Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.04.2016, Az. 2 StR 394/15

2. Strafsenat | REWIS RS 2016, 12609

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:210416B2STR394.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2
StR 394/15

vom
21. April 2016
in der Strafsache
gegen

1.

2.

wegen
zu 1.: gefährlicher Körperverletzung

zu 2.: gefährlicher Körperverletzung u.a.

-
2
-
Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung der
Beschwerde-führer und des [X.] -
zu 4. auf dessen Antrag -
am 21.
April 2016 gemäß § 349 Abs.
2 und
4
StPO beschlossen:

1.
Auf die Revision des
Angeklagten Y.

E.

wird das
Urteil des [X.] vom 16. Februar 2015, soweit es ihn betrifft, aufgehoben
a)
im Einzelstrafausspruch zu [X.] 2. der Urteilsgründe (Tat am [X.])
und
b)
im Gesamtstrafenausspruch.
2.
Auf die Revision des Angeklagten L.

E.

wird das
vorgenannte Urteil des [X.], soweit es ihn betrifft, aufgehoben
a)
im Einzelstrafausspruch zu [X.] 2. der Urteilsgründe (Tat am [X.]),
b)
im [X.] 5. der Urteilsgründe mit den zugehörigen Feststellungen und
c)
im Gesamtstrafenausspruch.
3.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten der
Rechtsmittel,
an eine allgemeine Strafkammer des [X.] zurückver-wiesen.
4.
Die weiter gehenden
Revisionen
werden
verworfen.
-
3
-
Gründe:
Das [X.] hat
den Angeklagten
Y.

E.

wegen gefähr-
licher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und neun Monaten und dessen Bruder, den Angeklagten L.

E.

,
wegen gefährlicher Körperverletzung, Beihilfe zur gefährlichen Körperver-
letzung und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen die Verurteilung richten
sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts
gestützten
Revisionen
der
Angeklagten. Die [X.] haben in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet (§
349 Abs.
2 StPO).
1. Die
von dem Angeklagten Y.

E.

erhobenen Verfahrens-
rügen und die von dem Angeklagten L.

E.

beanstandete Verlesung
und Verwertung der Verteidigererklärung seines Bruders bleiben aus den [X.] Gründen der Antragsschriften des [X.] vom 19.
Oktober 2015 ohne Erfolg. Auch die Schuldsprüche wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen (hinsichtlich des Angeklagten Y.

E.

) und wegen gefährlicher Körperverletzung und Beihilfe zur gefährlichen
Körperverletzung (hinsichtlich des Angeklagten
L.

E.

) weisen
kei-
nen die Angeklagten [X.] Rechtsfehler auf; entsprechendes gilt für die Tat im Einkaufszentrum
bzw. auf der Brücke
wegen der
jeweils verhängten Einzelstrafen.
2. Die Einzelstrafaussprüche
im [X.] 2. der Urteilsgründe (Tat am [X.]) haben hingegen keinen Bestand. Das [X.] hat zu Las-ten beider Angeklagter
berücksichtigt, dass

e-verwirklicht 1
2
3
-
4
-
worden sei. Soweit das [X.] davon ausgeht, (auch) die Tatvariante des §
224 Abs. 1 Nr. 4 StGB sei erfüllt, begegnet dieses durchgreifenden rechtli-chen Bedenken.
a) Den
Qualifikationstatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB verwirklicht, wer die Tat mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begeht. Weder Ei-genhändigkeit noch Mittäterschaft wird vorausgesetzt; ausreichend ist vielmehr schon das gemeinsame Wirken eines [X.] und eines Gehilfen bei der Bege-hung der Körperverletzung (vgl. [X.], Urteil vom 3. September 2002 -
5 [X.]/02,
[X.]St 47, 383, 386; Beschluss vom 8. März 2016 -
3 [X.], [X.], 139). Dies folgt aus dem Sinn und Zweck des Qualifikationstat-bestandes des
§
224 Abs. 1 Nr. 4 StGB, wonach durch ein solches Zusam-menwirken
-
nicht anders
als durch mittäterschaftliche Begehung
-
eine ver-stärkte Gefährlichkeit der Körperverletzung für das Opfer begründet wird
(vgl. [X.], Urteil vom 3. September 2002 -
5 [X.]/02, [X.]St 47, 383, 386).

Allerdings ist eine gemeinschaftliche Begehung in dieser Beteiligungs-form regelmäßig erst dann anzunehmen, wenn der am Tatort anwesende Gehil-fe die Wirkung der Körperverletzungshandlung des [X.] -
physisch oder psy-chisch (vgl. [X.], Urteil vom 22. Dezember 2005 -
4 [X.], [X.], 572, 573) -
bewusst
in einer Weise verstärkt, welche die Lage des Verletzten zu verschlechtern geeignet ist. Dies wird in der Regel vor allem durch eine Schwä-chung der Abwehrmöglichkeiten verwirklicht, wenn das Opfer durch die Präsenz mehrerer Personen auf der Verletzerseite
insbesondere auch wegen des erwar-teten Eingreifens des oder der anderen Beteiligten in seinen Chancen beein-trächtigt wird, dem Täter der Körperverletzung Gegenwehr zu leisten, ihm aus-zuweichen oder zu flüchten.

4
5
-
5
-
b) Nach den Feststellungen stand der Angeklagte L.

E.

bei
seinem am [X.] abgestellten Pkw und
sah, dass sein Bruder
den s-ser

bedrohte. Der Angeklagte L.

E.

forderte seinen Bruder auf,

schnell in das Auto einzusteigen und mit ihm zu fliehen. Sein Bruder kam der Aufforderung jedoch nicht nach, sondern fragte den Mitangeklagten L.

E.

lediglich, ob die Polizei schon da sei. Als der Angeklagte L.

E.

die Frage verneinte und zusätzlich von sich aus noch darauf hinwies, dass
hier auch keine Kameras befindlich seien, schwang der Angeklagte
Y.

E.

im Beisein seines Bruders das [X.] mit der scharfen Klin-

dem er sodann u.a. eine Skal-pierungsverletzung zufügte.
Unbeschadet des Umstandes, dass schon nicht erkennbar ist, ob sich das [X.] des oben unter 2. a) dargelegten Maßstabes bewusst gewesen ist, ist den Feststellungen ein gemeinsames Einwirken auf das Opfer bei der Begehung der Körperverletzungshandlung nicht hinreichend zu entnehmen; insoweit erscheinen indes ergänzende Feststellungen möglich.
3. Die Verurteilung des Angeklagte L.

E.

wegen Handeltrei-
bens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge im [X.] 5. der Urteils-gründe hat ebenfalls keinen Bestand. Insoweit rügt der Beschwerdeführer zu Recht, dass sich das [X.] bei seiner Überzeugungsbildung auf Beweise gestützt hat, die es nicht hätte verwerten dürfen, da sie bei einer Durchsuchung gewonnen worden waren, die unter Verstoß gegen den
Richtervorbehalt (§
105 Abs. 1 Satz 1 StPO) durchgeführt wurden und daher rechtswidrig waren.

a) Folgendes liegt zugrunde:
Am 14. Oktober 2013 bewahrte der Ange-klagte L.

E.

in seinem in der Nähe seiner Wohnung abgestellten
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-
6
-
Fahrzeug der Marke [X.] in einer in der Mittelkonsole versteckten Plas-tiktüte 93,07g Kokain mit einem Kokainhydrochloridanteil von 79,5%
auf, das zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt war.
b) Das [X.] hat seine Überzeugung von diesem Sachverhalt trotz des Widerspruchs des Angeklagten gegen die Beweisverwertung in der [X.] im Wesentlichen auf die bei der Durchsuchung des genannten Pkw erlangten Erkenntnisse und auf die Aussage der [X.]n ge-stützt. Zu dieser Durchsuchung kam es wie folgt:
Nachdem der Angeklagte L.

E.

am 4. Oktober 2013 vorläufig
festgenommen worden war und sich sodann in Untersuchungshaft befand, [X.] die [X.]n im Rahmen der strafrechtlichen Ermittlungen we-gen der am selben Tag begangenen gefährlichen
Körperverletzung am 14.
Oktober 2013
(Montag)
zufällig auf einen weiteren, auf den Angeklagten
L.

E.

zugelassenen
und in dessen Wohnortnähe abgestellten Pkw,
zu dem die passenden Fahrzeugschlüssel zuvor sichergestellt worden waren. Da die [X.]n vermuteten, dass sich in diesem Fahrzeug insbe-sondere die bei der Straftat verwendeten Tatwaffen befinden, informierten sie Oberstaatsanwalt

, der als Vertreter der an sich zuständigen
Dezer-
nentin zuständig war. Oberstaatsanwalt

, dem nicht bewusst war, dass
die den Ermittlungen zugrunde liegende Straftat bereits zehn Tage zurücklag, ordnete wegen Gefahr in Verzug die sofortige Durchsuchung des Pkw des An-
geklagten L.

E.

an, ohne zuvor zu versuchen, eine richterliche An-
ordnung zu erlangen;
die Anordnung des Oberstaatsanwalts ist zudem weder schriftlich dokumentiert noch sind die die Dringlichkeit rechtfertigenden Tatsa-chen (schriftlich) begründet. Um 13.35 Uhr durchsuchten [X.] den Pkw des Angeklagten L.

E.

und fanden dabei zufällig das ver-
steckte Kokain;
Tatwaffen fanden sie nicht.
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7
-
c) Vor diesem Hintergrund unterliegen die aus der Durchsuchung erlang-ten Erkenntnisse -
entgegen der Ansicht des [X.] -
einem
Beweisver-wertungsverbot.
aa) Die montags am 14. Oktober 2013 um 13.35 Uhr durchgeführte
Durchsuchung war wegen Missachtung des
Richtervorbehalts rechtswidrig. Ei-ne gemäß
§ 105 Abs. 1 Satz 1 StPO grundsätzlich erforderliche richterliche
Durchsuchungsanordnung lag nicht vor. Wie auch der [X.] in seiner Antragsschrift vom 19. Oktober 2015 zutreffend ausgeführt hat, rügt die Revision zu Recht, dass die Anordnung des Oberstaatsanwalts nicht auf einer rechtmäßigen Inanspruchnahme seiner sich aus
§ 105 Abs. 1 Satz 1 StPO er-gebenden Eilkompetenz
beruhte, weil Gefahr im Verzug objektiv nicht vorlag.
bb) Das Fehlen einer richterlichen
Durchsuchungsanordnung führt hier zu einem
Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der bei der
Durchsuchung ge-wonnenen Beweismittel.
Die Annahme eines
Beweisverwertungsverbots ist von Verfassungs we-gen zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrens-verstößen, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder syste-matisch außer Acht gelassen worden sind, geboten ([X.], Beschluss vom 12. April 2005 -
2 BvR 1027/02, [X.]E 113, 29, 61;
Beschluss vom 16. März 2006 -
2 BvR 954/02, [X.], 2684, 2686;
Beschluss vom
20. Mai 2011
-
2
BvR 2072/10, NJW 2011, 2783, 2784). Ein solcher schwerwiegender Ver-stoß liegt aufgrund der oben geschilderten Umstände vor. Der Gesichtspunkt, wonach dem anordnenden Oberstaatsanwalt nicht bewusst gewesen sei, dass die den Ermittlungen zugrunde liegende Straftat bereits zehn Tage zurücklag, ändert
an dieser Bewertung nichts. Unbeschadet dessen, dass eine solche Fehlvorstellung auf -
nicht nachzuvollziehender -
nicht vollständiger Information 12
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beruht
hat, die der Sphäre der Ermittlungsbehörden zuzurechnen ist, kann die-ser Umstand
es
nicht rechtfertigen, dass noch nicht einmal der
Versuch unter-nommen worden ist, an einem Werktag zu dienstüblichen Zeiten eine
richterli-che
Entscheidung zu erlangen, zumal der Angeklagte sich in Untersuchungs-haft
befunden hatte.
cc) Anders als der [X.] meint, kann dem Aspekt eines möglichen hypothetisch rechtmäßigen Ermittlungsverlaufs (vgl. etwa [X.], [X.] vom 18. November 2003 -
1 [X.], [X.]R StPO § 105 Abs.
1
Durchsuchung 4) bei -
wie
hier -
solcher Verkennung des
Richtervorbehalts kei-ne Bedeutung zukommen (vgl. auch [X.], Urteil vom 18. April 2007 -
5 [X.], [X.]St 51, 285, 295 f.; Beschluss vom 30.
August 2011 -
3 [X.]/11, [X.]R
StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 8). Die Einhaltung der durch
§
105 Abs. 1 Satz 1 StPO festgelegten Kompetenzregelung könnte in diesen Fällen bei Anerkennung des hypothetisch rechtmäßigen Ersatzeingriffs als [X.] bei der Prüfung des Vorliegens eines
Beweisverwertungsver-bots stets unterlaufen und der Richtervorbehalt sogar letztlich sinnlos werden. Bei Duldung grober Missachtungen des
Richtervorbehalts entstünde gar ein Ansporn, die Ermittlungen ohne Einschaltung des Ermittlungsrichters einfacher und möglicherweise erfolgversprechender zu gestalten. Damit würde das we-sentliche Erfordernis eines rechtstaatlichen Ermittlungsverfahrens aufgegeben, dass Beweise nicht unter bewusstem Rechtsbruch oder gleichgewichtiger Rechtsmissachtung erlangt werden dürfen ([X.], Urteil vom 18. April 2007
-
5
[X.], [X.]St 51, 285, 296; Beschluss vom 30.
August 2011 -
3 [X.]/11, [X.]R
StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 8).
d) Die Verurteilung wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge kann danach keinen Bestand haben. Eine eigene [X.] gemäß
§ 354 Abs. 1 StPO ist dem Senat nicht möglich. Er kann den 16
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-
Angeklagten nicht vom Vorwurf des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge freisprechen, denn es ist nicht völlig auszuschließen, dass in der neuen Hauptverhandlung auch ohne Verwertung aller anlässlich der
Durchsuchung gewonnenen Erkenntnisse noch Feststellungen getroffen wer-den können, die einen Schuldspruch tragen.
4. Die Aufhebung der Einzelstrafen im [X.] 2. der Urteilsgründe (Tat am [X.]) und -
soweit es den Angeklagten L.

E.

betrifft
-
die Aufhebung des Schuldspruchs im [X.] 5. der Urteilsgründe zieht die Auf-hebung der jeweiligen Gesamtstrafen
nach sich.
5. Ein die Zuständigkeit des Schwurgerichts begründender Tatvorwurf steht nicht mehr in Frage; der Senat verweist die Sache entsprechend §
354 Abs. 3 StPO deshalb an eine allgemeine Strafkammer des [X.] zurück (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Mai 2015 -
2
StR 488/14).
Fischer Appl Eschelbach

Zeng Bartel

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Meta

2 StR 394/15

21.04.2016

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.04.2016, Az. 2 StR 394/15 (REWIS RS 2016, 12609)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 12609

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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3 StR 524/15

2 BvR 1027/02

3 StR 210/11

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