Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.07.2005, Az. IV ZR 47/04

IV. Zivilsenat | REWIS RS 2005, 2585

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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL IV ZR 47/04

Verkündet am:

13. Juli 2005

Heinekamp

Justizhauptsekretär

als Urkundsbeamter

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

- 2 -

[X.] hat durch den [X.], [X.], [X.], die Richterin Dr. Kessal-Wulf und [X.] auf die mündliche Verhandlung vom 13. Juli 2005

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 2. Zivil-senats des [X.] vom 29. Januar 2004 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entschei-dung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens,
an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Kläger sind alleinige Erben ihres 1999 verstorbenen [X.], nachdem sie ihre während des Prozesses 2003 verstorbene Mutter (frü-here Ehefrau des Erblassers und vormals Klägerin zu 1)) zu gleichen Teilen beerbt haben. Sie erheben Ansprüche im Zusammenhang mit ei-nem Hausgrundstück, das die Beklagte mit dem Erblasser 1993 zu glei-chen Anteilen und nach Übertragung des Erblasseranteils 1994 zu [X.] erworben hat. Aus dem Nachlaß haben die Kläger bislang nichts erhalten. - 3 -

Der Kaufpreis von 275.000 DM zuzüglich Nebenkosten wurde über ein vom Erblasser genommenes Darlehen in Höhe von 160.678 DM fi-nanziert und in Höhe von 120.000 DM bar gezahlt. Die von der Beklagten bei Erwerb des Erblasseranteils übernommenen [X.] beliefen sich zur [X.] des [X.] auf circa 245.000 DM. Über die von den Klägern begehrte Freistellung von den [X.] ist durch [X.] entschieden worden.

Die Kläger stützen ihre mehrfach geänderten Haupt- und [X.] - gerichtet auf Zahlung bzw. Duldung der Zwangsvollstreckung - in erster Linie auf Pflichtteilsergänzungsansprüche gemäß § 2329 BGB. [X.] haben sie diese mit 39.625,12 • (77.500 DM) beziffert. Die Beklagte habe über die beiden Grundstücksanteile bzw. durch die Kaufpreiszahlungen des Erblassers unentgeltliche Zuwendungen im Wer-te von 155.000 DM (400.000 DM Grundstückswert zur [X.] des Erbfalls abzüglich 245.000 DM übernommenes Darlehen) erhalten.

[X.] stellen die Kläger hauptsächlich auf [X.] ab, die dem Erblasser wegen Zahlungen von jeweils 60.000 DM auf den Kaufpreis im Zusammenhang mit den beiden Grund-stückshälften und wegen gezahlter Darlehensraten von 12.075 DM bis zur Übertragung seines Grundstücksanteils und von 59.368,75 [X.] zugestanden hätten und die er der Beklagten erlassen habe; hinzu kämen Zuwendungen im Zusammenhang mit einer dem Erblasser 1996 ausgezahlten und von ihr vereinnahmten Lebensversicherung in Höhe von mindestens 22.000 DM. Daraus ergebe sich eine Pflichtteilsergän-zung von jedenfalls 30.677,50 • (60.000 DM). Für den Fall, daß der Be-- 4 -

klagten Ausgleichsansprüche nicht erlassen worden seien, beziehen sie sich hilfsweise auf ererbte Ausgleichsansprüche unter vorsorglicher Teil-betragserklärung zur Klageforderung.

Das [X.] hat die Klage abgewiesen und den Klägern die Kosten insgesamt auferlegt. Es hat im Zusammenhang mit dem [X.] eine unentgeltliche Zuwendung nicht zu erkennen ver-mocht. Die erste Hälfte habe die Beklagte von den [X.], denen sie mit dem Erblasser gesamtschuldnerisch verpflichtet ge-wesen sei, und für die zweite Hälfte habe sie entsprechende [X.] erbracht. Etwaige Ausgleichsansprüche seien ohne Bezifferung der vom Erblasser erbrachten Tilgungsleistungen unschlüssig bzw. im Rahmen der Bewertung der Gegenleistung für die zweite [X.] unsubstantiiert dargetan. Die Kosten in bezug auf das Anerkennt-nisurteil hätten die Kläger gem. § 93 ZPO zu tragen.

Die Berufung der Kläger ist erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgen sie ihre vorinstanzlichen Anträge in vollem Umfang weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des [X.] und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

[X.] Das Berufungsgericht hat den für den Hauptzahlungsantrag gel-tend gemachten schenkweisen Erlaß von [X.] nicht - 5 -

feststellen können. Es fehle an einem unzweideutigen Verhalten des [X.], das von der Beklagten als Verzicht im Sinne einer Aufgabe die-ses Rechts habe verstanden werden können. Das gelte für die seitens des Erblassers beim Erwerb des Hauses geleisteten Zahlungen wie für die von ihm gezahlten Darlehensraten.

Der hilfsweise auf ererbte Ausgleichsansprüche gestützte Zah-lungsantrag sei zwar wegen der im [X.] substantiiert vorgetragenen Barzahlungen des Erblassers von 120.000 DM und der Darlehensraten in Höhe von 12.075 DM bis 1994 und weiteren 59 [X.] danach in Höhe von 59.368,75 DM schlüssig. Dieser neue Vortrag sei jedoch gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO nicht zu-zulassen. Daß diese Beträge jetzt unstreitig geworden seien, stehe dem nicht entgegen, weil dies eine Beweisaufnahme dazu erfordert hätte, aus welchem Vermögen - das des Erblassers oder das der Beklagten - die Zahlungen letztendlich stammten.

Die hilfsweise gestellten Duldungsanträge hat das Berufungsge-richt abgewiesen, weil in der Übertragung der zweiten [X.] keine ergänzungspflichtige Schenkung liege. Die vereinbarten [X.] (Wohnungs- und Mitbenutzungsrecht, Übernahme der [X.]) stünden nicht in einem objektiven Mißverhältnis zur Leistung. Der Vortrag zu den vom Erblasser getragenen Darlehensra-ten sei - wie der zu der Lebensversicherung - neu und aus denselben Gründen wie bei den Zahlungsanträgen nicht zuzulassen. Damit seien auch die weiteren in der Berufungsinstanz gestellten Anträge unbegrün-det. Das gelte auch hinsichtlich der Kostenentscheidung des [X.] -

richts, weil die Beklagte für die Erhebung der [X.] keine Veranlassung gegeben habe.

I[X.] Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Berufungsge-richt durfte das nunmehr substantiierte und unstreitig gewordene [X.] zu den Zahlungsvorgängen nicht zurückweisen. Bereits der [X.] gegebene Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG gebietet die Aufhe-bung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung; auf [X.] kommt es nicht mehr an.

1. Die Kläger waren entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht schon dadurch im Berufungsverfahren an einem substantiierten Vortrag zu Geldleistungen des Erblassers gehindert, weil sie in dem erst-instanzlichen nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 18. Dezember 2002 ausdrücklich erklärt hätten, der [X.] werde nicht mehr auf e-ventuelle Ausgleichsansprüche gestützt. Einer Zulassung neuen Vorbrin-gens steht das nicht entgegen. Abgesehen davon, daß in einem nicht nachgelassenen Schriftsatz abgegebene Erklärungen, die über bloße Rechtsausführungen hinausgehen, grundsätzlich unbeachtlich sind (vgl. [X.]/[X.], ZPO 25. Aufl. § 132 Rdn. 4), ist dem Schriftsatz nicht zu entnehmen, daß die Kläger solche Ansprüche endgültig nicht mehr erhe-ben, also auf ihre gerichtliche Durchsetzung verzichten wollten. Sie [X.] darin nur ein, "daß ein Anspruch gemäß § 426 BGB einer näheren Bezifferung bedürfe, was ohne Einsicht in [X.] nicht als möglich erscheine", und dann "gegebenenfalls einem gesonderten Ver-fahren vorbehalten bleiben" müsse. Damit geben sie unmißverständlich zu erkennen, daß sie nur bezogen auf den genannten [X.]punkt bzw. - 7 -

diese Instanz die Darlegung eines solchen Anspruchs fallen gelassen haben. Die Möglichkeit, ihn später - also gegebenenfalls auch in der Be-rufungsinstanz - noch durchzusetzen, wollten sie sich mit dieser Erklä-rung erkennbar nicht nehmen.

2. Im Ergebnis zutreffend hat das Berufungsgericht eine Zulassung des neuen Vorbringens gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO abgelehnt.

Die Annahme des Berufungsgerichts, in der [X.] sei nicht dargetan, was die Kläger auf einen entsprechenden [X.] - sein Unterbleiben unterstellt - vorgetragen hätten, begegnet [X.] Bedenken. Es trifft nicht zu, daß sie insoweit nur pauschale Be-hauptungen vorgebracht hätten. Sie haben vielmehr im Anschluß an die unter "1." vorangestellten Hinweisrügen und den ergänzenden Vortrag zu den Umständen des Grundstückserwerbs und seiner Finanzierung unter "2." substantiiert die vom Erblasser dafür erbrachten Geldleistungen [X.]. Insoweit ist den Anforderungen an eine Verfahrensrüge gemäß § 139 ZPO genügt.

Es fehlt hingegen bereits an einem von diesem Zulassungsgrund vorausgesetzten Verfahrensmangel im ersten Rechtszug. Das [X.] hat den vom Berufungsgericht und von der Revision vermißten [X.] auf die fehlende Schlüssigkeit der schließlich von den Klägern auch in Betracht gezogenen ererbten Ausgleichsansprüche erteilt. Ausweislich des Protokolls über die letzte mündliche Verhandlung ist im Anschluß an die § 426 BGB einschließende Antragstellung die Sach- und Rechtslage erörtert worden. Daß dabei auch die Schlüssigkeitsfrage angespro-chen, mithin ein entsprechender deutlicher Hinweis gegeben worden ist, - 8 -

wird letztlich durch den bereits erwähnten anschließenden Schriftsatz der Kläger zweifelsfrei belegt.

3. Ob eine Zulassung des neuen Vorbringens gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO ausscheidet, weil es auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht, daß die in der Berufungsbegründung erstmals genannten Zahlen nicht in der Instanz vorgetragen worden sind, wie das Berufungsgericht meint und wofür einiges spricht, kann letztlich offenbleiben.

a) Inzwischen ist höchstrichterlich geklärt, daß über die Fälle des § 531 Abs. 2 ZPO hinaus neuer, unstreitiger Tatsachenvortrag in der Be-rufungsinstanz zu berücksichtigen ist, selbst wenn dadurch eine Beweis-aufnahme erforderlich wird ([X.]Z 161, 138 ff. = NJW 2005, 291 unter [X.]; vgl. auch [X.], Urteil vom 6. Dezember 2004 - [X.]/02 - NJW-RR 2005, 437 unter II 1 b, wonach unstreitige neue Tatsachen Grundlage ei-ner im [X.] erstmalig erhobenen Widerklage bilden [X.]). Es überzeugt, wenn dabei insbesondere darauf abgestellt wird, daß dem Berufungsgericht in erster Linie die richtige, d.h. sachgerechte Ent-scheidung des Einzelfalles obliegt. Die Parteien dürfen nicht daran ge-hindert werden, im Interesse einer materiell richtigen Entscheidung übereinstimmend erstinstanzliche Feststellungen zu ergänzen, und zwar unabhängig, ob dies eine Erhebung von weiteren Beweisen erforderlich macht. Eine auch nur beschränkte Berücksichtigung unstreitiger neuer Tatsachen bedeutete eine nicht zu rechtfertigende Einschränkung des Grundrechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und muß daher ausscheiden.
- 9 -

b) Das betrifft hier nicht nur die genannten vom Erblasser gezahl-ten Darlehensraten, sondern auch dessen Barzahlungen von zweimal 60.000 DM bei Erwerb des Grundstücks. Streitig war und ist nur, ob die Beklagte - wie sie schließlich behauptet hat - im Hinblick auf die [X.] vereinbarungsgemäß dem Erblasser regelmäßig monatlich 1.000 DM auf sein Konto gezahlt und ob sie für den [X.] eine einmalige Zahlung von 30.000 DM erbracht hat, die dann den vom Erblasser übernommenen Barbetrag auf 90.000 DM vermindert [X.].

Dem wird das Berufungsgericht nachzugehen haben.

c) Zwar fehlt es nach wie vor an einer in sich stimmigen Berech-nung der [X.], aus der sich unter Berücksichtigung von Leistungen bzw. Gegenleistungen der Beklagten ein den gestellten An-trägen entsprechender genauer Forderungsbetrag ergibt. Haupt- und erster Hilfsantrag orientieren sich insoweit eher zusammenhanglos an einer Bezugsgröße von "60.000 DM". Die dadurch geweckten Schlüssig-keitszweifel stellen aber die Erheblichkeit des Vortrages zu den genann-ten Zahlungsbeträgen nicht insgesamt in Frage. Es kann nicht ausge-schlossen werden, daß sich bei einer - erstmaligen - genauen Bewertung der Leistungen und Gegenleistungen auf der noch festzustellenden Beur-teilungsgrundlage ein Betrag in dem geltend gemachten Antragsrahmen ergibt.
- 10 -

Nur vorsorglich weist der Senat darauf hin, daß die Feststellung des Berufungsgerichts, der Erblasser habe der Beklagten etwaige Aus-gleichsansprüche nicht schenkweise erlassen, nicht zu bestanden sind.

Terno [X.] [X.]

Dr. Kessal-Wulf

[X.]

Meta

IV ZR 47/04

13.07.2005

Bundesgerichtshof IV. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.07.2005, Az. IV ZR 47/04 (REWIS RS 2005, 2585)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2005, 2585

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