Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.09.2014, Az. 1 StR 387/14

1. Strafsenat | REWIS RS 2014, 2888

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1
[X.]

vom
17. September
2014

[X.]St:
ja
[X.]R:
ja
Nachschlagewerk:
ja
Veröffentlichung:
ja
_______________________

StGB §§ 235 Abs. 1 Nr. 1, 240 Abs. 1, 52 Abs. 1

1.
Entziehung Minderjähriger liegt auch dann vor, wenn ein sorgeberechtig-ter Elternteil zwangsweise für eine gewisse Dauer von seinem unter achtzehn-jährigen Kind entfernt wird.

2.
Entziehung Minderjähriger und Nötigung können in Tateinheit stehen.

[X.], Beschluss vom 17. September 2014 -
1 [X.] -
LG [X.]

in der Strafsache
gegen

wegen
Vergewaltigung u.a.

-
2
-
Der 1.
Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17.
September
2014
gemäß §
349 Abs.
2 und 4, §
354 Abs.
1 StPO
beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 18.
Februar 2014 im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte in den Fällen
D
11 und D
12
der Urteilsgründe der Vergewaltigung und der [X.] Minderjähriger in Tateinheit mit Nötigung schuldig ist.
2.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
3.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in vier Fäl-len, wegen schweren sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen, wegen gefährlicher Körperverletzung in fünf Fällen, wegen Körperverletzung, wegen Entziehung Minderjähriger und wegen Nötigung zu einer Gesamtfrei-heitsstrafe von acht Jahren verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getrof-fen. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
Sein Rechtsmittel hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel er-sichtlichen Erfolg (§
349 Abs.
4 StPO). Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des §
349 Abs.
2 StPO; dies gilt auch,
soweit der Angeklagte im Falle
D
12
der 1
2
-
3
-
Urteilsgründe neben der tatmehrheitlich begangenen Entziehung Minderjähriger auch wegen Vergewaltigung seiner Ehefrau verurteilt wurde.
Die im Falle
D
11 der Urteilsgründe begangene Nötigung und die im Fal-le D
12
der Urteilsgründe (tatmehrheitlich zur Vergewaltigung) begangene Ent-ziehung Minderjähriger stehen hier im Verhältnis der Tateinheit und nicht der Tatmehrheit,
wie das [X.] angenommen hat.
1.
Das [X.] hat insoweit folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte und seine Ehefrau haben zwei gemeinsame Kinder: die am 15.
Dezember 2004 geborene M.

und den am 14.
April 2006 gebore-
nen [X.].

. Nach jahrelangen Ehestreitigkeiten ließ der Angeklagte, der eine
neue Lebensgefährtin hat, im Januar 2012 beim Familiengericht in [X.]
eine Scheidungsschrift einreichen und beantragte die Übertragung der elter-lichen Sorge für die beiden gemeinsamen Kinder auf seine Ehefrau.
Er fasste dann den Entschluss, sich seiner Ehefrau "gänzlich zu entledi-gen"
(UA S.
35), indem er sie auf Dauer in die [X.] zu deren Familie zurück-schickte, während er die beiden Kinder bei sich in [X.] behalten wollte.
Anfang 2012 eröffnete er seiner Ehefrau, dass er sie in die [X.] ab-schieben werde, die beiden Kinder aber bei sich behalten wolle. Als seine Frau erklärte, sie werde das nicht tun, drohte der Angeklagte ihr mit dem Tode, wenn sie nicht in die [X.]
ginge. Die Geschädigte nahm die Drohung ernst und ließ sich vom Angeklagten gegen ihren Willen dazu zwingen, ein Flugzeug in die [X.] zu besteigen und ihre Kinder in [X.] zu lassen. Erst im Dezem-ber 2012 kehrte sie mit Hilfe Dritter nach [X.] zurück.
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4
5
6
7
-
4
-
2.
Die Verurteilung wegen Entziehung Minderjähriger (§
235 StGB) ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Der Angeklagte hat eine Person (hier sogar zwei) unter achtzehn Jahren durch Drohung mit einem empfindlichen Übel einem Elternteil entzogen

235 Abs.
1 Nr.
1 StGB).
Den Eltern "entzogen" ist der Minderjährige schon dann, wenn das Recht zur Erziehung, Beaufsichtigung und Aufenthaltsbestimmung durch räumliche Trennung für eine gewisse, nicht nur ganz vorübergehende Dauer so beein-trächtigt wird, dass es nicht ausgeübt werden kann (vgl.
[X.], Urteil vom 7.
März 1996 -
4
StR
35/96, [X.], 333, 334
mwN).
Eine Entziehung im Sinne dieser Vorschrift liegt nicht nur vor, wenn der Minderjährige unter den Voraussetzungen des §
235 Abs.
1
Nr.
1
StGB vom Elternteil entfernt wird, sondern auch, wenn der Elternteil unter diesen Vor-aussetzungen vom Minderjährigen entfernt und ferngehalten wird (vgl. hierzu auch [X.] in [X.]/[X.],
StGB,
29.
Aufl.,
§
235 Rn.
6; [X.]/[X.],
2.
Aufl.,
§
235 Rn.
38; [X.]/[X.],
8.
Aufl., §
235 Rn.
4; [X.]/Gribbohm,
11.
Aufl.,
§
235 Rn.
49 ff.). Denn das von §
235 StGB vorrangig geschützte Rechtsgut des Sorgerechts der für den jungen Men-schen verantwortlichen Personen und das daraus abgeleitete Obhuts-
und [X.] (vgl. hierzu [X.], Urteil vom 11.
Februar 1999
-
4
StR
594/98, [X.]St 44, 355, 357) sind
auch verletzt, wenn ein Elternteil selbst räumlich entfernt wird und seine Rechte
deshalb nicht wahrnehmen kann.
Dass der Angeklagte selbst ebenfalls sorgeberechtigt war (das Ergebnis seiner Anträge vor dem Familiengericht in [X.] ist den Urteilsgründen nicht 8
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11
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-
5
-
zu entnehmen; ohnehin hätte die Ehefrau dann das alleinige Sorgerecht für beide Kinder), steht der Anwendung des §
235 StGB nicht entgegen. Grund-sätzlich kann eine Kindesentziehung auch von einem Elternteil gegenüber dem anderen begangen werden, sofern jedem Elternteil das Personensorgerecht zumindest teilweise zusteht (vgl. u.a. [X.],
Urteil vom 11.
Februar 1999
-
4
StR
594/98, [X.]St 44, 355, 358). Die räumliche Trennung war im vorlie-genden Fall auch nicht von nur ganz vorübergehender Dauer.
Die Staatsanwaltschaft hat das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht (§
235 Abs.
7 StGB; UA S.
39).
3.
Auch die Verurteilung wegen Nötigung (§
240 StGB) weist keinen Rechtsfehler auf. Der Angeklagte hat durch Todesdrohung erzwungen, dass seine Ehefrau in die [X.] flog und längere [X.] nicht zurückkehrte.
4.
Die Annahme von Tatmehrheit durch den Tatrichter zwischen [X.] Minderjähriger und Nötigung begegnet jedoch rechtlichen Bedenken. Die Nötigung
gemäß §
240 StGB ist die Drohung mit einem empfindlichen Übel im Rahmen des §
235 Abs.
1 Nr.
1 StGB. Es liegt Handlungseinheit im Sinne von §
52
Abs.
1 StGB vor, da eine Teilidentität der Ausführungshandlungen gege-ben ist; denn sie werden durch eine einzige (fortwirkende) Nötigungshandlung begangen. Auch wenn die Todesdrohung einige Tage vor dem Abflug ausge-sprochen worden war, wirkte sie dahingehend fort, dass die Geschädigte das Flugzeug bestieg und längere [X.] in der [X.] verblieb.
5.
Im vorliegenden Fall tritt die Nötigung auch nicht hinter der Entziehung Minderjähriger zurück, sondern steht in Tateinheit. [X.] sich der [X.] in der Kindesentziehung, so tritt allerdings nach verbreiteter [X.] §
240 StGB hinter §
235 StGB zurück (vgl. u.a. [X.]/Gribbohm,
§
235 13
14
15
16
-
6
-
Rn.
135; [X.]/[X.], §
235 Rn.
105; SSW-StGB/Schluckebier,
2.
Aufl., §
235 Rn.
18; [X.]/[X.], §
235 Rn.
21; grds. für [X.],
StGB,
8.
Aufl.,
§
235 Rn.
10).
Hier geht der Nötigungserfolg aber über die Kindesentziehung hinaus, da der Angeklagte insbesondere auch das Ziel verfolgte, sich seiner Ehefrau durch deren zwangsweise Entfernung "gänzlich zu entledigen". Er wollte also insoweit nicht nur eine räumliche Trennung von gewisser Dauer, die bei §
235 StGB un-ter Umständen
einige Stunden betragen kann (vgl. u.a. [X.]St 10, 376
ff.). [X.] wenn der angestrebte Nötigungserfolg über die Tatbestandserfüllung der Kindesentziehung hinausreicht, ist von
Tateinheit auszugehen (vgl. [X.]/[X.],
aaO; SSW-StGB/Schluckebier,
aaO; [X.]/[X.],
aaO; [X.]/Gribbohm,
aaO; für grundsätzliche Tateinheit Fischer,
StGB,
61.
Aufl.,
§
235 Rn.
22; [X.], aaO, §
235 Rn.
26).
6.
Die unzutreffende Beurteilung des [X.] der vom Angeklagten in den Fällen
D
11 und D
12
der Urteilsgründe begangenen Taten hat die Änderung des Schuldspruchs durch den Senat zur
Folge. §
265 StPO steht nicht entgegen. Der Senat schließt aus, dass der Angeklagte sich nach einem entsprechenden Hinweis anders, insbesondere erfolgreicher
als gesche-hen,
hätte verteidigen können. Infolge der Änderung des Schuldspruchs entfällt die vom [X.] wegen Nötigung verhängte [X.] von sechs Mona-ten Freiheitsstrafe, es verbleibt insoweit die [X.] von einem Jahr Frei-heitsstrafe wegen Entziehung Minderjähriger.
Die Gesamtstrafe bleibt von der Änderung des Schuldspruchs und dem Entfallen der [X.] von sechs Monaten unberührt.

17
18
19
-
7
-
Angesichts der Einsatzstrafe von vier Jahren und sechs Monaten und der verbleibenden weiteren [X.] von drei Jahren neun Mona-ten, drei Jahren drei Monaten, zwei Jahren neun Monaten, zwei Jahren sechs Monaten, dreimal einem Jahr,
neun Monaten, acht Monaten und sechs Mona-ten kann sicher ausgeschlossen werden, dass das [X.] auf eine gerin-gere Gesamtstrafe erkannt hätte. Am Unrechtsgehalt des Geschehens hat sich durch die geänderte Würdigung des [X.] nichts geändert.
Der nur geringfügige Erfolg der Revision macht es nicht unbillig, den [X.] mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§
473 Abs.
1 und 4 StPO).
Raum
Rothfuß
Jäger

Mosbacher
Fischer
20
21

Meta

1 StR 387/14

17.09.2014

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.09.2014, Az. 1 StR 387/14 (REWIS RS 2014, 2888)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 2888

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