Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 09.05.2018, Az. 1 BvL 1/17

1. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2018, 9382

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Unzulässige Richtervorlage zur Verfassungsmäßigkeit des § 31 Abs 2, Abs 3 des Hamburgischen Zusatzversorgungsgesetzes (juris: ZVG HA) - Bezugnahme auf Ausführungen eines anderen Gerichts muss zur Erfüllung der Darlegungsanforderungen (§ 80 Abs 2 S 1 BVerfGG) hinreichend konkret sein


Tenor

Die Vorlage ist unzulässig.

Gründe

1

Das Vorlageverfahren betrifft Regelungen zur Zusatzversorgung der bei der [X.] beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Alter.

2

1. Das [X.] ([X.]) trat zum 1. August 2003 in [X.]. Es löste das Erste Ruhegeldgesetz ([X.]) ab, das die Altersversorgung der bis zum 31. März 1995 eingestellten Beschäftigten der [X.] regelte. Diesem Gesetz lag ein Gesamtversorgungssystem zugrunde, durch das eine beamtengleiche Altersversorgung geschaffen werden sollte und das an externe Faktoren wie die gesetzliche Rente gekoppelt war. An seine Stelle trat nun ein Punktemodell, in dem ausschließlich ruhegeldfähige Beschäftigungszeiten und Bezüge maßgeblich sind. Der Gesetzgeber wollte so die Komplexität des Zusatzversorgungssystems verringern und finanzielle Belastungen vermeiden (vgl. [X.] 17/1659, S. 8).

3

Für die bis zum 31. März 1995 eingestellten Beschäftigten wurden Übergangsregelungen geschaffen. Sie erhalten bezüglich der bis zum Inkrafttreten des [X.] erworbenen Ansprüche ein [X.] und bezüglich späterer Beschäftigungszeiten ein Zusatzruhegeld. Die Berechnung des [X.] richtet sich nach dem Lebensalter der Beschäftigten. "[X.]" Beschäftigte, die vor dem 1. August 1948 geboren wurden, erhalten ein [X.] weitestgehend nach dem alten Recht (§ 30 [X.]). Für später geborene "rentenferne" Beschäftigte erfolgt nach § 31 Abs. 2 Satz 1 [X.] die Berechnung nach Maßgabe von § 18 Abs. 2 [X.] ([X.]). Auch dieses Berechnungsverfahren beruht auf dem Gesamtversorgungssystem, ist aber vereinfacht und im Ergebnis für die Beschäftigten weniger günstig. An dieser Vorgabe orientiert sich auch § 79 Abs. 1 der Satzung der [X.] und der Länder ([X.]). Diese Norm bewertete der [X.] mit Urteil vom 14. November 2007 ([X.]) als unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG. Sie führe zu einer nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe der rentenfernen Versicherten, da Beschäftigte mit längeren Ausbildungszeiten gegenüber solchen mit kürzeren benachteiligt würden. Daraufhin einigten sich die Tarifvertragsparteien auf ein zweites Berechnungsverfahren für die Anwartschaften von rentenfernen Jahrgängen, welches in § 79 Abs. 1a [X.] normiert wurde. Der [X.] Gesetzgeber schuf mit § 31 Abs. 3 [X.], der zum 1. November 2013 in [X.] trat, eine weitgehend gleichlautende Regelung. Ist das danach ermittelte [X.] höher als das nach § 31 Abs. 2 [X.] ermittelte, ist der höhere Wert maßgebend (Günstigkeitsprinzip).

4

2. Der 1949 geborene Kläger des Ausgangsverfahrens war von 1982 bis 2013 bei der [X.] als Arbeitnehmer beschäftigt. Seit Februar 2013 erhält er eine Zusatzversorgung nach Maßgabe des [X.] in Höhe von zunächst 233,28 €, wobei das [X.] nach § 31 Abs. 2 [X.] berechnet wurde. [X.] erhob er Klage beim [X.], mit der er eine Berechnung seines [X.] nach Maßgabe der Regelungen für rentennahe Beschäftigte erreichen will.

5

3. Das Arbeitsgericht hat aufgrund mündlicher Verhandlung am 29. März 2017 beschlossen, den Rechtsstreit auszusetzen und dem [X.] folgende Frage zur Entscheidung vorzulegen:

6

Ist § 31 Abs. 2 und 3 des [X.] ([X.]) in der Fassung vom 1. Oktober 2013 ([X.]) mit dem Grundgesetz vereinbar?

7

Die Kammer sei überzeugt, dass § 31 Abs. 2 und 3 [X.] gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße und daher verfassungswidrig sei. Der [X.] habe mit Urteil vom 9. März 2016 ([X.]) die inhaltlich identischen Bestimmungen in § 79 Abs. 1 und 1a [X.] als unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG eingestuft. Die Kammer mache sich die Ausführungen des [X.]s "zu Eigen, soweit diese auf den vorliegenden Fall übertragbar sind" (S. 19 des [X.]). Die Verfassungswidrigkeit von § 31 Abs. 2 und 3 [X.] könne auch nicht durch eine verfassungskonforme Auslegung vermieden werden. Der Wortlaut der Regelung lege eindeutig fest, nach welchen Kriterien die Berechnung zu erfolgen habe.

8

Die Vorlage ist unzulässig, weil sie nicht den Darlegungsanforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 [X.] genügt.

9

1. Nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 1 [X.] hat ein Gericht die Entscheidung des [X.]s einzuholen, wenn es ein Gesetz für verfassungswidrig hält, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt. Es muss zuvor sowohl die Entscheidungserheblichkeit der Vorschrift als auch ihre Verfassungsmäßigkeit sorgfältig geprüft haben (vgl. [X.] 127, 335 <355>). Das vorlegende Gericht muss den Sachverhalt darlegen und sich mit der einfachrechtlichen Rechtslage auseinandersetzen (vgl. [X.] 141, 1 <11 Rn. 22>). Es muss deutlich machen, mit welchem verfassungsrechtlichen Grundsatz die zur Prüfung gestellte Regelung seiner Ansicht nach nicht vereinbar ist und aus welchen Gründen es zu dieser Auffassung gelangt ist. Insoweit bedarf es eingehender, Rechtsprechung und Schrifttum einbeziehender Darlegungen (vgl. [X.] 78, 165 <171 f.>; 89, 329 <336 f.>; 131, 1 <15>; 131, 88 <118>). Die Ausführungen zur Verfassungswidrigkeit der Norm müssen den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab nennen und die für die Überzeugung des Gerichts maßgebenden Erwägungen nachvollziehbar und umfassend darlegen (vgl. [X.] 88, 70 <74>; 131, 88 <118>). Das vorlegende Gericht muss insofern selbstständig und in eigener Verantwortung über die Vorlage entscheiden, was eine eigene Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Norm voraussetzt (vgl. [X.] 22, 373 <379>; 68, 337 <343 ff.>). Die eigene Darstellung der rechtlichen Erwägungen darf grundsätzlich nicht durch die Bezugnahme auf die Ausführungen eines anderen Gerichts ersetzt werden (vgl. [X.] 22, 175 <177>; 90, 145 <167>; 93, 121 <132>).

2. Diesen Anforderungen wird die Vorlage nicht gerecht. Zwar wird - wenn auch unter Verweis auf ältere Rechtsprechung - zutreffend dargelegt, dass sich aus Art. 3 Abs. 1 GG unterschiedliche verfassungsrechtliche Anforderungen an die Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen ergeben können (vgl. [X.] 129, 49 <69>). Jedoch kann diesen Ausführungen auch unter Berücksichtigung der Bezugnahme auf eine Entscheidung des [X.]s nicht entnommen werden, welcher Maßstab der verfassungsrechtlichen Bewertung der durch § 31 Abs. 2 und 3 [X.] hervorgerufenen Ungleichbehandlung hier konkret zugrunde gelegt worden ist. Ein Verweis auf eine Entscheidung eines anderen Gerichts ist zwar zulässig, muss aber so konkret sein, dass sich erkennen lässt, welcher Argumentation das vorlegende Gericht im Einzelnen folgt. Dazu genügt der Verweis auf eine Entscheidung, soweit diese übertragbar sei, nicht.

Insoweit ist auch nicht ausreichend dargelegt, dass der zur Prüfung gestellte § 31 Abs. 2 und 3 [X.] den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügt. Eigene rechtliche Erwägungen und die konkrete Darlegung, dass die Vorschrift in der Gesamtbetrachtung der Höhe der gewährten Zusatzversorgung eine zu beanstandende Ungleichbehandlung hervorruft (vgl. [X.] 131, 66 <82 f.>), fehlen. Desgleichen wird nicht dargelegt, warum der Auffassung anderer Arbeitsgerichte ([X.], Teilurteil vom 22. August 2014 -13 Ca 106/14 -; [X.], Urteil vom 24. März 2015 - 2 Sa 65/14 -) nicht gefolgt wird, wonach die vorgelegte Norm als mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar erachtet wird. Eine Auseinandersetzung mit anderer Rechtsprechung und Literatur fehlt. Soweit sie zum Zeitpunkt des Beschlusses über die Vorlage nicht bekannt war, kann ein vorlegendes Gericht entsprechende Argumente auch nachtragen (vgl. [X.] 75, 329 <339>). Auch das ist hier nicht geschehen.

Schließlich fehlt jede fachrechtliche Aufbereitung des [X.] der vorgelegten Norm. § 31 Abs. 2 und 3 [X.] ist jedoch Teil eines komplexen Regelungssystems, das aus sich heraus nicht ohne weiteres verständlich ist.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvL 1/17

09.05.2018

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 2. Kammer

Beschluss

Sachgebiet: BvL

vorgehend ArbG Hamburg, 29. März 2017, Az: 14 Ca 336/15, Vorlagebeschluss

Art 3 Abs 1 GG, Art 100 Abs 1 GG, § 80 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 31 Abs 2 ZVG HA, § 31 Abs 3 ZVG HA

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 09.05.2018, Az. 1 BvL 1/17 (REWIS RS 2018, 9382)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 9382

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

1 BvL 6/18

Zitiert

IV ZR 9/15

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