Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 22.09.2016, Az. 4 C 2/16

4. Senat | REWIS RS 2016, 5088

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Gegenstand

Zulässigkeit einer Windenergieanlage bei nur möglicher Störung einer Wetterradaranlage


Leitsatz

1. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 BauGB entfaltet Drittschutz zugunsten der Betreiber von Radaranlagen.

2. Eine rechtserhebliche Störung der Funktionsfähigkeit einer Radaranlage im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 BauGB setzt voraus, dass ihre technische Funktion in einem Maß beeinträchtigt wird, das sich auf die Aufgabenerfüllung des Betreibers auswirkt.

3. Ob eine Windenergieanlage die Funktionsfähigkeit einer Wetterradaranlage des Deutschen Wetterdienstes (DWD) im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 BauGB stört und ob diese Störung so gewichtig ist, dass sie der nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB im Außenbereich privilegiert zulässigen Windenergieanlage entgegensteht, unterliegt der uneingeschränkten gerichtlichen Überprüfung. Ein Beurteilungsspielraum kommt dem DWD insoweit nicht zu.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen immissionsschutzrechtliche Genehmigungen des Beklagten für die [X.]rrichtung und den Betrieb von drei Windenergieanlagen der Beigeladenen in den Gemeinden M. und [X.]..

2

Die Windenergieanlagen sollen in zielförmig festgelegten Vorranggebieten für Windenergie des Regionalen [X.] (RROP) der Planungsgemeinschaft der Region T. errichtet werden. Zwischen ca. 10,4 km und ca. 11,0 km östlich der Standorte der geplanten Windenergieanlagen betreibt der [X.] ([X.]), eine teilrechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts der Klägerin, die im Jahr 1998 errichtete [X.]..

3

[X.] erteilte der Beklagte der Beigeladenen zu 2 eine Genehmigung für eine Windenergieanlage mit einer Nabenhöhe von 135,40 m und einem Rotordurchmesser von 101 m. Im Jahre 2012 beantragte die Beigeladene zu 2 eine Genehmigung für die Änderung der Nabenhöhe auf 149 m. Diesem Antrag trat der [X.] entgegen: Der Windenergieanlage könne nur bei [X.]inhaltung von Höhenbeschränkungen zugestimmt werden. Unter Zurückweisung dieser [X.]inwendung erteilte der Beklagte auch die beantragte Änderungsgenehmigung.

4

Die Beigeladene zu 1 beantragte im Jahr 2011 eine Genehmigung für zwei Windenergieanlagen mit einer Nabenhöhe von jeweils 138,38 m sowie einem Rotordurchmesser von 82 m. Auch diese beiden Anlagen genehmigte der Beklagte unter Zurückweisung der [X.]inwendungen des [X.].

5

Die Widersprüche der Klägerin gegen die Genehmigungsbescheide blieben erfolglos.

6

Im Klageverfahren hat das Verwaltungsgericht ein Sachverständigengutachten eingeholt zu der Frage, ob die [X.] des [X.] durch die geplanten Windenergieanlagen gestört werde und ob diese Störwirkung nach dem derzeitigen Stand der Technik durch geeignete Maßnahmen ausgeschlossen werden könne. Auf dieser Grundlage hat es die Klagen als unbegründet abgewiesen.

7

Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Diese sei als Rechtsträgerin des [X.] zur klageweisen Geltendmachung einer Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Wetterradarstation befugt. Die Klage sei aber unbegründet. [X.]in [X.]ntgegenstehen des öffentlichen Belangs des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 BauGB scheide zwar nicht bereits nach § 35 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BauGB aus; denn es könne nicht festgestellt werden, dass die Frage einer Störung der Funktionsfähigkeit der [X.] des [X.] durch Windenergieanlagen im Verfahren zur Aufstellung der Teilfortschreibung des RROP umfassend abgewogen worden sei. Der Betrieb der Windenergieanlagen führe auch zu einer - allerdings nicht besonders gewichtigen - Störung im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 BauGB. Gestützt auf die Aussagen des gerichtlich bestellten Sachverständigen hat das Oberverwaltungsgericht aber die Überzeugung gewonnen, dass damit kein "[X.]ntgegenstehen" dieses öffentlichen Belangs verbunden sei. [X.]in gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum komme dem [X.] insoweit nicht zu, und zwar weder in Bezug auf das Vorliegen einer Störung der Funktionsfähigkeit der [X.] noch in Bezug auf die Frage des [X.]ntgegenstehens einer solchen Störung. Der Betrieb der Windenergieanlagen werde nicht zu Abschattungseffekten führen, denen im Hinblick auf die Aufgabenerfüllung des [X.] ein nennenswertes Gewicht zukommen könne. Auch sei nicht zu erkennen, dass es zu [X.] in einem Ausmaß kommen werde, das geeignet wäre, die Qualität der aus den erhobenen Daten generierten Warnprodukte nennenswert negativ zu beeinflussen.

8

Die Klägerin macht mit der vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision eine fehlerhafte Auslegung von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 i.V.m. § 35 Abs. 1 BauGB sowie einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung, Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 GG i.V.m. § 4 [X.]-Gesetz, geltend, weil das Oberverwaltungsgericht unberücksichtigt gelassen habe, dass dem [X.] bei der Beurteilung der Auswirkungen der festgestellten Störung ein Beurteilungsspielraum bzw. ein Letztentscheidungsrecht zustehen müsse.

9

Der Beklagte und die Beigeladenen verteidigen das angegriffene Urteil.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet. Im Einklang mit Bundesrecht ist das Oberverwaltungsgericht mit der Folge der Zurückweisung der Berufung davon ausgegangen, dass die Klage zulässig, aber unbegründet ist.

1. Die Klage ist zulässig.

Die Klagebefugnis der Klägerin, die als Sachurteilsvoraussetzung auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfen ist ([X.], Urteile vom 11. September 2014 - 4 [X.]N 3.14 - [X.] 406.12 § 10 [X.] Nr. 5 Rn. 10 und vom 5. Mai 2015 - 9 [X.] 12.14 - [X.] 424.02 § 57 LwAnpG [X.] Rn. 12), ergibt sich aus § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 [X.]. Der in der Vorschrift normierte öffentliche Belang - die Funktionsfähigkeit von Radaranlagen - dient nicht ausschließlich den Interessen der Allgemeinheit, sondern auch dem Schutz individueller Rechte (vgl. [X.], Urteil vom 21. April 2009 - 4 [X.] 3.08 - [X.]E 133, 347 Rn. 22 ). Die Norm entfaltet Drittschutz zugunsten der Betreiber von Radaranlagen, die sie als bestimmten und abgrenzbaren Kreis von Begünstigten erkennen lässt.

Auch das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage liegt vor. Denn mit behördlichen Mitteln hätte der Streit über die vom Beklagten genehmigten Windenergieanlagen nicht beigelegt werden können (vgl. [X.], Urteil vom 28. März 1996 - 7 [X.] 35.95 - [X.]E 101, 47 <50>). Die von der Beigeladenen zu 2 in der mündlichen Verhandlung angeführte Möglichkeit des Erlasses technischer Normen oder normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften, etwa über einzuhaltende Mindestabstände zwischen [X.]n und Windenergieanlagen, ist bereits mit Blick auf den maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage kein gangbarer Weg zur Beilegung des Rechtsstreits.

2. Die Annahme des [X.], dass die Klage unbegründet ist, hält einer revisionsgerichtlichen Prüfung stand. Nach seinen tatrichterlichen Feststellungen steht dem im Außenbereich nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 [X.] privilegierten Vorhaben der Beigeladenen der öffentliche Belang des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 [X.] nicht entgegen.

a) § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 [X.] ist auf [X.]n anwendbar. Der Begriff der "Radaranlagen" ist allgemein gehalten. Weder dem historischen Gesetzgeberwillen noch der Systematik des Gesetzes lassen sich Anhaltspunkte dafür entnehmen, den Begriff auf Radaranlagen mit militärischen oder sonstigen spezifischen Zweckbestimmungen einzuschränken (wohl a.[X.], in: [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], Stand August 2016, § 35 Rn. 110a).

b) Das Oberverwaltungsgericht hat das Vorliegen einer Störung im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 [X.] bejaht. Entgegen der Kritik der Klägerin liegt dieser Entscheidung ein zutreffendes Begriffsverständnis zugrunde.

Das Oberverwaltungsgericht hat eine rechtserhebliche Störung der Funktionsfähigkeit im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 [X.] angenommen, wenn die Erzielung der (im Hinblick auf die Aufgabenstellung des [X.]) erwünschten Ergebnisse verhindert, verschlechtert, verzögert oder spürbar erschwert wird (ebenso [X.], Urteil vom 18. September 2015 - 22 [X.] - BauR 2016, 243 [X.] und [X.] f.). [X.] ist hiergegen nichts zu erinnern. Namentlich führt nicht bereits jede Beeinflussung der erhobenen Basisdaten zu einer Störung.

Für die in § 18a Abs. 1 [X.] tatbestandlich vorausgesetzte Störung von [X.] hat der Senat ([X.], Urteil vom 7. April 2016 - 4 [X.] 1.15 - NVwZ 2016, 1247 Rn. 13) entschieden, dass nicht jede beliebige Beeinflussung der Einrichtung als Störung zu qualifizieren ist. Eine Störung tritt erst ein, wenn die Beeinflussungen eine bestimmte Schwelle überschreiten und dadurch die Funktion der Anlage beeinträchtigen. Die Funktionsbeeinträchtigung ist mit Blick auf die Aufgabenstellung der Flugsicherung in § 27c Abs. 1 [X.] zu bestimmen. Eine Störung ist danach gegeben, wenn die Funktion [X.] in einem Maß beeinträchtigt wird, das sich auf die Aufgabenerfüllung auswirkt.

Diese Überlegungen lassen sich auf § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 [X.] übertragen. Das legt bereits der Wortlaut der Vorschrift nahe, der eine Störung der "Funktionsfähigkeit der Radaranlage" voraussetzt. Der Funktionsbegriff wäre zu eng gefasst, wollte man darunter lediglich die technische Funktion der Anlage - die Erfassung von [X.] - und nicht auch die Funktion der Anlage für die Erledigung der Aufgaben des jeweiligen Betreibers verstehen. Dies bestätigt die Systematik des Gesetzes. Durch § 35 Abs. 3 [X.] soll die Außenbereichsverträglichkeit von Vorhaben am jeweiligen Standort sichergestellt werden. Unter den Begriff der "öffentlichen Belange" fallen deshalb alle Gesichtspunkte, die für das Bauen im Außenbereich rechtserheblich sein können (siehe etwa [X.]/[X.], in: [X.]/[X.]/[X.], [X.], 13. Aufl. 2016, § 35 Rn. 72). [X.] sind aber nur die hinter den in § 35 Abs. 3 Satz 1 [X.] beispielhaft aufgeführten Belangen stehenden öffentlichen Zwecke.

Aus der von der Klägerin auch in diesem Zusammenhang angeführten Begründung des [X.] ([X.]. 15/2250 [X.]) ergibt sich nichts Gegenteiliges.

c) Zu Recht ist das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen, dass das Vorliegen einer Störung der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum steht dem [X.] insoweit nicht zu.

aa) Die Voraussetzungen, unter denen Beurteilungsspielräume oder Letztentscheidungsbefugnisse der Verwaltung ausnahmsweise anzuerkennen sind, sind in der Rechtsprechung geklärt.

Das auf effektiven Rechtsschutz gerichtete Verfahrensgrundrecht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verpflichtet die Gerichte, die Verwaltungstätigkeit in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht grundsätzlich vollständig nachzuprüfen. Das schließt eine Bindung der rechtsprechenden Gewalt an tatsächliche oder rechtliche Feststellungen und Wertungen seitens anderer Gewalten hinsichtlich dessen, was im Einzelfall rechtens ist, im Grundsatz aus ([X.], Beschlüsse vom 17. April 1991 - 1 BvR 419/81 und 213/83 - [X.]E 84, 34 <49> und vom 31. Mai 2011 - 1 BvR 857/07 - [X.]E 129, 1 <20>). Das gilt auch im Anwendungsbereich unbestimmter Gesetzestatbestände und Rechtsbegriffe. Beruht die angefochtene Entscheidung hierauf, so ist deren Konkretisierung grundsätzlich ebenfalls Sache der Gerichte, die die Rechtsanwendung der Verwaltungsbehörden uneingeschränkt nachzuprüfen haben; die Regeln über die eingeschränkte Kontrolle des Verwaltungsermessens gelten nicht für die Auslegung und Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe ([X.], Beschluss vom 31. Mai 2011 - 1 BvR 857/07 - a.a.[X.] f. m.w.N.).

Das Gebot effektiven Rechtsschutzes schließt es indes nicht aus, dass gesetzlich eröffnete Gestaltungs-, Ermessens- und Beurteilungsspielräume sowie die [X.] von [X.] die [X.] durch die Gerichte einschränken. Gerichtliche Kontrolle endet dort, wo das materielle Recht in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise das Entscheidungsverhalten nicht vollständig determiniert und der Verwaltung einen Einschätzungs- und Auswahlspielraum belässt. Ob dies der Fall ist, muss sich ausdrücklich aus dem Gesetz ergeben oder durch Auslegung hinreichend deutlich zu ermitteln sein. Demgegenüber kann es weder der Verwaltung noch den Gerichten überlassen werden, ohne gesetzliche Grundlage durch die Annahme behördlicher Letztentscheidungsrechte die Grenzen zwischen Gesetzesbindung und grundsätzlich umfassender [X.] der Verwaltung zu verschieben ([X.], Beschluss vom 31. Mai 2011 - 1 BvR 857/07 - a.a.[X.]). [X.] hat das [X.] die Frage, ob gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbare Entscheidungsspielräume der Verwaltung ausnahmsweise auch ohne gesetzliche Grundlage von Verfassungs wegen dann zulässig sind, wenn eine weitergehende gerichtliche Kontrolle zweifelsfrei an die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung stieße.

bb) Gemessen hieran steht dem [X.] im Rahmen der Anwendung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 i.V.m. § 35 Abs. 1 [X.] ein Beurteilungsspielraum oder eine fachliche Letztentscheidungsbefugnis nicht zu.

(1) Dem Gesetz lässt sich ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum des [X.] nicht entnehmen.

Die Annahme eines gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren [X.] liegt schon deshalb fern, weil nicht der [X.], sondern die jeweilige Genehmigungsbehörde über die planungsrechtliche Zulässigkeit eines [X.] entscheidet. Dem [X.] steht insoweit - anders als dem [X.] nach § 18a Abs. 1 Satz 2 [X.] - weder eine Entscheidungsbefugnis zu noch hat die Stellungnahme des [X.] im behördlichen Genehmigungsverfahren einen gesetzlich geregelten verfahrensrechtlichen Stellenwert, wie ihn § 18a Abs. 1 Satz 2 [X.] der gutachtlichen Stellungnahme der Flugsicherungsorganisation zuerkennt (vgl. dazu [X.], Urteil vom 7. April 2016 - 4 [X.] 1.15 - NVwZ 2016, 1247 Rn. 24).

Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Gesetz über den [X.] ([X.]-Gesetz) vom 10. September 1998 ([X.] [X.]). Ein Beurteilungsspielraum des [X.] lässt sich den Aufgabenzuweisungen in § 4 [X.]-Gesetz oder den Befugnissen des [X.] nach § 5 [X.]-Gesetz weder ausdrücklich noch im Wege der Auslegung entnehmen. Ein dahingehender gesetzgeberischer Wille erscheint auch unter chronologischen Gesichtspunkten ausgeschlossen. Denn das Gesetz über den [X.] trat bereits am 1. Januar 1999 in [X.], wohingegen der öffentliche Belang des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 [X.] erst mit dem Gesetz zur Anpassung des Baugesetzbuchs an EU-Richtlinien (Europarechtsanpassungsgesetz Bau - [X.] Bau) vom 24. Juni 2004 ([X.] I S. 1359) in das Baugesetzbuch aufgenommen wurde. Bei Erlass des [X.]-Gesetzes hatte der Gesetzgeber mithin keine Veranlassung, sich über einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum des [X.] bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 [X.] Gedanken zu machen.

An dieser Situation hat sich durch das [X.] Bau nichts geändert. Nach der Begründung des [X.] zum [X.] Bau sollte zwar mit der Erweiterung des Katalogs der öffentlichen Belange in § 35 Abs. 3 Satz 1 [X.] "verdeutlicht" werden, dass "namentlich die Errichtung von Windenergieanlagen im Außenbereich nur zulässig ist, wenn das Vorhaben die Funktionsfähigkeit von Telekommunikations- und Radaranlagen nicht stört" ([X.]. 15/2250 [X.]). Der Gesetzgeber hat aber den öffentlichen Belang der Funktionsfähigkeit von Radaranlagen dem Entscheidungssystem der "nachvollziehenden Abwägung" und damit den durch die Rechtsprechung entwickelten Maßstäben unterstellt, die von der Genehmigungsbehörde grundsätzlich eine auf den Einzelfall ausgerichtete Gewichtsbestimmung verlangen, die gerichtlich uneingeschränkt überprüfbar ist ([X.], Urteil vom 19. Juli 2001 - 4 [X.] 4.00 - [X.]E 115, 17 <24>).

(2) Ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Einschätzungsspielraum des [X.] rechtfertigt sich auch nicht aus den Funktionsgrenzen gerichtlicher Kontrolle.

(a) Auf die Fallgruppe der Risikoermittlung und -bewertung kann sich die Klägerin insoweit nicht mit Erfolg berufen.

Der Normstruktur des Atomgesetzes hat das [X.] entnommen ([X.], Urteil vom 19. Dezember 1985 - 7 [X.] 65.82 - [X.]E 72, 300 <315 f.>), dass die Exekutive die Verantwortung für die Risikoermittlung und -bewertung trägt und dass es nicht Sache der nachträglichen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle sein kann, die der Exekutive zugewiesene Wertung wissenschaftlicher Streitfragen einschließlich der daraus folgenden Risikoabschätzung durch eigene Bewertungen zu ersetzen. Im Rahmen des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 [X.] relevant ist indes allein die Beurteilung, welche Daten für die Aufgabenerledigung des [X.] erforderlich sind und in welchem Maße und in welcher Weise windenergieanlagenbedingte technische Datenverluste oder -verfälschungen sich auf die Erfüllung dieser Aufgaben auswirken. Die Fragen lassen sich auf der Grundlage von Erfahrungswissen beurteilen, das mittelbar und einer fachwissenschaftlichen Überprüfung zugänglich ist. Mit Prognoseunsicherheiten oder Risikoermittlung hat dies wenig zu tun. Zu Recht hat sich das Oberverwaltungsgericht deshalb auf den Standpunkt gestellt, dass die besondere fachliche Expertise der Mitarbeiter des [X.] deren Aussagen im Rahmen der richterlichen Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nur in tatsächlicher Hinsicht ein besonderes Gewicht verleiht, diese nicht aber in rechtlicher Hinsicht binden.

Der Vorwurf der Klägerin, das Oberverwaltungsgericht habe dem besonderen Gewicht der fachlichen Aussagen des [X.] im Rahmen der Sachverhaltsermittlung und -bewertung keinerlei Bedeutung beigemessen, ist unberechtigt. Dass sich die Klägerin mit ihrer Auffassung nicht durchsetzen konnte, ist eine tatrichterliche Würdigung, die der revisionsgerichtlichen Kontrolle nach § 137 Abs. 2 VwGO entzogen ist.

(b) Funktionsgrenzen gerichtlicher Kontrolle spielen auch in Anlehnung an die Rechtsfigur der naturschutzfachlichen [X.] keine Rolle.

Grund für die Zuerkennung einer [X.] ist der Umstand, dass es im Bereich des Naturschutzes regelmäßig um fachliche Bewertungen und Einschätzungen geht, für die normkonkretisierende Maßstäbe fehlen. Die Rechtsanwendung ist daher auf die Erkenntnisse der Fachwissenschaft und -praxis angewiesen, die sich aber nicht (immer) als eindeutige Erkenntnisgeber erweisen ([X.], Urteil vom 27. Juni 2013 - 4 [X.] 1.12 - [X.]E 147, 118 Rn. 15). In dieser Situation wären die Funktionsgrenzen der Verwaltungsgerichtsbarkeit überschritten, wollte man ihr abverlangen, zwischen vertretbaren fachwissenschaftlichen Positionen zu entscheiden. Es ist weder Aufgabe der Verwaltungsgerichte, wissenschaftliche Streitfragen zu entscheiden, noch, eine solche Entscheidung durch die Erteilung von Forschungsaufträgen zu ermöglichen oder zu fördern ([X.], Urteil vom 7. April 2016 - 4 [X.] 1.15 - NVwZ 2016, 1247 Rn. 24).

Von einer Situation wissenschaftlicher Unsicherheit ist das Oberverwaltungsgericht nicht ausgegangen. Eine ungesicherte fachwissenschaftliche Erkenntnislage hat es weder hinsichtlich der windenergieanlagenbedingten technischen Beeinflussung der [X.] noch hinsichtlich der maßgeblichen Abläufe bei der Erstellung der Warnprodukte des [X.] angenommen. Mit Verfahrensrügen sind diese tatrichterlichen Feststellungen nicht angegriffen; der Senat hat sie deshalb seiner Entscheidung als bindend zugrunde zu legen (§ 137 Abs. 2 VwGO).

d) [X.] unbedenklich ist schließlich die Auffassung des [X.], dass mit der vorhabenbedingten Störung der Funktionsfähigkeit der [X.] kein "Entgegenstehen" des öffentlichen Belangs nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 [X.] verbunden ist. Aus den vorgenannten Gründen steht dem [X.] auch insoweit kein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu.

Um feststellen zu können, ob der in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 [X.] genannte öffentliche Belang einem privilegierten Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 1 [X.] "entgegensteht", bedarf es nach ständiger Rechtsprechung des Senats grundsätzlich einer die gesetzlichen Vorgaben und Wertungen konkretisierenden "nachvollziehenden Abwägung" (grundlegend [X.], Urteil vom 25. Oktober 1967 - 4 [X.] 86.66 - [X.]E 28, 148 <151>; zu Ausnahmen vom Grundsatz [X.], Urteil vom 27. Juni 2013 - 4 [X.] 1.12 - [X.]E 147, 118 Rn. 5; zum Begriff [X.], Urteil vom 19. Juli 2001 - 4 [X.] 4.00 - [X.]E 115, 17 <24 f.>). Damit ist ein gerichtlich uneingeschränkt überprüfbarer Vorgang der Rechtsanwendung gemeint, der eine auf den Einzelfall ausgerichtete Gewichtsbestimmung verlangt: Ob sich die öffentlichen Belange im Einzelfall durchsetzen, ist eine Frage ihres jeweiligen Gewichts und der Abwägung mit dem Vorhaben, zu dem es konkret in Beziehung zu setzen ist. Dabei ist dem gesteigerten Durchsetzungsvermögen privilegierter Außenbereichsvorhaben gebührend Rechnung zu tragen.

In dieser Weise ist das Oberverwaltungsgericht vorgegangen. Die dagegen erhobenen [X.] der Klägerin bleiben erfolglos.

aa) Die Klägerin meint, das Oberverwaltungsgericht habe das besondere Gewicht der dem [X.] gesetzlich zugewiesenen Aufgaben verkannt und deshalb missachtet, dass bereits eine mit Fehlwarnungen verbundene abstrakte Gefährdung für ein Entgegenstehen ausreiche. Diese Sichtweise geht fehl.

Ihr liegt ein Normverständnis zugrunde, das der Senat ([X.], Urteil vom 7. April 2016 - 4 [X.] 1.15 - NVwZ 2016, 1247 Rn. 23) in Bezug auf § 18a Abs. 1 [X.] als zutreffend erachtet hat. Die Vorschrift lässt es für ein Bauverbot ausreichen, dass [X.] [X.] "gestört werden können". Sie verlangt bereits nach dem Wortlaut nicht die Gewissheit einer Störung; vielmehr reicht deren Möglichkeit. Eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit von Radaranlagen im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 [X.] führt dagegen weder ipso iure zu einem Bauverbot noch reicht eine - wie die Klägerin meint - abstrakte Gefährdung oder die bloße Möglichkeit einer Störung für die Unzulässigkeit des Vorhabens aus. Auch die im Gefahrenabwehrrecht gebräuchliche "Je-desto-Formel", die die Klägerin für einschlägig hält, führt nicht weiter. Für die Rechtsfolge des "Entgegenstehens" kommt es vielmehr darauf an, in welchem Maße die Aufgabenerfüllung des Trägers der Radaranlage konkret beeinträchtigt wird, mithin also auf das konkrete Gewicht des tatsächlich beeinträchtigten öffentlichen Belangs.

bb) Die nachvollziehende Abwägung des [X.] ist auch nicht deshalb fehlerhaft, weil - wie die Klägerin meint - zugunsten der vom [X.] vertretenen öffentlichen Belange hätte berücksichtigt werden müssen, dass der [X.] bei der Standortwahl in einem weit höheren Maße eingeschränkt sei als die Beigeladenen hinsichtlich der Realisierung neuer Windenergieanlagen.

Dieser Einschätzung ist das Oberverwaltungsgericht mit nachvollziehbaren Gründen entgegengetreten. Es hat ihr entgegengehalten, im Rahmen der nachvollziehenden Abwägung könne nicht unberücksichtigt bleiben, dass alle drei Windenergieanlagen in regionalplanerisch festgelegten Vorranggebieten für die Windenergie verwirklicht werden sollen, die für Windenergie gut geeignet seien, und dass wegen der [X.] der [X.] nur eingeschränkte Ausweichmöglichkeiten für die Vorhabenträger existierten.

Dem Oberverwaltungsgericht ging es bei der Bezugnahme auf das regionalplanerische Vorranggebiet mit der [X.] des § 35 Abs. 3 Satz 3 [X.] erkennbar allein darum, gegen die von der Klägerin behauptete [X.] der [X.] auch Gründe für die [X.] der Windenergieanlagen anzuführen. Eine von der Klägerin beanstandete unzulässige "Kompensation" öffentlicher Belange lag ersichtlich nicht in seiner Absicht.

cc) [X.] ist schließlich die Kritik der Klägerin, das Oberverwaltungsgericht habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass die [X.] des [X.] schon vorhanden sei, während die Beigeladenen ihre Windenergieanlagen erst errichten wollten. Diesen Umstand hat das Oberverwaltungsgericht vielmehr ausdrücklich in seine Erwägungen eingestellt.

dd) Zu Recht hat das Oberverwaltungsgericht maßgeblich auf das Gewicht der konkreten Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit der [X.] durch den Betrieb der genehmigten Windenergieanlagen abgestellt. Dabei ist es auf der Grundlage der Äußerungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen zu der Überzeugung gelangt, dass keine hinreichend gewichtige Beeinträchtigung der Aufgabenwahrnehmung des [X.] und damit keine überwiegende Betroffenheit des von der Klägerin geltend gemachten öffentlichen Belangs aus § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 [X.] zu besorgen seien.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.

Meta

4 C 2/16

22.09.2016

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, 13. Januar 2016, Az: 8 A 10535/15, Urteil

§ 35 Abs 3 S 1 Nr 8 BauGB, § 35 Abs 1 Nr 5 BauGB, § 4 DWDG, § 5 DWDG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 22.09.2016, Az. 4 C 2/16 (REWIS RS 2016, 5088)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 5088

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Wird zitiert von

20 BV 17.1507

Zitiert

1 BvR 857/07

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