Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.07.2018, Az. 1 StR 111/18

1. Strafsenat | REWIS RS 2018, 6531

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[X.]:[X.]:[X.]:2018:050718B1STR111.18.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 111/18

vom
5. Juli
2018
in der Strafsache
gegen

wegen
Steuerhinterziehung u.a.

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2
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Der 1. Strafsenat des [X.] hat
nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers
am 5. Juli
2018
gemäß §
349 Abs.
4 StPO beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 24. Oktober 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.
2.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirt-schaftsstrafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens und Verun-treuens von Arbeitsentgelt in 24 tatmehrheitlichen Fällen sowie wegen drei tat-mehrheitlicher Fälle der Steuerhinterziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt und neun Monate der verhängten Ge-samtfreiheitsstrafe wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung für vollstreckt erklärt. Seine Revision, mit der der Angeklagte insbesondere
die rügt,
hat

im Wesentlichen entsprechend dem Antrag des [X.]

mit der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

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I.
Nach den Feststellungen des [X.] war die [X.]
als Gene-ralunternehmerin im Baugewerbe tätig; ihre
Hauptauftraggeberin war die L.

GmbH. Der Angeklagte war faktischer Geschäftsführer der [X.], die schlüsselfertige Wohnhäuser erstellte.
Für die Erstellung der Rohbauten beschäftigte die [X.]
Bauarbeiter und entlohnte sie bar. Tätigkeiten in
spä-teren Bauphasen (Dach, Fensterbau, Sanitär und Elektrik) wurden in ihrem [X.] durchgeführt.
Der Angeklagte hatte nur einen Teil seiner Bauarbeiter angemeldet und für diese Sozialabgaben abgeführt. Tatsächlich beschäftigte die [X.] weite-
chäf-tigten Arbeiter konnte nicht ermittelt werden, auch nicht wann und in welchem e-schäftigt waren. Eine tragfähige Lohnbuchhaltung oder sonstige verlässliche Unterlagen waren nicht vorhanden. Soweit Arbeitnehmer ermittelt werden konn-ten, konnten sie sich an die genaue Beschäftigungsdauer und die Höhe der erhaltenen Zahlungen nicht erinnern.
Der Angeklagte enthielt der zuständigen Einzugsstelle von Januar bis Dezember 2005 sowie von Januar bis Dezember 2007 und damit in 24 Fällen Arbeitnehmer-
und Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung in einer Höhe

Darüber hinaus reichte er beim zuständigen Finanzamt frei erfundene und jeweils zu niedrige Umsatzsteuervoranmeldungen ein und gab dann keine Jahreserklärung für die Veranlagungszeiträume der [X.], 2007 und 2008
ab. Das Finanzamt schätzte

wie von ihm beabsichtigt

die [X.] 2
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auf der Grundlage seiner Angaben in den Umsatzsteuervoranmeldungen
zu niedrig
und setzte die Umsatzsteuer zu gering
fest, wodurch Steuer in Höhe von

e-schätzt und zwar den Nettoumsatz für das [X.] auf insgesamt mindestens

([X.]). Der von der [X.]
für Material und für den Einsatz von [X.] aufgewendete Betrag belief sich nach den Feststellungen der [X.] für das [X.] auf in

Die L.

GmbH hatte den Ermittlungsbehörden alle von der [X.] an sie gestellten Rechnungen zur Verfügung gestellt. Anhand dieser sowie bei der [X.] aufgefundener Rechnungen, soweit sie sich durch Kon-toauszüge belegen ließen, errechnete die Ermittlungsbehörde den [X.], von dem sie alle durch Rechnungen belegten
Zahlungen an Subunter-nehmer abzog ([X.]).
Die [X.] nahm anhand der den Ermittlungsbehörden von der L.

GmbH zur Verfügung gestellten Rechnungen der [X.] und den bei der [X.] aufgefundenen Rechnungen eine eigene Berechnung des [X.] vor ([X.], 25, 36). Die Subunternehmer-
und Material-kostenrechnung ermittelte die [X.] durch eine eigene Auswertung der l-ten Subunternehmer-

Fehler zu Lasten des Angeklagten durch etwaig versehentlich nicht erfasste Rechnungen oder anderes
auszuschließen ([X.], 37) hat die [X.] zusätzlich einen Sicherheitsabschlag von 10 % vorgenommen ([X.], 37). 6
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Von dem sich ergebenden Betrag hat sie 2/3 als Nettolohn angesetzt und da-von die angemeldeten Löhne ([X.]) abgezogen
und so den Jahresnetto-umsatz errechnet. Zur Berechnung der verkürzten Sozialversicherungsbeiträge hat die [X.] den festgestellten Nettolohn mittels der
auf den
von ihr

unter Hinweis auf den Beitrag von [X.] in wistra 2014, 289 ff.

[X.] ([X.], 14) beruhenden Hochrechnungsfaktoren ([X.]) für die [X.] und 2007 auf einen Bruttolohn hochgerechnet (§ 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV). Zu Gunsten des Angeklagten hat sie dabei weder [X.] noch den [X.] in der Pflegeversicherung einbezo-gen. Auf diese Weise hat sie die auf die Beschäftigungsmonate entfallenen vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge errechnet und in einer Tabelle [X.] ([X.], 16).
Für das [X.] errechnete die [X.] trotz auch in diesem Zeit-raum ausgezahlter Löhne eine rechnerisch im Minusbereich liegende [X.]. Den Tatvorwurf des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt für die [X.], 2006 und 2008 hat sie nach § 154 Abs. 2 StPO vorläufig ein-gestellt.
Die geschätzten Umsätze hat die [X.] auch ihrer Berechnung der Umsatzsteuerverkürzung zu Grunde gelegt. Die Lohnsteuerhinterziehung von Juli 2007 bis Juni 2008 hat sie
nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt.

II.
Das Urteil hält im Schuldspruch rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil die Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge und, auf dem 9
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so festgestellten Umsatz fußend, auch der verkürzten Umsatzsteuer für das Revisionsgericht nicht nachvollziehbar ist.
1. Dem Tatgericht obliegt es nach ständiger Rechtsprechung, die ge-schuldeten Beiträge

für die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte gesondert

nach Anzahl, Beschäftigungszeiten, Löhnen der Arbeitnehmer und der Höhe des [X.] der örtlich zuständigen Krankenkasse festzustellen, um eine revisi-onsgerichtliche Nachprüfung zu ermöglichen, weil die Höhe der geschuldeten Beiträge auf der Grundlage des Arbeitsentgelts nach den Beitragssätzen der jeweiligen Krankenkassen sowie den gesetzlich geregelten Beitragssätzen der
Renten-, Arbeitslosen-
und Pflegeversicherung zu berechnen ist. Falls solche Feststellungen im Einzelfall nicht möglich sind, kann die Höhe der vorenthalte-nen Beiträge auf Grundlage der tatsächlichen Umstände geschätzt werden. Die Grundsätze, die die Rechtsprechung bei Taten nach §
370 AO für die [X.] der Berechnungsgrundlagen der verkürzten Steuern entwickelt hat, gelten insoweit entsprechend. Es genügt nicht, die vorenthaltenen [X.] lediglich der Höhe nach anzugeben. Vielmehr müssen die Ur-teilsgründe die Berechnungsgrundlagen und Berechnungen im Einzelnen wie-dergeben (vgl. hierzu ausführlich [X.], Beschluss vom 20. April 2016

1 [X.], Rn. 6, [X.], 352, 353
mwN).
Bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung müssen die steuerlich erheblichen Tatsachen festgestellt sein. Dazu gehören insbesondere diejenigen Parameter, die maßgebliche Grundlage für die Steuerberechnung sind (Be-steuerungsgrundlagen, vgl. [X.], Urteil vom 12. Mai 2009

1 StR 718/08,
NJW 2009, 2546, 2547, Rn.
13). Die auf den festgestellten Besteuerungsgrundlagen aufbauende Steuerberechnung ist Rechtsanwendung und Aufgabe des Tatge-richts (vgl. [X.], Urteil vom 12. Mai 2009

1 StR 718/08
aaO,
Rn. 20 mwN).
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2. Den vorgenannten Anforderungen trägt das Urteil nicht ausreichend Rechnung. Zwar bestehen gegen die Schätzung des [X.] keine recht-lichen Bedenken. Jedoch ist bereits die Berechnung der Nettoausgangsumsät-ze für das Revisionsgericht nicht widerspruchsfrei dargelegt.
Auf S. 13 des Urteils wird der Umsatz für das [X.] mit

) und bei der Berechnung der Umsatzsteuer . Auf [X.] wird

Tabellenspalte

zu erkennen, ob der der tatsächliche Umsatz ist.
Da die [X.] auch keine Rechnungsendbeträge oder sonstige Belege im Urteil angegeben hat, kann der [X.] den Nettoumsatz auch nicht aus einer Auflistung der sich
daraus
jeweils ergebenden Beträge
selbst errech-nen.
3. Auch die Berechnung der festgestellten Bruttolöhne für die [X.] und 2007 anhand des von der der [X.] im Urteil ([X.] ff.) darge-stellten [X.] ist nicht nachvollziehbar:
Bei einem Nettoumsatz

i-teren die Subunternehmer-
und Materialkosten betreffenden Sicherheitszu-
Zwei Drittel hiervon, also 86.379,2kosten insgesamt. Abzüglich 9,214
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monatlich 466,10

.
Multipliziert mit dem Hochrechnungsfaktor 1,57790927 sind dies 735,46

Bei einem Nettoumsatz für das [X.] von 1.231.484,62 ([X.]) abzüglich
Betriebsausgaben von 893.268

(89.326,80

Bei Hochrechnung mit dem Faktor 1,5655573 ([X.]) ergibt dies eine Brutto-

Der Fehler bei der Bestimmung des [X.] anhand des von der [X.] ausführlich dargestellten [X.] schlägt auf die Besteue-rungsgrundlagen durch.
Der [X.] kann wegen des durchgreifenden Darstellungsmangels
der Urteilsgründe dahingestellt sein lassen, ob sich bei einem anderen Rechenweg, der sich so nicht aus den Urteilsgründen ergibt (z.B. bei Unterstellung, dass entgegen des Wortlauts der Feststellungen auf Seite 13 des Urteils die dort festgestellten Betriebsausgaben schon den Sicherheitsabschlag beinhalten), die in der Tabelle ([X.] f.)
dargestellten
Bruttolöhne errechnen lassen.
4. Ist dem Revisionsgericht die sachlich-rechtliche Überprüfung aufgrund unzureichender Feststellung der Berechnungsgrundlagen nicht zuverlässig möglich, so beruht das Urteil grundsätzlich auf einer Verletzung des Gesetzes (§
337 StPO; [X.], Urteil vom 12. Mai 2009

1 StR 718/08
aaO
2548,
Rn. 23 zu Besteuerungsgrundlagen).
Ausnahmsweise kann trotz unzureichender Darstellung ein Beruhen dann ausgeschlossen werden, wenn sich die [X.] allein auf die 19
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Überprüfbarkeit der Höhe der hinterzogenen Steuern oder Sozialabgaben

mithin die
Überprüfbarkeit des Schuldumfangs

durch das Revisionsgericht beziehen und auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen sicher ausge-schlossen werden kann, dass die Berechnung den Angeklagten in Bezug auf den Schuldumfang beschwert ([X.], Urteil vom 12. Mai 2009

1 StR 718/08
aaO, Rn. 24 zur Steuerberechnung). Angesichts dessen, dass die [X.] für das [X.]

errechnet hat und infolge der Widersprüche in den Umsatzzahlen und der fehlenden revisionsgerichtlichen Nachprüfbarkeit kann der [X.] nicht ausschließen, dass sich auf der Grundlage einer rechtsfehler-freien Darstellung in einzelnen Fällen keine Steuerverkürzung oder kein [X.] und Veruntreuen von Arbeitsentgelt ergeben hätte. Der [X.] hat das Urteil mit sämtlichen Feststellungen aufgehoben, auch die zur faktischen Ge-schäftsführung durch den Angeklagten und zur rechtsstaatswidrigen Verfah-rensverzögerung, um dem neuen Tatrichter widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.
Raum Jäger Bellay

Fischer Bär

Meta

1 StR 111/18

05.07.2018

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.07.2018, Az. 1 StR 111/18 (REWIS RS 2018, 6531)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 6531

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1 StR 111/18

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