Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.03.2016, Az. 2 ARs 4/16

2. Strafsenat | REWIS RS 2016, 14943

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Gegenstand

Gerichtsstand in Strafsachen: Gerichtsstandsbestimmung durch den Bundesgerichtshof bei einer Strafanzeige wegen Kindesentziehung bei in Florida lebendem Täter mangels Gerichtsstand in der Bundesrepublik Deutschland


Tenor

Die Untersuchung und Entscheidung der Sache wird gemäß § 13a StPO den für [X.] örtlichen zuständigen Gerichten übertragen.

Gründe

1

Die Sache war - dem Antrag des [X.] folgend - den für [X.] örtlich zuständigen Gerichten zu übertragen. Insoweit hat der [X.] ausgeführt:

"I.

Mit E-Mail vom 23. September 2015 hat der Anzeigeerstatter, ein [X.] Staatsangehöriger mit Wohnsitz in [X.], bei dem Generalstaatsanwalt in [X.] Strafanzeige gegen seine getrennt lebende Ehefrau - eine [X.] Staatsangehörige mit derzeitigem Wohnsitz in [X.] ([X.]) - und deren neuen Lebensgefährten, einen [X.] Staatsangehörigen, wegen Entziehung Minderjähriger u.a. erstattet. Nach den Angaben des [X.] haben er und die Beschuldigte 2008 in [X.] geheiratet und bis Dezember 2014 zusammen gelebt, und zwar zunächst in [X.] und später in den [X.]. Sie seien Eltern eines 2008 in [X.] geborenen [X.], der die [X.] Staatsangehörigkeit besitze. Auf Betreiben seiner Ehefrau sei er wegen Verstoßes gegen die dortigen aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen aus den [X.] abgeschoben worden; seine Ehefrau verweigere ihm nunmehr jeden Kontakt mit dem gemeinsamen [X.]. Ferner hat der Anzeigeerstatter ein angeblich von der Beschuldigten stammendes [X.] vorgelegt, in dem diese mitteilt, gegen Zahlung von 250.000 Dollar seien sie und ihr neuer Freund bereit, sich mit dem Kind in [X.] niederzulassen; wenn der Anzeigeerstatter seinen [X.] wiedersehen wolle, empfehle sie ihm, dieser Zahlung zuzustimmen. Auch werde sie ihn seinen [X.] nie wieder sehen lassen, wenn er zur Polizei gehe. Aufgrund der Strafanzeige des [X.] wurde bei der Staatsanwaltschaft [X.] ein Ermittlungsverfahren eingeleitet

II.

Die Voraussetzungen für eine Gerichtsstandsbestimmung durch den [X.] gemäß § 13a [X.] liegen vor, da es im Geltungsbereich der [X.] an einem zuständigen Gericht fehlt und [X.]s Strafrecht nicht offenkundig unanwendbar ist (vgl. [X.], NStZ-RR 2014, 278; Scheuten in KK-[X.], § 13a Rn. 5).

1. Nach dem mitgeteilten Sachverhalt erscheint es möglich, dass auf die Taten [X.]s Strafrecht anwendbar ist.

a) Hinsichtlich der behaupteten Tat nach § 235 StGB gilt: Da § 5 Nr. 6b StGB mangels Wohnsitzes und gewöhnlichen Aufenthalts des [X.] und seines [X.] im Inland nicht einschlägig ist, käme eine Anwendung [X.]n Strafrechts nur nach § 7 Abs. 1 StGB in Betracht. Hierfür wäre erforderlich, dass die Tat auch am Tatort mit Strafe bedroht ist. Die von der Staatsanwaltschaft [X.] in Betracht gezogene Vorschrift des [X.] Bundesrechts 18 U.S. Code § 1204 ('[X.]') dürfte sich zur Begründung einer Strafbarkeit nicht eignen, weil sie eine (versuchte oder vollendete) Entfernung eines Kindes aus den [X.] oder seine Zurückbehaltung außerhalb der [X.] voraussetzt, die hier nicht vorliegt. Indes bedroht das Recht des Staates [X.] jeden Elternteil eines Minderjährigen, der über diesen die elterliche Gewalt ausübt und in der Abwesenheit eines Gerichtsbeschlusses, der die elterliche Sorge oder das Umgangsrecht regelt, den Minderjährigen innerhalb oder außerhalb des Staates [X.] in böswilliger Absicht wegnimmt, zurückhält, verbirgt oder weglockt, um einer anderen Person ihr elterliches Sorgerecht vorzuenthalten, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder einer Geldstrafe bis 5000 Dollar ('interference with custody', s. 787.03(2) der 2015 [X.] Statutes). Damit liegt grundsätzlich eine identische Norm vor.

Inwieweit dem Anzeigeerstatter überhaupt ein Umgangsrecht zusteht, das die Beschuldigten beeinträchtigt haben können, spielt für die Anwendbarkeit [X.]n Strafrechts keine Rolle, sondern wird im Zuge des Ermittlungsverfahrens näher zu beleuchten sein. Da die [X.] das [X.] [X.] bislang nicht ratifiziert haben, unterliegt das Rechtsverhältnis zwischen einem Kind und seinen Eltern dem Recht des Staates, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Artikel 21 EGBGB); dies dürfte hier das Recht des Staates [X.] sein, das die Verweisung annimmt (s. 61.514(1) der 2015 [X.] Statutes).

b) Hinsichtlich des angeblich von der Beschuldigten versandten [X.]s erscheint eine Strafbarkeit nach [X.] Recht zwar zweifelhaft. Das [X.] Bundesrecht bedroht in 18 U.S. Code § 873 ('[X.]') Geldforderungen nur dann mit Strafe, wenn sie sich auf die Drohung mit einer Strafanzeige wegen Verletzungen des Rechts der [X.] beziehen. Die Straftat nach 18 U.S. Code § 875 ('Interstate communications') setzt unter anderem die Drohung mit einer Entführung voraus; wie sich aber wohl aus 18 U.S. Code § 1201 (a) und (h) ('Kidnapping') ergibt, bezieht sich der Begriff '[X.]' nicht auf leibliche Eltern, soweit diesen das Sorgerecht nicht entzogen worden ist. Im Recht des Staates [X.] bezieht sich der Straftatbestand in s. 836.05 der 2015 [X.] Statutes ('Threats; extortion') nur auf die böswillige Drohung, einen anderen einer Straftat zu bezichtigen, seine Person, sein Eigentum oder seinen Ruf zu schädigen, ihn einer Schande auszusetzen, ein ihn betreffendes Geheimnis zu enthüllen oder ihm eine Entstellung oder Unzucht zuzuschreiben, um ihn so gegen seinen Willen zu einer Handlung oder Unterlassung zu zwingen; ein solches Tatmittel dürfte hier nicht vorliegen. Weitergehend sieht allerdings Articulo 243 des [X.] Código Penal eine Strafbarkeit für denjenigen vor, der mit Gewinnabsicht einen anderen mit Gewalt oder Drohung dazu veranlasst, zum Schaden seines Vermögens oder desjenigen eines Dritten eine Handlung oder ein Rechtsgeschäft vorzunehmen oder zu unterlassen, wobei auch der Versuch strafbar ist (Articulo 15 Código Penal). Im Hinblick auf den Erfolgsort der Tat am Wohnsitz des [X.] in [X.] kommt ein Tatort auch dort in Betracht (§ 9 Abs. 1 StGB), so dass sich auch insoweit eine Anwendbarkeit des [X.]n Strafrechts nach § 7 Abs. 1 StGB ergeben kann.

2. Ein inländischer Gerichtsstand ist unter keinem denkbaren Gesichtspunkt erkennbar. Es erscheint sachdienlich, über den Antrag der Staatsanwaltschaft hinaus, an den der [X.] nicht gebunden ist, die Zuständigkeit allgemein den für [X.] örtlich zuständigen Gerichten zu übertragen, da andernfalls eine erneute Gerichtsstandsbestimmung erfolgen müsste, falls sich aufgrund des Ermittlungsverfahrens die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts ergeben sollte (vgl. [X.] in [X.][X.], [X.], § 13a Rn. 12). Lediglich der Klarstellung halber ist ergänzend anzumerken, dass es einer Bestimmung der zuständigen Staatsanwaltschaft nicht bedarf, weil diese sich von selbst aufgrund der Zuständigkeit des Gerichts ergibt (§ 142 Abs. 1 GVG); die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters knüpft wiederum an die der Staatsanwaltschaft an (§ 162 Abs. 1 Satz 1 [X.])."

2

Dem schließt sich der [X.] an.

Fischer                         Krehl                      Eschelbach

                   Zeng                       Bartel

Meta

2 ARs 4/16

08.03.2016

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: ARs

§ 5 Nr 6 Buchst b StGB, § 7 Abs 1 StGB, § 235 StGB, § 13a StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.03.2016, Az. 2 ARs 4/16 (REWIS RS 2016, 14943)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 14943

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