geschädigte [X.], der zu diesem Zeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von 2,76
Promille aufwies, den Angeklagten, der mit maximal 2,02
Promille eben-falls nicht unerheblich alkoholisiert war, kräftig und ruckartig auf die [X.]. Gleichzeitig sagte der Geschädigte [X.], der nicht damit einverstanden war, n-geklagte wiederholte, dass er jetzt müde sei und schlafen gehen möchte. Er stand erneut von der Couch auf, wurde jedoch wiederum vom Geschädigten [X.] zurückgezogen. Zudem versetzte der Geschädigte [X.] dem Angeklagten einen kräftigen Schlag mit der Faust gegen den Kopf oberhalb des linken Ohres. Als er dann noch [X.] auf den Gesichtsbereich des Angeklagten ein-schlagen wollte, konnte dieser dem Schlag reflexartig ausweichen. Obgleich der Angeklagte nun dem Geschädigten [X.] eindringlich sagte, dass er damit [X.] solle und dass jetzt Schluss sei, ließ dieser sich nicht beruhigen, war wei-terhin aggressiv
und wollte abermals mit den Fäusten auf den Angeklagten ein-schlagen. Diese Schlagversuche konnte der Angeklagte jedoch abwehren, wo-bei er den Geschädigten [X.] seinerseits mit der Faust und mit erheblicher Wucht im Gesicht traf. Obgleich er nun wiederholt äußerte, der Geschädigte [X.] solle aufhören, ließ sich dieser weder hiervon, noch von den eingesteckten Treffern abhalten. Er versuchte weiter, auf den Angeklagten einzuschlagen. Schließlich -
4
-
konnte der Angeklagte, welcher in jungen Jahren Judo und Karate als
Wett-kampfsport betrieben, allerdings seit langem nicht mehr aktiv trainiert hatte, bei dem Geschädigten [X.] einen Armhebel ansetzen und dessen rechte Hand rück-lings auf den Rücken drehen. Solchermaßen fixiert wollte er ihn aus der [X.] werfen, was aber nicht gelang, da der Geschädigte [X.] versuchte, sich aus dem [X.]. Der Angeklagte befürchtete nun, dass der Geschädigte [X.], wenn er sich befreien könnte, erneut auf ihn losgehen und auf ihn einschlagen werde. Um dies zu verhindern, nahm er den Geschädigten [X.] stehend mit seinem linken Arm in den Schwitzkasten bzw. [X.] und drückte zu. Als der Geschädigte [X.] nach einer nicht genau feststellba-ren Zeitspanne dadurch schwächer wurde, konnte der Angeklagte ihn immer noch im Schwitzkasten haltend zu Boden bringen. Um den Angriff zu beenden, hielt der Angeklagte den Geschädigten [X.] weiter über einen Zeitraum von [X.] einer Minute fest im Schwitzkasten, wobei er wusste, dass dies grund-sätzlich eine das Leben gefährdende Behandlung darstellt und es etwa durch ein Abdrücken beider Halsschlagadern zu einer tödlich verlaufenden Sauerstoff-unterversorgung des Gehirns kommen kann. Obwohl der Geschädigte [X.] sich nicht mehr wehrte, hielt ihn der Angeklagte weiter fest im Würgegriff, da er nicht sicher war, ob der Geschädigte [X.] lediglich simulierte. Noch während er den Geschädigten [X.] auf diese Weise hielt, rief der Angeklagte, der zu diesem Zeit-punkt leicht schwerfällig atmete, den Notruf der Polizei an, um deren Hilfe her-beizurufen. Nachdem er diesen Anruf nach einer
Minute und 19
Sekunden
beendet hatte, bemerkte der Angeklagte, dass der Geschädigte [X.] nicht mehr atmete. Er rief daraufhin zunächst einen Bekannten an, um mit ihm zu bespre-chen, was er nun tun solle. Entsprechend dem Rat des Bekannten rief er dann die Rettungsleitstelle an, um weitere Hilfe herbeizurufen. Zu diesem Zeitpunkt trafen bereits die herbeigerufene Polizei und kurze Zeit später der Notarzt ein. Der Notarzt konnte den Geschädigten [X.] nicht mehr reanimieren.
Dieser war -
5
-
aufgrund einer Sauerstoffunterversorgung des Gehirns infolge eines beidseiti-gen Abdrückens der Halsschlagader bereits tot.
2.
Die Strafkammer ist aufgrund dieser Feststellungen davon ausgegan-gen, dass der Angeklagte zunächst in Notwehr handelte, als er die Schläge des Geschädigten [X.] abwehrte, und es dabei auch noch von der Erforderlichkeit im Sinne von §
32 Abs.
2 StGB gedeckt war, den Angreifer von hinten in den [X.] bzw. Schwitzkasten zu nehmen und zu Boden zu bringen. Nach Auffas-sung
der Strafkammer sei jedoch aufgrund der konkreten Kampfsituation der fortdauernde Würgegriff am Boden nicht mehr erforderlich gewesen, um den Angriff zu beenden. Der Umstand, dass der Angeklagte befürchtete, der [X.] könne simulieren, könne ihn nicht
entlasten. Vielmehr habe der Angeklagte den am Boden liegenden Geschädigten [X.] nun lediglich in einen Haltegriff nehmen und am Boden fixieren können.
II.
Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben, weil die [X.] eine Verurteilung wegen vorsätzlicher
Körperverlet-zung mit Todesfolge nicht tragen. Denn das Schwurgericht hat sich nicht mit der Frage eines Erlaubnistatbestandsirrtums des Angeklagten auseinandergesetzt und diesbezüglich auch dessen Vorstellungsbild nicht umfassend geprüft.
1.
Zutreffend geht allerdings das [X.] davon aus, dass der Ange-klagte zunächst in Notwehr gehandelt hat, als er den Geschädigten
[X.]
in den "Schwitzkasten" genommen hat.
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-
6
-
a)
Eine in einer objektiven [X.] verübte Tat ist nach §
32 Abs.
2 StGB gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung stand (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 21.
März 1996 -
5
StR
432/95, [X.]St 42, 97, 100
mwN). Ob dies der Fall ist, muss auf der Grundlage einer objektiven ex-
ante-Betrachtung entschieden werden ([X.], Urteil vom 24.
Juni
1998
-
3
StR 186/98, [X.]R StGB §
32 Abs.
2 Erforderlichkeit
14).
Dabei kommt es auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung an ([X.], Urteil vom 28.
Februar 1989 -
1
StR
741/88, NJW 1989, 3027; Beschluss vom 5.
November 1982 -
3
StR
375/82, [X.], 117).
b)
Für den Angeklagten gab es in der Situation hier zum -
lediglich mit Körperverletzungswillen vorgenommenen
-
Anlegen des Würgegriffs (jedenfalls zunächst) keine mildere Handlungsalternative: Auf die mehrfache Aufforderung zu Beginn der auch vom Angeklagten gegenüber seinem gewaltbereiten Geg-ner mit bloßer Körperkraft ausgetragenen Auseinandersetzung, mit seinen An-griffen aufzuhören, ist dieser nämlich nicht eingegangen (vgl. hierzu
[X.], Urteil vom 11.
September 1995 -
4
StR
294/95,
NStZ 1996, 29).
c)
Die Notwehrsituation ist allerdings jedenfalls dann beendet gewesen, als der Geschädigte [X.] kampfunfähig zu Boden gebracht wurde. Die Rechtferti-gung des Würgegriffs entfiel objektiv, als der Geschädigte [X.] am Boden liegend schwächer wurde, ruhig war und sich nicht mehr wehrte.
2.
Demgegenüber begegnet die Annahme des [X.], dass die weitere Aufrechterhaltung des "Schwitzkastens" eine vorsätzliche Körperverlet-zung im Sinne der §§
223
ff. StGB darstellt,
durchgreifenden Bedenken. Es 6
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8
9
-
7
-
übersieht, dass die Frage des Vorliegens einer vorsätzlichen Körperverletzung nach dem subjektiven Vorstellungsbild des Angeklagten zu entscheiden ist. Hätte der Angeklagte nämlich nicht erkannt, dass die [X.] infolge der eingetretenen Kampfunfähigkeit des Geschädigten [X.] entfallen war, dann läge
ein Irrtum im Sinne des §
16 StGB vor. Denn die irrige Annahme eines rechtfer-tigenden Sachverhalts wäre wie ein den Vorsatz ausschließender Irrtum über Tatumstände nach
§
16 Abs.
1 Satz
1 StGB
zu bewerten (st. Rspr.; [X.], Urtei-le
vom 10.
März 1983 -
4
StR
375/82, [X.]St 31, 264, 286
f.; vom 10.
Februar 2000 -
4
StR
558/99, [X.]St 45, 378, 383
f.; und
vom 29.
Juni 1995
-
4
StR
760/94,
NStZ 1996, 34, 35), so dass der Vorwurf (vorsätzlicher) Körper-verletzung mit Todesfolge entfiele.
a)
Das [X.] hat nicht mit Tatsachen belegt, weshalb der Ange-klagte habe erkennen müssen, dass es ausreichte, den Geschädigten [X.] nur noch mit einem Haltegriff festzuhalten, als er mit dem Angeklagten auf dem [X.] lag. Dies hätte besonderer Erörterung auch daher bedurft, weil der Ge-schädigte [X.] sich bereits zuvor aus einem solchen Haltegriff zu befreien [X.] hatte
(UA [X.]
7). Die Ausführungen des Schwurgerichts beschränken sich auf die Feststellung, dass in der gesamten Wohnung keine erheblichen Kampf-spuren festgestellt wurden, was aber gerade deswegen wenig verwunderlich ist, weil sich das Geschehen letztlich im Wesentlichen nur dort zugetragen hat, wo die Kontrahenten zu Fall kamen.
b)
Die getroffenen Feststellungen, insbesondere der [X.] und die Äußerungen des Angeklagten beim ersten Notruf bei der Polizei, legen die Annahme nahe, dass der Angeklagte auch noch beim Fixieren des [X.]n [X.] im Schwitzkasten

auf dem Boden liegend davon ausging, dass seine Handlung erforderlich sei, um zu verhindern, dass der Geschädigte [X.] erneut 10
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auf ihn losgeht und ihn schlägt. Das Schwurgericht hat hierzu festgestellt, dass der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt nicht sicher war, ob der Geschädigte [X.]
lediglich simuliere.
Wenn der Angeklagte tatsächlich glaubte, dass der [X.] [X.] sich nur deswegen nicht mehr wehrte, um freizukommen und seine un-berechtigten Angriffe gegen den Angeklagten fortzusetzen, wäre der [X.] ausgegangen, auch wenn [X.] tatsächlich nicht mehr gegeben war.
c)
Soweit das [X.] ohne weitere Begründung davon ausgegan-

legt das nahe, dass es von unzutreffenden Anfor-derungen an eine Putativnotwehrlage ausgegangen ist.
Denn auf der Grundla-ge der Feststellungen, dass sich der Angeklagte -
nach dem rechtsfehlerfrei festgestellten vorausgegangenen provozierenden und aggressiven Verhalten des Geschädigten [X.]
-
beim Loslassen des Geschädigten [X.] einen erneut be-vorstehenden Angriff vorstellte, wäre er einem entsprechenden Irrtum unterle-gen.
Dieser Irrtum des Angeklagten könnte aber auf einer Außerachtlassung der gebotenen und ihm persönlich zuzumutenden Sorgfalt beruhen, so dass er wegen fahrlässiger Tötung zu bestrafen wäre (§
16 Abs.
1 Satz
2 StGB; vgl.
[X.], Urteile vom 10.
Februar 2000 -
4
StR
558/99,
[X.]St 45, 378, 384
f.; und vom 18.
September 1991 -
2
StR
288/91, [X.], 516, 517), wobei
in [X.]m Zusammenhang
insbesondere zu berücksichtigen wäre, dass ihm die Ge-fährlichkeit des Würgegriffs bekannt war.

12
13
-
9
-
3.
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum objektiven Tatge-schehen können aufrechterhalten bleiben (§
349 Abs.
2
StPO).
Raum
Wahl
Graf

Jäger

Rin[X.] Cirener befindet sich auf Dienstreise und ist an der Unterschrifts-leistung gehindert.
Raum

14

Meta

1 StR 449/13

21.08.2013

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.08.2013, Az. 1 StR 449/13 (REWIS RS 2013, 3324)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 3324

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