Bundesfinanzhof, Urteil vom 26.02.2014, Az. VI R 27/13

6. Senat | REWIS RS 2014, 7539

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Gegenstand

Heileurythmie als außergewöhnliche Belastung - Anforderungen an den Nachweis der Zwangsläufigkeit - besondere Therapierichtung


Leitsatz

1. Aufwendungen für eine heileurythmische Behandlung können als außergewöhnliche Belastungen i.S. des § 33 EStG zu berücksichtigen sein .

2. Die Heileurythmie ist ein Heilmittel i.S. der §§ 2 und 32 SGB V .

3. Die Zwangsläufigkeit entsprechender Aufwendungen im Krankheitsfall kann durch eine Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers nachgewiesen werden .

4. Ein vor Beginn der Heilmaßnahme ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder eine vorherige ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung ist nicht erforderlich .

Tatbestand

1

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob Aufwendungen für heileurythmische Behandlungen als außergewöhnliche Belastungen i.S. des § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuermindernd zu berücksichtigen sind.

2

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Pensionärin. Mit ihrer Einkommensteuererklärung für das [X.] machte sie u.a. Aufwendungen für 36 heileurythmische Behandlungen á 45 Minuten á 45 € = 1.620 € als außergewöhnliche Belastungen i.S. des § 33 EStG geltend. Hierzu legte sie ärztliche Verordnungen des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. A vom 16. Januar, 25. Mai und vom 12. September 2009 vor, auf denen jeweils "12 x Heileurythmie" verordnet wird und als Diagnose "[X.]. Discusprolaps" (= Bandscheibenvorfall) sowie chronisch rezidives LWS-Syndrom (= chronisch wiederkehrendes Syndrom der Lendenwirbelsäule) vermerkt ist. Darüber hinaus reichte die Klägerin Rechnungen der Heileurythmistin B vom 12. Mai 2009 und vom 8. September 2009 über jeweils 12 Behandlungen über 540 € ein.

3

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) berücksichtigte die geltend gemachten Aufwendungen bei der Einkommensteuerfestsetzung des [X.] (2009) jedoch nicht. Das Finanzgericht ([X.]) gab der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 1128 veröffentlichten Gründen insoweit statt, als es die im Streitjahr von der Klägerin geleisteten Aufwendungen für heileurythmische Behandlungen in Höhe von 1.080 € als außergewöhnliche Belastung zum Abzug nach § 33 EStG zuließ.

4

Mit der Revision rügt das [X.] die Verletzung materiellen Rechts.

5

Es beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen [X.] vom 17. April 2013  5 K 71/11 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7

II. Die Revision des [X.] ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass die geltend gemachten Aufwendungen für heileurythmische Behandlungen als außergewöhnliche Belastungen i.S. des § 33 EStG steuermindernd zu berücksichtigen sind.

8

1. Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung) erwachsen. Zwangsläufig erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen dann, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (u.a. Urteil des [X.] --[X.]-- vom 29. September 1989 III R 129/86, [X.], 380, [X.] 1990, 418).

9

a) In ständiger Rechtsprechung geht der [X.] davon aus, dass Krankheitskosten --ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der [X.] dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit (z.B. Medikamente, [X.]) oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglich zu machen, beispielsweise Aufwendungen für einen Rollstuhl ([X.]-Urteile vom 17. Juli 1981 VI R 77/78, [X.]E 133, 545, [X.] 1981, 711; vom 13. Februar 1987 III R 208/81, [X.]E 149, 222, [X.] 1987, 427, und vom 20. März 1987 III R 150/86, [X.]E 149, 539, [X.] 1987, 596).

b) Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung werden typisierend als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit dem Grunde und der Höhe nach bedarf ([X.]-Urteile vom 1. Februar 2001 III R 22/00, [X.]E 195, 144, [X.] 2001, 543, und vom 3. Dezember 1998 III R 5/98, [X.]E 187, 503, [X.] 1999, 227, m.w.N.). Eine derart typisierende Behandlung der Krankheitskosten ist zur Vermeidung eines unzumutbaren Eindringens in die Privatsphäre geboten ([X.]-Urteil in [X.]E 195, 144, [X.] 2001, 543). Dies gilt aber nur dann, wenn die Aufwendungen nach den Erkenntnissen und Erfahrungen der Heilkunde und nach den Grundsätzen eines gewissenhaften Arztes zur Heilung oder Linderung der Krankheit angezeigt (vertretbar) sind und vorgenommen werden (vgl. [X.]-Urteil vom 18. Juni 1997 III R 84/96, [X.]E 183, 476, [X.] 1997, 805), also medizinisch indiziert sind (Senatsurteil vom 19. April 2012 VI R 74/10, [X.]E 237, 156, [X.] 2012, 577).

c) Die Zwangsläufigkeit von krankheitsbedingten Aufwendungen für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel (§§ 2, 23, 31 bis 33 des [X.]) hat der Steuerpflichtige durch eine Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers nachzuweisen (§ 64 Abs. 1 Nr. 1 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung --EStDV-- i.d.[X.] 2011 --[X.] 2011-- vom 1. November 2011, [X.], 2131). In den abschließend geregelten Katalogfällen des § 64 Abs. 1 Nr. 2 EStDV i.d.F. des [X.] 2011 (vgl. Senatsurteile vom 6. Februar 2014 VI R 61/12, [X.]/NV 2014, 771, und vom 29. März 2012 VI R 21/11, [X.]E 237, 93, [X.] 2012, 1174; [X.]/[X.], EStG, 33. Aufl., § 33 Rz 34; [X.], [X.], 1490, 1493) ist der Nachweis der Zwangsläufigkeit durch ein vor Beginn der Heilmaßnahme oder dem Erwerb des medizinischen Hilfsmittels ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder eine vorherige ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (§ 275 [X.]) zu führen.

d) Ein solcher qualifizierter Nachweis ist --aufgrund der in § 84 Abs. 3f EStDV i.d.F. des [X.] 2011 angeordneten, verfassungsrechtlich unbedenklichen, rückwirkenden Geltung des § 64 EStDV i.d.F. des [X.] 2011 (Senatsurteil in [X.]E 237, 156, [X.] 2012, 577) auch im Streitjahr bei krankheitsbedingten Aufwendungen für wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethoden, wie z.B. Frisch- und [X.], Sauerstoff-, [X.] und Eigenbluttherapie (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. f EStDV i.d.F. des [X.] 2011) erforderlich.

e) Die Behandlungsmethoden der in § 2 Abs. 1 Satz 2 [X.] aufgeführten besonderen Therapierichtungen gehören hierzu jedoch nicht. Unter einer "besonderen Therapierichtung" ist das umfassende, zur Behandlung verschiedenster Erkrankungen bestimmte therapeutische Konzept zu verstehen, das auf der Grundlage eines von der naturwissenschaftlich geprägten "Schulmedizin" sich abgrenzenden, weltanschaulichen Denkansatzes größere Teile der Ärzteschaft und weite Bevölkerungskreise für sich eingenommen hat (Urteil des [X.] --BSG-- vom 16. September 1997  1 [X.], [X.], 54, 71 f.). Zu diesen Therapierichtungen sind jedenfalls die Homöopathie, Anthroposophie (mit dem Heilmittel "Heileurythmie") und Phytotherapie ([X.] vom 22. März 2005 B 1 A 1/03 R, [X.], 221) zu zählen. Um wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethoden i.S. des § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. f EStDV i.d.F. des [X.] 2011 handelt es sich insoweit nicht. Dies folgt schon aus dem Umstand, dass Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2, § 34 [X.] vom Leistungsrahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht ausgeschlossen sind ([X.] in [X.], 221). Der Nachweis der Zwangsläufigkeit entsprechender Aufwendungen ist daher nicht gemäß § 64 Abs. 1 Nr. 2 EStDV i.d.F. des [X.] 2011 durch ein vor Beginn der Heilmaßnahme oder dem Erwerb des medizinischen Hilfsmittels ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder eine vorherige ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (§ 275 [X.]) zu führen, sondern, sofern Aufwendungen für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel (§§ 2, 23, 31 bis 33 [X.]) in Rede stehen, nach § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV i.d.F. des [X.] 2011 und damit lediglich durch eine Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers nachzuweisen (vgl. [X.] in Kirchhof, EStG, 13. Aufl., § 33 Rz 53; [X.], DStR 2012, 1490, 1493).

2. Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Entscheidung des [X.] nicht zu beanstanden, dass die Klägerin die Zwangsläufigkeit der streitigen Aufwendungen in der nach § 64 Abs. 1 EStDV i.d.F. des [X.] 2011 gebotenen Form nachgewiesen habe und diese Kosten deshalb nach § 33 Abs. 1 EStG als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen seien. Zutreffend ist es davon ausgegangen, dass die [X.] ein Heilmittel i.S. der §§ 2 und 32 [X.] ist. Denn es handelt sich um eine ärztlich verordnete Dienstleistung, die einem Heilzweck dient oder einen Heilerfolg sichern soll und nur von entsprechend ausgebildeten, berufspraktisch erfahrenen Personen erbracht werden darf (vgl. [X.] in [X.], 221, und [X.]-Urteil vom 8. März 2012 V R 30/09, [X.]E 237, 263, [X.] 2012, 623, betreffend [X.] als Heilbehandlung i.S. des § 4 Nr. 14 des Umsatzsteuergesetzes). Ebenfalls zutreffend ist die Erkenntnis des [X.], dass es nach dem [X.] den Krankenkassen möglich ist, derartige Leistungen zu übernehmen.

Meta

VI R 27/13

26.02.2014

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, 17. April 2013, Az: 5 K 71/11, Urteil

§ 33 Abs 1 EStG 2009, § 84 Abs 3f EStDV vom 01.11.2011, § 64 Abs 1 Nr 2 S 1 Buchst f EStDV vom 01.11.2011, § 2 SGB 5, § 23 SGB 5, § 31 SGB 5, § 32 SGB 5, § 33 SGB 5, § 275 SGB 5, § 33 Abs 2 S 1 EStG 2009, EStG VZ 2009

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 26.02.2014, Az. VI R 27/13 (REWIS RS 2014, 7539)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 7539

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